Nordseeküstenradweg / North Sea Cyle Route
In neun Jahren einmal um die Nordsee
Eine Radreise mit Kindern


Auswahl nach Reisejahr



Auswahl nach Land

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2015
Nordseeküstenradweg / North Sea Cyle Route
England, Frankreich, Belgien, Niederlande
Der Kreis schließt sich


Titelbild 2015




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Samstag, 18.07.2015

Der Tag beginnt früh: bereits um halb sechs stehe ich auf, um beim Bäcker Brötchen zu holen und um den Wagen zu betanken. Gefrühstückt werden soll nachher im Auto, Plan ist, um sieben loszukommen. Zeit für den Abschied von unseren Katzentieren Kylie und Paul, die auch in diesem Sommer wieder von einem Mädchen aus der Nachbarschaft, versorgt werden. Da meine ältere Tochter vor wenigen Wochen ihren Führerschein (zunächst für das begleitete Fahren) erhalten hat, darf sie die ersten zwei Stunden unseren kleinen Ford steuern. Das ist absolut entspannt, sie fährt erfreulich defensiv, hält immer ausreichend Abstand, sodass ich wirklich ein gutes Gefühl dabei habe. Etwa bei Bremen tauschen wir dann die Plätze und ich übernehme für den Rest des Tages das Steuer - in Holland dürfte sie ohnehin nicht fahren, da das begleitete Fahren nur in Deutschland erlaubt ist.

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Niederlande

Mit dem Auto gelangen wir von unserer Heimatstadt Kiel nach Hoek van Holland


Meine Berechnung hinsichtlich der Reisezeit geht exakt auf, als wir um 15:00 Hoek van Holland erreichen. Wir steuern den Campingplatz an, auf welchem wir dereinst unsere Reise um die Nordsee begannen. Dort hatte ich vor einigen Tagen angerufen, um abzuklären, ob wir dort für die kommenden drei Wochen unser Auto würden stehenlassen können. Kein Problem, sagte man mir, für 4€/ Tag würde der Wagen sicher auf einem Parkplatz stehen können.

Nach etwa einer Stunde sind wir startklar, habe also alle vier Räder aus dem Anhänger geholt, zusammengeschraubt, beladen und können "aufsatteln". Es ist ein komisches Gefühl, nun auf jenem Dünenweg zu radeln, auf welchem wir im Sommer 2007 mit sehr kleinen Kindern einen abendlichen Ausflug unternahmen… Der Kreis beginnt, sich zu schließen.
Am Nordufer der Maas orientieren wir uns dann ins Landesinnere, um schließlich mit der Fähre Maasslouis - Rozenburg den Fluss zu überqueren. Von dort aus geht es wieder in Richtung Küste, wo wir schließlich das Europoort-Gelände und damit unsere Fähre nach Hull erreichen. Das Timing ist perfekt, nach nur sehr kurzer Wartezeit dürfen wir gegen 18:00 auf das Schiff.
Die Sonne scheint und ein frischer Nordseewind weht, als wir an Deck das Auslaufen des Dampfers verfolgen.

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Niederlande, Europoort Rotterdam

Ausfahrt aus dem Hafen von Rotterdam




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Niederlande, Europoort Rotterdam

Vom Europoort Rotterdam bringt uns die Fähre über den Ärmelkanal


In der Kabine, welche ein Fenster hat (!), gibt es Abendessen. Wie üblich hatte ich am Vortag ein Blech mit gefülltem Blätterteig gebacken - eine unserer zahlreichen kleinen NSCR-Traditionen…
Claudia und ich sind müde und gehen bereits um halb zehn zu Bett, während die Mädels sich noch lange auf dem Schiff herumtreiben und mit irgendwelchen Engländern was auch immer für einen Quatsch machen. Komisches Gefühl, aber an sowas werde ich mich zusehends gewöhnen müssen.

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Sonntag, 19.07.2015

Karte Tagesetappe

Um sechs scheppert die Weckdurchsage durch die Lautsprecher, also raus aus den Federn. An Deck weht uns kräftiger Wind um die Ohren und pustet uns leichten Regen ins Gesicht - das ist ja eine Begrüßung!
Beim Verlassen des Schiffs rutscht Toni mit ihrem Rad auf der glitschigen Metallrampe aus und stürzt, es verläuft aber harmlos, sie kann sofort weiterfahren. Wir suchen dann erst einmal unter dem Vordach des Terminalgebäudes Schutz vor dem Niederschlag und frühstücken. Die Strategie scheint gut zu sein, denn bald bessert sich das Wetter und wir können bei trockenen Verhältnissen die Etappe beginnen.
Zu früh gefreut - wir haben noch nicht einmal das trostlose Hull verlassen, als nach wenigen Kilometern wieder kräftiger Regen einsetzt, sodass die Fahrt über die Humber Bridge echt ungemütlich gerät. Wir rollen durch Barton-upon-Humber - jener Ort, in welchem wir im Vorjahr spät am Abend etwas verzweifelt auf Unterkunftssuche waren… Keine so schöne Erinnerung.

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England, Humber Bridge

England empfängt uns mit grauem Himmel und Regen, als wir über die Humber Bridge rollen und unseren Südkurs fortsetzen


Schließlich hört es doch auf, zu regnen, sodass wir unseren Weg nach Süden bei freundlichen Verhältnissen fortsetzen können. Das Profil ist wellig, der Wind pustet kräftig von vorne, die Stimmung ist gut. Nach zwei Stunden und etwa dreißig Kilometern legen wir eine ausgiebige Pause auf einer Wiese am Wegesrand ein. Lesen, Chillen, Tee trinken, Kekse essen.

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Campingplatz bei Market Rasen

Campingplatz bei Market Rasen


In der Nähe der Ortschaft Market Rasen erreichen wir am späten Nachmittag einen beschaulichen kleinen Campingplatz. Der Platzwart, mit dem wir ins Gespräch kommen (er kennt sogar Schleswig-Holstein!), hat einen derben Slang und ist nicht immer ganz leicht zu verstehen. Wir erkundigen uns nach Einkaufsmöglichkeiten und erfahren, dass es in der Nähe einen Hofladen geben soll, wo man vielleicht morgen Brot bekommen kann. Okay. Wir berichten von unserer Fahrt um die Nordsee und schwärmen ihm vom Norden vor, von Shetland und Orkney. Er hat diese Gegenden seiner Heimat noch nie gesehen - wir legen ihm nahe, dies unbedingt nachzuholen!
Als wir nach dem Abendessen einen kleinen Spaziergang zu dem besagten Hof unternehmen, müssen wir feststellen, dass dieser "Mondays closed" ist. Gut, dann wissen wir das schon einmal und können dann morgen früh direkt nach Market Rasen fahren, um für das Frühstück einzukaufen.
Auch die Phase10-Tradition wird in diesem Jahr gepflegt - und wie üblich sind Heiko und Johanna die Verlierer!

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Montag, 20.07.2015

Karte Tagesetappe

In der Nacht ist es frisch geworden, habe sogar kalte Füße bekommen in meinem dünnen Sommerschlafsack. Am Morgen weist das Thermometer immerhin 10°C aus. Ich bin um acht wach und mache mich auf den Weg nach Market Rasen, wo ich eine Weile benötige, um einen vernünftigen Supermarkt zu finden. Dort erledige ich schließlich den Einkauf für das Frühstück, bin um viertel nach neun wieder bei den Mädels.
Es ist ein herrlicher Sommermorgen, die Sonne scheint, vertreibt die "Kälte" der Nacht und es ist regelrecht heiß, das gefällt mir!
Die heutige Etappe ist insgesamt unspektakulär, durch eine flache, grüne Landschaft ziehen sich teils schnurgerade angelegte Radwege auf ehemaligen Bahntrassen durch das Land. Vom Gepräge erinnert mich die Gegend stark an Ostfriesland. In Lincoln wird eingekauft, ich warte wie üblich draußen bei den Rädern, während die Mädels sich im Supermarkt umschauen. Johanna bringt für Claudia eine Packung Maoam und für mich eine Tüte Haribo "Starmix" als kleine Überraschung mit, total nett!

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England

Die Etappe ist in landschaftlicher Hinsicht relativ unspektakulär und erinnert uns manchmal an Friesland




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England

Unterwegs im südlichen England


Claudia ist wieder schlapp, fährt oftmals weit hinterher, sodass wir am Nachmittag noch einmal eine lange Pause einlegen. Ich vertreibe mir die Zeit mit Toni, indem wir ein Steinewerf-Spiel erfinden und auf dem Asphaltweg einen kleinen Wettbewerb austragen. Später ziehen bedrohlich finstere Wolken auf, die auf bedrohliche Weise Regen verkünden, dann aber doch vorüberziehen, sodass wir trocken bleiben.
Der eigentlich angesteuerte Campingplatz ist nicht erreichbar, da uns ein Gewässer von ihm trennt - da habe ich bei der Planung der GPS-Route wohl nicht aufgepasst. Lange müssen wir dann aber auch nicht suchen, bis wir einen weiteren finden. Dieser ist sogar recht günstig und hat überdies einen Pool, in welchem sich die Kinder noch eine Weile vergnügen.
Nach der Erfahrung des Vorjahres, wo wir ja teils erhebliche Probleme hatten, einen geeigneten Übernachtungsplatz zu finden (oft waren z.B. die Plätze nur für Wohnmobile bzw. Mobilehomes zugelasssen), haben wir in diesem Jahr im Vorwege recht aufwändig recherchiert, wo sich Möglichkeiten zur Übernachtung finden. Claudia hat dabei die Hauptarbeit erledigt, ich habe dann alle Plätze noch einmal mit der Route abgeglichen und die jeweiligen Koordinaten im Navigationsgerät gespeichert.

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Dienstag, 21.07.2015

Karte Tagesetappe

Viel böser Wind pustet uns den ganzen Tag von vorne ins Gesicht, ist aber gut fahrbar und wirkt sich nicht negativ auf die Stimmung im Team aus. Bei Sonnenbrandwetter rollen wir auch heute durch plattes Grasland, welches von Drainagekanälen durchzogen ist und so auch wirklich in Friesland zu finden sein könnte. Hätte ich so in England irgendwie nicht erwartet. Unterwegs vertreiben wir uns manchmal die Zeit, in dem wir Ratespiele spielen, zur Abwechslung auch mal auf Englisch.

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England

Unterwegs im südlichen England


Auch heute haben wir zunächst Schwierigkeiten, den Campingplatz zu entdecken (es wäre an diesem "Ort" mangels Alternativen wirklich problematisch gewesen, hätte er nicht existiert), finden ihn dann aber doch noch gut versteckt am Ende einer Nebenstraße. Der Name "Secret Garden" scheint Programm zu sein… Gefühlt drei Viertel der Gäste sind kleine Kinder, es ist ein sehr lebendiger geheimer Garten.
Im Aufenthaltsraum steht eine Tischtennisplatte und ich werde von meinen drei Mitreisenden "gezwungen", mich auf eine Partie einzulassen - und dabei bin ich doch sowas von talentfrei. Ich kann nicht behaupten, dass mir das besonders viel Spaß gemacht hat.

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Mittwoch, 22.07.2015

Karte Tagesetappe

Fast einhundert Kilometer liegen am heutigen Tage vor uns, da ist halbwegs zeitiger Aufbruch angesagt: um halb elf geht es los in einen - wie wir zunächst annehmen - sonnigen Tag. Die Gegend präsentiert sich weiterhin platt und reizarm, wir kommen immer wieder durch oft recht verfallen und marode wirkende Ortschaften. Wisbech, Kings Lynn… Schließlich setzt Regen ein, zunächst nur vereinzelte kräftige Schauer, dann aber doch langanhaltend und ziemlich fies. Bald ist alles nass. Die Mädels sind dennoch gut drauf, blödeln herum und entscheiden sich sogar noch für die Weiterfahrt zu einem entfernteren Campingplatz.
Gegen Ende der Etappe führt uns der Weg auf ein gewaltiges Anwesen - allein die Zufahrt zu dem wuchtigen Gebäude ist über drei Kilometer lang. Holkham Hall, wie ich später nachlesen kann, handelt es sich um den Stammsitz der Earls of Leicester. Errichtet wurde der Bau von 1734 bis 1764. Ziemlich beeidruckend!

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England, in Wisbech

Wisbech, eine Kleinstadt auf unserem Weg




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England

Regenschauer begleiten die Tagesetappe




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England

Picknick im Regen




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England, Wells-next-the-Sea

Kurz dürfen wir in Wells-next-the-Sea einen Blick auf das Meer werfen, dann geht es wieder im Landesinneren weiter. Mit Nordsee hat dieser Teil des NSCR nur eingeschränkt etwas zu tun...


Zum Abend ist es immerhin wieder trocken, beim Campingplatz handelt es sich um eine schlichte Wiese, welchem einem recht rustikalen Reiterhof angegliedert ist. Wir rollen auf das grob gepflasterte Gelände, klopfen an einem alten Bauernhaus. Ein junges Mädchen - vom Alter her passend zu unseren Ladies - tritt mit Socken aus der Tür, um uns zu begrüßen. Auf ihr "I'll just put my shoes on!" erwidere ich: "Good idea!" - worüber sich Toni und Johanna köstlich amüsieren. Wenig später weist sie uns auf dem Gelände ein und zeigt uns, wo wir unsere Zelte aufstellen dürfen.
Wir essen Reis und wie so oft viele Karotten, bevor Claudia und ich dann noch einmal die kurze Strecke in den Ort Wells-next-the-Sea fahren. Fast die gesamte Strecke, welche wir in diesem Jahr auf den Britischen Inseln zurücklegen, verläuft im Landesinneren, sodass dies heute Abend einer der raren Momente ist, da uns die Freude zuteilwird, auf das Meer blicken zu dürfen.

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Donnerstag, 23.07.2015

Karte Tagesetappe

Der Morgen ist mild, es ist bedeckt und trocken. Nach dem Frühstück spielen wir fünf Phasen "Phase 10", wie üblich gehöre ich zu den Verlierern und gewinne somit den Spüldienst für den heutigen Tag.
Nach wenigen Kilometern auf ländlichen Plattenwegen legen wir eine kurze Zwangspause ein: Claudias Rad hat einen Platten - und das ist bereits der zweite auf dieser Reise…
Der Weg führt uns heute durch welliges Terrain, ich finde irgendwie keinen Rhythmus. Der tägliche Versorgungseinkauf erfolgt bei Tesco in Fakenham, dem einzigen etwas größeren Ort, den wir heute durchfahren. Nachmittags gibt es wie so oft eine ausgiebige Pause im Gras am Straßenrand, bevor wir uns später auf einer langen, geraden ehemaligen Bahntrasse dem Ziel, der Stadt Norwich, nähern.
Claudia rollt zumeist etwas hinterher, ich unterhalte mich lange mit den Kindern. Wir kommen irgendwie im Gespräch auf die zweijährige Tochter unserer Nachbarn und spielen in Gedanken durch, wie alt wir wohl sind, wenn Sophia Johannas Alter erreicht. Johanna ist dann 32 und ich werde schon 62 sein - meine Güte, lieber nicht dran denken!
Unser Tagesziel Norwich erreichen wir am späten Nachmittag. Es ist eine schöne Stadt, in der man sich gut noch eine kleine Weile hätte umschauen können. Sehr viel alte Bausubstanz ist zu sehen, an diesem sommerlichen Abend wimmelt es von Menschen, überall sitzt man draußen in den Cafés, es ist ein Ambiente von geradezu mediterraner Anmutung. Wir fahren einmal komplett durch die Stadt durch und steuern in deren Süden den Campingplatz an. Joe freut sich über eine Horde kleiner Kinder "och, sind die süß!", als sie duschen geht, wir futtern Tortellini, später lese ich im "Hannes" einem der Bücher, die Claudia vor der Tour noch für die Kinder besorgt hatte. Es ist die Geschichte eines Jugendlichen, der über Wochen Abschied von seinem Freund nimmt, welcher nach einem Motorradunfall lange Zeit im Wachkoma liegt. Da auch die Kinder dieses Buch gelesen haben, wird der Inhalt noch so manches Mal Inhalt von nachdenklichen Gesprächen.

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Freitag, 24.07.2015

Karte Tagesetappe

Johanna ist schon früh auf den Beinen. Da fällt mir auf, dass der Morgenrhythmus bislang insgesamt sehr angenehm ist, es gibt kein Gemurre, weil wir mal wieder "zu früh" aufstehen - so wie es in der Vergangenheit so manches Mal der Fall war.
Wir vertrödeln Teile des Vormittags, die Kinder packen ewig lange ihre Sachen, sortieren alles in ihre Taschen und kommen auf die Idee, sie könnten ja mal ein Zertifikat oder eine Teilnahmebescheinigung ausstellen für die Teilnahme am Kurs "Fahrradtaschen packen"…
In fußläufiger Entfernung befindet sich ein kleiner See, zu dem wir noch mal spazieren, bevor wir die Etappe beginnen. Eine ganze Weile beobachten wir einen kleinen Schwan, der am Seeufer herumspielt. Es beginnt, leicht zu regnen.
Erst um zwölf Uhr kommen wir los, der Regen nimmt an Intensität zu und macht auch keine Pause. Die Kinder sind - es ist faszinierend - dennoch allerbester Laune. Sie fahren weit vor uns, wir verabreden, dass sie alle zehn Kilometer mal anhalten, und auf uns warten. Die Beschilderung des Weges ist so gut, dass das möglich ist.
Claudia hat zur Abwechslung mal wieder einen Platten, Scheißbereifung, denke ich und bin allmählich davon etwas genervt.
Auch genervt bin ich von dem Wetter. Im Gegensatz zu den Kindern stört mich heute der Regen gewaltig, ich bin nass und friere, behalte das aber für mich und klage nicht.
Letztlich ist es auch dem Wetter geschuldet, dass wir bereits nach knapp 60 Kilometern einen Campingplatz ansteuern. Dieser liegt etwas versteckt abseits der Straße in einem Wohngebiet und ist ziemlich klein. Im strömenden Regen wird uns eine kleine Ecke zugewiesen, wir sind die einzigen Zelter und überhaupt, es ist nicht viel los hier. Die Sanitäranlagen sind in einem Mobile Home untergebracht, welches vielleicht hundert Meter von unserem Stellplatz entfernt steht. So etwas haben wir auch noch nicht erlebt!

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England

Deftiges Abendessen für hungrige Radler


Während der Regen laut und kräftig auf das Zeltdach prasselt und wir zur Abwechslung mal wieder Phase 10 spielen (ich verliere natürlich, wie immer), steht plötzlich der Platzwart in triefender Regenkleidung vor dem Zelt "Hello! Here is some coffee for you!" und reicht uns eine große Stabfilterkanne mit frisch aufgebrühtem Kaffee in die Apsis - das ist ja eine nette Geste!

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Samstag, 25.07.2015



Der Morgen gibt sich weiterhin regnerisch und windig, was die Kinder dazu veranlasst, einen Ruhetag vorzuschlagen. Ich kann dem Gedanken durchaus etwas abgewinnen, nur Claudia ist wenig begeistert. Letztlich wird der Mehrheitsentscheid umgesetzt und wir bleiben.
Das Wetter bessert sich bald - hätten wir doch radeln sollen? - und es wird warm und sonnig, sodass wir einen chilligen Tag auf den Isomatten verleben. Es wird viel gelesen (ich schnappe mir heute "Go west", ebenfalls ein Buch aus dem Repertoire der Kinder, welches den USA-Roadtrip zweier junger Mädels nach dem Abi schildert. Leichte Lektüre, teils etwas behäbig geschrieben und eher an einen Reiseführer erinnernd…). Zwischendurch wird gespielt, gegessen und natürlich trinke ich literweise Tee…
Irgendwann machen sich die Kinder auf den Weg in den Ort, um noch etwas einzukaufen. Dabei kriegen sie sich dann im Supermarkt in die Wolle und können sich am Ende nicht einigen, wer den Rucksack (einschließlich Portmonee!) zurücktransportiert. Und was machen sie? Lassen ihn einfach dort stehen. Man glaubt es einfach nicht.
Manchmal muss man wirklich vorübergehend an deren gesundem Menschenverstand zweifeln. Natürlich werden die Damen umgehend zurückgeschickt - und zum Glück hat sich niemand des Rucksacks bemächtigt. So eine beknackte Aktion.

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Sonntag, 26.07.2015

Karte Tagesetappe

Wir schlafen relativ lange, frühstücken im Zelt, es ist frisch und bedeckt. Ich sage noch, die Wolken erinnern mich verdächtig an Vorgestern, da sah es fast genauso aus…
Wir holen die Zelte ein, packen die Räder fertig - und just in dem Moment, da wir vom Campingplatz rollen, beginnt es zu regnen. Besonders warm ist es auch nicht gerade. Heute ziehe ich mir aber mal meine Regenhose an, welche immerhin verhindern wird, dass ich friere.
Ich radele wieder mit den Mädels, Claudia ist hinter uns. Toni fragt irgendwann, wie viele US-Bundesstaaten ich kenne - es sind weniger, als ich zunächst dachte. Schnell klinkt sich dann auch Johanna ein und so kommt es, dass wir nach den amerikanischen Staaten dann gemeinsam auch die deutschen Bundesländer und deren Hauptstädte durchgehen. Als wir damit fertig sind, folgt Europa: von Portugal aus geht es Land für Land nach Osten. Hier und da streue ich Geschichten und Geschichte ein, eine Mischung aus persönlichen Erlebnissen und Bröckchen meines rudimentären historischen bzw. geografischen Wissens. Die Kinder zeigen sich ungewohnt interessiert an solchen Dingen. Als wir im Nahen Osten ankommen, folgen sie gebannt meinen Ausführungen zur Geschichte Israels - ein Thema, mit dem ich mich tatsächlich ein wenig auskenne und wo ich ja auch wieder die eine oder andere persönliche Erinnerung einstreue. So gerät die Fahrt ausgesprochen kurzweilig, den Regen vergessen wir dabei fast völlig. Claudia ist weiterhin ein ganzes Stück hinter uns, wir lassen sie aber immer mal wieder herankommen - ich möchte nicht den nächsten Platten verpassen, immerhin transportiere ich das Flickzeug in meiner Werkzeugtasche! Wir sind ihr zu schnell, sie fährt ihr eigenes Tempo.

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England

...und mal wieder regnet es. Die ersten Tage der diesjährigen Tour sind teilweise etwas durchwachsen.


Der Regen ist wirklich fies. Während einer gemeinsamen Tee- und Kekspause in einer überdachten Bushaltestelle stellen wir anhand der im GPS gespeicherten Waypoints fest, dass wir ganz in der Nähe zweier Campingplätze sind und beschließen, dass wir bei den Wetterverhältnissen nicht mehr viel weiterfahren möchten. Noch ein kurzer Einkauf und dann steuern wir den ersten Platz an, welcher sich leider als nicht existent entpuppt. Also weiter. Bald sehen wir das erste wegweisende Schild und dieses lässt nichts Gutes erahnen: im oberen Bereich ist ein Wohnwagen abgebildet - und im unteren, es lässt sich eben noch erahnen, ein überklebtes Zeltsymbol… Aber: welche Wahl haben wir schon?
Eineinhalb Meilen sind es bis dort und wir finden die Rezeption geschlossen vor. Immerhin ist das Restaurant nebenan geöffnet, triefend nass schauen wir mal rein und werden freundlich und ein wenig mitleidig begrüßt. Unsere Sorge, man würde uns wieder fortschicken, erweist sich erfreulicherweise als unbegründet: "Actually we don't accept tents, but bikes are okay!". Radlerbonus - prima!
Während es noch immer gießt, wie aus Eimern, weist man uns einen Platz an einem kleinen Teich zu und auch hier bringt man uns wenig später eine Thermoskanne mit frischem Kaffee ans Zelt, das ist wirklich nett!
Ich mache wie eigentlich immer Essen. Nebenbei gehen wir noch mal die Länder durch, es sogar was hängen geblieben! Bei der späteren Kniffelrunde verlieren wie üblich Johanna und ich, später erlauben wir den beiden, im freien WLAN ihre Smartphones zu benutzen. Dass sie diese überhaupt mitnehmen durften, haben wir mit Blick auf den London-Aufenthalt gestattet. So werden sie dort die Möglichkeit haben, Fotos zu machen - und sind ggf. auch erreichbar. Ursprünglich lautete die Absprache, dass die Geräte auch tatsächlich bis zum Eintreffen in der Hauptstadt unter Verschluss bleiben. Nun, kleines Trostpflaster bei dem Schietwetter, heute machen wir mal eine kurze Ausnahme.
Insgesamt ist an dieser Stelle schon einmal angemerkt, dass die beiden sich bislang ausgesprochen gut vertragen!

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Montag, 27.07.2015

Karte Tagesetappe



Am Morgen gibt es kleinere Querelen hinsichtlich der Routenplanung für den heutigen Tag. Zwei Varianten stehen zur Auswahl: direkt westwärts Richtung Ipswich oder nach Süden an die Küste, um dort von Felixtowe die Fähre über den weiten River Orwell nach Harwich zu nehmen.
Die Entscheidung fällt auf Variante II - und entpuppt sich als Fehler (auch, wenn man das wirklich nicht hätte ahnen können). Denn leider finden wir am Fähranleger ein im Wind flatterndes Schild "Sorry, ferry is not running today due to high winds". Schade Schokolade.

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England

"No service" - die Fähre von Felixtowe nach Harwich verkehrt heute nicht... Für uns bedeutet das, dass wir einen erheblichen Umweg in Kauf nehmen müssen, um die weiten Buchten zu umradeln. Aber was soll's, es ist ja nicht zu ändern!


Auf diese Weise fangen wir uns also einen Umweg von fast dreißig Kilometern ein, denn es bleibt uns nichts Anderes übrig, als umzukehren, ein ganzes Stück denselben Weg zurückzufahren und schließlich auf der Nordseite den fjordartigen River Orwell zu umfahren. Es ist bedeckt und kühl, bleibt aber trocken. Ich staune nicht schlecht, als ich höre, dass die Kinder selbstständig und von sich aus Städte und Länder wiederholen.
Immerhin haben wir in Felixtowe mal wieder einen kurzen Blick auf die Nordsee werfen können und zur Freude der Kinder stehen an der Uferpromenade sogar Palmen.
Colchester ist unser Zielort, auch wieder ein schmuckes Städtchen, welches wir fast schon im Dämmerlicht durchqueren und nicht näher anschauen, obschon es wirklich nett aussieht. Unser Ziel ist das Finden des Campingplatzes, was sich nicht ganz einfach gestaltet. Die Hinweisschilder im Ort sind missverständlich, sodass ich irgendwann initiiere, dass Claudia und die Kinder an einer Ecke halten und warten und ich mich auf eine Erkundungsmission begebe - wir haben annähernd hundert Kilometer in den Beinen und vor allem Claudia muss geschont werden. Ich bin noch ziemlich fit, also mache ich mich auf die Suche, was dann aber auch nicht allzu lange dauert.
Der Platz ist nicht besonders attraktiv - liegt direkt an Autobahn und Zubringer, entsprechend ist im Hintergrund permanenter Fahrzeuglärm vernehmbar - aber immerhin haben wir ihn erreicht und müssen heute nicht mehr weiterfahren. Es dämmert schon, als wir uns nach dem Duschen zum Abendessen vor den Zelten einfinden. Lustig anzusehen sind die zahllosen Kaninchen, welche die Wiese ringsum bevölkern. Ab und zu werfen wir ihnen was zu futtern hin…

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Dienstag, 28.07.2015

Karte Tagesetappe

Ein weiterer recht kühler, aber trockener Tag erwartet uns. Wir lassen uns am Morgen sehr viel Zeit, denn wir wissen, dass uns heute nur eine kurze Etappe erwartet: etwa vierzig Kilometer sind geplant. Nach dem Frühstück folgt eine ausgiebige Partie Phase 10, während auch jetzt um uns herum wieder die Kaninchen hoppeln und wir von Autobahnlärm beschallt werden. So ist es schon fast halb zwei, als wir im Sattel sitzen und unseren Weg nach Südwesten fortsetzen. London ist inzwischen in greifbarer Nähe, was sich für uns unter anderem daran zeigt, dass jetzt auf allen Fahrradweg-Beschilderungen auch der Name der britischen Metropole erscheint.

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England

Typische ländliche Szenerie




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England

Erstmals ist London ausgeschildert!




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England, Asda-Supermarket

Üblicherweise legen wir einmal am Tag einen Halt an einem Supermarkt ein, um unsere Vorräte aufzufüllen. Ich bleibe in der Regel bei den Rädern, während die Mädels sich um den Einkauf kümmern




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England

Very british!




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England

Idyllisch gelegener Mini-Campingplatz




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England

Abendliches Fotoshooting




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England

Das Kind liebt kitschige Sonnenuntergänge (ganz wie der Vater!)


Nach einem Einkaufsstopp in Tiptree folgt wenig später in einem kleinen Ort eine lange Pause auf einem Spielplatz. Inzwischen ist die Sonne herausgekommen und so halten wir uns eine ganze Weile auf und lesen.
Weiter geht die Fahrt durch unspektakuläres Hügelland. Hecke, Felder und Wiesen.
Der Campingplatz, den wir schließlich erreichen, ist ein Traum: eine kleine beschauliche Wiese an einem Bauernhof, das ganze inmitten einer lieblichen Umgebung, welche jetzt im goldenen Schein der Abendsonne leuchtet. Als wir auf den Isomatten sitzen, um das Abendessen zuzubereiten, kommen ein paar Hühner vorbei, herrlich.
Mit Toni gehe ich zum Sonnenuntergang in die nahen Wiesen, um ihrem Wunsch zu entsprechen und ein paar Fotos von und mit ihr zu machen. Sie liebt Silhouetten-Aufnahmen vor dem Hintergrund herrlicher Sonnenuntergangshimmel.

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Mittwoch, 29.07.2015

Karte Tagesetappe

Der Tag beginnt sonnig und heiß, vor der Abfahrt cremen wir uns also gründlich mit Sonnenschutzcreme ein. Heute sind wir deutlich früher unterwegs, bereits um zehn verlassen wir diesen idyllischen Flecken - hier und jetzt erscheint es kaum vorstellbar, dass wir bereits morgen Abend in der quirligen Millionenmetropole London sein werden. Vor uns liegen heute knapp neunzig Kilometer und wir werden die nördlichen Vororte der Hauptstadt erreichen.
Bei Kilometer 30 pausieren wir am Rande einer Koppel und während wir so dasitzen, kommen irgendwann lauter Kinder auf Pferden vorbei, die scheinbar eine Art Wettbewerb austragen, sehr nett anzusehen.
Inzwischen hat es sich etwas zugezogen, der Himmel ist locker bewölkt und es ist wieder relativ kühl, bleibt aber die ganze Zeit trocken. Der heutige Einkauf erfolgt in der Kleinstadt Harlow. Während ich wie üblich bei den Rädern wache, während die Mädels den Supermarkt stürmen, kommt ein kleines Mädchen vorbei und gesellt sich zu mir. Die Fahrradständer, an denen unsere Vehikel lehnen, sind ihrerseits in Form von Velos gestaltet. Sie turnt darauf herum und plaudert mit mir, recht niedlich.
Wir schwenken jetzt auf Südkurs und steuern direkt auf London zu. Ich staune über den netten Verlauf der Strecke, entlang des River Lea schlängelt sich der Radweg weitgehend autofrei durch die Landschaft. Freilich wird mal eine große Straße gequert und auch am Himmel verdichtet sich spürbar der Verkehr, Flugzeuge und Helikopter sind vermehrt auszumachen, Hochspannungsleitungen ziehen entlang des Weges auf die Metropole zu.

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England

Wir überqueren die Autobahn, welche direkt nach London führt, weit ist es nun nicht mehr bis in die Hauptstadt


Großen Spaß haben die Kinder, als wir an einem kleinen Karpfenteich vorbeikommen, an dessen Ufer ein Automat steht, der nach Geldeinwurf Fischfutter auswirft. Scharenweise kommen die Viecher angeschwommen und schnappen danach, als die Mädels die Häppchen in den Tümpel werfen.
Je weiter wir uns der Stadt nähern, umso mehr Hausboote ankern am Ufer des River Lea - ein ungewohntes Bild für uns und offensichtlich eine ganz typische Angelegenheit in dieser Gegend.

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England

Die Fahrt in die Metropole gestaltet sich erstaunlich angenehm. Lange Zeit geht es durch das Lee Valley, später folgen wir einem Kanal, an dessen Ufer viele Hausboote liegen...


Relativ spät, erst um 20:00 erreichen wir unseren Zielcampingplatz, eine große, etwas lieblose Anlage inmitten eines schon sehr städtischen Umfelds - was für ein Kontrast zum letzten Platz!
Die Duschen sind okay, Toni schnippelt das Gemüse, dann gibt es Wraps, später, als wir bereits in den Zelten sind, setzt noch etwas Regen ein.

Meine Erwartungen hinsichtlich der kommenden Tage in London sind ambivalent. Einerseits freue ich mich durchaus auf die Tage, andrerseits löst es aber schon jetzt latenten Stress bei mir aus, denke ich an den Verkehr, die Menschenmassen, das Beengte. Ich bin ja schon lange kein "Städtegucker" mehr, konnte in den letzten Jahren der Natur stets mehr abgewinnen, als städtischen Agglomerationen. So konstatiere ich am heutigen Tag, dass ich schon jetzt froh bin, wenn wir den Aufenthalt unbeschadet überstanden und hinter uns haben.
Ich ahne heute noch nicht, dass mir ausgerechnet die Tage in London als das Highlight der diesjährigen NSCR-Etappe in Erinnerung bleiben werden, dass die Tage wunderbar werden und ich mich in der Folge perspektivisch doch wieder mehr für das Besuchen von Städten interessiere. Es wird einfach alles stimmen: angefangen vom fantastischen Sommerwetter (nachts im T-Shirt durch London - das entspricht nicht dem gängigen Wetterklischee) über das tolle, zentral gelegene Travelodge-Hotel mit den freundlichen Angestellten und dem Super-Buffet, den verschiedenen Aktivitäten, welche wir bereits im Vorwege gebucht haben bis hin zur guten Stimmung im Team. Die Kinder haben ein Alter erreicht, in dem sie auch mal auf eigene Faust losziehen können, sodass der Besuch von einem Ideal an "Distanz und Nähe" charakterisiert ist und jeder bei diesem Besuch auf seine Kosten kommen wird.

Das alles ist mir in der Form aber noch nicht bewusst, als ich mir vor dem Einschlafen Gedanken über die kommenden Tage mache…

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Donnerstag, 30.07.2015

Karte Tagesetappe

Zeitiges Aufstehen ist angesagt. Um den heutigen Tag auch noch für das Erkunden der Stadt nutzen zu können, haben wir extra (für einen kleinen Aufpreis) die Variante "Early Check In" bei unserem Hotel gebucht. Das bedeutet, dass wir bereits ab zwölf Uhr dort sein können und das wollen wir natürlich dann auch in Anspruch nehmen. Gegen halb zehn sitzen wir auf den Rädern und rollen von Norden auf London zu. Der Weg ist weiterhin super, noch ganz lange können wir auf kleinen Wegen durchs Grüne fahren, zumeist dem River Lea folgend, auf dem immer mehr Hausboote liegen, je weiter wir vorankommen. Bald schon lässt sich die Skyline der Finanzviertel ausmachen - das hat schon was!

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Canary Wharf

...und plötzlich stehen wir an der Themse! Im Hintergrund liegt das Finanzviertel Canary Wharf.




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Tower Bridge

Radeln über die Tower Bridge


Die Wohngegenden, durch welche wir dann fahren, sind von Wasserstraßen und kleinen Kanälen durchzogen, man könnte meinen, man sei in Amsterdam, das hätte ich in dieser Weise gar nicht erwartet. Unsere Strecke habe ich komplett im Vorwege am Computer geplant und mich dabei auch für diesen Abschnitt in London an den existierenden Fernradrouten orientiert. Dies bringt uns dann über die Tower Bridge auf das Südufer der Themse und jetzt sind wir mittendrin im urbanen Gewusel. Es ist nicht leicht, sich als "Vierer-Radl-Konvoi" in diesem Umfeld zu bewegen, fast unweigerlich kommt es zu leichten Spannungen im Team. Schließlich überqueren wir wieder die Themse, um auf deren Nordseite zu gelangen und legen dann den letzten Kilometer schiebend auf dem Gehweg zurück.
Um 13:00 checken wir im Travelodge-Hotel ein, wo die Angestellten uns extrem freundlich empfangen. Meine Sorge, es könnte Schwierigkeiten hinsichtlich der Unterbringung der Fahrräder geben, stellt sich sehr schnell als völlig unbegründet heraus. Es sei überhaupt kein Problem, diese mit im Zimmer unterzustellen, sagt die Dame am Empfang. Nach kurzem Überlegen kommt ihr dann der noch viel attraktivere Gedanke, dass es möglich ist, die Räder in einem nur selten genutzten Pausen- und Personalaufenthaltsraum in einer anderen Etage unterzubringen. Das Angebot nehmen wir doch gerne an!
Es dauert dann natürlich eine kleine Weile, bis alle Ortlieb-Taschen und die vier Fahrräder mit dem Aufzug in die oberen Etagen verfrachtet sind (einer bleibt ständig beim Gepäck im Lobbybereich), aber schließlich ist dann doch alles fertig und wir können uns in unserem geräumigen, sauberen Zimmer ausbreiten.
Ich wasche direkt mal meine verschwitzten Kleidungsstücke und hänge sie in der Dusche zum Trocknen auf. Noch eine Brotzeit, die wir auf den Betten einnehmen und dann brechen wir um ca. 15:00 auf zu einem ersten Erkundungsspaziergang in der Stadt. Die Lage des Hotels haben wir bewusst zentral gewählt, sodass wir die Londoner Sehenswürdigkeiten weitgehend zu Fuß würden erkunden können. Ich bin im Moment noch in der Phase, in der mich die Stadt eher nervt. Nach einem Gang durch "unseren" Stadteil Covent Garden einschließlich der schmucken Markthalle gelangen wir zur sehr belebten Oxford Street, einer der beliebtesten und somit auch frequentiertesten Einkaufsmeilen der Stadt. Menschenmassen schieben sich über die Gehwege, Abgase wehen herüber, es ist ein einziges Gekrabbel - furchtbar! Ich hoffe, ich werde mich noch etwas daran gewöhnen. Die Mädels äußern dann bald den Wunsch, alleine losziehen zu dürfen, was wir gestatten - allerdings mit der Auflage, beisammen zu bleiben und sich etwa alle Stunde mal per SMS zu melden. Das klappt dann auch prima. Die beiden haben nämlich eher Interesse daran, durch die Geschäfte (Primark!) zu ziehen, anstatt sich den klassischen Sehenswürdigkeiten zuzuwenden.
Ganz im Gegenteil zu Claudia und mir: wir machen uns auf den Weg in Richtung der Houses of Parliament & Co., überqueren die Westminster Bridge, spazieren auf der Südseite des Flusses - und genießen dabei allerbestes Sommerwetter und in den späteren Stunden ein wunderbares Abendlicht. Welch ein Wetterglück!

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Souvenirladen an der Oxford Street in London

Souvenirladen an der Oxford Street in London




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England, London, Prudential Ride FreeCycle

Die Stadt steht - was für ein toller Zufall - ganz im Zeichen des Radsport-Großevents "Prudential Ride", was nicht zu übersehen ist.




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England, London, Buckingham Palace

Wir klappern natürlich als anständige Touristen alle klassischen Sehenswürdigkeiten ab, so auch den Buckingham Palace




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England, London, Big Ben

Big Ben - und natürlich eine Kamera...




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England, London, Big Ben, Houses of Parliament

Big Ben und Houses of Parliament von der Westminster Bridge aus gesehen




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England, Solar Queen

Solar Queen - herrlich!


Um halb neun sind wie wieder am Hotel, treffen uns dort mit den Kindern und erzählen uns von unseren Erlebnissen. Die beiden waren shoppen bei Primark - ohne die Kleidungsstücke anzuprobieren (was natürlich bedeutet, dass nicht alles wirklich passt… OMG), haben sich dann eine Fahrradrikscha gemietet und sind ein wenig durch die Stadt gecruist. Ich glaube, sie fanden es ziemlich klasse, dass sie alleine unterwegs sein konnten und hatten ziemlich viel Spaß gemeinsam. Das freut uns!
Der Abend klingt im Hotelzimmer aus, natürlich essen wir noch mal eine Kleinigkeit, dann beschäftigt sich jeder mit seinem Kram: die Kinder genießen das W-LAN, Claudia liest ein Buch auf ihrem E-Book-Reader Kindle und ich bereite die Postkarten für den Versand vor, die ich heute erworben habe.

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Freitag, 31.07.2015



Auch heute stehen wir wieder zeitig auf, wollen ja schließlich die Zeit in London gut ausnutzen. Um halb acht klingelt der Wecker und wenig später befinden wir uns als mit die ersten Gäste im Frühstückssaal im Erdgeschoss des Hotels. Wir, vor allem die Kinder, sind begeistert vom umfangreichen Buffet, welches eigentlich keine Wünsche offen lässt. Ich beginne den Tag klassisch englisch mit Baked Beans, Würstchen, Bacon, Tomaten und Earl Grey Tee. Draußen scheint auch heute wieder die Sonne, großartig! Bestes Wetter also für unser Touristenprogramm. Wie schon erwähnt, haben wir in Absprache mit den Kindern im Vorwege einiges an Aktivitäten geplant und zum Teil auch schon gebucht. Auf diese Weise ließen sich Kosten sparen - ein Billigtrip indes ist der Aufenthalt in London nicht: mit knapp 500,-€ schlagen die Eintrittsgelder für MmeTussauds, die Themsefahrt, London Eye, die Seilbahn in Greenwich, die Tower Bridge und The Shard zu Buche, fast 500,-€ kostet das Hotel. Mit den Aufwendungen für Lebensmitteleinkäufe ergibt sich, dass wir in diesen vier Tagen gut ein Drittel des gesamten Urlaubsbudgets ausgeben.
Das ist aber okay und das macht den Aufenthalt auch so entspannt und genussvoll. Zunächst spazieren wir etwa zwei Kilometer bis zum Buckingham Palace, wo wir uns unter die Menschmassen begeben und die legendäre, aber dann doch eher unspektakuläre Wachablösung ansehen.

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England, Buckingham Palace: Changing of the Guards

Pflichttermin am Buckingham Palace: Changing of the Guards


Weiter geht es durch den St. James Park, an Big Ben und dem Palace of Westminster vorbei bis zur Westminster Bridge, wo sich am Themseufer ein Anleger für Ausflugsboote befindet. Wir haben ein Ganztagesticket gebucht, sodass wir jederzeit die Fahrt unterbrechen können, was zunächst aber gar nicht geplant ist. Wir möchten durchfahren bis Greenwich, was sich als sehr kurzweiliges Unterfangen herausstellt. Ein Kommentator erzählt etwas zur Stadt und zur Geschichte, während die Kulisse der großen Stadt an uns vorübergleitet.

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, London, Tower Bridge und der WWII-Kreuzer Belfast

Tower Bridge und der WWII-Kreuzer "Belfast", der als Museumsschiff
in der Themse liegt




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, London, Finanzviertel Canary Wharf

Das Finanzviertel Canary Wharf in den Docklands vom Observatoriumshügel in Greenwich aus gesehen.




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Greenwich, Null-Meridian

In Greenwich befindet sich bekanntermaßen der Null-Meridian - ich hab ihn gefunden!


In Greenwich kehren wir zunächst in einem kleinen Fish'n'Chips-Restaurant ein, bevor es hinauf geht auf den Hügel oberhalb des Ortes. Dort befindet sich das Royal Greenwich Observatory mit dem legendären Null-Meridian - gegen ein für unser Empfinden horrendes Eintrittsgeld kann man auf das Gelände gelangen, und sich dort fotografieren. Darauf verzichten wir, schauen uns das Geschehen nur durch den Zaun an und schmunzeln. Außerdem sagt mir mein GPS, dass die Null-Grad-Linie um einige Meter versetzt neben dem "offiziellen Gelände" verläuft…
Von all dem einmal abgesehen hat man hier oben eine großartige Aussicht über die Stadt, insbesondere das Finanzviertel Canary Wharf. Am Fuße des Hügels sind die altehrwürdigen Gebäude der University of Greenwich und das Marinemuseum zu sehen - Zeugen alten kolonialen Glanzes…
Mit dem nächsten Boot der City Cruises geht es dann wieder nach Westen, wir fahren bis zum Tower an der Nordseite der Themse. Seit nicht allzu langer Zeit hat man der Tower Bridge einen Glasboden verpasst, den wir uns heute einmal ansehen möchten. Nicht bedacht haben wir dabei die Öffnungszeiten, sodass wir uns glücklich schätzen, um 18:29 - eine Minute vor Kassenschließung - die letzten Tickets für heute erwerben können. Auch wenn uns nur eine halbe Stunde Zeit bleibt, so ist das doch definitiv eine großartige Idee gewesen: tolle Aussicht über die Innenstadt und die Themse und ein wenig Gruseleffekt ob des transparenten Bodens - es kostet mich schon ganz kurz etwas Überwindung, meinen Fuß auf die Glasplatten zu setzen!

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, London, Tower Bridge und The Shard

Tower Bridge und "The Shard", das mit 310 Metern höchtse Gebäude Westeuropas (Fertigstellung 2012).




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, London, Tower und The Shard

Der altehrwürdige Tower of London - und im Hintergrund die Glasfassade von "The Shard".




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, London, Tower Bridge

Seit kurzem hat die Tower-Bridge einen Glasboden.
Zunächst kostet es etwas Überwindung,
auf die durchsichtigen Flächen zu treten...




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, London, Blick von der Tower Bridge auf die Themse

Blick von der Tower Bridge auf die Themse


Jetzt macht sich das Boots-Tagesticket bezahlt, wir nehmen das nächste Schiff, um weiter nach Westminster zu gelangen.
Am Trafalgar Square, der nicht weit entfernt liegt, trennen wir uns von den Kindern, die es vorziehen, zum Hotel zu gehen. Claudia und ich kaufen uns in einem kleinen Supermarkt in einer Seitenstraße Chips und Cola und setzen uns auf die Stufen des Trafalgar Square, wo wir das lebendige Treiben beobachten. Entspannte Sommeratmosphäre.
Ich bin insgesamt überrascht, wie sauber die Stadt ist - zumindest an den Spots, die wir bislang kennengelernt haben. Lässt hier auf dem Platz jemand ein Papier fallen, ist sofort eine Reinigungskraft zur Stelle, um dies aufzusammeln. Was auch auffällt, uns aber weder überrascht, noch stört, ist die allgegenwärtige Überwachung durch Kameras sowie die ausgeprägte Präsenz von Polizeikräften - gerade an Orten, wie dem Trafalgar Square. Dass quasi dauerhaft Helikopter der Sicherheitsbehörden über der Stadt kreisen passt nur zu gut ins Bild.
Doch in Zeiten, wie diesen, wo immer und überall mit Terroranschlägen zu rechnen ist, ist man doch gerne bereit, dies in Kauf zu nehmen. In meiner Wahrnehmung ist auch die Akzeptanz der Menschen hier für Sicherheitsmaßnahmen hoch, oft sind sehr freundliche Polizei-Bürger-Kontakte zu beobachten. Auch setzt sich hier in der Großstadt fort, was wir in ländlichen Regionen bereits erfahren haben: die Menschen sind ausgesprochen höflich und freundlich.

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Big Ben und die Houses of Parliament

Dämmerung auf der Westminster Bridge mit Blick auf Big Ben
und die Houses of Parliament


Es ist noch warm, das Abendlicht ist wunderschön - wir mögen noch nicht zurück zum Hotel. Also spazieren wir abermals zur Westminster Bridge und wieder zurück zum Picadilly Circus. Ich bin beeindruckt vom Treiben auf den Straßen - das hat was vom nächtlichen Athen, so wie ich es in Erinnerung habe, die Atmosphäre ist mediterran.
Über Chinatown gelangen wir wieder in unser Viertel Covent Garden, wo wir gegen 23:00 bei den Kindern im Hotel eintreffen. Die beiden sind noch wach - haben aber die meiste Zeit im Zimmer verbracht. Auf dem Weg erwarben sie noch Selfie-Sticks - Teleskopstäbe, auf die sich das Smartphone pflocken lässt, um sich dann selbst zu fotografieren. Auch so ein typischer Gegenstand dieser Jahre…

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Samstag, 01.08.2015



Wieder ein Wecker um halb acht, wieder ein leckeres Frühstück, wieder sonniges Wetter - welch ein Glück wir doch haben, gerade auch, wenn man bedenkt, dass die erste Urlaubswoche doch teilweise recht durchwachsen (…nass und kühl…) war.
Dieses Wochenende in London steht ganz im Zeichen des Prudential Ride, einem Mega-Fahrrad-Event. Samstag (heute) sind weite Teile der Stadt für den Autoverkehr gesperrt und für Radler freigegeben, am Sonntag findet ein Jedermann- und ein Profirennen statt.
Anlass für Claudia und für mich, uns von den freundlichen Hotel-Angestellten unsere Räder ausschließen zu lassen, um uns ins Getümmel zu stürzen. Johanna und Antonia steht danach nicht der Sinn, sie ziehen es vor, noch mal einen kleinen Shopping-Ausflug zu unternehmen, sodass sich um 10:00 einmal mehr unsere Wege trennen.
Die Atmosphäre in der Stadt ist großartig - abertausende Radfahrer sind im entspannten Schritttempo auf einem Rundkurs unterwegs, dabei ganz viele Familien mit zum Teil sehr kleinen Kindern. An Engstellen, wie etwa dem Trafalgar Square, kommt es an Fußgängerübergängen immer wieder zu Staus, wo es sehr langsam vorangeht. Die Ordner sind auch wieder unglaublich höflich, es erklingt ein nettes "Thank you, cyclist!", wenn man deren Anweisung zum Anhalten Folge leistet. Very british.

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, London, Prudential Ride FreeCycle

Am Samstag ist quasi die komplette Innenstadt für die Radler des "Prudential Ride FreeCycle" gesperrt. Tausende sind unterwegs und drehen ihre Runden in der autofreien Metropole




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, London, Prudential Ride FreeCycle

"Prudential Ride FreeCycle"




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, London, Prudential Ride FreeCycle, Velotraum

"Prudential Ride FreeCycle" - mein Velotraum auf der Themsebrücke




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, London, The Gherkin

"The Gherkin" - "die Gurke", wie der Swiss Re Tower im Finanzviertel City of London auch etwas spöttisch genannt wird


Ein Brötchen auf der Wiese im St. James Park, später noch mal Kaffee und Kuchen in einem kleinen Café am Straßenrand, während ein endloser Tross gut gelaunter Radler surrend und leise vorbei rollt.
Ein Abstecher führt uns auch in das Finanzquartier City of London, wo wir den bekannten Wolkenkratzern der Innenstadt ganz nahekommen. Besonders schön finde ich diese Ecke nicht - es wirkt kalt und unnahbar auf mich.
Um 17:00 treffen wir uns mit den Kindern im Hotel. Claudia recherchiert mittels Smartphone und WLAN, wo sie einen Waschsalon zum Wäschewaschen findet und kümmert sich darum, ich erledige in der Zwischenzeit einen Einkauf, wobei ich ewig lange durch die Straßen irre, da ich zunächst keinen Supermarkt finden kann…
Eigentlich hatten wir geplant, noch einmal zur Tower Bridge zu fahren, da ich dort gerne im Abendlicht fotografiert hätte. Es stellt sich aber heraus, dass die Tickets für die U-Bahn sehr teuer wären (um zu Fuß zu gehen, ist es bereits zu spät), sodass wir alternativ noch einmal gemeinsam mit den Kindern zum Trafalgar Square gehen und uns dort eine ganze Weile aufhalten. Verschiedene Straßenkünstler sorgen für Unterhaltung und überhaupt ist das ganze Ambiente auch heute wieder sehr angenehm. Wir zeigen den Kindern dann später am Abend auch noch mal den Picadilly Circus und werfen einen Blick in den MMs-Laden (ein mehrstöckiger Merchandising-Tempel, wo alles verkauft wird, was ansatzweise mit den kleinen bunten Schokolinsen/ Nüssen zu tun hat. Unglaublich. Die Kinder sind begeistert, ich kann irgendwie nur den Kopf schütteln.

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, London, Trafalgar Square

Wasserspiele am Trafalgar Square




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, London, Trafalgar Square

Straßenkünstler am Trafalgar Square




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, London, Picadilly Circus

Picadilly Circus


Auf den Straßen ist auch am heutigen Samstagabend wieder unglaublich viel los, Menschen aller Nationen drängen sich durch die Gassen. Es ist warm, alle Cafés und Bars habe Stühle auf den Gehwegen und Plätzen aufgestellt - sind wir wirklich in der Stadt an der Themse, dem vermeintlichen Epizentrum des nasskalten Nieselregens und der vom Fluss hochwabernden Nebelschwaden? Oder doch in Barcelona, Madrid, Athen oder Lissabon?

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Sonntag, 02.08.2015



Standard-London-Weckzeit 07:30, breakfast as usual…
In der Lobby des Hotels gibt es einen Aufsteller mit Flyern für touristische Aktivitäten. Mir fällt heute einer auf, auf dem für einen Tagesausflug nach Paris geworben wird. Ich halte das erst für einen schlechten Scherz, sehe dann aber, dass die französische Hauptstadt eigentlich gar nicht so weit entfernt ist von London und dass man ja mit dem Hochgeschwindigkeitszug durch den Tunnel sausen kann, was gut drei Stunden in Anspruch nimmt. Für den außereuropäischen Gast in London ja vielleicht wirklich ein interessantes Angebot.
Wir bleiben bescheiden und planen unseren Tag vor Ort. Claudia geht los und besorgt Tagestickets für die U-Bahn, mit denen wir uns wenig später gemeinsam auf die Fahrt in Richtung Baker Street begeben. Claudia und die Kinder möchten dort am Bahnhof ein Gleis finden, welches in den Harry Potter Büchern eine Rolle spielte. Die Suche bleibt erfolglos, was dann auch nicht so schlimm ist. Ganz in der Nähe liegt das nächste Ziel: das Wachsfigurenkabinett Madame Tussauds. Vor dem Gebäude hat sich eine ewig lange Schlange gebildet… Gut, dass wir für die Kinder die etwas teureren Tickets erworben haben, die den Einlass an der Schlange vorbei ermöglichen. Bis zur reservierten Besuchszeit sind es noch etwa zwei Stunden, die wir in einer nahegelegenen Parkanlage (beim Zoo) verbringen. Chillen, Postkartenschreiben. Mir geht es heute nicht so gut, meine Dauerübelkeit ist mal wieder besonders ausgeprägt und müde bin ich auch. Hoffe, das bessert sich noch im Tagesverlauf…
Schließlich ist es soweit und die Kinder gehen zu den Wachsgestalten, während Claudia und ich das Bahnticket nutzen, um noch einmal nach Greenwich rauszufahren, dauert etwa zwanzig Minuten. Wir möchten mit der Seilbahn fahren, welche vom Sportstadion aus über die Themse führt. Das machen wir dann auch, schöne Aussicht von dort oben. Am Nordufer angelangt packen wir unsere geschmierten Brötchen aus und setzen uns auf eine Bank. Lange dauert es nicht, da melden sich die Kinder, mit denen wir uns schließlich an der Westminster Bridge verabreden.
Eine Fahrt mit dem Riesenrad London Eye steht für heute auch noch auf unserem Programm. Die Kinder sind etwas ungeduldig, würden am liebsten sofort loslegen, während ich zum einen gerne noch ein wenig an der Radstrecke schauen würde - heute findet das 100-Meilen-Jedermannrennen statt - und zum anderen auch erwarte, dass das Licht sich zum Abend hin noch etwas schöner darstellen wird, nämlich klarer und kontrastreicher, nicht so dunstig-diffus, wie am früheren Nachmittag. Wir verabreden uns für 18:00 am Riesenrad.
Die Atmosphäre an diesem Sommertag an der Radstrecke ist fantastisch: leidende, glückliche Sportler, begeisterte Fans, die prachtvoll beflaggte Zielstraße The Mall. Herrlich! Ich wäre auch gerne dabei gewesen und denke mir, dass das vielleicht ein Event ist, welches ich in den nächsten Jahren noch einmal mitmachen sollte… Vielleicht schon 2016?

Auch für das London Eye haben wir "Fast track tickets" reserviert, sodass wir auch hier an der ellenlangen Warteschlange vorbeigehen können, um direkt eine der Gondeln zu besteigen. Mit Blick auf das Licht wäre ich ja sogar noch später gefahren, lasse mich dann aber doch darauf ein, jetzt loszulegen. Eine knappe halbe Stunde dauert die Fahrt, die einen durchaus beeindruckenden Blick über die Stadt ermöglicht. Allerdings ist dies auch wirklich ein teurer Spaß: fast 200,-€ kostet diese Fahrt für uns vier.

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, London Eye

Das Riesenrad "London Eye" am südlichen Themseufer


Danach trennen wir uns dann bald wieder von den Kindern: Johanna und Antonia möchten gerne noch mit roten Doppeldeckerbussen durch die Stadt fahren, und da deren Nutzung auch mit dem Tagesticket für den Öffentlichen Verkehr abgedeckt ist, spricht da ja auch nichts gegen. Mein Wunsch ist es, mir noch einmal die Umgebung des Hochhauses "The Shard" näher anzusehen - wir sind bei der Einfahrt in die Stadt kurz dran vorbeigeradelt, das reichte mir nicht. Die Gegend stellt sich als wenig attraktiv heraus, allerdings übt der Turm selber eine erhebliche Anziehungskraft aus. Sehr kurzentschlossen kaufen wir uns dann Tickets (etwa 90,-€ für uns beide), um auf die Aussichtsplattform ("The View") dieses durchaus beeindruckenden Gebäudes zu gelangen. Mit 310 Metern Höhe ist es das höchste Gebäude des westlichen Europas (in Moskau steht ein höherer Turm), fertiggestellt wurde es erst vor gut zwei Jahren.

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, London, The Shard

Von der Aussichtsplattform des Wolkenkratzers "The Shard" ergeben sich ungewöhnliche Perspektiven auf die Londoner Innenstadt,
die Themse, die Tower Bridge




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, London, The Shard

Aussichtsplattform des Wolkenkratzers "The Shard"




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, London, The Shard

Blick von der Aussichtsplattform des Wolkenkratzers "The Shard" auf
das Londoner Finanzviertel




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, London, The Shard

Blick von der Aussichtsplattform des Wolkenkratzers "The Shard" auf
das Londoner Finanzviertel


Eine großartige Entscheidung, hier hinauf gefahren zu sein, die Aussicht ist wirklich spektakulär. Hätte ich das geahnt, so hätte ich auf die Fahrt im London Eye gut und gerne verzichten können, zumal der Aufenthalt auf den zwei Ebenen auf 230m zeitlich nicht limitiert ist. Sehr erstaunt sind wir, als wir feststellen, dass sich die obere Ebene unter freiem Himmel befindet. Pflanzen stehen am Fenster, Vogelgezwitscher wird vom Band eingespielt, es ist nicht übermäßig voll, man findet immer irgendwo einen netten Platz und kann sich in jede Richtung umsehen. Wie reizen die Öffnungszeit voll aus und bleiben bis zum Schluss um 22:00 oben, mehrere Stunden also. In dieser Zeit geht die Sonne unter und die Stadt schaltet ihre Lichter ein, ein fantastischer Anblick.
Ich freue mich, dass wir nicht zu geizig waren und dass wir uns den Ausflug auf den Turm noch gegönnt haben, es war wirklich mein Highlight dieses London-Besuchs und rundet die Tage perfekt ab.
Als wir das Gebäude verlassen, ist es noch immer warm, in T-Shirts schlendern wir über die London Bridge, blicken auf die kitschig-bunt beleuchtete Tower-Bridge. Dazu passt, dass am klaren Sommernachtshimmel ein Vollmond zu sehen ist!
Mit der U-Bahn geht es dann zum Oxford Circus - wir haben die Hoffnung, an der Oxford Street noch irgendwo eine Kleinigkeit zum Essen zu finden. Die Gegend ist jedoch ziemlich ausgestorben und auch während des Fußwegs zum Hotel finden wir nichts, was uns zusagen würde.
Die Kinder schlafen bereits, als wir in unserem Zimmer eintreffen. Sie werden uns morgen berichten, dass sie gar nicht mehr lange mit dem Bus unterwegs waren, sondern ziemlich bald wieder zum Hotel gefahren sind.

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Montag, 03.08.2015

Karte Tagesetappe

Der Tag des Aufbruchs ist gekommen. Entgegen meiner ursprünglichen Erwartung blicke ich zurück auf fantastische Tage: das waren die herausragenden Momente der Sommerfahrt 2015. Nun heißt es Abschied nehmen und den Blick richten auf neue Perspektiven. Bald sehe ich die Felsen von Dover, komme nach langer Zeit mal wieder nach Frankreich…
Zunächst liegt allerdings ein beträchtliches Wegstück in städtischer Umgebung vor uns, welches ich nicht unbedingt voller Freude erwarte. Es stellt sich dann jedoch als völlig harmlos heraus, der Radweg ist sehr freundlich geführt, sodass wir uns gar nicht in irgendein Großstadtgetümmel stürzen müssen. Auf der Südseite der Themse gelangen wir nach und nach aus der Stadt hinaus und haben, wenn wir uns umschauen, einen fantastischen Blick auf die Skyline der Metropole. Unter diesem Gesichtspunkt wäre es noch schöner gewesen, sich der Stadt initial von Osten zu nähern.

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, London

Nach viertägigem Aufenthalt in London verlassen wir die Stadt: wir folgen dem Lauf der Themse stromabwärts. Ein letzter Blick zurück auf die Skyline der Metropole




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England

Unser Ziel ist ausgeschildert: Dover


Bald haben wir dann Greenwich erreicht, wo wir einen Stopp einlegen, da wir den Kindern auch noch mal die Möglichkeit geben möchten, die Seilbahn über den Fluss zu nutzen. Bald dann passieren wir das mächtige Themsesperrwerk, welches die Stadt London im Falle hoher Fluten von der Nordsee schützen soll.
Ansonsten gibt sich die Etappe unspektakulär bis hässlich. Schmucklose Ortschaften, viel Müll am Wegesrand, schmutziges Themsewasser, Zwangspause wegen eines Plattens an Claudias Rads, immer mal wieder ein paar Regentropfen - so betrachtet kann man das heute als "Streichetappe" bewerten. Ein kleines Highlight stellen üppige Brombeerbüsche dar, welche am Wegesrand liegen und an welchen wir uns gütlich tun. Schwierigkeiten haben wir indes, heute einen Supermarkt zu finden und auch der Pausenplatz - auf der Wiese am Rande eines großen Verkehrskreisels ist nicht der idyllischste. Wir sind auf der National Cycle Route 1 unterwegs, der Trasse Shetland - Dover, und kommen an Wegweisern vorbei, welche nach Norden Inverness anzeigen: 1111 Meilen sind es bis dort. Ich freue mich, denn es erinnert mich daran, dass wir auch diesen ganzen Weg zurückgelegt haben… Durch Inverness kamen wir vorletztes Jahr.

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England

Hinweisschild am Wegesrand:
1111 Meilen haben wir seit Inverness zurückgelegt!


Eine kurze Pause gönnen wir uns in Rochester am Ufer eines Flussarmes mit Blick auf ein im Wasser vor sich hinrostendes U-Boot. In der Stadt habe ich das Gefühl, dass uns alle hundert Meter Ampeln aufhalten, es geht irgendwie nicht voran. Als wir dann Rochester hinter uns liegt, rollen wir wieder durch grünes Hügelland - fast achtzig Kilometer städtische Agglomeration haben wir durchfahren. Das Licht ist wunderbar, ein ganz fantastischer Sonnenuntergang verzaubert den Himmel, doch leider haben wir kaum Zeit, mal anzuhalten, um diesen zu genießen oder zu fotografieren.
Probleme bereitet uns in dieser dünn besiedelten, landwirtschaftlich genutzten Landschaft auch das Finden des Campingplatzes. Ein paar ältere Herren, die ich an einer Gastwirtschaft anspreche, sind zwar extrem freundlich und bemühen sich redlich, doch der Erkenntnisgewinn ist gering.
Nun ja, schließlich gelangen wir dann in der Dämmerung doch noch zu unserem Ziel, haben fast hundert Kilometer zurückgelegt. Wieder einmal ein bemerkenswerter Kontrast: heute Morgen noch die quirlige Millionenmetropole, nun, am Abend ländliche Einsamkeit und Stille.
Es gibt Nudeln, das gemeinsame Spiel fällt heute aus, die Kinder ziehen sich zeitig zurück. Claudia und ich hingegen sind noch lange wach, genießen den ausgesprochen milden Abend bei offenem Zelt und Tee.

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Dienstag, 04.08.2015

Karte Tagesetappe

Heute klingelt am Morgen kein Wecker und ich muss sagen, ich habe deutlich besser geschlafen, als im Hotel. Um neun Uhr stehen wir auf, die Sonne scheint, es ist ein wunderbarer Morgen.
Erst um kurz vor zwölf starten wir in die Tagesetappe, der Weg führt uns durch welliges Terrain, durch zwei, drei größere Ortschaften geht es. Insgesamt ist es ein sehr schöner Streckenabschnitt. Immer wieder geht es durch Wälder oder durch Apfel- und Birnenplantagen.

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England

Sperren an den Radwegen sind häufig und machen uns das Leben nicht immer leicht. Manchmal müssen wir sogar das Gepäck abladen, um durchzukommen




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England, Land Rover Defender

Ein wunderschöner alter Defender blickt durch die Hecke


In Canterbury beschließen wir, noch weiterzufahren. Es ist noch nicht zu spät, das Wetter ist super und die Form passt auch. Also radeln wir im schönen Spätnachmittagslicht bis Sandwich, haben es dann am Folgetag auch nicht mehr weit bis Calais. Dort haben wir für morgen Tickets für die Überfahrt nach Calais gebucht.
In den vergangenen zwei Wochen machten immer mal wieder Nachrichten die Runde, dass es am Eurotunnel Streiks gäbe und gerüchteweise hörten wir sogar mal, dass der Fährverkehr beeinträchtigt ist. Wir baten meinen Schwiegervater per SMS um Recherche und konnten Entwarnung geben, für uns würde sich keine Störung im Reiseablauf ergeben.
Hintergrund ist die sich in diesem Sommer zuspitzende Situation der Flüchtlinge in Europa, wenig später wird man von "Krise" sprechen und noch im Verlauf des Jahres 2015 zeichnen sich gravierende Umwälzungen in der politischen Landschaft Europas an. Ganz aktuell ging es darum, dass immer wieder Flüchtlinge versucht habe, auf oder in LKW zu gelangen, um dann durch den Tunnel Großbritannien zu erreichen, wobei es immer wieder zu Verletzten oder Toten kam. In der Folge kam es zu Protesten der Trucker. Streik und brennende Barrikaden prägten die Nachrichtenbilder.
Bislang spielte sich in meiner Wahrnehmung die Flüchtlingsbewegung nach Europa eher unter "ferner liefen" ab. Dies war nun das erste Mal, dass ich persönlich von den Auswirkungen betroffen sein könnte. Noch ahnen wir nicht, dass wir am kommenden Tag in Calais noch ein sehr eindrucksvolles Erlebnis im Flüchtlingslager "Dschungel of Calais" haben werden…

Ein anderes Thema, welches mich begleitet und um welches sich meine Gedanken bewegen, ist der Umstand, dass nun bald das Nordseeküstenradwegprojekt zu Ende sein wird. Immer wieder erlebe ich sehr sentimentale Momente, immer wieder tauchen Erinnerungen auf an so unendlich viele schöne Eindrücke und Erlebnisse, die ich gemeinsam mit den Mädels auf dieser langen Reise hatte. All die Länder, all die Etappen! Neun Jahre in Folge, das ist mehr als die Hälfte der Lebenszeit der Kinder - und was haben sie in dieser Zeit für eine Entwicklung durchlaufen!
Das stimmt mich manchmal ein wenig traurig, aber in erster Linie freue ich mich, dass wir all das gemeinsam erleben durften und dass es nun aller Voraussicht nach in ein paar Tagen tatsächlich vollendet werden wird.
Der Zeitpunkt ist perfekt, da Johanna ja nun bald achtzehn Jahre alt sein wird und - man merkt es jetzt schon immer deutlicher - in ein selbstständiges Leben hinausdrängt.

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Mittwoch, 05.08.2015

Karte Tagesetappe

Etwa 25 Kilometer trennen uns vom Fährhafen in Dover. Die Landschaft und die frische Luft erinnern mich an Sylt und ich freue mich, als dann bald die Steilküste sichtbar wird. Und dann sogar die Nordsee! Eine echte Rarität auf der diesjährigen Etappe…

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England

Nördlich von Dover ist es uns endlich mal wieder gegönnt, die Nordsee zu sehen!


Wir kommen an vielen sehr noblen Häusern vorbei und blicken dann schließlich von weit oben auf Dover hinab. Kurzzeitig verlieren wir Johanna aus den Augen, ich fange sie dann aber wieder ein, sodass wir uns gemeinsam "von hoch oben" auf Meeresniveau hinab begeben.
Der Fährhafen ist gigantisch: über 200 Lanes stehen für Fahrzeuge bereit, mehrere Reedereien bedienen die Passage nach Kontinentaleuropa. Dennoch haben wir überhaupt keine Orientierungsprobleme, da der Weg für Radfahrer exzellent markiert ist, sodass wir flott unseren Anleger finden.
Wieder einmal hat Johanna es geschafft, ihre Postkarten zu vergessen - blöd, denn es kleben britische Briefmarken drauf… Zum Glück kann sie sie aber später auf der Fähre noch abgeben.
An Bord der Fähre sind ungewöhnlich viele Passagiere, von denen wir vermuten, dass sie am ehesten aus Rumänien stammen - Sinti? Roma? Etwas seltsame Atmosphäre, anders als sonst, kann das gar nicht so genau erklären.

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, England, Steilküste bei Dover

Von Dover gelangen wir mit der Fähre nach Calais - beim Blick zurück dürfen wir uns kurz an der imposanten Steilküste erfreuen


Bei der Ausfahrt aus dem Hafen haben wir einen fantastischen Blick auf die weite weiße Steilküste an diesem südenglischen Küstenabschnitt. Wir futtern Kekse, ich trinke Tee.
Lange dauert es erwartungsgemäß nicht, bis Calais vor uns auftaucht. Etwas irritiert sind wir dann, als die Fähre kurz vor Erreichen des Hafens noch einmal abdreht und die Richtung um 180° ändert. Gibt es doch Probleme am Anleger? Streik oder sonst was? Eine Rückfahrt nach England mit entsprechender Verzögerung im Reiseablauf könnte auf den letzten Drücker doch noch unser NSCR-Projekt gefährden. Per SMS wird Claudia von ihrem Vater informiert, dass wohl nur alle Anleger zurzeit besetzt sind - er verfolgte unsere Fahrt live online bei "Vesseltracker"…
Und in der Tat, allzu lange dauert es dann nicht, bis unser Dampfer auch in Frankreich anlegen kann. Der Hafen ist ein Hochsicherheitstrakt, man möchte verhindern, dass Flüchtlinge aus dem Süden mit dem Schiff auf die Britischen Inseln gelangen.

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Fähre Dover-Calais

Wir erreichen Frankreich! Die Autos haben beim Verlassen der Fähre Vorrang. Wir müssen warten und dürfen dabei eine Menge Abgase einatmen.




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Frankreich, Calais

Die Hafenanlagen von Calais gleichen einem Hoch-
sicherheitstrakt: wir radeln entlang solider Absperrzäune


Wir haben keine Probleme mit dem Vorankommen, ohne jegliche Kontrolle verlassen wir um kurz nach sechs das Gelände und steuern dann erst einmal die Innenstadt an. Wir brauchen Geld und auch ein Einkauf steht an. Diesen erledigen dann die Mädels alleine bei Aldi. Man beachte: wir sind in Frankreich, da wird französisch gesprochen!
Schon im Stadtbild ist auffällig, dass überall Menschen afrikanischer Herkunft unterwegs sind. Die Tourist-Info hat leider schon geschlossen, gerne hätten wir uns noch bzgl. möglicher Campingplätze näher informiert.
Nun ja. Auf der GPS-Route, die ich auch für diesen französischen Abschnitt erstellt habe bewegen wir uns ostwärts aus der Stadt hinaus und gelangen schließlich an einen Dünensaum. Wir biegen auf einen langen, sandigen Weg, rechts und links in den Dünen sitzen überall Afrikaner. Wo sind wir hier gelandet? Wir kommen langsam voran, bald werden wir von einem dunkelhäutigen Radler begleitet. Zu unserer Linken erblicken wir nun eine weitläufige Barracken- und Zeltstadt, auf dem Weg kommen uns immer mehr Menschen entgegen. Irgendwo dreht ein Kamerateam ein Interview, Sicherheitskräfte sind nicht präsent.
Ich nehme die Lage als bedrohlich wahr, halte kurz an und schlage vor, umzukehren. Kann sein, dass das alles harmlos ist, "sehen doch alle ganz freundlich aus", sagt Claudia, doch ich denke auch, wer weiß, was diese Menschen erlebt haben, wie verroht sie nach Jahren in Kriegsgebieten vielleicht sind. Und wir fahren hier mit zwei luftig bekleideten jungen Mädchen durch eine unkontrollierte Männer-Masse. Geheuer ist mir das wirklich nicht, doch letztlich folge ich Claudias Wunsch, auf dem Weg zu bleiben. Am Ende fahren wir durch dichtes Gedränge, alle tragen Plastiktüten mit Mahlzeiten in der Hand - ist wohl gerade Essensausgabe. Nach etwa einem Kilometer knickt der Weg nach rechts ab und folgt nun dem Küstenverlauf. Da steht dann doch mal ein Polizei-Mannschaftswagen und es scheint, als würden wir jetzt das Gebiet des Flüchtlingslagers verlassen.
Mir war das ja alles gar nicht so bewusst, doch hier hausen illegal aber toleriert etwa 3000 Menschen und warten auf ihre Chance, irgendwie den Ärmelkanal zu queren und in Großbritannien eine neue Zukunft zu finden. "Dschungel von Calais" wird das Lager genannt und es lässt sich denken, dass das Thema noch eine ganze Weile unsere Gespräche beherrscht. Die Kinder sind sichtlich beeindruckt; "das ist ja echt!", später am Abend, als sie WLAN nutzen können, schauen sie sich noch den einen oder anderen Youtube-Film zu dem Thema an.
Auf dem holprigen Weg durch die Dünen kommt uns noch vereinzelt eine dunkelhäutige Gestalt entgegen mit Holzbündeln unterm Arm oder kleinen Baumstämmen auf den Schultern… Da wird wohl in den nahen Wäldchen Brennstoff zum Kochen beschafft…

Der Campingplatz stellt sich als ziemlich grottig heraus, ist eher eine Kolonie von Mobile Homes, in welcher Saisonarbeiter hausen. Die Anmeldung in der Rezeption nehme ich vor, Johanna und Antonia begleiten mich dabei und sind schwer beeindruckt, dass ich fließend Französisch mit dem Platzinhaber spreche - das kannten sie so noch nicht.
Immer mal wieder ganz niedlich, wenn ich die Kinder doch noch mal überraschen kann! Man weist uns eine kleine Wiese zu. Die Sanitäranlagen sind weit weg und unter aller Kanone, auf dem Weg dorthin werden wir, vor allem die Mädels, von schmierigen Typen angeglotzt, die vor ihren Wohnwagen sitzen. Kein netter Fleck.
Am Abend trifft sich eine Horde lärmender Teenies am Spielplatz direkt neben unseren Zelten, immer wieder kommen laute Autos vorbei. Oh Mann, wo sind wir hier bloß gelandet! Bei einer Partie Phase 10 beenden wir den Tag.

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Donnerstag, 06.08.2015

Karte Tagesetappe

Früh morgens um vier geht der Lärm weiter: Ganz in der Nähe unserer Zelte halten Busse, die die Arbeiter einsammeln, um sie zu ihren Einsatzorten (wir vermuten, zum Hafen) zu kutschieren. Das bekommt aber vor allem Claudia mit, ich schlafe dank Oropax relativ gut.
Wir lassen es uns aber dann nach dem Frühstück trotz der wenig heimeligen Gesamtlage nicht nehmen, einen Gang zum nahen Strand zu unternehmen. Durch den niedrigen Dünensaum gelangen wir an einen breiten Strand, der sich in ein weites Watt fortsetzt. Ich entspreche Tonis Wunsch, mal hinauszuwandern bis ans Wasser und so unternehmen wir einen kleinen Schlickspaziergang. Claudia und Johanna ziehen es vor, oben zu bleiben, dafür müssen sie sich dann später auch nicht die Schlammfüße saubermachen.
Erst um zwölf sind wir auf der Straße. Wir haben nun noch ziemlich genau 300 Kilometer vorm Bug, bis wir Hoek van Holland erreichen werden, dafür stehen uns fünf Tage zur Verfügung. Also entweder ganz gechillt 60 Kilometer am Tag oder, wenn die Verhältnisse es zulassen, etwas mehr, was uns dann noch einen Ruhetag ermöglichen würde. Das werden wir situativ entscheiden.
Der Weg ist nett geführt, immer mal wieder tauchen aber auch hier die hässlichen Hinterlassenschaften der Deutschen Wehrmacht in Form von Bunkeranlagen am Wegesrand auf.

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Frankreich, WWII-Bunker

Hässliche Hinterlassenschaften der Deutschen Wehrmacht aus dem Zweiten Weltkrieg finden wir auch in Frankreich vor. Hier sind wir auf der - letztlich erfolglosen - Suche nach einem Geocache.


Einkauf bei Lidl, Cachesuchen (um auch "Frankreich abhaken zu können"), lange Pause im Gras. Nordseeküstenradweg-Routine.
Am späten Nachmittag erreichen wir Dünkirchen. Perfekt geführter Radweg durch die Stadt, wärmende Sonne, Nordseeurlaubsatmosphäre an der Promenade. Was sind das für Kontraste in diesen Tagen.
Wir erreichen einen großen, aber sehr sympathischen Campingplatz, der unmittelbar am Strand gelegen und dabei auch noch relativ günstig ist. Da müssen wir nicht lange überlegen, hier bleiben wir. Die Stimmung im Team ist gut, wir verbringen Zeit am Strand, schauen von der Promenade aus den Sonnenuntergang an, es gibt Sternschnuppen und eine Runde Phase 10.
Ich bin froh, dass der heutige Tag solch ein versöhnliches Bild bietet - nach der Erfahrung von gestern (v.a. hinsichtlich des Campingplatzes…).

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Frankreich, Dünkirchen

Abendstimmung am Strand von Dünkirchen




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Frankreich, Dünkirchen

Abendstimmung an der Uferpromenade in Dünkirchen




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Freitag, 07.08.2015

Karte Tagesetappe

Um acht klingelt der Wecker, wir beginnen diesen sonnigen Tag also zeitig und stellen beim Frühstück Überlegungen an, ob wir grundsätzlich noch einen Ruhetag einplanen und das eventuell sogar hier machen sollten. Letztlich entscheiden wir uns dafür, heute bei diesen tollen Bedingungen erst einmal weiterzufahren - man weiß ja nie, was noch so kommt (Sturm, Regen, Schnee…), streben aber an, auf dem Weg nach Hoek van Holland noch einmal einen freien Tag einzubauen. Das würde bedeuten, dass wir dreimal einen Etappenschnitt von knapp 90 km fahren müssten.
Sommer an der Nordsee ist wunderbar. Nach etwa zwanzig Kilometern haben wir die sehr unscheinbare Grenze zu Belgien erreicht - unsere letzte Grenze auf der langen Reise… Ich erinnere mich noch, dass es vor vielen Jahren für die Kinder noch etwas ganz Besonderes war, als wir dereinst unsere erste (ebenfalls extrem unspektakuläre) Grenze, nämlich jene von den Niederlanden nach Deutschland, überquerten. Immerhin lassen wir es uns nicht nehmen, auch hier ein Gruppenfoto vor der französischen und der belgischen Flagge zu machen.
Eine ganze Weile verlassen wir nun den von mir programmierten Pfad und folgen stattdessen der LF1, welche als Variante eher ein wenig das Hinterland erschließt, was uns den ziemlich hässlich verbauten Abschnitt unmittelbar an der Küste erspart. Der Wind ist mit uns und so machen wir ordentlich Strecke, sausen über die "Fahrradhighways" entlang der Entwässerungskanäle. Eine lange, zweistündige Mittagspause unterbricht die Fahrt, wir futtern lokale Köstlichkeiten, wie zum Beispiel die typischen Belgischen Waffeln, dazu gibt es natürlich wie immer auch viel Obst. Wir sitzen im Gras am Wegesrand und spielen, während in einer Tour Radler an uns vorbeisausen, sehr nett.

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Belgien

Wir weichen auf den Radweg im Hinterland aus, wo wir fantastische Bedingungen zum Radeln vorfinden




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Belgien

Pause mit viel Obst und Belgischen Waffeln


In weitem Bogen umfahren wir die größere Küstenstadt Oostende und gelangen dann nach Blankenberge. Es ist noch gar nicht so spät, wir haben schon 80 Kilometer zurückgelegt, als wir an einem Campingplatz vorbeikommen. Tonis Wunsch ist es, dort zu bleiben - in einer Abstimmung zeigt sich, dass es dem Rest des Teams egal ist, ob wir bleiben oder weiterfahren, also bleiben wir.
Ob das eine gute Entscheidung war, stelle ich spätestens infrage, als wir auf die uns zugewiesene Fläche gelangen: dicht an dicht lagert dort auf einem relativ kleinen Areal eine Mischung aus prolligen Familien und vielen feiernden Jugendlichen… Das kann ja was werden… Ich freue mich jetzt schon auf die Weiterreise und erwarte eine schlaflose Nacht. Johanna und Antonia hingegen sind ganz begeistert von dem Treiben und wünschen sich heute wohl, sie wären ohne ihre Eltern unterwegs.
Dennoch unternehmen wir, nachdem die Zelte aufgestellt wurden, einen Spaziergang an den relativ nahen und eigentlich ganz schönen Strand. Während Toni und Claudia die Gelegenheit nutzen, baden zu gehen, bleiben Johanna und ich auf den Handtüchern sitzen und unterhalten uns. Das Thema kommt irgendwie darauf, was man denn so von zu Hause vermisst, wenn man auf einer Reise wie dieser ist. Johanna fällt da spontan einiges ein: ihre Vierer-Freundinnen-Clique, das eigene Bett, hohe Räume, das WLAN und "mal wieder einen ganzen Tag im Bett chillen".

Die Nacht im Zelt auf der Wiese voller lärmender Jugendlicher gerät dann erstaunlich entspannt, dank Oropax kann ich viel besser schlafen, als erwartet.

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Samstag, 08.08.2015

Karte Tagesetappe

Auch für heute Morgen haben wir wieder den Wecker auf acht Uhr gestellt, was sich aber als überflüssig erweist, denn wir sind bereits vor dieser Zeit wach. Um uns herum wummern auch zu früher Stunde die Bässe, während Johanna "den Tisch deckt".
Mein GPS verrät mir, dass uns noch 178 Kilometer von Hoek van Holland trennen - das Wetter ist wieder grandios und somit rückt der kalkulierte Ruhetag in greifbare Nähe. Wir sind zeitig auf der Straße und fahren dann erst einmal ziemlich lange durch dicht bebautes bzw. besiedeltes Gebiet, namentlich die Gegend um Zeebrugge. Der Radweg ist weiterhin vorbildlich beschildert und von der Streckenführung her gut gelungen, aber es ist Wochenende und Hochsommer und somit brechend voll, ich habe das Gefühl, das Gewusel und Gekrabbel nimmt gar kein Ende… Auch ein Beachvolleyball-Event trägt sicher dazu bei, dass die Promenade gut besucht ist - auch wir legen eine Pause ein, denn Claudia möchte einen Moment dem belgischen Nationalteam zusehen.

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Belgien

Die unmittelbare belgische Küste ist über weite Strecken nicht unbedingt das,
was man schön nennen würde...


Ruck zuck ist Belgien vorbei und ich ärgere mich ein wenig, dass ich es versäumt bzw. nicht ernsthaft genug ins Auge gefasst habe, in diesem Land auch einen Geocache zu finden. Chance vertan. Ein unscheinbarer kleiner Kanal markiert die Grenze und zack, kaum dass man es bemerkt, ist man in den Niederlanden. Heute gibt es kein Grenzfoto, keine Flaggen, kein Nix. Wir sind jetzt in dem Land angekommen, in welchem vor neun Jahren unsere lange Reise begann. Der Kreis beginnt, sich zu schließen.

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Niederlande

Und da ist es wieder, dieses herrlich sympathische Holland:
Deich, Meer, Leuchttürme - und jede Menge "fietsen"




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Niederlande

Vla, Streusel, Kokosbrot... Ein Festmahl nicht nur für die Kinder!


Auf den Radwegen ist die Hölle los - ein einziges Gewusel! - und doch ist es schön, wieder hier angekommen zu sein. Der Umgebung haftet eine wohltuende Vertrautheit an - und Holland ist uns ja sehr sympathisch in Erinnerung geblieben mit seiner exzellenten Radweginfrastruktur und seinen freundlichen Menschen. Es ist Hochsommer, den ganzen Tag scheint die Sonne, zumeist fahren wir auf oder am Deich, nur selten finden wir in einem kleinen Waldstück etwas Schatten. An den obligatorischen Leuchttürmen herrscht auch kein Mangel. A sort of homecoming…
In der Pause gibt es lokale Köstlichkeiten und auch hier erleben wir natürlich einen Wiedererkennungseffekt: nicht fehlen dürfen Vla (von dem wurde in den vergangenen Jahren oft gesprochen!), Streusel und Kokosbrot.
Eine Fährfahrt steht heute auf dem Plan: von Breskens gelangen wir per Schiff nach Vlissingen. Beeindruckt sind wir von der perfekt auf die Radlermassen abgestimmte Gestaltung sowohl des Abfertigungsterminals wie auch der Fähre selbst.
Am späteren Nachmittag fahren wir über kilometerlange Sperrwerkanlagen, knacken bald die 90-Kilometermarke und beschließen dann, den nächstbesten Campingplatz zu nehmen. Ein guter Ort, um hier morgen einen sommerlichen Ruhetag zu verleben!

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Niederlande

Und am Abend gibt es dann noch einmal Junk Food




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Niederlande

Abends am Strand von Westerschouwe


Die Mädels verbringen den Abend kniffelnd am Zelt, nachdem wir im Ort gemeinsam Pommes gegessen haben, während Claudia und ich am Strand den traumhaften Sonnenuntergang ansehen.

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Sonntag, 09.08.2015



Yess! Schon wieder scheint die Sonne, der hochsommerliche Trend setzt sich fort. Wie bedauerlich, dass bereits übermorgen die Heimfahrt ansteht… Einfach nicht dran denken!
Claudia geht einkaufen für den Strandtag, sie holt neben Verpflegung auch einen Ball, ein Frisbee und Strandmatten. Ich halte das für etwas übertrieben, zumal wiegesagt das Urlaubsende vor der Tür steht, aber so ist es nun eben.
Nach dem Frühstück spazieren wir gemeinsam zum Strand, wo ich mich dann aber doch nicht länger aufhalten mag. Ich bin bekanntermaßen kein Freund von Sand (steinige Strände sind mir deutlich lieber), den man dann irgendwann überall wiederfindet. Und auch sonst kann ich mit dem "Rumsitzen/ Liegen" nicht sonderlich viel anfangen. Also unternehme ich einen kleinen Spaziergang, kaufe mir unterwegs eine Tüte Haribo und eine Packung Pringles, koche mir dann am Zelt Tee und setze mich in den Schatten der allseits geöffneten Apsis unseres großen Zelts. Dort genieße ich ein wenig die Ruhe und aktualisiere meine Reisenotizen.
Um halb vier kommen die Damen gut gelaunt vom Strand wieder. Da wir noch für das am Abend geplante Grillen einkaufen müssen, machen Claudia und ich uns per Rad auf den Weg in das etwa fünf Kilometer entfernte Burgh-Haamstede. Johanna und Antonia tun ein wenig geheimnisvoll, möchten die Schlüssel für ihre Fahrradschlösser haben, wollen, wie sie sagen, "noch ein wenig rumfahren".
Was das dann bedeutet, erfahren wir am Abend, als wir uns am Zelt wiedertreffen. Schon gestern auf der Etappe sind uns immer wieder E-Motorroller begegnet, die hier in der Gegend vermietet werden. Das fanden die Mädels so cool, dass sie das auch mal ausprobieren wollten… Da geht man also auf Nummer Sicher (Papa könnte ja nein sagen) und nimmt das mal selbst in die Hand. Hier in Westerschouwe sind sie nicht erfolgreich, also radeln sie kurzerhand in das fast 15 Kilometer entfernte Renesse, wo sie schließlich eine Dreiviertelstunde vor Ladenschluss noch einen Roller bekommen (7,- € zahlen sie dafür) und damit dann eine 45-Minuten-Spritztour unternehmen. Mich erstaunt, dass das überhaupt geklappt hat, immerhin ist Johanna noch nicht volljährig. Naja, wir haben damals in Griechenland auch waschechte Motorräder ohne Führerschein mieten können - aber Griechenland ist eben auch Griechenland, habe ich gedacht. Dass es in Holland ähnlich läuft, überrascht mich. Andrerseits ist das auch nicht wirklich zu vergleichen, denn diese E-Roller sind so langsam, dass man sie mit dem Rad locker überholen kann…
Als sie uns am Abend diese Geschichte erzählen, bin ich kurz am Überlegen, ob ich nun sauer sein soll, weil sie die Aktion ohne zu fragen und ohne Helm und überhaupt… durchgeführt haben, lasse es dann aber und entscheide mich eher dafür, amüsiert zu sein und mich für sie zu freuen, weil sie so viel Spaß dabei hatten.
Am Abend wird dann wie geplant gegrillt und anschließend spazieren wir alle gemeinsam in den Ort (dort gibt es Eis und Slush zum Nachtisch) und schließlich an den Strand, wo auch heute wieder ein ganz ausgezeichneter, wundervoll kitschiger Sonnenuntergang das Auge erfreut. Und natürlich ist dies auch wieder ein willkommener Anlass, viele, viele Fotos zu schießen.
Als die Sonne hinter der Horizontlinie versunken ist, suchen wir und auf der Höhe der Dünen eine Sitzbank, wo wir das gemeinsame Abendspiel beginnen - es aber irgendwann wegen der Dunkelheit im Zelt fortsetzen müssen.

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Montag, 10.08.2015

Karte Tagesetappe

Ein denkwürdiger Tag beginnt. Heute werden wir die 143ste und damit für uns letzte Etappe auf dem Nordseeküstenradweg radeln und dann 7217 Kilometer auf diesem zurückgelegt haben. Rechnet man die Ruhe-, die An- und Abreisetage hinzu, so sind wir deutlich über 180 Tage unterwegs gewesen, ein halbes Jahr also. Etwas ganz Großes geht zu Ende und wird für immer als wunderbare Erinnerung weiterbestehen. Jeder von uns hat seine eigenen Bilder im Kopf, jeder hat die Fahrt in seiner Subjektivität anders wahrgenommen und doch stellt sie etwas Verbindendes dar. Ich weiß, dass diese gemeinsame Erinnerung auch ein Band zwischen Antonia und Johanna sein wird und ich bin fest davon überzeugt, dass die Erlebnisse und Erfahrungen sie ihr ganzes Leben lang begleiten werden. Vielleicht werden sie eines Tages an den einen oder anderen Ort zurückkehren und dann zurückdenken: "Ach ja, damals…!".
Ich kann für mich heute sagen, es war die schönste Reise meines Lebens. Diese Feststellung treffe ich nun im gegenwärtigen Zeitkontext, da die Intensität der Islandfahrten in den Neunzigern ein ganz klein wenig zu verblassen beginnt - so wie einst die Wucht der 89er Fahrt in die Türkei hinter der Größe der Islandunternehmungen in den Hintergrund rückte. Mit etwas Distanz sollte ich vielleicht die Reisekapitel in ihrer Bedeutsamkeit nebeneinanderstellen, ohne eine Wertung oder Rangfolge festzulegen? Und doch ist das Projekt NSCR etwas Besonderes: allein durch den Zeitfaktor hebt es sich deutlich von allem anderen ab. Die Kinder haben bis zum heutigen Tag mehr als ihr halbes Leben auf dem Weg verbracht. In den gemeinsamen Wochen und Monaten auf der Route verdichteten sich die positiven Facetten familiären Miteinanders, welche im unruhigen, ausgefüllten Alltag oft zu kurz kamen. Wie im Zeitraffer lässt sich das Wachsen der Kinder, das Erwachsenwerden in dieser Geschichte ablesen.
Dann möchte ich noch benennen die fast allgegenwärtige Nähe des Meeres, die friedlichen und entspannten Rahmenbedingungen in den bereisten Ländern, die teils atemberaubenden Landschaften im hohen Norden.
Manchmal, auch später, wenn ich mich an die Zeit erinnere, treibt es mir fast die Tränen in die Augen. Verdichten sich doch in diesen Bildern so unendlich viele schöne Erinnerungen!

Schon früh hören Claudia und ich, wie im Zelt nebenan die Mädels mit dem Zusammenpacken ihrer Sachen beginnen. So sind wir längst wach, als sie uns dann um 07:30 "wecken"…
Wir holen Brötchen für das Frühstück und als Proviant für die Fahrt und machen uns dann zeitig auf den Weg. Dieser ist wieder in jeder Hinsicht super, aber was hätte man in Holland auch anderes erwartet! Noch in der Nähe von Westerschouwe schlängelt er sich autofrei durch die Dünenlandschaft. Eine besondere Freude auf diesem Abschnitt sind zahlreiche Minipferde, die hier frei herumlaufen und sich als sehr zutraulich erweisen - die Kinder haben ihren Spaß! Amüsieren müssen wir uns über die Hinweisschilder, welche mahnen, mindestens 25 Meter Abstand zu den Tieren zu wahren, was allerdings kaum möglich ist, wenn diese in Scharen den Radweg bevölkern…
Der Etappenverlauf ist wunderbar hollandtypisch und bringt viele Erinnerungen aus den ersten Jahren wieder. Dünen, Wiesen, Leuchttürme, Deiche - und immer wieder diese fantastische Radlerinfrastruktur. Bei einer langen Pause auf einer Bank am Wegesrand wird - natürlich - Vla genossen und wir haben auch noch die Gesellschaft einer netten Katze. Katzen stellen rückblickend betrachtet ja auch irgendwie eine Konstante dar in all den Nordseejahren…

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Niederlande

Dünenweg in den Niederlanden




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Niederlande

Dünenweg in den Niederlanden




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Niederlande

Eine weitere Pause mit dem köstlichen Pudding "Vla". Zur allgemeinen Freude haben wir auch noch Besuch von einer Katze




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Niederlande

Die Ausläufer der Hafenanlagen Rotterdams sind erreicht, es ist nun nicht mehr weit bis zu unserem Ziel Hoek van Holland




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Niederlande

Neun Jahre Radreise in Folge, 7200 Kilometer im Sattel -
die Nordsee ist auf der North Sea Cycle Route umrundet!
Wenn das kein Anlass für ein Jubelfoto ist!


Ziemlich flott erreichen wir dann die weitläufigen Hafenanlagen westlich von Rotterdam - nun wird es wirklich konkret (seeehr seltsam), dass sich der große Kreis schließen wird. Auf den Radweg-Hinweisschildern lesen wir jetzt regelmäßig Hoek van Holland, bald ist es vorbei.
Etwa eine halbe Stunde haben wir auf die kleine, flotte Fähre zu warten, welche uns an das Nordufer der Maas bringt. Die letzten Kilometer, die letzten Meter… Auch wenn wir nun schon auf Wegen fahren, die wir bereits beradelten, so legen wir dennoch fest, dass das "offizielle" Vollenden der Runde erfolgt, wenn der Campingplatz erreicht ist, von welchem aus wir dereinst aufbrachen und wo nun unser Auto auf uns wartet.
Irgendwie hatte ich all die Jahre das irrationale Bild vor Augen, dass uns bei der "Heimkehr" Zuschauer, Konfetti, Feuerwerk, Kamerateams und eine Blaskapelle erwarten - natürlich völliger Blödsinn! Um uns herum läuft das Leben und Treiben ganz normal ab, nur für uns vier ist die Situation eine ganz besondere.
Claudia kann sich ein paar Tränen nicht verkneifen, die Kinder sind sichtlich bewegt ("ich komm nicht drauf klar!") und auch ich verspüre einen Anflug intensiver Sentimentalität.

Auf dem Campingplatz bekommen wir eine kleine Wiese inmitten der Wohnwagenkolonie zugewiesen, schlagen ein letztes Mal gemeinsam unsere Zelte auf, machen uns Dosenfutter warm und unternehmen dann einen Gang an den Strand, wo wir eine ganze Weile den Blick auf das Meer und die traurig-schöne Situation genießen. Johanna malt verschiedene Varianten "NSCR 07 - 15" in den Sand…

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Dienstag, 11.08.2015

Der Ausgestaltung des heutigen Tages geht eine lange Planung und eine noch viel längere Vorgeschichte voraus. Es war an unserem ersten Abend auf dem Campingplatz in Hoek van Holland am 08. August 2007, als ich beim Rotterdamer Pfannkuchenrestaurant anrief und über den Anrufbeantworter informiert wurde, dass das Lokal geschlossen hat. Wir hatten damals gedacht, wir könnten dort den ersten Abend der Reise mit einem gemeinsamen Essen beginnen. Es dauerte nicht lange, bis wir auf die Idee kamen, beim nächsten Besuch in Hoek van Holland - also am wirklichen Ende der langen Reise - das Essen nachzuholen. Dieser Plan wurde in all den Jahren immer und immer wieder zitiert…
Und so konnten wir es ja nun im Jahre 2015 nicht dem Zufall überlassen, ob wir das Lokal würden besuchen können oder nicht. Also wurde der Besuch lange im Vorwege gebucht. Es handelt sich bei dem Restaurant um ein umgebautes Binnenschiff, welches durch die Rotterdamer Hafenanlagen schippert, während man sich an allerlei köstlichen Pfannkuchen - süß oder herzhaft - erfreuen kann.
Wir packen am Morgen alles zusammen, verstauen Gepäck und Räder im Anhänger, lassen diesen aber noch auf dem sicheren Parkbereich des Campingplatzes stehen, bevor wir uns dann mit dem Auto auf den etwa dreißig Kilometer langen Weg nach Rotterdam machen.

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Niederlande, Rotterdam

"Feierliches" Abschlussessen im schwimmenden
Pfannkuchenrestaurant in Rotterdam




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Niederlande, Rotterdam

Während einer Hafenrundfahrt können wir uns nach eigenem Geschmack die Pfannkuchen belegen - süß oder herzhaft




Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Niederlande, Rotterdam

Extravagante Architektur in Rotterdam


Rechtzeitig sind wir dann am schwimmenden Restaurant, können bald unsere reservierten Plätze einnehmen und uns die Bäuche vollschlagen. Eine tolle Tour! Ich war ja etwas skeptisch, habe erwartet, dass es trotz des ziemlich happigen Preises eher ein wenig "ranzig" sein würde an Bord - doch dies ist absolut nicht der Fall. Tolle Pfannkuchen, ein buntes und sehr reichhaltiges Buffet und sehr saubere Verhältnisse lassen die Fahrt zu einem gebührenden Abschlussereignis werden. Akustisch untermalt ist die Eröffnung des Buffets vom "Pfannkuchenlied", welches vor allem für die zahlreich vertretenen kleineren Kinder eine Freude ist…
Knapp eineinhalb Stunden sind wir unterwegs, dann treten wir die Rückreise an. Stopp an einem Supermarkt, um Reiseproviant und Mitbringsel zu kaufen, Hänger holen in Hoek van Holland und dann ab auf die Autobahn nach Norden… Ab der Grenze darf dann mal wieder Johanna ans Steuer.

Nordseeküstenradweg, North Sea Cycle Route, Niederlande

Nachdem wir uns den Bauch mit jeder Menge Pfannkuchen vollgeschlagen haben, beginnt die lange Autofahrt nach Norddeutschland


Nun beginnt in meiner Reisehistorie wohl ein neues Kapitel. Wahrscheinlich werden zukünftige Projekte ohne die Kinder geplant - diese haben jetzt eigene Ideen und Wünsche. Claudia und ich spielen verschiedene Varianten für die Zukunft durch, so zum Beispiel die Idee, als nächstes nun die Ostsee zu umfahren. Ein Gedanke, der zunächst auf Eis gelegt werden wird zugunsten des Projektes "Kurs Südost", einer nur vage umrissenen Etappenfahrt, an deren Ende die Gestade des Persischen Golfs stehen könnten: Von Kiel aus zu den Donaumetropolen, über den Balkan, durch die Türkei bis in den Iran…
Mal sehen, was daraus wird!

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