Island ...lässt mich nicht los!
Die Anreise
Wie schon im vergangenen Jahr, so habe ich auch für diese nun vor mir liegende Reise meinen Job als Krankenpfleger an der Kieler Universitätsklinik gekündigt - allerdings auch dieses Mal nicht, ohne mir für die Zeit ab Oktober bereits einen neuen Arbeitsvertrag zu sichern. Ab dem Herbst wird meine Zeit auf der Intensivstation beginnen.
Meine Schwester Birgit wird wieder mit von der Partie sein. Sie lebt in Münster in Westfalen und hat als Studentin ausgiebige Semesterferien. Einige Tage vor Beginn unserer gemeinsamen Fahrt bricht sie per Rad auf und fährt eine knappe Woche nordwärts. Von Kiel aus werden wir gemeinsam nach Dänemark, genauer gesagt nach Esbjerg radeln, um von dort mit der Fähre über die Färöer Inseln nach Island zu gelangen.
Des weiteren werden uns Ingrid und Ulrike begleiten, die zwei wunderbaren Damen aus Bayern, deren Bekanntschaft wir im vergangenen Jahr auf der damaligen Island-Reise machen durften und mit denen uns inzwischen eine enge Freundschaft verbindet. Ulrike wird uns ab Kiel begleiten, Ingrid wird in Island dazustoßen.
Anfang September, unmittelbar im Anschluss an diese Reise nach Island, werde ich nach Nordspanien fliegen, wo ich mit meinem alten Schulfreund Andreas verabredet bin. Wir wollen ein paar Wochen auf der Iberischen Halbinsel umherradeln.
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Donnerstag, 27.07.1995
Einiges ist noch zu erledigen: letzte kleine Besorgungen für die Reise, Aufräumen der Wohnung, etwas Korrespondenz, das Überweisen einer Zahnarztrechnung. So ist es schließlich halb zwei, bis wir endlich loskommen.
Bereits nach 800 gefahrenen Metern dann die erste Panne: Speichenbruch an Ulrikes Rad. Zwar haben wir sämtliches notwendige Werkzeug zur Hand, doch ist der Zahnkranz mit solch brachialer Kraft verschraubt, dass er sich nicht bewegt. Schließlich muss der Defekt im Fahrradgeschäft behoben werden.
Über Holtenau und Gut Knoop verlassen wir Kiel, fahren über Eckernförde und Schleswig bis nach Süderschmedeby. Schnuckeliger Campingplatz, vorm Aufbauen ein Bier in leicht prolliger Gesellschaft an den Nebentischen.
Spät am Abend, nach einem langen Tag im Sattel, den ich trotz wenig Schlaf und Muskelkater in Topform meisterte, geht es ins ca. vier Kilometer entfernte Tarp, wo wir essen gehen - das einzig noch geöffnete Lokal im Ort ist ein Grieche. Auf der finsteren Heimfahrt im Licht der Taschenlampe trifft Birgit ein Schlagloch und verbiegt sich kräftig das Vorderrad, was aber Tage später von einem "Kollegen" wieder behoben wird.
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Freitag, 28.07.1995
Ein schwül-heißer Tag, an dem man es kaum aushält, verlässt man den Radsattel und damit den Fahrtwind. Im Schatten von Sonnenschirmen gönnen wir uns ein ausgiebiges Frühstück in Flensburg.
Wind und viele kleine Hügel (von wegen, Dänemark ist flach...!) lassen die Tour durchaus anstrengend werden. Nach der Ankunft am Campingplatz in Enderupskov legen wir erst einmal eine Pause ein und plaudern mit einem älteren, sehr heiteren Ehepaar aus Holland, bevor es ans Zeltaufbauen und Abendessen geht.
Auf der Reise von Kiel nach Esbjerg campieren wir
auf dem Campingplatz des kleinen Ortes Süderschmedeby
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Samstag, 29.07.1995
Gelassenheit und Freude am Morgen, da uns nur knapp fünfzig Kilometer bis zum Zielort Esbjerg erwarten. Die Hitze bis an die 30°-Marke ist erträglich, da es lange nicht so schwül ist, wie tags zuvor. In Ribe pausieren wir ausgiebig, wünschen, wir wären schon im Land des Nachfüll-Kaffi...
Irgendwann erreichen wir Esbjerg. Diesmal scheint die Sonne, nur "ordinäre Womos" und Geländewagen, keine HighTech-Monster. Ein Bier, ein kleines Picknick, Kaffee in "unserem" Café, Konversation mit ein paar spleenigen Erdinger Enduro-Freaks. Die Zeit vergeht wie im Fluge, bis ein Pulk von 22 Radlern in den Bauch der "Norröna" rollt. Schnell sind die Kabinen gefunden und an Deck harren wir lange aus, und verfolgen das Ablegen und Abfahren der Fähre zwischen Fanø und dem dänischen Festland... Sternenhimmel!
Das Radlervolk wartet darauf, dass es endlich auf die Fähre darf!
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Sonntag, 30.07.1995
Bis mittags geschlafen, es ist lauwarm und von morgens bis abends dicht nebelig, Nach dem ausgiebigen und recht guten Kantinenessen verbringe ich lange Zeit mit Ulrike in der Bar. Viel passiert nicht an diesem Tag auf See…
Das Sonnendeck der Fähre Norröna ist heute eher ein Nebeldeck...
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Montag, 31.07.1995
Gegen zehn erreichen wir Tórshavn, es regnet nicht, ist aber erwartungsgemäß nebelig, Kleckerweise findet sich ein Großteil der Radler und Motorradfahrer auf dem Campingplatz ein, geschäftiges Zeltaufbauen ringsum. Am Nachmittag radeln Birgit und ich in den kleinen Ort Kirkjubær, Urzeitlandschaft, Schafe, Vögel, Nebelschwaden, Sonnenintervalle; welch herrliches Gefühl, wieder hier zu sein!
Es ist recht mild, so dass wir bis spät in den Abend draußen sitzen können und mit den anderen Radlern plaudern. Die Motorradfahrer halten nebenan ihren "Songcontest" ab, jeder ist aufgefordert, ein Lied zu singen, es geht um eine Flasche Wein. Wir verweigern allerdings die Teilnahme…
Nach einer Nacht und einem Tag auf See erreichen wir Tórshavn,
den Hauptort der Färöer Inseln
Anlegemamöver in Tórshavn
Tórshavn
Wir haben die Fähre verlassen und machen uns auf den Weg zum nahen Campingplatz. Eineinhalb Tage später wird die Norröna wieder hier sein und wir werden die Reise in Richtung Island fortsetzen.
Sonnenschein auf den Färöer Inseln - das hat Seltenheitswert!
Aufgeschreckter Möwenschwarm
Natürlich nutzen wir die Zeit unseres Aufenthalts, um ein wenig die Umgebung zu erkunden...
Kleine Radtour auf den Färöer Inseln.
Unterwegs auf den Färöer Inseln
Färöer Inseln, Kirkjubær
Färöer Inseln, Kirkjubær
Ausflugsfahrt auf den Föröern
Dämmerung in Tórshavn, dem Hauptort der Färöer Inseln
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Dienstag, 01.08.1995
Die Sicht ist klar am heutigen Tage, wir erleben relativ wenig Nebel. Dafür scheint oft die Sonne, so dass wir planen, nordwärts nach Saksun zu radeln. Besonders weit kommen wir jedoch nicht. Keiner von uns ist gut in Form und in den höheren Lagen ist es ausgesprochen schwül, was es nicht leichter macht - also vergnügen wir uns kurzerhand in einer "Kaffitanke", gönnen uns ein Heißgetränk nach dem anderen…
Auf der Rücktour bricht die Sonne durch, wir machen eine weitere lange Pause an dem Fjord, an welchem wir einst die Grindwale sichteten. Steinesuchen, Wasserläufe fotografieren, auf das Wasser blicken. Ich bin begeistert; völlig ungeahntes Erleben dieser Inseln, die ich als Inkarnation alles Nassen dieses Planeten in Erinnerung hatte. Sonnenbaden am Fjord!
Am Abend kochen wir gemeinsam mit einer alleinreisenden Radlerin aus dem Zelt nebenan und fahren später noch mal nach Tórshavn, wo wir am Hafen im Café Natur ein 10-DM-Bier genießen, während R.E.M.s "Automatic for the poeple" aus den Lautsprechern hallt.
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Mittwoch, 02.08.1995
Das Wetter wird immer besser, der Tag ist förmlich heiß. Im Expeditionsbasislager herrscht reges Treiben, zahllose Ortliebs werden gepackt von zahllosen Gestalten in Polartech und Goretex, nebenbei rauschen Benzinkocher, röcheln Gasflammen. Schuhe werden geputzt, schließlich Zelte eingeladen. Es ist wie die große Open-Air-Show eines Reiseausstatterladens...
Ein TV-Team des färingischen Lokalfernsehens interviewt einige der Reisenden, unter anderem erwischen sie auch mich, fragten, wie es uns hier gefällt, ob wir schon mal auf den Inseln sind, ob wir wiederkämen etc.
Später senden sie mir sogar die Videocassette mit dem Fernsehbeitrag auf dem Postwege zu.
Der Zeitpunkt der Weiterreise naht. Während alle ihre Zelte abbauen, fährt die Norröna vorbei. Das Schiff hat zwischenzeitig Bergen in Norwegen angelaufen.
Nun soll es bald nach Island gehen!
So manchen Kaffee und auch das eine oder andere überteuerte Bier haben wir im Café Natúr am Hafen genossen...
Schließlich rollt der Radlerpulk zur Fähre. Im Bauch des Schiffes wird alles sorgfältig vertäut. Ich lasse diesmal mein Gepäck am Rad, nehme bloß das Wesentliche mit in die Kabine. Pünktlich um drei legt der Dampfer ab, schaukelt dann zweieinhalb Stunden durch die unglaubliche Inselwelt, bis es schließlich hinaus geht auf den offenen Atlantik. Wir essen etwas, gehen duschen und verbringen den Abend mit anderen Reisenden und einigen Six-Packs färingischen Bieres...
An Bord der Norröna
Auch wenn wir im vorangegangenen Jahr die Ausfahrt durch die färingische Inselwelt schon einmal erlebten, so ist es doch auch heute wieder sehr beeindruckend.
Fahrt durch die färingische Inselwelt
Ein letzter Blick auf die Felsküste der Färöer Inseln,
dann geht es hinaus auf den Nordatlantik.
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Donnerstag, 03.08.1995
Ganz hervorragende Sicht bei der Einfahrt in Seyðisfjörðür... Island, wir sind wieder da!!!
Kühl und klar empfängt uns Island am Morgen - wir sind wieder da!
Wir lassen uns Zeit am Ort, schießen Photos, kaufen ein. Das Frühstück genießen wir auf der Wiese mit Blick auf Fjord und Fähre, bevor es gegen zehn an den Berg geht. Wo wir im Vorjahr bloß Grau sehen und im Nebel das Rauschen hörten, zeigt sich uns nun eine grüne Landschaft. Links der Straße verläuft der kräftige Bach mit zahllosen kleinen Fällen. Nach neun Kilometern wird eine ausgiebige Pause fällig, dann ist er fast geschafft, der Anstieg. Ein älterer Franzose kommt vorbeigeschoben, wir offerieren Pfefferminztee und er erzählt, dass er bereits seit drei Monaten unterwegs ist, in Frankreich gestartet, über Finnland ans Nordkapp, nun Island und anschließend geht es weiter nach Schottland. Hohen Respekt für Radler seines Alters!
Einlaufen in die Ostfjorde, namentlich in den Seydisfjördur
Die Norröna in Hafen von Seydisfjördur
Die Norröna in Hafen von Seydisfjördur
Gruppenbild ("self-organized minigroup"), bevor es bald an den kleinen Berg geht...
Wo wir im vergangenen Jahr nur durch Nebel fuhren, haben wir nun tolle Sicht auf die uns umgebende Landschaft.
Sehr, sehr langsam schrauben wir uns hinauf.
Noch ist unten Seydisfjördur zu erkennen
Irgendwann erreichen wir das Hochplateau, bald wird Egilstadir erreicht sein
Auf der Höhe des Passes treffen wir, wie eigentlich verabredet, die Ingrid nicht an. Sie kommt heute Morgen per Flieger in Reykjavík an, will von dort nach Egilstaðir fliegen und uns dann entgegen radeln. Wir spekulieren schon, es habe Probleme gegeben, doch dann mache ich weit unten einen kleinen schwarzen Punkt aus, den ich dann mit meinem Teleobjektiv eindeutig als Ingrid identifizieren kann. Also: Schussfahrt die Serpentinen hinab, freudige Begrüßung, kleines Picknick im Gras neben der Piste.
Am Campingplatz -oh Wunder- keine bekannten Radler. Wir gehen einkaufen, kochen uns etwas nettes und staunen, wie warm es doch ist, nahezu sommerlich! Ein paar Regentropfen fallen zwar, ich bin müde und doch raffe ich mich noch auf, mit Ulrike in den herrlichen Sundlaug zu fahren, ein wenig im Hot Pot zu planschen und den strapazierten Muskeln etwas Entspannung zu gönnen.
Später sitzen wir noch eine ganze Weile draußen, schlürfen einen Pfefferminztee nach dem anderen, bewundern das blasse Blau des Himmels und den schummrigen Sonnenuntergang über den Bergen jenseits des Lagarfljót.
In Egilstadir vervollständigt sich dann auch unsere Mannschaft - wir treffen verabredetermaßen Ingrid, die mit dem Flieger anreiste.
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Freitag, 04.08.1995
Der Ringstraße südwärts folgend geht es heute von Egilstaðir etwa fünfzig Kilometer bis in den Gebirgszug Breiðdalsheiði.
Zu Beginn ist es ein beharrlicher Gegenwind, welcher uns das Leben ein wenig schwer macht, geht aber. Und als er dann nachlässt, dauert es nicht lange, bis wir ihn wieder herbeisehnen. Es tauchen nämlich Abertausende kleiner, widerlicher Fliegen auf, deren liebstes Ansinnen es ist, uns in Nasenlöcher, Augen und Ohren zu fliegen... dies im besonderen, als wir nass geschwitzt im Schritttempo den Pass angehen. Es ist so nervenraubend, dass wir mal wieder vermummt fahren, dass bringt ein wenig Linderung...
Also: wieder ein Radlerfeind geortet (neben Wind, Berg, Regen, mieser Piste nun auch Viechzeux)!!!
Während wir Egilsadir im Vorjahr nach Norden verließen, folgen wir nun der Ringstraße in südliche Richtung
An einem langen Anstieg kommen wir nur im Schritttempo voran - Hunderte kleiner Fliegen nutzen das aus und nerven uns ziemlich, indem sie ständig in Mund, Nase und Augen eindringen. Wir versuchen so gut es geht, uns vor ihnen zu schützen.
Vermummung - Schutz vor der Fliegenplage am Berg.
Wir erklimmen den Berg und errichten auf Paßhöhen-Niveau unser Lager.
Südost-Island
Atemberaubende Lichtspiele auf den Bergen - was für ein Sonnenuntergang!
Unbeschreibliche Schönheit!
Lichtspiel in den Bergen
Mit dem Versinken der Sonne ändert sich der Charakter des Lichts
Schauen. Staunen. Tränen in den Augen!
Die Gegend allerdings ist schon vor der Passhöhe wunderschön, bunte Berge, die leise erahnen lassen, wie phantastisch es im Gebiet um die Landmannalaugar sein muss. Dann wieder fahren wir an Wiesen entlang und an einem kleinen See…
Nachdem die recht kräftezehrenden drei oder vier Kilometer des Anstieges geschafft sind, offenbart sich eine gewaltige Landschaft, deren Anblick binnen Sekunden für jedwede Anstrengung entschädigt und mich sogar die Fliegen vergessen lässt. Ein weites Tal liegt da vor uns, gesäumt von pechschwarzen, teils pyramidenförmigen Bergen, in der Ferne zum Meer hin auslaufend - atemberaubend!
Nach mir trifft Birgit auf der Höhe ein, dann Ingrid und schließlich Ulrike. Schnell stehen die Zelte, es gibt Spätzle mit Röstzwiebeln. Nebenbei genießen wir die unglaublichen Lichtspiele der untergehenden Sonne auf den Bergen, die plötzlich die verschiedensten Farben annehmen. Es geht von schwarz über braun, rot, rosa bis hin zum blassen grau der Zeit des Mondaufganges.
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Samstag, 05.08.1995
Warm eingepackt frühstücken wir im morgendlichen Sonnenlicht auf der Passhöhe. Wasser holen wir uns in einem kleinen Bachlauf, bevor wir uns behelmt in die Tiefe stürzen, vorläufiger "Highscore": 62,2 km/h auf Schotter, ein Unterfangen zwischen Angst und Euphorie...
Braver Rückenwind treibt uns dann fast dreißig Kilometer ohne Anstrengung bis weit ins Breiðdalur. Picknick an einem kleinen Fluss und dann gelangen wir - endlich! - ans Meer: an die Ostfjorde. Auf der Landzunge Streitishvarf pausieren wir nochmals gute zwei Stunden, nehmen ein Sonnenbad bei Tee und Keksen. Schon am frühen Nachmittag verändert sich hier das Licht, nimmt einen abendlichen Schein an (eigentlich paradox, wird es doch erst viel, viel später dunkel, als wir es kennen).
Die letzten Kilometer bis Berunes vergehen wie im Fluge, das silbrig funkelnde Meer löst bei mir glückselige Gefühle aus, weckt Erinnerungen an mediterrane Abendstimmungen. Dies jedoch - im Gegensatz zum Vorjahr - nicht gekoppelt mit der latenten Sehnsucht nach einem Ortswechsel. Eher als eigenständiger Faktor, welcher Urlaubsgenuss charakterisiert, ein Licht, eine Stimmung, welche in sich all die glückseligen Aspekte des Reisens vereinigt und selten so rein und klar zu Tage tritt.
Berunes: ein "Ort" (zwei Höfe) mit winziger, uriger Jugendherberge sowie einer Zeltwiese mit Aufenthaltsraum und Fjordblick. Idyll!
Am folgenden Morgen können wir uns einfach ein paar Kilometer den Berg hinunter rollen lassen. Dann geht es bald ans Meer und wir folgen dem Verlauf der Küste.
Entlang der Küste im Südosten...
Heitere Tage in Südost-Island, Leuchtturm Streitishvarf.
Leuchtturm Streitishvarf
Go west!
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Sonntag, 06.08.1995
Ein klassischer Sonntag... Bein Aufpacken am Morgen entdecke ich, dass mein "guter, teurer" Gepäckträger nun auf der rechten Seite frakturiert ist. Diesen jüngsten Bruch reparieren wir mittels einer Schlauchschelle, welche Ingrid schlauerweise in üppiger Menge mitführt!
Unmittelbar nach Abfahrt schlägt dann Ingrids Schaltung "Leck", die Nutzung des größten Kettenblattes wird ihr bis ans Ende der Reise verwährt bleiben.
Wenige Kilometer später lassen verdächtige Geräusche aus der Gegend um Birgits Vorderrad nichts Gutes erahnen... Lowriderbruch an klassischer Stelle. Auch hier helfen Schlauchklemmen und einige Streifen Leukoplast. Sollte dieser Verbrauch an Klemmen bis zum Abend so weitergehen?
Nein, für diesen Tag bleibt es dabei, doch sicherheitshalber füllen wir einige Tage später unsere Reserven an einer Tankstelle wieder auf.
...und immer an der Küste entlang...
Am Hafen von Djupivogur in Südost-Island.
Ohne weitere Probleme also umfahren wir den unglaublich schönen Berufjörður, machen bei Kilometer 40 im kleinen Nest Djúpivogur große Fritten- und Kaffipause. Wenige Häuser bloß, man wähnt sich am Ende der Welt. Es ist unsere erste richtige Kaffitanke in diesem Jahr und so genießen wir den Aufenthalt, verweilen lange, während wir gegen gewaltige Pommesportionen ankämpfen... geordert ist Medium Size, doch keiner von uns kommt gegen die randvollen Korbschalen an.
Am übernächsten Fjord, dem Alftafjörður finden wir auf einer kleinen Halbinsel mit dem Namen Hornsness einen traumhaften Schlafplatz.
Spektakuläre Küstenstraße im Südosten Islands
Spektakuläre Küstenstraße im Südosten Islands
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Montag, 07.08.1995
Zeitig verlasse ich das Zelt, ziehe mich mit einer Tasse Tee zurück auf ein etwas abgelegenes Moospolster und komme das erste Mal zum Schreiben. Beinahe ist es windstill, spiegelglatt liegt der Fjord vor mir, blasses Morgenlicht spiegelt sich, die Wiesen dampfen. Vögel schreien in der Ferne, es ist schon warm. Ich genieße das Alleinsein, alle anderen noch in den Zelten wissend. Die majestätische Stille, die Ruhe, der Frieden des sich mir bietenden Bildes. Ein Ort, an dem ich gern ein wenig verweilt hätte, doch bald kommt die Frühstücksgesellschaft aus den Löchern, welcher ich mich jedoch fern halte, mein Moos nur zum Teenachfüllen verlassend. Brauche heute mal etwas Ruhe für mich.
Auf gutem Asphalt, bei wolkenlosem Himmel und Rückenwind brausen wir an den gelben Straßenmarkierungspfosten vorbei. Radreiseideal! Ich hänge Träumen hinterher von der Vision meiner "großen Reise", der Weltumradelung mit einem Freund, verliere dabei jedoch nicht das Jetzt aus den Augen. Welch Erleben muss es sein, Monat um Monat zu fahren, sich irgendwo in nasskalter Wildnis zu wähnen, mit der Perspektive, eines Tages warme und dann vielleicht doch wieder verschneite Gegenden zu finden. (…zu solch einer Reise sollte es - zumindest in den nächsten zwanzig Jahren - nicht kommen…)
Nach dem friedlichen Alftafjörður schließt sich eine imposante raue Küste an, gewaltige Schotterberge, eine hohe, unbefestigte Straße. Tief unten kreisen Eissturmvögel in schroffen Buchten, es ist einmal mehr überwältigend, ja unbeschreiblich schön!
Spektakuläre Küstenstraße im Südosten Islands
Obschon wir auf der Ringstaße unterwegs sind, begegnen wir nur wenigen Fahrzeugen.
Brücke über einen kleinen Sander
Weiter dann über die Sander Lón südlich von Stafafell, wo wir mal wieder unsere Wassservorräte auffüllen. Ein kleiner Berg ist noch zu überqueren, steil und kräfteraubend. Von oben jedoch eröffnet sich ein Blick auf eine weite, inselreiche Wasserlandschaft, inmitten welcher auch unser Zielort Höfn liegt - gekrönt vom glitzernden Vatnajökull! Endlich sehen wir ihn also "leibhaftig" und vom Boden aus, diesen Eisriesen.
Mit Vorfreude erwartet liegt er nun majästetisch vor uns, der größte Gletscher Europas: der Vatnajökull!
Auf der vorgelagerten Halbinsel ist der kleine Ort Höfn zu erkennen.
Höfn erreichen wir nach einer Rekordetappe von über 80 Kilometern recht erschöpft.
Vielmehr noch als gestern das Örtchen Djúpivogur vermittelt Höfn den Eindruck einer synthetischen, aus dem Boden gestampften Kolonie, fernab jeglicher Zivilisation. Man wähnte sich in Alaska, in Sibirien oder auf Feuerland. Vor der Kulisse des Gletschers, welcher - so meinen wir wenigstens - förmlich Kälte abstrahlt und uns frösteln lässt, liegen da in winterlich-blassem Dunst die Blechhäuser des Ortes. Wie stets in Island wird mit großzügiger Straßenbeleuchtung entlang der schnurgeraden Straßen nicht gegeizt. Dieses Neonlicht zaubert in der langen Dämmerung eine eisige Stimmung...
Ein ausgiebiges Essen gibt uns unsere Kräfte wieder und unter einer Überdachung am Campingplatz planen wir bei Pripps den Zeitrahmen für unsere Hochland"expedition" in die Landmannalaugar.
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Dienstag, 08.08.1995
Mit der Ausnahme von Schnee und Hagel präsentiert uns dieser Tag im Halbstunden-Takt alles, was man sich an Wetter nur vorstellen kann.
Nach Müsli und Kaffee am morgen geht es in den wohligen Sundlaug, Hot Pot-Genüsse bei Nieselregen. Schon auf der Rückfahrt scheint wieder die Sonne. Waschmaschine und Trockner am Campingplatz werden ausgiebig von uns genutzt, während Stapel von Postkarten sich mit mehr oder weniger stereotypen Inhalten füllen.
Am frühen Abend brechen wir auf, es geht weiter westwärts, eine herrliche Abendfahrt durch weite, flache Landschaft. Dichte Nebelbänke nehmen meist die Sicht auf die Gletscherzungen, während sich die Wolken am Himmel und die seichten Wasser der Myrar in leuchtendem Rosa darbieten. Ein Szenario, wie es kitschiger kaum sein könnte.
Mildes Sommeridyll.
Der Süden Islands ist bekannt für seine ergiebigen Niederschläge. Somit sind wir nicht wirklich überrascht, als das Wetter umschlägt.
Unterwegs in Süd-Island.
Eines von zahllosen geländegängigen Fahrzeugen
Wiesen sind überflutet, im Hintergrund ist ein Gletscher zu erkennen.
Kitschig-schönes Lichtspiel am Abend
Dieses traumhaft kitschige Szenario muss unbedingt fotografiert werden
Wir sind euphorisch-albern, legen lange Pausen ein und stoßen am Straßenrand mit Becherovka an, serviert in kleinen Schnapsgläsern (mit Islandfähnchen drauf...) auf einem "Silbertablett", trinken auf uns, auf Island, auf die Reise und darauf, wie gut es uns doch geht.
Kraft ist in uns, wir denken, wir könnten noch bis sonst wo radeln. Doch ganz allmählich schwindet in dieser Weite auch das Licht. Um halb elf schlagen wir am Wegesrand die Zelte auf, trinken Kaffee mit Cognac, sitzen blödelnd bis nach ein Uhr draußen, ohne dass es besonders kalt oder richtig dunkel wird. Wasserläufe, Wiesen, Berge, Gletscher, das Meer - mittendrin unser Camp und wir verbringen einen außerordentlich heiteren und vergnüglichen Abend im Schein unserer Kerzenlaterne. Abenteuerromantik in einer abgeschiedenen Landschaft.
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Mittwoch, 09.08.1995
Die erste Woche in Island liegt hinter uns, bislang hatten wir nur bestes Wetter. Wendepunkt heute: einsetzender Nieselregen in weitem Grau zwingt uns, erstmals die Zelte nass einzuholen. Im Tagesverlauf geht der Niesel allmählich über in satten, kräftigen Regen und vom Rückenwind getrieben erreichen wir zügig den berühmten Eisbergsee Jökulsárlón. Leider aber lassen sich die Eisberge bloß schwer im dichten Nebel erahnen. Drei sonderbare Amphibienfahrzeuge mit den Namen Klaki, Laki und Dreki, welche neben der Kaffi-Hütte parken, lassen Ort und Gegend surreal erscheinen. Im Regen stellen wir die Zelte in unmittelbarer Seenähe auf, sitzen später bei literweise Kaffee plaudernd mit anderen Radlern in der Hütte, welche erwartungsgemäß andauernd von Bustouristenhorden frequentiert wird. Unsere nassen Kleidungsstücke hängen indes über der Heizung, ein wenig Hoffnung haben wir noch, sie wenigstens wieder etwas trockener (wenn schon nicht trocken) zu bekommen.
Die Unruhe im Café hält mich vom Schreiben ab, was mich vorübergehend etwas nervt - ich entwickele ein starkes Bedürfnis nach Ruhe. Das Wetter an sich stört mich nicht, einzig bedauerlich, dass es die Sicht nimmt auf so viel grandiose Landschaft, welche sich laut Landkarte und Reiseführer hinter dem dichten Nebel verbergen muss.
Gekocht wird im Zelt, Reiseintopf aus der Tüte. Und bloß nicht so viel trinken, um nachts nicht aus dem Zelt zu müssen, nicht bei dem Wetter!
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Donnerstag, 10.08.1995
Der Regen gönnt sich kurze Pausen und am Nachmittag liegt sogar für einige Stunden ein blaues Sonnenloch über dem See, erlaubt uns einen Blick auf den Breiðarmerkurjökull und die Eisberge - was haben wir für ein Glück!
Wir stapfen östlich des Sees entlang, bestaunen die unterschiedlichsten Skulpturen, welche da dümpeln, türkisblau, weiß, grau oder schwarz von vulkanischem Sediment. Wie brillantbesetzt funkeln die Riesen, wenn für Minuten direktes Sonnenlicht auf sie fällt, beinahe ins Kitschige entgleisende Naturschönheit.
Tosend, vor gewaltiger Kraft strotzend gebärdet sich das graue, finstere Meer, welches am schwarzen Strand vergebens versucht, gegen den Abfluss des Sees Jökulsárlón anzukämpfen, welcher wiederum seine Eisschollen in den Ozean entlässt. Es rollen so zahlreiche Wogen gleichzeitig an, meterhoch in trübem Gewühl, dass nur noch ein einziges, einer Autobahn gleichendes Rauschen die akustische Untermalung darstellt, keine der Wellen ist als einzelne auszumachen.
Am Eisbergsee Jökulsarlón
Der See entlässt die Jahrtausende alten Eisklumpen in den Atlantik
Der Breidamerkurjökull
Nach Schreiben eines weiteren Postkartenstapels (ist jetzt alles "abgehakt"!) mache ich mich mit Birgit auf, am östlichen Ufer des Sees bis an den Gletscher zu wandern. Nach gut eineinhalb Stunden erreichen wir den Eisriesen, während teils bedrohlich die Skuas über unseren Köpfen kreisen - oder etwas abseits am Boden sonderbare Tänze vollführen
Weithin ist das Grollen des Meeres zu vernehmen, der Nebel wird dichter und dichter, gelegentlich hört man das dumpfe Donnern brechender Eisberge. Vom Gletscher selbst können wir im satten Dunst allerdings leider nur Konturen erahnen...
Früh gehen wir schlafen, einsetzender kräftiger Regen raubt die Motivation zu weiterer Aktivität. Heute gibt es Tütenerbsensuppe, natürlich wieder gekocht im Zelt.
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Freitag, 11.08.1995
Es prasselt laut auf das Dach des Zelts, es erübrigt sich eigentlich der Blick hinaus. Nun, man will ja auch nicht auf der Isomatte festwachsen, also raus. Es zeigt sich, dass unser Zelt von einer Seite her angeflutet wird von einer bedrohlich expandierenden Pfütze, welche sich unter den Boden unserer Behausung schiebt und selbigen - von innen betrachtet - einem Wasserbett gleich wabern lässt. Etwa acht Zentimeter hoch steht unsere Schlafstatt im Tümpel - und hält dicht! Andere Zelter in der Nachbarschaft müssen an diesem Morgen ihre Herberge aus einer Bodensenke fischen, noch deutlich tiefer als die unsere... Wahrlich nicht beneidenswert!
Abbauen bei sattem Regen, so langsam durchnässt fast alles, doch rette ich Kleidung in Müllsäcken und den Schlafsack in den soliden Ortlieb-Sack.
Im Café treffen wir andere Radler, es herrscht gute Stimmung trotz allem. Während die anderen noch hadern, sind wir fest entschlossen, heute zum Skaftafell aufzubrechen, per Rad. Später entschließen sie sich, es uns gleich zu tun, so dass wir am Abend wieder gemeinsam dasitzen werden.
Nach zehn Kilometern bin ich patschnass, teils geschwitzt, teils wegen versehentlich offen gelassener Lüftungsklappen an der Jacke. Es heißt also: strampeln, strampeln, strampeln, sich warm halten. Und so fahren wir schließlich auf den knapp sechzig Kilometern einen beachtlichen Schnitt von fast 23 km/h heraus! Allerdings auch unterstützt durch soliden Rückenwind. Pause bei Kilometer 33 in einer Kaffitanke, wo ich dann aus meiner Plastiktüte die trockene Wäsche zaubere, welche den Aufenthalt dort erträglich macht. Zur Weiterfahrt wieder in die patschnasse Kluft (inklusive Unterhose und T-Shirt, wie ekelig), es ist fies kalt, doch rasches Radeln lässt das Wasser am Körper schnell wieder warm werden. Die Wiesen rauschen, an kleinen Abbruchkanten fließen Wasserströme hinab, stellenweise stellt sich die Frage, wie lange die Nº 1 wohl noch den Regenmassen standhalten würde, bevor sie (obgleich auf einem Damm gebaut) unter Wasser stünde. Wild und kraftvoll strudeln schlammige Abflüsse der zahlreichen, im Nebelgrau zu erahnenden Gletscherzungen in die Wiesen und kleinen Sander hinab, ungestüm!
Durch die hohe Geschwindigkeit treibe ich mich an den Rand meiner physischen Leistungsgrenze, bin recht erschöpft, als ich am Skaftafell unter eine Überdachung rolle. Dennoch ist der Kraft- und Konditionszuwachs unübersehbar, vor drei Wochen hätte ich viel, viel eher das Tempo drosseln oder pausieren müssen.
Eine freundliche junge Dame an der Rezeption empfängt mich - wie ich da triefend nass vor ihr stehe - mit den trockenen Worten: "Oh, you're wet!". Ich teile ihr vermutlich keine Neuigkeit mit, als ich erwidere: "Yes, it's raining."
Wider Erwarten finden wir am riesengroßen Campingplatz keinerlei Trockenmöglichkeit für die Wäsche, also versuchen wir mehr oder weniger vergeblich, in der großen, angenehmen Cafeteria warm und trocken zu werden. Ingrids Ortliebs hatten nicht dichtgehalten, Wäsche nass und auch der Schlafsack hatte etwas abgekriegt, ihre Stimmung ist daher ein wenig gedrückt.
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Samstag, 12.08.1995
Endlich ein ruhiger Tag, der mir das Aktualisieren meines Tagebuchs erlaubt. Stundenlanger Aufenthalt in der Cafeteria, während draußen finstere Wolken ihre nasse Fracht abwerfen, sich indes die Heizung kläglich bemüht, unsere Sachen vielleicht doch noch trocken zu bekommen. Literweise Kaffee, dazu hin und wieder ein Flatkökur mit geräuchertem Lamm.
Weiterhin ist es weniger das Wetter an sich, als vielmehr die Tatsache, dass bei diesen Verhältnissen ein Erkunden der Landschaft, ein Fotospaziergang kaum möglich ist. Und die GoreTex-Jacke will und will auch nicht trocken werden, ganz zu schweigen von Birgits Wachsjacke... Und es wird im Team angezweifelt, ob bei diesen Wolkenbrücken die geplante Fahrt auf der F22 (zur Landmannalaugar) überhaupt machbar ist. Dies zum einen, weil es wohl einen grenzwertig unerträglichen Komfortverlust bedeuten würde, sprich, man wäre binnen zweier Tage unheilbar nass. Und zum anderen würden die ohnehin schon zahlreichen Furten (nach letzten Informationen durch andere Radler 26) womöglich so stark anschwellen, dass die Durchwatung zur Gefahr oder Unmöglichkeit geraten könnte.
Die Prognosen des Wetterdienstes malen schwarz, wir beschließen aber, erst einmal abzuwarten und auf keinen Fall die Hochlandpläne vorzeitig fallen zu lassen.
Am heutigen Nachmittag wird der Kaffee von alkoholfreiem Becks-Bier abgelöst. Wir schreiben, spielen Schiffe versenken oder Stadt-Land-Fluß…
Jetzt reicht es denn auch erstmal wieder mit Rumsitzen und Müßiggang. Um 22 Uhr schließt die Cafeteria und die Jacken sind schließlich doch fast trocken!
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Sonntag, 13.08.1995
Nach fast fünf Tagen Dauerregen begrüßt uns an diesem Morgen die leuchtende Sonne! Die Freude ist allgemein groß, überall auf der Campingwiese werden feuchte Sachen über Leinen oder Fahrräder gehängt, es herrscht geschäftiges, buntes Treiben. Zwar verhängen einige kräftige Wolkenbänke die nahen Gletscherzungen, doch stört das vorerst niemanden, bloße Freude, mal wieder aufzuwachen, ohne als erstes ein Prasseln auf der Zeltplane zu vernehmen und ohne tristes Grau beim Blick aus dem Zelt. Auf einem Hügel oberhalb des Campingplatzes befindet sich der kleine Hof Bölti. Dort haben wir für die heutige Nacht eine Hütte reserviert und finden uns etwa am Mittag dort ein. Ein schnuckeliges Zimmer wird uns gezeigt, welches wir beziehen, nachdem wir ausgiebig den Blick über die weiten Sanderflächen unter uns genossen haben.
In der Nähe des Skaftafell gönnen wir uns mal eine feste Unterkunft: die Hütte Bölti
Große Wäsche!
Im Team herrscht gute Stimmung, wir lassen es gemächlich angehen, gönnen uns ein zweites Frühstück, verbringen Zeit mit Lesen, Schlafen, Wäsche waschen.
Eine kleine Wanderung führt uns zum nahen Svartifoss
Man hätte es sich denken können: bald drückt der Wind die Wolken über die Berge und nach kurzer Zeit sind wir wieder eingehüllt in vertrautes mausgrau und lange lässt natürlich auch der Regen nicht auf sich warten. Also müssen wir unsere kleine Wanderung zu Hunða- und Svartifoss bei Nieselregen unternehmen. Die Fälle zaubern keine Regenbögen und bei den Aufnahmen ist Eile geboten, um die Kameras nicht unter Wasser zu setzen. Dennoch, ein interessanter kleiner Ausflug in die Hügel, deren Bewuchs aus der Distanz dichte Bewaldung erahnen lässt, die sich beim Begehen dann allerdings als gerade einmal hüfthoher Miniwald entpuppt. Besonders der Svartifoss ist sehr schön mit seinen glänzenden Basalten, wenngleich es sicher so schnell keinen Fall geben wird, der mehr Eindruck auf mich macht, als einst der Dettifoss. Später lese ich noch ein wenig in Ulrikes DuMont-Reiseführer über die Entstehung von Wasserfällen, ein recht nettes Buch mit allerlei allgemeinverständlichen Texten zu den unterschiedlichsten Themen.
Nach Riesennudeleintopf und Leichtbier "Pripps" wird noch viel geblödelt und schließlich gelesen.
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Montag, 14.08.1995
Heute scheint es das Wetter endgültig gut mit uns zu meinen! In hervorragendem Licht rollen wir am Mittag hinab in die Sander.
So schön das Wetter auch ist, ein böser Wind, fast Sturm bläst aus Südwest, exakt der Richtung, in welche wir die meisten der gut 70 Kilometer heute radeln. So sehr ich mich auch mühe, es gelassen zu nehmen, ich kann sie nicht wegdrücken, die wütenden Gefühle, welche aus dem Bauch ins Stimmorgan stiegen und sich dort zu leisen aber derben Flüchen formen. Ich bin genervt, suche die Schuld in Gedanken mal bei mir, mal bei den anderen (warum bei diesem Wetter/Wind unbedingt so weit radeln?!?), hilft aber nix. Ich beschließe endgültig, den Gegenwind zu meinem ärgsten Feind zu erklären, weit vor Regen, schlechter Straße, kleinen Fliegen oder gar Bergen. Ich denke zurück, rekapituliere, was mir als besonders unangenehm im Gedächtnis blieb auf meinen bisherigen Radreisen - es sind stets Ereignisse, bei denen Sturm eine tragende Rolle spielte.
Und weiter geht die Fahrt, im Hintergrund zu erkennen: der Skaftafellsjökull
Nun geht die Fahrt durch die Weiten der Sander südlich des Skeidararjökull
Pause auf einer Brücke im Skeidarársandur
Der Lómagnúpur
Unterwegs in Südisland
Unterwegs in Südisland
Unterwegs in Südisland
Sommeridyll in Süd-Island
Nach 35 kraftraubenden Kilometern legen wir eine Pause ein, wo mir zu meiner Beruhigung auch Ingrid gesteht, zwischenzeitlich von den Fahrverhältnissen "leicht genervt" zu sein. Eine längere Pause verbietet sich, es wird schnell zu kalt. Indes fahren zahlreiche andere Radler vorbei. Es scheint eine wahre Mode geworden zu sein, Island per Rad zu bereisen, man trifft bei Weitem mehr Radler als etwa Motorradfahrer. Noch im Vorjahr wähnte man sich ein wenig als Exot, damit ist endgültig Schluss. Eher ist es eine Form von sympathischem Mini-Massentourismus geworden. Die Vielzahl jedoch ist eher vom Schlag der "Tiere", MTB-Raser in passendem Dress, oft nur mit Minimalgepäck unterwegs auf langen Etappen mit wenigen Pausen. Wenige Gemütlichradler wie wir, die für fünfzig Kilometer schon der mehrstündigen Pausen und Fotostopps wegen einen ganzen Tag veranschlagen. Vor kurzem, als wir mal wieder um einen Haufen Fressalien bei Tee, Kaffee und üppiger Brotzeit im Grase kauerten, schoss jemand heran, hielt an, sprach: "oh Wunder, gleich vier!" und berichtete sogleich von seinen 150-km-Tagesetappen, während er ab und zu in eine Tüte mit Nüssen griff. Endgültig den Kopf schütteln müssen wir, als er äußert, dass er seinen Rückflug mit einer Terminvorverlegungsklausel gebucht habe, damit er, so wörtlich "falls er fertig sei", schon eher heimfliegen kann! Muss ja jeder selber wissen, doch mein Stil ist dies ganz gewiss nicht! Ein gegenteiliges Extrem sollten wir Tage später in der Landmannalaugar treffen, doch dazu, wenn es soweit ist...
Nach unserer Pause fahren wir konsequent im Windschatten, jeder ist für zwei Kilometer der Pechvogel an der Spitze. Auf diese Weise schonen wir unsere Ressourcen und kommen deutlich besser voran. Die Landschaft ist mal wieder bizarr: endlose moosbedeckte Lavafelder über weite Strecken, später eine einer Steilküste gleichenden Abbruchkante mit Wasserfälle. Etwas erschöpft erreichen wir am Abend Kirkjubæjarklaustur, laben uns lange an Fritten, Pripps, Pizza und Softeis.
Ganz allmählich kehren die Lebensgeister zurück, es geht mir besser. Der Campingplatz ist außerordentlich nett und kann mit einer famosen Dusche dienen.
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Dienstag, 15.08.1995
Der Wind hat nachgelassen!!! Wolken machen sich rar, als wir an diesem herrlichen Morgen mit den Vorbereitungen für (meine dritte, nach F37 und F88) die erste Hochlandtour dieses Jahres beginnen. Schon morgens herrscht beste Stimmung und eine hohe Motivation, in diesen Tag zu schreiten bzw. zu rollen! Wir haben einen Kostplan für sieben Tage aufgestellt, der sich auch später als weitgehend gut durchdacht erweisen wird. Einmal mehr stapelt sich ein gigantischer Berg an Lebensmitteln zwischen Rädern, Zelten, Isomatten und Packtaschen.
Auf dem Campingplatz in Kirkjubaejarklaustur.
Hinter uns liegt ein Großeinkauf, denn wir planen, bald für eine gute Woche ins Hochland zu radeln. Dort gibt es keine Möglichkeit, die Vorräte aufzufüllen.
Birgits hinteres Achslager scheint ein ernstes Problem zu haben, es hört sich an, als beherberge es eine ganze Tüte Sand... Hoffen wir das Beste! Mir gelingt es indes erstmalig, einen leichten Seitenschlag an meinem Hinterrad zu beseitigen, wieder ein winziger Erfolgsschritt auf dem langen steinigen Weg zum autarken Radmechaniker.
Wieder einmal gelingt es auch, all die Sachen zu verstauen, vornehmlich in den Frontrollern. Noch Gas und Benzin an der Tankstelle gekauft und los geht es in eine traumhafte Etappe. Die Sichtverhältnisse erlauben es, hinter uns auf den gewaltigen Vatnajökull zu blicken, während vor uns im Westen der Myrdalsjökull allmählich an Größe zunimmt. Gut zwanzig Kilometer geht es schnurgeradeaus durch den Eldhraun, eine gewaltig große, moosbewachsene Lavawelt. Am Horizont flimmert die Straße, Luftspiegelungen erlauben interessante Photos.
Im Lavagebiet Eldhraun
Beste Sicht auf den Vatnajökull
Das Hochland ruft! Bald werden wir die Ringstraße verlassen und auf der F22 in Richtung Landmannalaugar radeln.
Bevor die Nº 1 dann weiter in den Myrdalssandur führt, ein sandsturmgefährdetes Areal, verlassen wir sie in nördlicher Richtung, zielstrebig die F22 anpeilend. In der Ferne lassen sich bereits Berge erahnen, welche wohl im weitesten Sinne dem Landmannalaugargebiet zuzuordnen sind. Anders als die bekannten Hochlandstrecken macht sich die Landschaft im Vorfeld hier lieblich und fruchtbar aus, viel grün, einige Gehöfte, Schafe. Und wieder scheinen die Berge in der Ferne von einer ganz besonderen Art zu sein. Auch wenn mittlerweile fast jeder Island-Radler das Hochland bereist, so empfinde ich doch etwas Mystisches, Geheimnisvolles, vielleicht Bedrohliches, was diesen Gebieten anhaftet. Wilde Landschaften, welche nur für wenige Wochen im Jahr überhaupt zugängig sind. Und gerade die F22 ist in meinem Kopf wegen ihrer zahlreichen Furten ein wenig gefürchtet, nur die Sprengisandur male ich mir des Sandes wegen schwieriger aus.
So ist es so, dass unmittelbar nach Verlassen der "Hauptstraße" ein ganz eigenes Gefühl mich überkommt, ein wenig so, als betrete man eine heilige Stätte.
Rein praktisch beginnt der Fjallabaksvegur nyðri mit einem bitterbösen kleinen, aber sehr steilen Hügel, welcher nur so eben noch das Fahren überhaupt zulässt. "Hallo, ihr Menschenkinder, na, wollt Ihr wirklich?!?".
Die Hochlandpiste F22 empfängt uns Radler mit einer steilen Rampe - die Damen müssen aus dem Sattel, was Heiterkeit erzeugt.
Und da sind wir wieder drin. Es sollte noch einige Kilometer so weitergehen, steil bergan, bergab auf mäßiger Piste, während vom starken (Rücken!-) Wind finstere Wolken übers Land getrieben werden. Als dann Regen einsetzt, entschließen wir uns, Quartier aufzuschlagen. Das ist klug, denn bald wird der Niederschlag heftiger. Lecker kochen im Zelt, zum Pinkeln geht es immer splitternackt nach draußen, um die Kleidung trocken zu halten...
Birgit und ich sprechen noch ein Weilchen über die Reise, vergleichen sie mit 1994, sprechen über den "Radmassentourismus" und den Menschenschlag, der da Island bereist. Loben das Unproblematische, die Ehrlichkeit der Menschen, das Nichtvorhandensein von Kriminalität, das Phänomen "Motorradfahrer grüßt Radler und Geländewagenfahrer, Busreisende winken", also die "Island-Familie". Und wir hoffen auf gutes Wetter, um die Sicht zu genießen...
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Mittwoch, 16.08.1995
Ein wenig zu Ingrids Leidwesen kommen wir erst spät los, was sich letzten Endes aber als Vorteil erweist, da erst am frühen Mittag der Regen aufhört.
Die Strecke behält den ganzen Tag ihren Charakter, steil bergauf, steil bergab und dabei fällt nur gelegentlich etwas Nieselregen, was den Vorteil hat, dass wir uns nicht mit Staubwolken herumplagen müssen. Die Piste ist teils schlammig aber stets gut fahrbar, sie folgt grob dem Lauf des Flusses Skafta. Ganz selten machen Sturmböen uns das Leben schwer. Beim Durchqueren einer kleinen Ebene begegnet uns eine große Herde Pferde mit begleitenden Reitern, wunderschöne Tiere, besonders, wenn sie traben und galoppieren, alle in den angenehmsten Schoko-, Karamel- und Kaffeebrauntönen. Deren Anblick ist mir eine große Freude.
Regen auf der F22
Obschon die F22 berüchtigt ist wegen ihrer zahlreichen Furten, so haben wir diese doch als weitgehend harmlos wahrgenommen. Eher ins Gedächtnis gebrannt haben sich die vielen kleinen, aber oft biestigen Anstiege...
Einige der kleinen Pässe sind dicht nebelverhangen, teils mit Sichtweiten unter fünf Metern, was eine gespenstische Atmosphäre erzeugt. Die Furten erweisen sich als wenig problematisch, am Abend haben wir sieben gequert, nur selten ist Absteigen und Schieben notwendig, die meisten sind so zu durchfahren.
Das Gebiet nahe der Eldja ist besonders interessant, ein zerklüftetes kleines Tal, durch welches die Piste sich schlängelt. Grün, grau. Mal wieder eine ganz besonders ursprünglich, anmutende Gegend, in welcher es uns nicht im geringsten gewundert hätte, wenn hinter der nächsten Ecke ein Dinosaurier gestanden hätte...
Wir verlassen kurz die F22, um die Stichstraße zur "Feuerschlucht" zu erkunden. Ein eisiger Wind bläst mit Macht und lässt uns beim Picknick erzittern, die Zehen in den Sandalen sind taub vor Kälte. Da eine schwierige Furt uns vom Zugang zur Eldja trennt, selbige tief nebelverhangen ist und wir uns zudem wirklich tierisch den A… abfrieren, verwerfen wir per Kollektiventscheid die ursprünglich vorgesehene Besichtigung, fahren stattdessen weiter in die schwarz-grüne Unwirklichkeit.
Auf der F22, unweit der Eldjá
Nasskalter Nebel hängt in der trostlosen Steinwüste
Nach weiteren zehn Kilometern gelangen wir an eine Furt, in welcher Ingrid beinahe ein Bad nimmt, als sie bei der Durchquerung fast stürzt. Der Nässeschaden ist begrenzt, jedoch ist sie sehr unsanft auf dem Oberrohr aufgeschlagen, was ihr böse Schmerzen bereitet.
Der Strom verläuft durch eine wunderbare kleine Schlucht, von der ich so begeistert bin, dass ich ein nahes Moosareal als Schlafstätte vorschlage. Der Rest der Mannschaft ist ebenfalls angetan von dem Flecken und so bleiben wir. Was für eine wundervolle Wildnis! Nach unserer Ankunft am frühen Abend bis zum nächsten Morgen um elf kommen lediglich zwei Autos vorbei!
F22, auf dem Weg nach Landmannalaugar. Der zweite Lagerplatz, seit wir die Ringstraße verließen.
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Donnerstag, 17.08.1995
Kälte und Sonne am Morgen in unserem kleinen Tal! In der Nähe entdecken wir eine kleine Eishöhle, im Morgenlicht sehen die schwarzen Wände der Schlucht nur noch grau aus und auch das Moos viel farbiger. Ein Ort, der eigentlich zum Verweilen einlädt. Birgit muss vor dem Abfahren noch einen Plattfuß beheben. Mein Getriebe macht wegen Versandung Probleme, selbst eine Reinigung bringt wenig, da schon nach kurzer Zeit sich wieder Staub und Dreck festsetzen, die Kette an den Kettenblättern anhaftet und gegen das Rohr gezogen wird. Unschön, muss ich also auf die Benutzung des kleinen Kettenblattes verzichten. Das hat zur Folge, dass ich einige allzu steile Anstiege schiebend bewältigen muss.
Auf der Hochlandstraße F22
Immer wieder staunen wir ob der bizarr-schönen Landschaft,
durch die wir da radeln dürfen!
Heute sind neben diversen (wir haben aufgehört zu zählen, aber 26 oder 27 wird wohl stimmen) seichten auch einige tiefere Furten zu überwinden. Das Gepäck bleibt trocken, alles ist in den Packtaschen noch zusätzlich mit Müllsäcken geschützt, wenn die Taschen eintauchen in die Bäche. Heute wechsele ich nach jeder Durchquerung das Schuhzeug, stets wieder rein in die Wanderschuhe. Die Eisfüße von gestern, da ich die ganze Zeit in Sandalen fuhr, will ich mir ersparen. Frage mich am Ende der Fahrt, warum die F22 wohl wegen der Flüsse so berüchtigt ist, haben wir alle doch die zahllosen kleinen Berge als viel gravierender empfunden.
Die Gegend nimmt Wüstencharakter an, wir erreichen Seen, pausieren bei ziemlich frischem Wind und Temperaturen von 7°C am Nachmittag, bis wir es nicht mehr aushalten. Und endlich dann tauchen sie auf, die so lange ersehnten Ryolithberge! Ein letzter kleiner Flusslauf wird gekreuzt und nun reicht der Blick schon hinein in das eigentliche Landmannalaugar-Tal. Dort bietet sich ein unglaubliches Wolken-Licht-Regenschauspiel dar, grandios anzusehen! Es ist lausig kalt, wir schießen am letzten Abzweig die "Hurra, wir haben es geschafft"-Aufnahmen am Wegweiserschild und rollen dann entlang der bunten Berge durch ein letztes Lavafeld, bevor wir mühselig einen Bach queren. Dieser ist zwar "bridged", doch um eben jene Brücke zu erreichen, muss ein kleiner steiler Hügel überwunden werden: zu zweit hieven wir jeweils ein Rad hinüber...
F22 - we did it! Landmannalaugar ist erreicht!
...wir fühlen uns ungefähr so, als hätten wir den Everest erklommen.
Schnell ist der Abend da und bei lausig niedrigen Celsiusgraden kostet es große Überwindung, im Nieselregen zu den natürlich gespeisten Hotpots zu laufen, einige Hundert Meter von unserem Zelt entfernt. Doch es lohnt sich! Fast unerträglich heißes Wasser ergießt sich in ein flaches Becken, wir halten es einige Stunden im Bad aus, der Wind treibt Dampfschwaden über die Oberfläche des Pools.
Der Reiseführer hat vor Rummel und Überfüllung gewarnt, doch ist das Gelände so weitläufig, dass etwa von den Bushorden nichts zu merken ist, außer dem Anblick weit entfernter Zeltstädte (20×Vaude I...). Am späten Abend sitzen wir noch lange mit einem netten Paar aus Lindau bei Tee im Nieselregen.
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Freitag, 18.08.1995
Ich hatte Recht mit meiner insgeheim gehegten Prognose, dass ich so etwa zwei Wochen benötigen würde, bis ich echt das Gefühl haben würde ich reise!, fern von Job und Kiel und Alltag. Heute ist es soweit, ich wähne mich tatsächlich in Island, wieder richtig unterwegs! Wie wohltuend, dass nicht unmittelbar nach dem Realisieren dessen die Heimreise lauerte, vielmehr liegt erst ein gutes Viertel des Unternehmens "Radtour Sommer 95" hinter mir!
Dennoch denke ich oft, besonders an den Abenden, an den kommenden Oktober, der mich mit soviel Neuem konfrontieren wird: der WG, dem neuen Zimmer, dem Renovieren und Einrichten, dem Einleben dort. Und dann natürlich die Intensivstation! Gelegentlich blättern meine Gedanken in der CD-Sammlung und ab und zu sehe ich mich nächtens bei Rotwein an der Schreibmaschine sitzen, ein besonders behaglicher Gedanke, wie ich dann Texte und Fotos der Reise nachbereite!
Unser Brot geht allmählich zur Neige, zum Frühstück gibt es Müsli mit Trockenmilch, bevor wir für einige Stunden die Berge der nahen Umgebung erklettern. Die isländischen Postkarten lügen nicht! In vielen Farben bietet sich eine Landschaft dar, welche mit jedem dazu gekommenen Höhenmeter großartiger scheint. Durch Auflockerungen in der Bewölkung erstrahlt mal dieser, mal jener Berg in der Ferne, schließlich erlaubt die Fernsicht Blicke auf Vatnajökull und Langjökull... Picknick, dann Brennisteinsalda, das Lavafeld... Nach gut fünf Stunden sind wir, etwas k.o., wieder am Camp.
Wanderung in einer unglaublichen Landschaft
Der berühmte "bunte Berg" Brennisteinsalda
Hier konkurriert leuchtende Farbe mit finsterer Tristesse
Aufstieg auf den Bláhnúkur
Auf dem schmalen Grat hinauf zum Bláhnúkur, unter uns die Sanderflächen
Hier im Landmannalaugar-Gebiet wird uns dann auch noch die Ehre zuteil, die Radler-Legende Josef mit seinem alten Postfahrrad kennenlernen zu dürfen!
Dann lernen wir durch Ingrids Initiative "die Legende" kennen, den 48-jährigen Joseph, der bereits in Diavorträgen und auch im unlängst erschienenen Radreiseführer für Island Erwähnung fand. Ein Naturmensch, welcher seit 12 Jahren Island mit einem 3-Gang-Postfahrrad bereist. Wohl ein Stündchen plaudern wir über seine Ausrüstung, das Rad, das Zelt, den Zuggurt, seine "Philosophie des Langsamreisens" ("bei Regen reise ich nicht"). Er spricht von seinen Wanderungen, vom Wechsel der Farben, von der Faszination des Kleinen. Die Ruhe und Zufriedenheit, die er vermittelt, sind beeindruckend. Ich finde viele Elemente wieder, welche meiner Art des Reisens entsprechen, ziehe ich es doch schon seit langem vor, lieber einen kleinen Teil eines Landes in Ruhe zu bereisen, anstatt einen Sightseeing-mäßigen, hektischen Rundumschlag zu veranstalten. Und wieder kommt Unverständnis in mir auf, denke ich an all die "Tiere", die hier so rumrasen...
Ein großartiger Sonnenuntergang hält mich und Ulrike lange Zeit vom Hotpot fern, ein Münchener Fotograf und ich kommen ins Gespräch, tauschen Adressen, während wir die Spiegelungen der orangefarben leuchtenden Berge in einem flachen Wasser auf dem Sander fotographieren.
Immer wieder ist es aufs Äußerste beeindruckend, wie verschiedenartig ein und derselbe Berg im unterschiedlichen Tageslicht sich darbietet, welche Farben und Stimmungen da mitspielen. Wolkenverhangen finster, matt, leuchtend, grau, beige, orange, schwarz, grau - unendliche Facetten, stets neu und nie dagewesen, unendliche Variationen dieser Spiele für Momente!
Auf so einer Fahrt, wenn mit der Zeit der Kopf nicht mehr so voll ist mit den Belangen (Belanglosigkeiten?) des Alltags, schweifen die Gedanken oft in die eigene Vergangenheit, ich grabe in meiner eigenen Historie, befördere Bilder zu Tage aus der Schul-, Zivi- und Ausbildungszeit. Ist manchmal recht spannend, da solche Gedanken daheim so gut wie nie gedacht werden. Nachts im Schlaf entlädt sich das teils in wild-wirren Träumen...
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Samstag, 19.08.1995
Um drei Uhr, nach sehr wenigen Stunden Schlaf, stehen wir auf in der frühsten Dämmerung, kochen Kaffee und wandern noch einmal auf den nahen Berg Bláhnúkur. Nach einer Dreiviertelstunde (…ohne Frühstück…) erreichen wir den ersten kleinen Gipfel, von wo aus wir den Sonnenaufgang zu beobachten gedenken. Eine ganz eigenartige Stimmung herrscht hier in der Frühe. Unweigerlich werden Erinnerungen an Kreta wach, als wir im Vorjahr dort oft morgens in den Sonnenaufgang radelten; nicht ganz dazu passen die Temperaturen bloß knapp über dem Gefrierpunkt, noch forciert durch einen wahrhaft eisigen Wind. Grandios ist der Blick auf den Sander, Silberstreifen gleich sind im Dunkelgrau der frühen Stunde die Wasserläufe auszumachen, während der Himmel sich anschickt, ein Wolkenfarbenspiel zu zaubern, beginnend bei blutorange. Auch wenn rasch aufziehende Wolken dem eigentlichen Spektakel ein vorfrühes Ende bereiten, so ist doch die Stunde, welche wir bei Keks und Kaffee im Schotter des Gipfels verbringen einzigartig. Eine 360°-Drehung vermittelt 360 oder noch viel mehr verschiedenartige Licht-Berg-Wolken-Erlebnisse!
Sehr, sehr früh geht es noch einmal hinauf auf den Bláhnúkur. Wir möchten von oben den Sonnenaufgang ansehen. Aufziehende Wolken werden das zwar verhindern, dennoch gerät die kleine Wanderung zu nachtschlafender Zeit zu einem überaus beeindruckende Unterfangen.
Silbrig glänzende Wasserläufe in fahlem Morgenlicht
Irgendwann kapitulieren wir vor der immer dichter werdenden Wolkendecke und vor allen Dingen vor der beißenden Kälte, machen uns sodann an den Abstieg. Auf halber Höhe, wir haben ihn schon von ferne ausgemacht, treffen wir auf Joseph, welcher -von unseren Schritten im Kies zuvor geweckt und auch zur Wanderung inspiriert- nun auf dem Aufstieg ist. Ein kurzer Plausch, dann trennen sich die Wege, er gipfelwärts zum Frühstück, welches er mitführt, wir in Richtung Heiße Quellen. Es ist etwa sechs Uhr, Sonnenlicht fällt gleißend in den Dampf des Baches, in welchem wir (keineswegs alleine!) das Morgenbad nehmen und das heiße Wasser genießen, dabei Thermoskannenkaffee aus Thermobechern trinken. Ein ebenso unwirkliches wie wunderschönes Erlebnis.
Bis in den frühen Nachmittag verbringe ich den Tag mit Ulrike im Zelt, zumeist schlafend. Und bis in die Abendstunden arbeite ich dann am Aktualisieren meines Tagebuches, trinke dabei literweise Kwai Flower Oolong, während draußen Wolken ziehen, gepeitscht von kräftigen Böen. Am Abend setzt Regen ein, wir essen gegrillten Fisch, den wir von einem "fliegenden Händler" erstehen, ein Festmahl!
Den Abend lassen wir dann noch einmal im wohlig-warmen Wasser der "Heißen Quellen der Männer vom Lande" ausklingen.
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Sonntag, 20.08.1995
Starker Regen fällt und ein kräftiger Wind soll uns nordwärts drücken, denn heute ist der Tag des Aufbruchs aus der Landmannalaugar gekommen. Mit hoher Geschwindigkeit geht es die letzten Meilen auf der F22 über üble Piste, fast durchgängig Waschbrett. Der Regen verhindert Staubstürme und macht den sandigen Boden fest und damit doch gut befahrbar. Zudem passt der Regen hervorragend zu der trüben Landschaft, welche mit ihrer finsteren, wüstenartigen Gestalt Erinnerungen an die Missetäterwüste weckt. Ich liebe diese Landschaften!
Der Wind. Kann er so böse sein und so wütende Gefühle auslösen, so vermag er doch auch nett zu sein und zu radelmäßigem Hochgenuss verhelfen. So heute. In Kürze haben wir die knapp 40 Kilometer bis zur Nº32 überwunden und besuchen pudelnass die dort befindliche Tankstelle. Nach einer Woche Wildnis ist das der erste Zivilisationsvorposten und dementsprechend viel Geld lassen wir dort: Fritten, Burger, das eine oder andere Pripps, Kökur, Schokoriegel, Limonade...
Wir wärmen auf, sättigen und trocknen uns, bevor wir bei Rückenwind auf Asphalt noch einmal ganz fix zwanzig Kilometer fressen, um dann am Fuße von Hekla unser Lager aufzuschlagen.
Wir verlassen Landmannalaugar in nordwestlicher Richtung. Es regnet.
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Montag, 21.08.1995
Ein trockenes, ja sogar sonniges Frühstück ist uns noch gegönnt, doch sobald wir auf die Räder steigen, setzt Regen ein, der dann auch nur selten kurz aufhören wird. Die Piste ist streckenweise miserabel, oft schlechter, als im Hochland. Zu dem ärgerlichen Gegenwind kommen noch zahllose LKW, die die Straße frequentieren und uns mit Ladungen von Dreck und Wasser bespritzen. Alles andere, als ein Vergnügen. Und als ob dies noch nicht genug des Übels wäre, es geht bergan auf einigen Abschnitten und zwar nicht schlecht. Dies verleitet mich dazu, es doch noch einmal mit meinem kleinsten Kettenblatt zu probieren, welches ich seit Tagen sorgsam meide. Resultat ist, dass sich die Kette so hoffnungslos zwischen Rahmen und Ritzel verhakt, dass sich rein gar nichts mehr bewegt. Also Abpacken, zum Glück gibt es gerade eine kurze Regenpause, Tretkurbel demontieren, Kette befreien, Kurbel wieder drauf...
Bei Kilometer 40: Árnes. Behagliche Tanke, Rekordaufenthalt von dreieinhalb Stunden. Keiner von uns mag wieder hinaus in den strömenden Regen, und doch sind wir grundsätzlich guter Dinge. Dieser Kaffitankenaufenthalt und das sonnige Frühstück am Morgen sind die Lichtblicke heute.
Islandpferde
Wir passieren den Vulkan Hekla auf seiner nördlichen Seite und orientieren uns weiter westwärts. Der Ort Laugaras wird erreicht, dort übernachten wir nach einer Woche mal wieder auf einem Campingplatz.
Den Ort Laugaras erreichen wir pitschnass, es ist kühl, windig und ungemütlich. Das Nest selbst ist auch von etwas trostlosem Gepräge, es ist charakterisiert von Gewächshäusern und kleinen Pappeln. Kolonie der Weihnachtssterne, Paprika und Petersilie. Als Pflanze mag man die Nässe mögen, aber als Mensch ist dann irgendwann der Punkt erreicht, wo ein wenig der Spaß verloren geht, wenn das Radeln zum Hangeln von Tanke zu Tanke verkommt und man unterwegs in der Regenhaut schwitzt.
Highlight dann wieder: der Campingplatz, also die als solcher deklarierte Wiese, verfügt über eine einzigartig-geniale Dusche. Die macht mich wieder warm, bevor wir zu viert uns im Iglu treffen, um üppig zu Abend zu essen.
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Dienstag, 22.08.1995
Es wiederholt sich: Frühstück im Trockenen, schon der Zeltabbau dann erfolgt im strömenden Regen. Bis zum Zwischenziel Laugarvatn erleben wir auf der Fahrt immerhin gelegentliche Trockenphasen, doch allzu oft ist die Regenkleidung nötig, also kommen wir auch hier wieder nass geschwitzt an. Wir verwerfen den Plan, den dortigen Sundlaug zu besuchen, halten uns stattdessen, ja wo wohl, in der Kaffitanke auf. So ganz allmählich zermürbt das Wetter. Noch immer habe ich zwar (und auch Birgit nicht) keinerlei Kretafluchtvisionen, aber so ganz das Wahre ist das hier zurzeit nicht, drückt schon auf die Stimmung. Wie schön wäre es doch, mal wieder einen Tag nur durch Sonnenschein zu fahren, Picknicken auf einer Wiese...
Während des Aufenthalts in der Tankstelle ist es draußen trocken - erst als wir nach zwei Stunden zur Weiterfahrt hinausgehen, setzt wieder Regen ein... Bislang hatte ich ja nie etwas von Murpheys Law gehalten...
Die letzten knapp dreißig Kilometer liegen den Mädels im Vorwege etwas schwer im Magen: Gegenwind, Berge und Regen warten auf uns. Ich bin dazu im Stande, es gelassen zu nehmen, gehe mit recht hoher Motivation in die "zweite Hälfte" - und tue gut daran! Zwar begrüßt uns die Strecke mit einem saftigen Berg, der mich ordentlich schlaucht, doch ist es a) schnell wieder trocken und b) finden wir eine ausgesprochen schöne Landschaft vor: moosbedeckte Lava, ferne Berge, über denen imposante Wolkenspiele sich darbieten.
Über Laugarvatn fahren wir in Richtung Thingvellir
Dramatisches Wolken- und Lichtspiel...
...und lauter kleine Hügelchen
Auf dem Weg nach Thingvellir wird hier eine etwas untypische Pausenverpflegung genossen: Leichtbier und Zigarette...
Wir halten, schauen und fotographieren, während das Grün der nahen Berge und Hügel im Licht ständig seinen Ton und die Leuchtkraft verändern. Hintergrund bildet eine Kette schwarzer, felsiger Berge, ein wenig Hochlandflair! Der Wind hat auch seine dramatische Kraft verloren und so ist es ein vergnügliches Unterfangen, die etwa 16 Kilometer durch dieses Gebiet zu fahren. Auf einem steilen Abschnitt (14%) muss ich wieder aus dem Sattel und nimmt dies zum Anlass, es mal mit der Zuggurtmethode à là Joseph zu probieren - was tatsächlich ganz gut funktioniert.
Die letzten Kilometer zum Þingvellir sind vergnüglich, auf der Abfahrt zum See blödeln wir albern herum, lassen wir unsere Räder Pferde sein, galoppieren flugs hinab, schwingen das Lasso, schießen in die Luft, triumphieren mit dem Skalp in der Hand und vollführen kleine Kunststückchen auf unseren Rössern - Wildwest im hohen Norden!
Dann aber kein "Living in a wigwam". Wir nämlich haben am Nachmittag zu Zeiten unseres generalisierten Motivationstiefs entschieden, die Jugendherberge im Þingvellir aufzusuchen, dabei an Wärme, Trockenheit, einen Aufenthaltsraum, eine Waschmaschine etc. denkend, um uns ein wenig an den Annehmlichkeiten der Errungenschaften der Zivilisation zu laben. Mal kurz den Unbilden des Wetters entfliehen.
Eine der bemerkenswertesten Begebenheiten dieser Reise sollte uns widerfahren. Ein großes Haus im eigentlichen Þingvellir bietet sich uns dar. In dem Gebäude wird ein recht vornehmes Hotel betrieben, durch die Fenster blickt man auf feine Gesellschaft, welche bei Kerzenschein diniert. Wir wähnen uns ein wenig deplatziert und schon am falschen Ort. Ich Schmuddelkind wage den Schritt hinein, um von der adrett gekleideten jungen Dame an der holzgetäfelten Rezeption zu erfahren, dass wir durchaus richtig sind. Sie schickt ein anderes Mädel, welches mir die Zimmer zeigt. Es geht eine steile Treppe hinauf, enge, verwinkelte Gänge führen durch einen schmuddeligen Videoraum mit Matratzen und Müll auf dem Boden, bis wir schließlich auf dem Gang landen, wo auch das Personal untergebracht ist. Viele kleine Türen, hinter denen etwa fünf oder sechs Quadratmeter große Zweibettkabinen befindlich sind, einige Türen weiter zwei weniger saubere Sanitäreinheiten. Nun, man hat ja schon viel schlechter genächtigt, also sage ich ja und hole Birgit, Ingrid und Ulrike. In einigen Fuhren schleppen wir das Gepäck hinauf und müssen dann feststellen, dass in einem der Löcher das ohnehin schon winzige Fenster nicht zu öffnen ist, was bei Ingrid klaustrophobische Zustände auslöst und sie schließlich dazu veranlasst, noch mal die Rezeption aufzusuchen, um eine andere Kabine zu erbitten. Es geschieht dann folgendes: jene Dame kommt mit hinauf, wirft einen Blick in die Zimmer und ist ganz offensichtlich entsetzt über deren Zustand, ganz so, als wäre der letzte JH-Gast wohl in der vorigen Saison hier untergebracht gewesen und sie so recht gar nicht wusste, was sie uns da zugemutet hat. Resultat: "You will get hotel-rooms, for the same price!". Und flugs wechseln wir das Ambiente. Lässt es mich zuvor noch an S. Kings "Shining" denken oder an eine 70er-Jahre-Kommune, so wandeln wir Minuten später über Plüschteppich, vorbei an Gemälden und Antiquitäten, finden uns in geräumigen Zweibettzimmern wieder, mit Seife, frischen Handtüchern und sogar gefaltetem Klopapier! Nach Picknick auf Mahagonitischchen und hervorragender Dusche suchen wir die am wenigsten stinkenden Kleidungsstücke heraus und tapsen dann in die traumhaft bestückte Bar des Hauses. Zwar ist man gerade im Begriff, zu schließen, doch räumt man uns noch ein halbes Stündchen ein. In weichen Ledersesseln nippen wir an doppeltem Whisky, Gin Tonic oder Wermuth. Kerzen flackern und aus den Lautsprechern säuselt leise Clapton und Deep Purple... Welch unterschiedliche Gesichter doch so eine Reise hat!
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Mittwoch, 23.08.1995
Ich vertrage es wohl nicht mehr, in geschlossenen Zimmern zu schlafen. Ich bin am Morgen ziemlich gerädert, habe Kopfschmerzen, bin einfach schlapp. Draußen scheint die Sonne, wat schön, und wir radeln langsam die drei Kilometer zum Campingplatz hinauf. Ein bisschen ekelig ist das ja schon, aber egal: das erste, mit dem mein Magen heute Morgen Kontakt bekommt ein Hotdog... Wir stellen als einzige Gäste unsere Zelte auf.
Ein schöner Tag deutet sich an, doch just, als alles, wirklich alles auf der Wiese um unsere Zelte herum ausgebreitet liegt und die frisch gewaschene Wäsche zum Trocknen an der Leine hängt, setzt mal wieder Regen ein. Doch nur kurz und so verstreicht der Tag bei Kaffi und Pripps, während ich schreibe und schreibe und mich freue über den behaglichen Ruhetag.
Bevor wir des abends kochen, ist Fahrradreparatur angesagt. Ich wage mich an Ulrikes Achter, stelle bald fest, dass ein neuerlicher Speichenbruch für dieses Übel verantwortlich ist, das Austauschen verläuft ohne Probleme, es gelingt mir sogar, den Schlag fast völlig zu beseitigen. Anschließend bekommt Ingrids Rad noch einen neuen, hinteren Bremszug, der ist heute gerissen. Bis es zu kalt wird: Chips, Pripps, Schokokekse, während im Hintergrund ein Geologenkongress genauso schnell wieder verschwindet, wie er aufgetaucht ist - eine mit zwei Riesenbussen angekarrte Horde, welche in einem großen Zelt zu Abend aß...
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Donnerstag, 24.08.1995
Mein dritter Auslandsgeburtstag nach Neot Mordechai (Israel) ´89 und Akureyri (Island) ´94 nun also Þingvellir ´95. Sonne begrüßt mich, treibt mich bald aus dem Zelt, ich hänge die nasse Wäsche von gestern wieder auf, welche flugs trocknet. Ein kräftiger, angenehmer Wind weht von Osten, die Berge ringsum sind von der Sonne beschienen, stechen klar vom leicht wolkigen Himmel ab und vermitteln mir ein vertrautes, heimeliges Gefühl. Ich weiß, ich bin in Island, fühlt mich der Landschaft, der Natur nahe. Die felsige Bergkette, karg, braun, teils sanft geschwungen, teils mit zackigen Graten. Niedriger Pflanzenwuchs, Gras unter den baren Füßen! Seit einer ausreichend langen Weile nun folge ich dem Rhythmus des Wetters, des Reliefs, wähle den Schlafplatz nach dem Bodenzustand aus. Das Fortkommen mit dem Rad und die Mahlzeiten sind die grundlegenden Inhalte der Tage, dicht an den Elementen, dem Ursprünglichen. Bin ihnen verbunden in friedlicher Harmonie oder im Kampf mit ihnen am Folgetag, sie besänftigten mich oder machen mich zornig, bringen mich an persönliche Grenzen, lassen mich das Extreme erleben in positiver wie in negativer Hinsicht. Ich habe einen Punkt erreicht, mein Kopf ist frei dafür, dass ich dies als gegeben nehmen kann, die Weite der Amplitude dieser Auf- und Nieder-Kurve lieben kann. In weiter Ferne alle realen Zwänge!
Meine erste Gratulantin ist Ulrike, welche mich mit einer kleinen Kerze, einem Stein, einem Ohrring und einer selbstgezeichneten Karte, welche die Brennisteinsalda zeigt, überrascht. Kurz darauf, ich muss die Augen schließen, finden sich in der Apsis Birgit und Ingrid ein, welche einen Kuchen mit Kerzen präsentierten und einen Gabentisch: ich packe einige Schlauchklemmen für meine weitere Reise aus, bekomme zwei 200er-Filme und eine isländische CD mit hiesiger Volksmusik ("Die Trolle kämpfen und die Welt der Menschen bebt") und als Highlight einen Nassrasierer nebst Ersatzklingen und Rasiercreme. Was soll mir das sagen? Auf jeden Fall wird er gleich ausprobiert und ohne größere Traumata zu setzen bin ich bald meinen Gesichtshaarwuchs los, das Resultat kann sich sehen lassen! Anschließend fallen wir noch vor dem regulären Frühstück (für das noch ein zweiter Kuchen gekauft wird) über die Torte her...
Geburtstagsfrühstück im sonnigen Thingvellir - ich werde heute 27 Jahre alt.
Am Abend sehe ich zum ersten Mal ein Polarlicht, was für ein Geschenk!
Überfüllt ist die Campingwiese nicht gerade
Meine Reisebegleiterinnen überraschen mich mit kleinen Geschenken: Schlauchschellen für noch kommende improvisierte Reparaturen am Rad, Rasierzeug (wieso Rasierzeug?!), Filme, eine liebevoll gestaltete Karte, welche Brennisteinsalda zeigt...
Das Wetter bleibt uns wohlgesonnen und bis weit in den Nachmittag hinein genießen wir die Wärme, ja Hitze vor den Zelten. Lesen, schreiben, prippsen.
Eine ganz eigenartige Abschiedsstimmung herrscht heute, soll dies doch unser aller letzter gemeinsamer Tag sein, denn morgen früh, so der Plan, werden sich unsere Wege trennen. Die beiden müssen nach Reykjavík zu ihren Fliegern, Birgit und ich gedenken nordwärts nach Snæfellsness zu gelangen.
Am Abend herrscht schon früh Müdigkeit, bereits um neun liegen wir in den Zelten. Birgit liest, Ingrid döst und Ulrike und ich kommen im Tunnel in eine sehr schöne Unterhaltung, während ich die Geburtstagskerzen abbrenne und einen Tee nach dem anderen koche. Es geht um das Erleben des Reisens, um Ulrikes Heimfahrt, wie man sich auf Reisen und dann deren Ende einstellt und schließlich, was man von einer Fahrt mit heim nimmt an Energie, an Vorsätzen, an Erholung. Ich stelle fest, dass ich eigentlich recht resigniert dieses "Mitheimnehmen" betrachte. Zu oft schon bin ich hoch motiviert und voller Pläne nach Hause gekommen, nur um dann feststellen zu müssen, dass bloß wenige Tage später alles beim Alten ist, sich so leicht nichts ändern lässt. Ulrike meint, sie kenne das, sagt, sie versuche daher, sich mit den Vorsätzen nicht zu überfordern und sich anstelle zahlloser "wirrer Ideen" lieber eine "größere" festzulegen, was ich für schlau und nachahmenswert halte. Mitten in unsere sprudelnde Konversation kommt Ingrid, ist etwas griesgrämig, meinte, sie habe sich den letzten gemeinsamen Abend anders vorgestellt. Wir machen ihr Platz in der Apsis, sie bekommt einen Tee und schließlich gesellt sich auch Birgit zu uns und so sitzen wir im Licht der Kerzenlaterne bei vier Grad unter wolkenlosem Himmel und halten eine "Feedback-Unterhaltung", unsere gemeinsame Zeit beleuchtend. Zwischendurch beglückt uns ein Nordlicht, welches keiner von uns je zuvor sah, was für ein grandioser Geburtstag!
Ein Ausflug in die Allmanagjá darf nicht fehlen, hier zu sehen:
der kleine aber feine Öxaráfoss.
Allmanagjá, Öxaráfoss
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Freitag, 25.08.1995
Während des Fast-Food-Frühstücks entscheiden wir uns spontan, Ingrid und Ulrike noch nach Reykjavík zu begleiten und dann später von dort aus nach Snæfellsness aufzubrechen. Gegen eins kommen wir los, es ist wolkig und ein starker, kalter Wind weht, meist aber von der Seite oder sogar von hinten. Viel Grün umgibt uns und bald rücken die Esja-Berge auf Sichtweite. Schon von fern ist die Hauptstadt zu sehen, besonders markant der Turm der Hallgrimskirche und rasch rollen wir darauf zu. Kaum verlassen wir die friedliche Straße Nº35 und biegen ab auf die Nº1, da sind wir eingehüllt in Lärm und Abgase. Mit einem Schlag, so scheint es, begeben wir uns in eine völlig andere Welt. Wieder komme ich nicht umhin, Vergleiche zu amerikanischen Großstädten zu ziehen. Im Vorort Mosfellsbær pausieren wir lange bei Fast Food, rollen dann ins Zentrum. Ampeln (Was ist das noch?), breite Straßen, riesige Werbetafeln und: Autos, Autos, Autos!
Von Thingvellir ist es nicht mehr weit in die Hauptstadt Reykjavík.
Reykjavík ist erreicht, schwups, hat uns die lärmende Zivilisation wieder!
Dennoch ein reizvolles Unterfangen, zu erleben, wie sich die Attribute des Städtischen mehr und mehr verdichten, während wir von der Peripherie ins Zentrum vordringen. Dies auch noch mit dem Fahrrad zu tun, ist besonders interessant, lässt mich Parallelen suchen zu anderen Großstädten, in die ich schon einrollte: Athen, Köln, Hamburg, Tórshavn (hahaha)...
Ingrid und Ulrike steigen in der Pension "Svala" ab, während wir den Campingplatz ansteuern. Also trennen sich an einem gewaltigen Verkehrskreuz vorläufig unsere Wege.
Reykjavík bedeutet Abschied, Verlassen, Aufbrechen in neue Gefilde. Es ist sehr angenehm, diesmal hier zu sein und zu wissen, dass wir noch zwei Wochen im Land vor uns haben. Und schon jetzt ist der Gedanke an den Abflug schmerzhaft. Einmal mehr nehme ich Freude darüber wahr, jetzt noch nicht fliegen zu müssen.
Zu verabredeter Zeit am Abend begeben wir uns in die Straße Túngata am Fuße der großen Kirche, um die beiden zu treffen. Wir speisen gut in einem Pizzarestaurant, sitzen lange beisammen, gönnen uns noch ein alkoholisches Getränk und können beobachten, wie ab 23 Uhr auf der Straße der Verkehr zunimmt, das Reykjavíker Wochenendereignis: der Autokorso. Ob Pickup, Riesengeländewagen, Amischlitten oder bloß kleiner Serienwagen, die isländische Jugend ist auf den Beinen! Immer wieder kommen die selben Fahrzeuge vorbei, Runde um Runde drehen sie ihre Kreise in der Innenstadt - Sehen und Gesehen werden! Eigenartige Riten...
Nach dem Verabschieden von Ulrike und Ingrid spazieren Birgit und ich noch den Laugarvegur entlang, einspurige Einbahnstraße, und es herrscht ein einziger Stau, während auf dem Gehweg ausschließlich trunkene Gestalten unseren Weg kreuzen. Sehr junge Leute auf den Beinen, viele gutaussehende Frauen, modisch nach dem letzten Schrei gekleidet, einige sprechen oder lallen uns an, alles eine Riesenparty!
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Samstag, 26.08.1995
Es regnet. Wir überbrücken die Zeit bis zum Öffnen des Supermarktes in der Cafeteria des Sundlaug, wo wir Joseph wiedertreffen und einen Plausch halten.
Nach dem Einkauf geht es in die Stadt, wo ich ohne viel Hoffnung auf Korrespondenz die Hauptpost aufsuche und nach Poste-restante-mail frage. Umso überraschter bin ich, als man mir zwei dicke Päckchen aushändigt. Das eine ist eine Musikcassette, die mir eine Freundin aus Kiel zum Geburtstag schenkte, das andere kommt von Muttern. Wir setzen uns ins Café Paris zum Lesen. Ich freute mich, dass Andrea an meinen Geburtstag gedacht hatte, Mutter schickt neben neun (von der großen Hitze in Deutschland reichlich deformierte) Tafeln Milka einen Brief, in welchem sie Neuigkeiten aus der Heimat berichtet. Des weiteren finde einen "asiatischen Briefumschlag". Es ist Post von der Langzeitreisenden Sue, welche im Vorjahr auf Kreta kennenlernte - sie schreibt aus China! Sie erzählt von Pakistan, Indien, China - ich bin von den Socken, freue mich auch über den Weg, den die Karte nimmt, von China nach Deutschland und dann postlagernd nach Reykjavík!
Dann treffen Ingrid und Ulrike nach ihrem ausgedehnten Shopping-Spaziergang ein. Wir plaudern, überschreiten mit viel sehr gutem Kaffee die Tremorgrenze, bevor wir zum Campingplatz aufbrechen und uns bald planschend im Sundlaug wiederfinden.
Am Abend bereiteten wir ein köstliches Fischgericht zu mit frischem Lauch und Kartoffeln. Genug der vielen Hamburger, Fritten und Hotdogs in der letzten Zeit!
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Sonntag, 27.08.1995
Erstes Aufstehen um halb sieben. Ulrikes Bus fährt um Viertel nach sieben zum Airport KEF.
Wir legen uns noch mal schlafen bis zehn, nehmen dann mit Ingrid ein gemeinsames Frühstück ein, bevor auch sie, allerdings radelnd, nach Keflavík aufbricht.
Plötzlich sind wir also wieder alleine, die Schwester und ich. Wir packen bei strahlendem Sonnenschein unsere Sachen zusammen und erreichen ganz knapp am Mittag die Fähre Akraborg nach Akranes. Wir planen, nun in der kommenden Woche im Uhrzeigersinn die Halbinsel Snæfellsness zu umradeln. Beste Sicht lässt einen Blick zu auf den noch fernen Gletscher Snæfellsjökull, der sich später ach so verhüllt geben sollte.
In Reykjavík endet der Urlaub für unsere bayrischen Begleiterinnen.
Birgit und ich fahren mit der Fähre nach Akranes (diese Verbindung gibt es heute nicht mehr, da der Autoverkehr nun durch einen Tunnel unter dem Hvalfjördur hindurch geführt wird), um noch ein wenig die Halbinsel Snaefellsnes zu erkunden.
Nun hämmerte monoton die Maschine, die Skyline Reykjavíks wird kleiner, die "Perle" blinkt im Sonnenlicht, ein wenig schaukelt die kleine Fähre, wir genießen Wind, Sonne und Kaffi.
Kaffi- und Softeis-Pause in Borgarnes auf einer hässlichen Tanke, bevor wir nordwärts rollen, die relativ befahrene Nº1 wieder verlassen und allmählich nach einem Schlafplatz Ausschau halten. Wir sind überrascht, denn Kilometer um Kilometer ist die Straße gesäumt von Zäunen, eine Farm folgt der nächsten, ohne Unterlass! Das hatten wir noch nicht erlebt. Na ja, schließlich bleibt uns nichts anderes übrig, als eben neben diesem Endloszaun zu zelten, ist dann auch okay. Heute fällt erst sehr spät am Abend der erste Regen!
Wildes Lager auf der Halbinsel Snaefellsnes
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Montag, 28.08.1995
Schon die neunte Wildnis, die wir da am Morgen verlassen, haben oft wild gezeltet in diesem Jahr! Gegen neun hört es auf zu regnen, wir bauen trocken ab und rollen weiter auf Nordkurs. Sahen sie gestern noch fast unerreichbar fern aus, so haben wir sie heute schon bald direkt vor der Nase, die Kette der Snæfellsnessberge. In der Nähe des verloren dastehenden Kraters Eldborg (warum hört sich hier alles an, als sei es aus dem "Herrn der Ringe" entlehnt?) setzt beharrlicher Regen ein, der mich allerdings nicht im Geringsten stört. Selbst ein Picknick im Regen nehme ich mit Gelassenheit, ja mit Freude hin! Bei ganz gutem Wind in die Pedale zu treten, durch eine graue Landschaft zu gleiten, ohne besondere Anstrengung, das hat was! Meine Gedanken kreisen mal wieder um die vage geplante Weltreise.
Kaffitanke, Regen, Postkarten schreiben, Shopping. Wir sind dann ganz gut in Form, finden nach 70 Kilometern wieder einen Schlafplatz zwischen Zaun und Landstraße. Übliche Camperromantik bei Taschenlampenlicht und Tee unter halboffener Apsis, während leise der Regen auf die Plane tröpfelt. Blick auf den Wall der Straße, während gelegentlich ein Auto mit freundlich winkenden Insassen vorbeifährt. Gemütlich, so in der Wärme des Schlafsackes im Reiseführer zu lesen... und doch ein ganz klein wenig Hoffen auf Trockenheit...
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Dienstag, 29.08.1995
Doch weiter Regen ohne Unterlass. Nächtliche Pinkelpause wieder nackt, anschließendes Abtrocknen im Zelt, so bleibt das Schlafzeug trocken.
Es fällt ein hauchfeiner, alles durchdringender Nieselregen, die Temperatur liegt seit Tagen standardmäßig bei 10°C. Unsere Motivation zur Weiterfahrt ist leicht gedämpft, so dass es fast ein Uhr ist, als wir starten. Wir folgen der N°54 nach Westen, der Nebel ist so dicht, dass wir nicht einmal die nahen Berge sehen, geschweige denn den Gletscher. Ziemlich durchnässt erreichen wir den Abzweig des "Halbinselweges" und nach kurzer Überlegung sind wir uns einig, dass es bei dem Wetter keinen Spaß macht, zu fahren, wenn man noch nicht einmal etwas sieht. Kurz darauf also überwinden wir bei kühlem Rückenwind den Pass nordwärts über die Berge. Ein schönes Stück Arbeit, steil hinauf auf 360 Höhenmeter. Oben angekommen weicht der Missmut der Faszination für die Stimmung, rasend peitschen die Nebelschwaden über grauen Fels, treiben kleinen Wolken gleich über die steinige Straße. Geht es noch ungemütlicher?
Das etwas trostlose Wetter veranlasst uns, die Umrundung der Halbinsel abzukürzen, indem wir von Süd nach Nord über die Berge in Richtung Ólafsvík fahren.
Ein Anstieg der Kategorie "kurz und schmerzhaft" liegt hinter uns, also sind wir nach nur vier Kilometern oben angelangt, Wind und Gefälle sorgen dann für eine rasante Abfahrt, ich überbiete meinen seit eineinhalb Jahren gehaltenen "Highscore" von Mirthios (62 km/h) um einiges, lese hinterher 68,3 km/h ab, Birgit schafft sogar 72 km/h! Schon etwas wahnsinnig...
Große Freude dann auf der anderen Seite des Gebirges: es herrschen Sonnenschein und Trockenheit, welch ein Kontrast! Am verloren und völlig deplatziert wirkenden Golfplatz vorbei geht es in das Hafenstädtchen Olafsvík, dessen billiger, kleiner Campingplatz eine heiße Dusche bietet. Zudem ist der Wind dazu im Stande, binnen kürzester Zeit unsere Sachen zu trocknen, ergo: es geht uns wieder ziemlich gut!
In Ólafsvík steht auch eine dieser Kirchen, von denen wir annehmen, sie haben da einen Praktikanten das Design machen lassen...
Ein Ort von verwegenem Charakter. Am offenen Meer gelegen, umrahmt von finsteren Felsen, in der Luft zahlreiche graue Möwen. Zudem die tatsächlich überaus dezentrale Lokalisation, hoch im Nordmeer an einem Fjord. Man vermag nur schwer zu erahnen, welche Stimmung hier herrscht, wenn erst Herbst oder Winter Einzug erhalten, wilde Stürme das Meer peitschen, die wenigen Häuser verschneit daliegen und die Seeleute dennoch auf die See hinausfahren...
Wir unternehmen einen kleinen Spaziergang durch den Ort, suchen uns ein Café, schreiben etwas.
Später klingt der Tag aus bei Tee und netter Konversation im Zelt.
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Mittwoch, 30.08.1995
Der Wind, zunächst gefürchtet, erweist sich als harmlos. Zeitig kommen wir los, sitzen schon um elf auf den Rädern. Über die Berge treibt nur selten ein wenig Sprühregen hinüber, welcher erahnen lässt, dass die Südseite weiterhin im Unwetter liegt und uns damit im Nachhinein in unserer gestrigen Entscheidung bestätigt, die Tour abgekürzt zu haben (...auch, wenn es ja auf der Karte nicht ganz so gut aussieht, wo die Route eingezeichnet ist...).
An Steilküsten geht es auf schlammiger Piste ostwärts, viele Vögel begleiten uns, oft sehen wir kleine Wasserfälle und tief unten das Meer. Am frühen Nachmittag pausieren wir in Grundarfjörður, wo wir auch eine Kleinigkeit essen. Ein seltsamer Ort ist das; wir sind verwundert über die vielen wohlhabend anmutenden Häuser.
Es kommt ein Fjord, der mich fasziniert, ja geradezu magisch anzieht. Ich stoppe, schaue, bin von der Schönheit seiner Gestalt und der Unbeschreiblichkeit des Wetterspiels in den Bann gezogen: nordwärts blauer Himmel, eine friedliche Stimmung mit grünen Hügeln. Südwärts, am Ende der Bucht wolkenverhangenes Dunkelgrau, fast schwarz. Geheimnisvoll, ungestüm, finster. Schaurig-schöne Ambivalenz des Natur-, Landschafts- und Wettererlebens in diesem Traumland Island. Wieder spüre ich Frieden, eine sonderbare Verbundenheit, Liebe zu diesem Land, möchte kaum weiterfahren, hätte am liebsten auf der nächsten Wiese das Zelt aufgebaut und nur noch auf den Fjord geblickt.
Doch es ist noch früh am Tag, wir sind guter Dinge und so geht es weiter. Nach fünfzig Kilometern immer noch topfit steht fest, was bislang als Option gehandelt wird: heute noch nach Stykkisholmur!
Nur kurz und auch nur zum Teil geben die Wolken
den charakteristischen Gipfel des Snaefellsjökull frei.
Snaefellsnes - auch hier sehen wir immer wieder verlassene Höfe
Snaefellsnes
Der Kirkjufell auf Snaefellsnes
Snaefellsnes - Landschaft in der Nähe von Stykkishólmur
Die Gestalt der Landschaft ändert sich mit jedem Kilometer. Schwarze, grüne, bunte Berge, schließlich ein kleiner Pass und wir finden uns inmitten eines Lavafeldes wieder! Die Wolken lassen es schon seit einer ganzen Weile befürchten, Regen setzt ein. Wir beschließen, uns mit dem Besuch der Jugendherberge etwas Luxus zu gönnen und tun gut daran.
Es ist nach Løgumkloster eine der nettesten Jugendherbergen, die ich je besuchte. Die Tür finden wir geöffnet vor, ein Zettel vom "Warden" weist den Gast an, es sich gemütlich zu machen, er käme später wieder. Kommt dann auch, allerdings so arg vom Brennivin gebeutelt, dass er wirklich zu rein gar nichts mehr zu gebrauchen ist.
Einziger Gast sonst ist eine junge Deutsche mit dem Namen Silke, welche sich sichtlich erfreut zeigt über unser Eintreffen, um nicht länger alleine zu sein in diesem Haus mit dem Trunkenbold. Der ward dann auch nicht mehr gesehen und wir verbringen einen behaglichen Abend in der öffentlichen Küche, schlagen uns die Bäuche voll, während draußen das Nass regiert.
Birgit geht bald schlafen, während ich mit Silke noch bis halb vier bei Chun Mee, Kwai Flower und Instant Swiss Miss eine angeregte Unterhaltung führt. Die Konversation sehr fruchtbar, wir sprechen über das Reisen, Island im Speziellen und den Frieden, den man hier findet, das Besondere der Naturnähe - Riechen, Schmecken, sich Relief und Wetter nahe fühlen, ziehen Vergleiche zum Erleben des Busreisens, sprechen über Joseph (mit dem natürlich auch sie Kontakt hatte), über Aspekte des Reisens alleine / zu zweit, die kleinen Schönheiten am Rande des Weges wie Blumen, Steine, Wasserläufe... Schließlich wird es sehr spät und wir - trotz Tee - irgendwann müde.
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Donnerstag, 31.08.1995
Regen. Kein besonders erbaulicher Zustand für einen Etappenstart. Zu oft schon jetzt!
Schöne Muscheln, die zu Hauf am Wegesrand liegen muntern ein wenig, aber nicht ganz auf. Ich bin in Gedanken immer noch bei Silke, hatte sie heute Morgen bewusst nicht nach ihrer Adresse gefragt, will es als schönes Kapitel stehen lassen und ein wenig den kleinen Abschiedsschmerz auskosten. Fragte mich zwar später, ob ich es nicht doch hätte tun sollen, doch nun ist es vorbei!
Es kommt ein Fjord mit einer Schlammpiste à là F22, die Ritzel, auch Birgits, spielten verrückt, kalter Wind bläst den Regen in die axillaren Lüftungsklappen meiner Jacke. Ringsum homogenes Grau, welches nicht den leisesten Schimmer auf Hoffnung zulässt. Kurzum, es ist sehr deprimierend. Und zwar so deprimierend, dass, hätte es ihn denn gegeben, ich auf der Stelle den Abzweig nach Reykjavík gewählt hätte. Mühsam arbeiten wir uns voran, schwitzend unter der Regenhaut.
Schmodderpiste
Es wird natürlich wieder freundlicher, die Landschaft heißt Skógarströnd, Skógar heißt Wald, also Minikrüppelbewuchs am Straßenrand. Trockenphasen und freundliche Winde, doch weiterhin Grau allseits. Mit der Zeit schalte ich ab, trete monoton in die Pedale, bin in Gedanken bei meinem neuen WG-Zimmer, plane meinen Schreibtisch, mache mir Gedanken über die Einrichtung. Denke an meinen Balkon, an die Islandphotos an den Wänden. Ein wenig Heimeligkeit im Kopf.
Der Wind dreht. Böser Kampf über zwei, drei Kilometer, bis wir in etwas zerknirschter Verfassung ein kleines Gehöft erreichen. Der Anstrich abgeblättert, im steifen Wind klappert ein zerrissenes Schild. Das Gebäude ist am Abzweig nach Süden gelegen und hat ganz offensichtlich schon bessere Tage erlebt, ist eher lieblos gestaltet. Scheinbar dem baldigen Verfall ausgeliefert ist eine kleine Baracke, in deren Fenster auf Pappe geschrieben der Hinweis hänge "Coffee and homemade cake, knock at the houses´ door!".
So tun wir. Ein Köter kläfft, während der langhaarige Teenager des Hauses gelangweilt für uns die kleine Kaffeemaschine in Betrieb nimmt, wir den trockenen, mindestens drei Tage alten Kuchen probieren und draußen nun wieder der Regen prasselt. Er blättert hinter dem Tresen im isländischen Telefonbuch, schafft es aber nicht, uns damit am ruhigen Kaffeegenuss zu hindern. Ob er wohl ankreuzt, wen er kennt oder mit wem er alles verwandt ist? Ich esse ein zweites Stück Zwiebackkuchen (oder ist er gar zwölf Jahre eingegraben?!?), blicke auf das einzig bunte an diesem schmuddeligen Ort, in welchem noch der Geist der fünfziger Jahre zu wehen scheint, nämlich eine völlig unpassende Kodakwerbung, welche drei Sunnyboys mit Surfbrettern zeigt... Strange movie!
Der Regen hört auf, ein weiteres farbiges Ereignis, nämlich ein Regenbogen über dem Fjord tritt ein und wir rollen noch ein paar Meter weiter, offenen Auges nach einem Zeltplatz Ausschau haltend. Ja, finden wir. Und der ist dann so behaglich, die Wolkenspiele und das Abendlicht so wunderschön, dass selbst nach diesem doch eher tristen Tag wieder Versöhnung mit Island und seinem Wetter geschaffen ist.
Ein weiteres wildes Lager, hier an der Nordküste der Halbinsel Snaefellsnes
Es ist schon ziemlich erstaunlich, welch extreme Gefühle, von Zorn über Traurigkeit bis hin zu Freude und tiefem Frieden man in den nur wenigen Stunden eines Tages erleben kann. Allein das mache die Reise reisenswert und das Leben lebenswert!
Später zwar wieder Regen, aber egal. Northern-Light-Apsisromantik, während das Gespräch mit Birgit in den Jugendjahren in Voerde stochert und dabei allerlei Anekdötchen zu Tage fördert...
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Freitag, 01.09.1995
Unglaublich: schönes Wetter begrüßt uns am morgen! Und noch unglaublicher: der Wind hat auf Nord gedreht, meinte: Rückenwind für den heute anstehenden Pass!
Denn leider ist uns nicht die Zeit gegeben, der langgezogenen Bucht weiter zu folgen in die wilden Westfjorde. Wir müssen südwärts die Bergkette queren mit Kurs Reykjavík.
Was sich bei mir am Vorabend mit Unwohlsein andeutete, manifestiert sich heute zur handfesten Grippe. Mir fröstelt, die Nase läuft, ich bin schlapp und habe Kopfschmerzen. Dennoch machen wir uns auf, den 400-Meter-Berg zu nehmen. Ich gebe mir Mühe, trotz meines Zustandes die schöne Landschaft zu genießen, tue mich aber schwer damit. Zum Glück ist der Wind mit uns und es ist somit weniger anstrengend als gedacht.
Obwohl noch ein wenig Kraft in den Knochen, beschließen wir, auf der Höhe des Berges nach "bloß" fünfzig Kilometern zu zelten und uns die Abfahrt für den Folgemorgen aufzubewahren. Birgit kocht, ich fröstele vor mich hin und verbringe bei 0°C-Temperaturen eine zwar warme aber dennoch unruhige Nacht.
Letztes wildes Lager, bevor wir nach Reykjavík zurückkehren
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Samstag, 02.09.1995
Mein Zustand ist anhaltend ziemlich schlecht. Solange ich auf dem Rad sitze, geht es halbwegs, beim Pausieren spüre ich die Macht des Virus, der mir da in den Knochen sitzt...
Das Wetter ist brillant, nichts als Sonne und Rückenwind. Mich zieht es zwecks Erholung und Ruhe in die Hauptstadt. Birgit hat nichts dagegen, also nehmen wir den direkten Weg der Nº1 folgend bis Borgarnes, dann wieder nach Akranes. Der Tatsache, dass es viel bergab geht und der Wind mit uns ist, ist es zu verdanken, dass wir es schaffen, trotz meiner Grippe eine 90-Km-Rekorddistanz (Schnitt von 22 km/h) hinzulegen. Bei Ankunft in Akranes ist es noch nicht einmal Erschöpfung vom Radeln, die uns zu schaffen mache, ich bin einzig gepeinigt von Schnupfen, Frösteln, tränenden Augen und Hustenreiz. Das Training der letzten Wochen zeigt also Wirkung!
Die Fähre, die wir zunächst gar nicht mehr zu erreichen glaubten, bringt uns mit hämmernder Maschine und leichtem Wanken über den weiten Fjord. Wind, Sonne, glitzerndes Meer. Beim Erleben dessen durchdringen mit zunehmender Kraft Wogen des Abschiedschmerzes den Nebel, in den mich meine Erkältung hüllt. Der zweite Besuch hat meine Liebe zu diesem Land inniger werden lassen. Nun, noch ist das Verabschiedenmüssen nicht akut, einige Tage Schonzeit sind mir noch gegeben.
Vom abendlichen Stadtgang in Reykjavík nehmen wir Abstand, obwohl wir gerne noch einmal das Wochenend-Korso-Sauf-Fest miterlebt hätten. Wir nehmen Vorlieb mit dem Leuchtkonzert der Nordlichter, welche sich in noch viel großartigerer Pracht am Himmel zeigen, als noch an meinem Geburtstag.
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Sonntag, 03.09.1995
Regensonntag in Reykjavík. Seit vielen Wochen wieder im Nebel einiger Biere kreist der Blick durch das "Blues Café". Hinter der Scheibe zeigt sich der Himmel regenverhangen, eine bunte Häuserzeile und ein endloser Autokonvoi, der sich da seit Stunden durch die Gasse drückt. Schrittempo. Scheinwerfer, Gestalten mit Kapuzen. Blues aus den Lautsprechern. Der Barmann, eher spanisch anmutend mit schwarzem Haar und Don Quijote-Bart kann sich kaum erwehren gegen das aufdringliche Gelalle zweier sturztrunkener junger Männer. An den Wänden Portraits von Sam Cooke und Miles Davis. Draußen blinkt eine Benneton-Reklame. Amüsierte Blicke kreuzen einander in diesem kleinen Café. Eine junge Deutsche schreibt Tagebuch, wird dabei von einem älteren, biernippenden Isländer unterbrochen, dessen Deutschlandbild auf das Kehlsteinhaus beschränkt scheint. Hinter mir ein Schlagzeug, Yamaha Drum, elektronisches Stimmgerät. Ein langhaariger Schnauzbärtiger macht sich an den Verstärkern zu schaffen. Eine weitere Runde Zehn-Mark-Bier für die Jungs am Tresen. Gedanken sammelnd blickt die Deutsche in den Raum. Die Geräte werden abgebaut, der Blues aus den Boxen schnulziger. Autoschlange, Regen, Scheinwerfer. Ich suhle mich in der Stimmung. Ein kleiner Happen "Real Life" dieses Landes. Schön, obschon so völlig anders, als alles, was ich spontan mit Island assoziiere.
Schreiben in dieser Atmosphäre, noch ein Bier und noch eins, bevor wir später am Campingplatz zu Abend essen, mit einigen anderen Reisenden plauschend. Zum Beispiel Daniel, Zivi und Traveller, zukünftiger Krankenpfleger und nun just mit seinem MTB eingetroffen, um den September im Hochland zu verbringen... Oder eine sehr junge Frau, deren Namen wir gar nicht erfahren: will in einer Woche in Island "ihre Grenzen spüren" und zwar auf einer Wanderung, "40 bis 60 Kilometer am Tag müssten doch hinhauen"... Wir schmunzeln. Und erst recht, als wir sie nur zwei Tage später schon wieder in Reykjavík sehen...
Der Islandreisende im allgemeinen scheint schon etwas eigenartig zu sein, ein wenig durchgeknallt, individualistisch, wahnsinnig, eigenbrötlerisch, seltsam, naturliebend, in jedem Fall etwas besonderes und in den allermeisten Fällen auf seine Art liebenswert...
Spät am Abend noch Kinospannung mit Popcorn und Nägelkauen: "First Knight" mit Richard Gere und Sean Connery, ein dramatisch-kitschiges Ritterdrama. Später noch einmal Bier in einem kleinen afrikanischen Café am Laugarvegur ("Löjavejö"-nuschel). Und noch später Rjömskyr in der Apsis, währen eine Katze mit dem Namen Gosi uns Gesellschaft leistete und es sich in Birgits Schlafsack recht gemütlich macht...
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Montag, 04.09.1995
Im morgendlichen Sonnenschein unter klarem Nordhimmel genießen wir ausgedehnt das Frühstück, während die Waschmaschine am Campingplatz unsere Siffwäsche in wohlriechende Kleidungsstücke verwandelte.
Ganz allmählich macht sich grippemäßig Besserung breit, zumindest dem Trend nach. Als die Wäsche fertig ist und sich sorgsam gefaltet auf den Isomatten unseres Hauses stapelt, brechen wir auf in die City, Programmpunkt "Shopping". Souvenirs und Mitbringsel. Zwischendurch Kaffee in einem der zahlreichen netten Cafés, abschließend ein Besuch in einer auf spanisch getrimmten Tapas-Bar, was sauteuer ist und uns hinterher etwas ärgert. Fast ein Fuffi für je zwei Tapas und ein Getränk, ein wenig happig. Die Geschäfte schließen, wir düsen auf mittlerweile vertrauten Wegen zum Campingplatz, inzwischen recht k.o. vom Gang durch die Stadt.
Wider Erwarten vermag es die Dusche, uns wieder aufzupeppen, frisch rasiert und neu eingekleidet bin ich hoch motiviert für eine weitere Fahrt in die City, noch ein wenig Nightlife schnuppern.
Bevor wir ein neues Café am Laugarvegur antesten, drehen wir eine paar Runde durch die Stadt, u.a. um den See am Rathaus. Dieses ist ein sehr interessant gestaltetes Gebäude, welches 1992 fertig gestellt wurde. Der Hauptwerkstoff ist Beton, doch setzten die Architekten diesen zusammen mit soviel Glas ein, kombinierten es mit dem Element Wasser und positionierten sehr geschickt zahlreiche Leuchten, welche den Bau überaus interessant, ja lebendig erscheinen lassen. Reflektierendes Licht tanzt über die Fassade, aus kleinen Begrenzungsmauern schimmert der indirekte Schein von Laternen, in einem flachen, Teile des Baus umgebenden See (eigentlich möchte man eine Grasfläche vermuten und ist somit fast geneigt, zu versuchen, hinüberzuschreiten) verschwindet in die Tiefe eine Treppe sozusagen im Wasser, sehr geschickt gemacht! In den Gehweg eingelassen sind Leuchten, die himmelwärts strahlen, ein Ambiente, welches zu durchschreiten Freude bereitet.
Den Rest des Abends verbringen wir noch plaudernd im Blues Café. Insgesamt ist recht wenig los in der Stadt, es scheint tatsächlich so zu sein, dass "der Isländer im allgemeinen" bloß an den Wochenenden auszugehen pflegt.
Die Überschaubarkeit des Ortes, die Vielzahl seiner unterschiedlichen Cafés, die kleinen Läden, dieser niedlich anmutende Versuch, sich doch als internationale Großstadt zu geben und dabei doch so provinziell zu wirken, macht Reykjavík für mich liebenswert, ist in diesen Tagen ganz hoch gestiegen auf der Skala meiner Lieblingsstädte. Wird vielleicht auch damit zu tun haben, dass ich inzwischen meinen dritten Aufenthalt hier verlebe und sich ganz allmählich meine kleine, ganz persönliche Reykjavík-Historie zu formen beginnt...
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Dienstag, 05.09.1995
Es soll der Tag werden, an dem ich mich zu trennen habe von dieser schönen Stadt. Und der Schritt hinaus würde auch den Abschied von Island insgesamt brutal manifest werden lassen.
Da es spät war am Vorabend und ich ein wenig immer noch mit dem Virus zu kämpfen habe, schlafen wir bis halb zwölf. Beim Frühstück, welches sich schließlich bis halb vier hinzieht, beschließen wir, dann doch noch nicht aufzubrechen, wie eingangs geplant. Ursprünglich wollten wir heute bis Keflavík radeln, um am Folgetag die Blaue Lagune zu besuchen. Da ich wegen meines desolaten Gesundheitszustandes von einem Badespaß absehen will und es Birgit alleine nicht so recht dort hinzieht, wir letzten Endes auch beide der Meinung sind, soo wichtig sei dieser heiße Teich dann auch wieder nicht, sagten wir uns: noch ein Tag Reykjavík!
Restliche Einkäufe werden getan, am Abend neuerlicher Kinobesuch nach langem Aufenthalt im Café Paris und enttäuschendem Postbesuch (weil nichts für uns hinterlegt ist). Nachts am Campingplatz ein grandioses, über das gesamte Firmament sich erstreckendes Nordlichtspektakel.
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Mittwoch, 06.09.1995
Meine Grippe zieht sich endgültig zurück, Wohlbefinden bemächtigt sich zusehends meiner!
Dies zumindest auf somatischer Ebene. Gefühlsmäßig herrscht Chaos und dies beginnt bereits am frühen Morgen, als ich mich um fünf Uhr zur Toilette begebe und in einen eisigen Wintertag zu schreiten glaube. Eis in der Apsis und auf dem Zelt, ein januarartiger, wolkenloser Sonnenaufgang setzt ein, ich atme klare, kühle Luft. Da liegt einige hundert Meter entfernt das liebgewonnene Reykjavík, ich weiß, es würde heute der Tag des Abschieds sein.
Bevor mich später für einige Stunden der Schlaf einholt, dringen Erinnerungsbilder in mein Bewusstsein an Januartage, kalt und klar, an denen ich einst im Winter über irgendwelche Felder in Voerde spazierte, zeitlich fern und vom Gefühl her so nah! Mir ist, als tanzten ferne Stimmungen einem Nordlicht gleich durch mein Hirn, seltsame Filme!
Aus einem zeitigen Aufbruch wird nichts, beim Frühstück treffen wir Silke wieder, die gestern von ihrer Snæfellsnessfahrt "heimkehrte", wir freuen uns beide, einander doch noch einmal zu begegnen, diesmal findet dann auch ein Adressentausch statt. Viel netter Plausch, während heiß die Sonne brennt und wir einen Tee nach dem anderen trinken... Birgit und ich haben uns dann 16 Uhr als Zeitlimit gesetzt, um überhaupt loszukommen, fort vom heimeligen Reykjavík. Bevor es endgültig losgeht noch ein, zwei, schließlich drei Zigarettchen und Kaffee.
Von Joseph verabschieden wir uns auch, der gerade im Windschatten einer über sein Rad gespannten Plane einen Tee genießt. Und los.
Eine dünne Wolkendecke zieht auf, ein kühler Wind weht, es ist Schneeluft. In blassem Licht rollen wir lange durch die südwestliche Peripherie der Hauptstadt, bis wir schließlich auf dem "Lavaweg" landeten. Unerwartet viel Verkehr, der mich aber nicht stört, da ich tief in Gedanken versunken in die Pedale trete, wie betäubt. Diese absonderliche Winterstimmung und natürlich an den Abschied von Island machen mich ganz wirr.
Kein Fünkchen in mir dängt nach der Abreise. Hätte ich eine Wahl gehabt, ich wäre geblieben. Im Vorjahr, auf der "Kretaflucht" stand an dieser Stelle noch die Ambivalenz. Ein Teil in mir wollte fort, ein anderer bleiben. Dieses Jahr will ich nur bleiben! Und so ist die Trennung schmerzlich.
In diesem betäubten Zustand sind wir schnell in Keflavík, der Snæfellsjökull die ganze Zeit über gut sichtbar, viel größer ist dann der Ort, als ich ihn erinnere. Birgit geht es etwas anders als mir, sie ist total k.o. und empfand die Strecke als sehr unangenehm, vor allem wegen des reichlichen Verkehrs.
Es gibt noch einmal Reis und Shrimps und Gemüse und Pripps und Skyr... Dann ein wenig Blättern im Gästebuch des Campingplatzes, wo wir als einzig bekannten einen Eintrag von Anne aus dem Vorjahr finden.
previous
top
home
_______________________________________________________________________
Donnerstag, 07.09.1995
Zu langes Frühstück, daher kommt dann etwas Hektik auf, als wir uns in Richtung Airport begeben und dort die Räder Einpacken. Ein eigentlich grandioser Morgen, kühl und sonnig. Heute empfinde ich dann wenig Abschiedsschmerz, durchlaufe vielmehr den Programmpunkt "Abreise".
Schon kurz östlich von Reykjavík sind durch die kleinen Fenster des Fliegers bloß noch Wolken zu sehen, also keine Landmannalaugar- oder Vatnajökull-Photos. Wäre ohnehin schwierig geworden, ich sitze nämlich am Gang. Das Essen ist gut und dann folgt auch schon die Landung in Kopenhagen/CPH, nach kurzem Aufenthalt Weiterflug nach HAM, Ank. 20:20. Alles Gepäck da, Räder okay, schon um neun sitzen wir im Bus nach Ohlsdorf, dann S-Bahn nach Hasselbrook, wo eine Freundin von uns wohnt. Einen guten Teil meines Gepäcks lasse ich gleich am Airport, denn ich werde morgen weiterfliegen ins spanische Bilbao, wo ich mit meinem Freund Andreas verabredet bin. Birgit nimmt alle ihre Sachen mit, da sie ja bald heim nach Münster fahren muss... In dieser Abendstunde noch durch 20°-laue Luft zu spazieren ist komisch, sehr komisch...
Zum Bericht "Spanien - Von Bilbao nach Salamanca" geht es hier.
previous
top
home
_______________________________________________________________________