Das erste Rad-Abenteuer im hohen Norden



Island - Titelbild


Die Anreise

Karte Gesamtübersicht

Zwei Monate sind eingeplant für die Reise in den Nordatlantik. In drei Tagen bewältigen wir radelnd die Strecke von Kiel nach Esbjerg, von wo aus die Reederei Smyril Line mit der alten Norröna eine Fährverbindung nach Island unterhält. Der Fahrplan sieht einen Zwischenaufenthalt auf den Färöer Inseln vor. Für die Rückreise haben wir einen Flug gebucht.
Der geplante Ablauf wird allerdings zwischenzeitig geändert werden: nach einigen Wochen im (für unseren Geschmack zu dieser Zeit teilweise zu) rauen nordischen Klima treffen wir die Entscheidung, Island vorzeitig zu verlassen, um noch eine Weile im warmen Griechenland umherzuradeln. Eine fragwürdige und in der Folge oft bereute Planänderung.




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Donnerstag, 28.07.1994

Karte Tagesetappe


[…] Die Gepäckberge, welche wir bei Temperaturen jenseits der 30°C-Marke das Treppenhaus hinab tragen und dort stapeln, lassen den Verdacht aufkommen, wir verreisen mit einem VW-Bus. Dem ist nicht so, alles findet auf unseren Bikes seinen Platz. Photosession vor der Haustür, während der Schweiß schon trieft, ehe wir auch nur einmal in die Pedale getreten haben.
Anfangs geht es (mit voller Zuladung noch etwas behäbig) auf vertrauten Wegen in Richtung Gettorf. Eben diese Vertrautheit lässt noch gar nicht so recht das Gefühl aufkommen, dass nun eine gut zweimonatige Reise vor uns liegt. Die Hitze macht uns zu schaffen, wir überschlagen später am Abend, dass heute jeder von uns etwa sechs Liter Flüssigkeit zu sich nahm! Kaffee und Kuchen in Eckernförde, sowie diverse kleinere Trink- und Snackpausen unterwegs machen die ganze Angelegenheit dennoch erträglich. Wir sind relativ gut in Form und so kommt es, dass wir das eigentlich angedachte Etappenziel Kappeln liegen lassen und noch etwa 15 Kilometer weiter fahren: Wackerballig lautet der sonderbare Name des Ortes. Eine Riesenwiese direkt am Meer, Premiere für unser geniales, neues Zelt, ein Iglu mit Alugestänge (nachdem mir der letzte mit Glasfiber eine fette Panne bescherte). Kaum haben wir dieses aufgebaut, da braut sich über der Bucht ein gigantisches Gewitter zusammen, wie ich es selten erlebte.
Gelegenheit, dank der guten Perspektive, mit lange geöffnetem Verschluss die zahlreichen Blitze auf Zelluloid zu bannen. Reißendes Donnergetöse und prasselnder Regen behagen meiner kleinen Schwester nicht so sehr, sie findet das unheimlich - mich hindert das nicht daran, rasch in einen tiefen Schlaf zu fallen.
Das Zelt hält absolut dicht und lässt sich auch durch die Windböen nicht beeindrucken.



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Freitag, 29.07.1994

Karte Tagesetappe


Zeitiger Aufbruch in eine recht windige Etappe. Beide sind wir erstaunt von der Schönheit Flensburgs, wo wir denn auch erst einmal eine ausgedehnte Pause einlegen und bei bestem Wetter in der Einkaufsstraße frühstücken. Am Nebentisch wird dänisch gesprochen - ich bin das nicht gewöhnt und muss mich beherrschen, nicht des lustigen Klanges der Sprache wegen prustend loszulachen.
Auf der Weiterfahrt mehren sich mit jedem Meter die Anzeichen für die Nähe des nördlichen Nachbarstaates, schließlich erreichen wir den Grenzort Krusá, werden wohlwollend durchgewunken. Die Gegend ist wie erwartet flach, teils bewaldet und von der frischen Luft her an Sylt erinnernd. Sämtliche Begegnungen mit den Menschen sind von großer Freundlichkeit geprägt. In Tingler legen wir eine längere Pause ein, die auch wirklich nötig ist. Ich bin die länger andauernde Belastung nicht gewöhnt und neige zu gelegentlichen Unterzuckerungen - eine Toblerone sorgte für rasche Abhilfe...
Kleinere Stopps folgen, am Abend erreichen wir das beschauliche Kleinstädtchen Løgumkloster mit seiner wunderbar gemütlichen Jugendherberge. Doppelzimmer, gute Dusche, Gemeinschaftsküche, großer Garten, wo wir die letzten Sonnenstrahlen dieses wundervollen Tages auf den Isomatten genießen. Birgit liest, ich schlafe.
In all den Jahren meiner Jugend damals im niederrheinischen Voerde habe ich es nie hingekriegt, mal nach Holland zu fahren und so frage ich mich heute, warum ich es erst nach vier Jahren in Schleswig-Holstein schaffe, Dänemark zu sehen...



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Samstag, 30.07.1994

Karte Tagesetappe


Bevor wir wieder richtig auf die Piste gehen, drehen wir noch einige Runden durch Løgumkloster, machen Bilder auf dem Friedhof, von der Kirche, den kleinen Gassen und den bunten Häusern im Morgenlicht. Weiter geht es bei bestem Wetter über Ribe, über kleine Straßen bis Esbjerg. In Ribe machen wir länger Halt, essen, trinken und erklimmen den hohen Kirchturm in dem kleinen, mittelalterlichen Ort. In Geschäften wieder unheimlich freundliche Menschen; in einer Bäckerei ist die junge Verkäuferin sogar so nett, uns den Kaffee rauszubringen, als wir in der Einkaufsstraße auf einer Bank pausieren. Dort treffen wir auch einen jungen Typen, welcher an seinem Rad einen Anhänger mit zwei Surfbrettern transportiert... gibt schon Verrückte...
Esbjerg: graue, ungemütlich anmutende Hafenstadt, finstere Wolken, etwas Regen. Wir sind die ersten von später zwölf Radlern, welche an dem PS-starken Fuhrpark exotischer Geländefahrzeuge vorbei rollt, die alle auf die "Norröna" warten. Ein sonderliches Szenario. Die nächsten eintreffenden Radlerinnen sind zwei junge Lehrerinnen aus Passau. Wir verbringen gemeinsame Zeit im Hafencafé und werden auch in den Folgetagen noch öfter deren heitere Gesellschaft genießen.


Dänemark, Esbjerg, Warten auf die Norröna

Am Hafen von Esbjerg warten wir auf das Eintreffen der Fähre.




Dänemark, Esbjerg, Warten auf die Norröna

Wir machen die Bekanntschaft zweier sehr netter Damen aus dem Süden Deutschlands. Es wird sich ergeben, dass wir beachtliche Teile der Islandfahrt gemeinsam bestreiten werden...


Der Dampfer kommt etwas verspätet, die Verladung ist ein einziges, langwieriges Chaos. Schließlich werden die Fahr- und Motorräder allesamt mittels Kran und Container auf das Oberdeck gehievt.
Schweinekalt ist es, als wir ebendort das Auslaufen aus dem Hafen verfolgen.



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Sonntag, 31.07.1994


Ein ganzer Tag auf dem Kutter. Wind und Sonne an Deck, später ein warmes Essen in der recht passablen Kantine, etwas schreiben. Einzige Attraktionen des Tages sind zwei Bohrinseln, welche wir passieren. An Deck drängen sich dann alle Mitreisenden mit mehr oder weniger langen Objektiven, um von diesem Wahnsinnsereignis ein Zeugnis mit heimnehmen zu können.
Später: Six-Pack Bier mit den beiden Passauerinnen, bis es endgültig zu kalt wird.



Anreise mit der Fähre Norröna

Ein Tag auf See... irgendwo auf dem Atlantik.




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Montag, 01.08.1994

Karte Tagesetappe


Wir haben uns zeitig geweckt, um zu packen und dann die Einfahrt nach Tórshavn zu verfolgen. Es ist hochgradig faszinierend. Langgestreckte, sattgrüne Felsen aus dem Meer ragend, überlaufen von zahllosen schmalen Wasserfällen - Zeitreise Millionen von Jahren zurück, ja, die Dinos fehlen.
Die Färöer - das Land im Nordatlantik, dessen Sprache zahlreiche Wörter für "Nebel" kennt, wo scheinbar allgegenwärtige Nässe in unterschiedlicher Dichte regiert, empfängt uns mit einem kräftigen, weichen Regen, welcher die Sicht auf die bunten Häuser von Tórshavn trübt und das Grasdach der Regierungsgebäude nährt.
Schnell ist der Campingplatz gefunden. Es folgt das Vergnügen, bei oben erwähntem Niederschlag auf einem mit Wasser übersättigtem Rasen das Zelt aufzubauen, quasi in eine Riesenpfütze. Ich muss mich an dieses für mein Empfinden fast etwas zu hohe Maß an Feuchtigkeit erst noch gewöhnen. Zudem kommt die kriechende Kälte und ich komme nicht umhin, immer mal wieder sehnsüchtig an mein geliebtes Hellas zu denken. Das Wetter bestimmt oft meine Stimmungslage, verleiht ihr einen manisch-depressiven Zug - von himmelhoch jauchzend bis finster gepestet. So bessert sich flugs die Stimmung mit aufhörendem Regen. Wir besuchen wie verabredet die beiden Lehrerinnen, mit denen wir uns wirklich gut vertragen, in ihrer Herberge. Dies ist die umfunkionierte Turnhalle des Ortes, in welcher man mit Paravants Schlafkabinen abgeteilt hat. Später dann ein Kaffee im Café, Photobummel durch den Hafenort, noch ein Kaffee im Café.
Der Abend gestaltet sich sehr gemütlich in der winzigen Küche des Campingplatzes, wo sich alle Radler treffen, lachen, Tee und Kaffee schlürfen. Draußen: Nebel der dichten Sorte, sozusagen in der Luft stehende Regentropfen... Sichtweite ungefähr bis 10 Meter.



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Dienstag, 02.08.1994

Karte Tagesetappe


Wetterlage unverändert. So nasser Nebel, dass Regenkleidung obligat ist. Kurz vor acht, nach hektischem Frühstück und Zigarette, treffen wir am Hafen von Tórshavn die Damen aus Passau, um eine Fähre zur Nachbarinsel Eysturoy, Ort Toftir zu nehmen. Diesem Anliegen müssen wir wegen nicht fahrenden Dampfers eine Absage erteilen, radeln stattdessen durch die fliegenden Regentropfen bis Kvivik. Dort genießen wir kurzzeitig gute Sicht, später dann ändert sich die Qualität des Nebels, er ist zwar undurchsichtig, doch nicht von so penetranter Nässe. Meint: keine fetten Wassertropfen auf der Kleidung und die Schuhe werden bloß klamm, nicht nass. Picknick in Kvivik an einer Ruine, Wikingerfischerdorf. An einer Bucht unterwegs haben wir bei einer kurzen Rast Gelegenheit, eine Familie von Grindwalen in dem glatten Fjord zu beobachten, welche dort ihre Bahnen zieht. Phantastisch! Herum um uns allgegenwärtiges Rauschen von nicht zählbaren Wasserfällen, der Boden nass, die Kleidung nass.

Alles auf diesem vorgeschichtlichen Archipel: nass.

Anstrengenster Part: ein 600 m-Anstieg bei Fettnebel; gigantischster Part: von dort oben Blick auf die Walbucht; absonderlichster Part: Tunnelfahrt durch absolute Finsternis - die Augen suchen Halt, doch finden ihn nicht, man glaubt sich schwerelos ins Nichts tretend; schnellster Part: Fünf Kilometer Sturzfahrt nach Tórshavn; trockenster Part: der Abend mit weitem Seeblick!
Beinahe vergessen: erste, wenn auch kleine Panne der Reise. Bei der Einfahrt nach Tórshavn fährt Birgit sich einen Plattfuß in den Vorderreifen, welcher später am Campingplatz problemlos geflickt wird. Noch bis elf sitzen wir mit den anderen Radlern draußen, quatschen und blödeln.



Färöer Inseln

Nebelverhangen präsentiert sich uns diese Inselwelt...




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Mittwoch, 03.08.1994


Beinahe bricht mein Weltbild zusammen: der erste Blick des morgens aus dem Zelt zeigt uns: es ist trocken!!! Wir müssen also nicht wie befürchtet unser Zelt etc. feucht einpacken, genial! Wir lassen uns Zeit, während sich der Campingplatz leert, fast alle Camper kommen von der Norröna.
Bis zur Abfahrt der Fähre verbringen wir ein paar kurzweilige Stunden im Hafencafé, wo wir später auch Ingrid und Ulrike, die Damen aus Passau treffen.


Färöer Inseln

Von unserem Campingplatz können wir sehen,
wie die Norröna Torshavn anläuft.


Die Ausfahrt durch die Inselwelt ist grandios. Bizarre, kegelförmige, sattgrüne Riesenfelsen, unzählige Wasserfälle. An Deck fotografierende Reisende, welche spätestens ab diesem Moment bangen müssen, ob die eingepackten Filme denn wohl reichen werden...


Färöer Inseln

Urzeitliches Archipel




Färöer Inseln

In der Inselwelt der Färöer




Färöer Inseln

Welch Dimensionen!




Färöer Inseln, Kellinging und Risin

Ein letzter Blick zurück auf die imposante Steilküste.


Viel geschieht nicht mehr, Birgit und ich verbringen eine Weile schreibend in der Cafeteria, bevor wir am Abend, wie geplant, im Duty Free Shop Bier kaufen und uns auf dem windgeschützten Oberdeck mit Ulrike, Ingrid und einer alleinradelnden 3.-Semester-Medizinerin (Anne) aus Lübeck einfinden. Letzte Gelegenheit für zwei Monate, halbwegs preisgünstig dem Genuss des Gerstensaftes zu frönen. Wir nutzen das voll aus, leeren letztendlich insgesamt drei Six-Packs färingischen Bieres (war das vielleicht eins zuviel?). Ein sehr heiterer Abend auf jeden Fall!
Kurzer Schlaf in der kleinen Kabine sollte folgen, bis wir bald in leicht verkatertem Zustand ISLAND erblicken sollen!



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Donnerstag, 04.08.1994

Karte Tagesetappe


Es ist kalt, nebelig; wir fühlen uns zerknautscht und überaus unfit, woran nicht nur das Bier, sondern auch der kurze Schlaf in der kleinen Kabine Schuld ist. Ein ausgiebiges Frühstück mit Kaffi am Hafen ändert vorerst wenig daran, und so sind wir die letzten Radler, welche den kurzen, aber für uns Anti-Sportler durchaus anstrengenden Weg nach Egilstaðir antreten. Einzig hinter uns ein abgedrehter Schweizer, welcher an seinem 4000-DM-MTB einen Gepäckanhänger zieht... Auch Ulrike und Ingrid kommen erst später los, da sie am Ort, welcher nur aus wenigen Häusern besteht, noch einiges zu erledigen haben. Die bereits einmal islandradelmäßig erfahrene Antje (auch von der Norröna-Radler-Crew) hatte uns alle vor der Vorstellung gewarnt, als erstes Etappenziel über Egilstaðir hinauszudenken, zu steil die Piste. Wie Recht sie haben sollte. Vor uns liegt nun eine in dichten Nebel gehüllte Landschaft. Gemächlich radeln wir los. Eingangs ist die Straße noch asphaltiert, was sich bald ändert. Nach und nach knattern geländetaugliche PS-Monster an uns vorbei, welche die Fähre später verließen.

Island, Seydisfjördur

Die Norröna hat die Ostfjorde Islands erreicht,
wir erblicken den kleinen Ort Seydisfjördur.




Island, Seydisfjördur

Startfoto am Ortsausgang von Seydisfjördur.




Island, zwischen Seydisfjördur und Egilstadir

Während wir an Höhe gewinnen, lichtet sich der Dunst...




Island, zwischen Seydisfjördur und Egilstadir

...und gibt den Blick auf die Landschaft frei.




Island, zwischen Seydisfjördur und Egilstadir

Grünes, weiches Moos.


Plötzlich reißt für wenige Minuten der Himmel auf, gibt den Blick frei auf gewaltige Berge mit Schneegipfeln. Eisige Luft, wie ich sie bei uns nur von ganz klaren Wintertagen kenne, weht uns entgegen (ich fühle mich an meine Bergetappen im griechischen Vorfrühling dieses Jahres erinnert). Schlagartig ist jede Anstrengung der Bergfahrt vergessen. Ein selten gekanntes Glücksgefühl überkommt mich und treibt mir beinahe die Freudentränen in die Augen.

Island, zwischen Seydisfjördur und Egilstadir

Wir erreichen auf gut 600m eine Hochebene, die Luft ist kühl und klar!




Island, zwischen Seydisfjördur und Egilstadir

Wolken liegen jetzt nur noch im Tal.




Island, zwischen Seydisfjördur und Egilstadir

Auf der Hochebene geht es westwärts voran.




Island, zwischen Seydisfjördur und Egilstadir

Blue sky!




Island, zwischen Seydisfjördur und Egilstadir

Noch ein kurzes Wegstück auf der Hochebene,
dann geht es flott hinab nach Egilstadir!


Nicht lange dauert es, bis es sich wieder zugezogen hat und wir nach wenigen hundert Metern keuchend am Straßenrand stehend pausieren. Der Anstieg beginnt und bald sind wir in Dünn-Nebel mit extrem geringer Sichtweite gehüllt. Zahllose Wasserläufe und kleinere Fälle sind zu erahnen - wir hören es überall rauschen, sehen bei der Suppe jedoch nichts. Ich trinke das erste Mal in meinem Leben das Wasser direkt aus einem Fluss -kristallklar, eiskalt, rein- und tauche übermutig meinen Kopf ein, welch eine Erfischung. Noch oft sollten wir unterwegs unsere Trinkwasserreserven aus natürlichen Quellen erneuern!
Nach acht Kilometern, für die wir bald zwei Stunden brauchen, kommt der konditionsmäßige Feierabend. Die Straße ist schon lange nicht mehr asphaltiert und wir schlagen uns in den steinig-moosigen Hang am Straßenrand, wo wir im Windschatten einiger Felsbrocken Kaffee kochen und Kekse futtern. Lausig kalt ist's, um uns dichter Nebel und das Rauschen eines nahen Gewässers. Zum Schutz gegen Wind und Kälte Mützchen auf und Regenjacke über die schweißnasse Kleidung. Erst wenige Stunden im Land, und schon das erste kleine Abenteuer! Eine irre Atmosphäre!
Es dauerte etwa eine halbe Stunde, da tauchen aus dem Nebel frohgelaunt die beiden Bayerinnen auf, freudestrahlend über das sicher unerwartete Angebot, einen heißen Kaffee zu bekommen.

Island, zwischen Seydisfjördur und Egilstadir

Teepause am Wegesrand.


Nun, wir sitzen im kalten Nebel, nehmen es leicht und freuen uns des Lebens. Just im Aufbruch, da taucht eine Silhouette im Nebel auf: ein Rad mit Anhänger - es ist der Schweizer. Fortan fahren wir mit zahllosen Stopps zu fünft, Kurzweil ist angesagt! Höhepunkt der Etappe ist dann das binnen Minuten geschehende völlige Aufreißen des Nebels bzw. der Wolkendecke. Eine gigantische, ja göttliche Landschaft wird sichtbar: eine riesige Weite, schwarze Berge mit Schnee, Wasserläufe, Schneefelder, über welche wir übermütig tobten - geballte Energie!!!
Schließlich ist der Anstieg geschafft und eine Ebene durchquert. Wir rasten eine Weile mit Blick auf ein weites Tal, in welchem an einem Flusslauf der Zielort lag, uns trennt nur noch eine mehrere Kilometer lange Schotterabfahrt von Egilstaðir.
Am späten Nachmittag komen wir an, alle anderen sind bereits vor zwölf eingetroffen und hatten schon wild spekuliert, wir seien weitergefahren oder hätten eine Panne gehabt...

Island, Campingplatz Egilstadir

Auf dem Campingplatz von Egilstadir




Island, Lagarfljöt bei Egilstadir

Abendstimmung am Lagarfljöt bei Egilstadir.




Island, Egilstadir

Abendstimmung am Lagarfljöt bei Egilstadir.




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Freitag, 05.08.1994

Karte Tagesetappe


Der Tag beginnt mit einem Großeinkauf, da uns über 170 Kilometer vom nächsten Ziel trennen, dem Mývatn, dem Mückensee. Auf dem Weg dorthin liegen keine Ortschaften und wir rechnen mit drei bis fünf Tagen Fahrzeit. Dementsprechend sind zum Startzeitpunkt über zwei Packtaschen nur gefüllt mit Instantmahlzeiten, Nudeln, Müsli, Trockenobst, Milchpulver (welches uns die Passauerinnen schenkten, geniale Idee übrigens für zukünftige Reisen!), Knäckebrot, Keksen und über fünf Litern Wasser. Zum Überleben sicher genug für eine ganze Woche.

Island, Egilstadir

Wir bereiten uns auf die kommenden, dünn besiedelten Etappen vor.
Das Proviant wird für einige Tage reichen.


Das Wetter bleibt uns wohlgesonnen und so radeln wir bei strahlender Sonne und meistenteils Rückenwind davon. Eine geniale Etappe mit mehreren kleinen Steh- und Photopausen und einer längeren mit Kaffee und Broten.

Island, Lagarfljöt bei Egilstadir

Lagarfljöt bei Egilstadir.




Island

Schafe suchen sich einen windgeschützten Platz.




Island, Ostisland, die Ringstraße noch unasphaltiert

Teilweise wird die Landschaft bereits karg.




Ostisland, die Ringstraße noch unasphaltiert

Vor lauter Fotografiererei kommen wir nur sehr langsam vorwärts,
alles ist neu, alles ist faszinierend.




Island, Birgit mit ihrer alten Canon AE1

Birgit mit ihrer alten Canon AE1.




Ostisland, die Ringstraße noch unasphaltiert

Ostisland, die Ringstraße noch unasphaltiert


Am späten Nachmittag, nach gut 50 Kilometern erreichten wir ein Haus, Schule, Tankstelle, Gästehaus und Miniladen in einem, wo wir zu Kaffi und Kuchen anhalten. Schnell stellen wir fest, dass es in diesem Land zumeist Usus ist, nur den ersten Kaffee zu bezahlen und alle weiteren for free zu genießen. So bekommen wir von der herzlich netten Dame des Hauses direkt eine Riesenthermoskanne gereicht, in welche über vier große Pötte passen. Kaum haben wir die geleert, steht die nächste vor uns! Der Kuchen ist preiswert und oberlecker.
Wir entscheiden uns, hier zu nächtigen. Die heiße Dusche lockt und ein bevorstehender Anstieg schreckt.



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Samstag, 06.08.1994

Karte Tagesetappe


Wir schlafen wie die Bären, frühstücken gut (mit viel Kaffee) und machen uns an den ersten, relativ kleinen Anstieg. Haben uns eine Stückeltaktik angewöhnt: alle 500 Meter eine kleine, 2-3 minütige Pause, um den Puls wieder in halbwegs normale Bahnen zu bringen… Bis meine Metamorphose zum Triathleten vollzogen sein wird, sollen noch zehn Jahre vergehen. In den Neunzigern bin ich alles andere, als sportlich, hier am Berg macht sich das deutlich bemerkbar…
Zwischendurch wird mal wieder Wasser aus einem Bachlauf nachgefüllt. Birgit spricht mir einen kleinen Vorratshaltungswahn zu, doch ist meist meine größte Sorge auf irgendwelchen Touren, ob genügend Trinkwasser mitgeführt wird. Die Notwendigkeit dessen hat mich der Süden gelehrt.
Bald ist die erste längere Pause fällig und wir schlagen uns 100 Meter abseits der Piste (wie üblich auf die, wo der Wind nicht die Staubfahnen der steinespritzenden Automobile hinweht) auf ein staubig-felsiges Feld. Familie Feuerstein live: schieferartige Steinplatten eignen sich hervorragend für einen Gaskocherwindschutz und auch ein Tisch mit drei Beinen sowie Sitzgelegenheiten sind rasch konstruiert. Wir haben unseren Spaß.

Island, der karge Osten

Nun ist die Vegetation endgültig aus der Landschaft verschwunden.
Wüste umgibt uns!


Seit der letzten Tankstelle, wo wir die Nacht verbrachten, gab es keine menschliche Besiedlung mehr in diesem unwirtlichen Land, die Vegetation wird spärlich, verschwindet streckenweise vollends oder manifestiert sich in leisen Grünschleiern -Flechten und Moose- auf den schwarzen Bergen. Der Wind nimmt massiv an Stärke zu und erlaubt schließlich auch auf der Ebene nur noch Geschwindigkeiten unter 8-10 km/h. Recht ansehnliche Anstiege folgen. Wir passieren zwei Nothütten, mit Pritschen und Funkgerät ausgestattet und mit Stahlseilen gegen die sich in der Ebene entfaltenden Luftbewegungen gesichert. In der einen zeugt ein Gästebuch von den durchstandenen Strapazen "gestrandeter" Radler, auch wenn es sich bei eben jenen sicher nicht um ernste Notfälle handelte...
Später kommt uns schiebend ein älterer Herr mit Fahrrad entgegen, welcher auf die Frage, ob denn alles okay sei, eine ca. fünfminütige Frusttirade ablässt, ohne dabei auch nur einmal Luft zu holen: "Schlechte Straße, Wind, Staub, überall Steine, is ja schön, wenn man überall zelten darf aber man kann ja nicht Wind Steine Staub Ätzend darfdochnichtwahrsein ohgottogott...". Wir amüsieren uns köstlich.
Nach der letzten Schutzhütte eine langgezogene Kurve über eine Bergkuppe und wir landen endgültig auf dem Mond, durchfahren eine schwarze Hochebene, wo sich nur noch alle Hundert Meter eine kleine Pflanze aus dem Staub wagt, zu feindlich die Natur. Heftiger Gegenwind in diesem faszinierenden Nichts, ein weiterer Anstieg (500-Meter-Taktik) und wir überblicken eine unendliche Weite mit schwarzen Kegelbergen, in der Ferne im Westen der gewaltige Herðubreið von Schnee gekrönt.

Island, die kargen Weiten im Osten

Die kargen Weiten im Osten Islands.
Uns kommt zwangsläufig ein alter Song der Hippie-Band Cream in den Sinn:

WE`RE SITTING ON TOP OF THE WORLD!!!


Kurze Zeit haben wir dieses Fleckchen für uns alleine, bevor ein geländegängiger "Island-Safari"-Bus eine Horde junger Deutscher ausspuckt. Un ich sach noch gleich gebn wa ´n Interview... ja, schnell schart sich eine Gruppe um uns, staunend, ungläubig fragend: wie lange? woher? wieso? wie weit? Nicht ganz ohne Stolz gewähren wir ihnen das Interview, bevor wir uns hinab in die Ebene stürzen, Highspeed über Schotter.
Die Sonne senkt sich, allmählich beginnen wir, das eigentliche Eventuell-Ziel Grimstaðir fallen zu lassen und so campieren wir bald an einem kleinen Flusslauf. Zwar an der Hauptstraße, doch wegen deren Verkehrsdichte (besser: ~dünne) in beinahe völliger Ruhe. Nur ein paar Schafe und das Plätschern des Wassers.
Dann gibt es vor dem Schlafengehen noch Instant-Kartoffelpü, Broccolicremesuppe und Äpfel plus einer Portion Islandgeologie aus dem Naturführer...



Island, Wildnis I

"Wildnis I"
Unter dieser Bezeichnung geht dieser Lagerplatz in meine Statistik ein.
Was für ein außerordentlich schöner Ort!




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Sonntag, 07.08.1994

Karte Tagesetappe


Frühstück in der Wildnis, kaum Autos auf der National Road Nº 1, lausige Kälte, welche schlagartig schwindet, als der nahe Gipfel die Sonne freigibt. Ich fühle mich saugut, voller Energie! Kaum Wolken am Himmel -und immer wieder phantastisch: klare Luft!!! Ich hüpfe in einem Anflug kindlicher Freude auf der Wiese auf und ab.
Das erste Etappendrittel vergeht wie im Fluge. Seitenwind, nur kleine Hügel, kaum Autos. Wir erreichen Grimstaðir: drei Häuser, eine Tankstelle und ein Flugplatz (also eine einfache Landepiste). Nothing else. Dort hatten Antje und Matthias, Bekannte von der Norröna, übernachtet, freudiges Wiedersehen bei Instantcappucino und Zigarettchen, beste Laune allerseits. Wir halten uns eine ganze Weile auf, fest in dem Glauben, die 40 Kilometer bis zum Mývatn durch ebenes Terrain als Spaziergang zu nehmen. Doch sollte es die in unserer Wahrnehmung bislang härteste Strecke werden: die Straße knickt nach Westen, von wo uns ein gewaltiger Wind entgegen pustet. Vorbei rasende Autos bombardieren uns mit Steinen, Sand und Staub, was die ganze Angelegenheit zusätzlich einen wenig komfortablen Charakter verleiht. Wir überqueren den reißenden, schlammigen Jökülsa á Fjöllum, einen großen, am Vatnajökull entspringenden und im Norden ins Meer mündenden Fluss. Dann liegt vor uns wieder eine vulkanische Wüste mit nur spärlicher bis gar keiner Vegetation, in der Ferne sehen wir gewaltige Staubwolken über den Sander treiben. Wir vierteln die Strecke, machen alle 10 Kilometer Pause. Ich vermochte mir bisher kaum vorzustellen, wie zäh sich solch eigentlich kurze Streckenabschnitte in die Länge ziehen können. In tiefer Hypnose, den Blick auf den Tachometer gesenkt, wartend, bis wieder zehn Meter, einhundert Meter, ein Kilometer geschafft sind. Eine lange Baustelle gibt uns das Gefühl, mitten in einem Sandsturm zu stecken.

Island

Die vierzig Kilometer von Grimstadir zum Mývatn geraten wegen des kräftigen Gegenwindes zu einem zermürbenden Unterfangen. Gegen den aufgewirbelten Sand und Staub schützen wir uns, so gut es geht...


Eingehüllt in unsere Palästinensertücher und mit Sonnenbrillen geschützt bestehen wir auch diese Prüfung. Bevor die Physis sich geschlagen gibt, macht allerdings unsere psychische Konstitution starke Abknicker. Ich erlebe (mich nach Griechenland sehnend) im zweiten, Birgit im dritten Viertel das subjektive Formtief.
Die Nähe unseres Zielgebietes signalisiert ein scharfer, nach fauligen Eiern riechender Gestank und schon bald erblicken wir das giftige Solfatarenfeld von Namasfjall. Wir sind allerdings zu k.o, als dass wir hier und jetzt diesem Flecken noch freudige Beachtung schenken könnten, also fahren wir weiter. Es wir dann noch mal kurz richtig anstrengend, denn ein satter Anstieg trennt uns noch von dem kleinen Ort Reykjahlið. In Island ist man scheinbar kein Freund von sanften Serpentinen, vielmehr scheinen die Straßen einem Luftlinienprinzip folgend über die Berge gezogen, dementsprechend ruppig sind schon mal die Anstiege.
Eigentlich hätte das folgende Gefälle hinab zum Mückensee Belohnung versprochen, doch gebietet uns der konsequent von frontal blasende Sturm kräftig in die Pedale zu treten.
Ziemlich erschöpft erreichen wir den netten Campingplatz von Reykjahlið, nehmen noch eine Dusche mit schwefeligem, aber heißem Wasser und essen ein paar Scheiben Knäckebrot. Zum Kochen sind wir nicht mehr motiviert. Wie tot fallen wir in den Schlaf. Erklärte Absicht: morgen keinen einzigen Kilometer im Fahrradsattel!!!



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Montag, 08.08.1994

Karte Tagesetappe


Der Wind legt sich am Morgen, Islands Wetter zeigt sich uns von seiner besten Seite und der Mückensee macht seinem Namen alle Ehre, als wir noch etwas zerknautscht und mit verspannten Schultern aus dem Zelt kriechen. Wie im Naturführer beschrieben, stechen die in zu Tausenden auftretenden Insekten jedoch nicht, finden dafür aber augenscheinlich große Freude daran, vorzugsweise unsere Müslitöpfe und Kaffeetassen als Landeplätze zu betrachten.
Wir verleben einen entspannten Vormittag, checken die Räder, stellen Schrauben nach, ölen die Ketten und ich vollbringe das Wunder, meine hintere Schaltung neu zu justieren, welche mir in den vergangenen Tagen die Benutzung der leichtesten Übersetzung versagte. Ein langwieriges, verzweifeltes, schweißtreibendes, aber schließlich doch von Erfolg gekröntes Unterfangen.
Bei brüllender Hitze, man glaubt es kaum, daddeln wir bis in den Nachmittag, schreiben später in dem einzigen Café bzw. Truck- und Bus-Stop bei Kaffee (free refill) Postkarten und Tagebuch, bis es uns im genialen Spätnachmittagslicht doch noch in die Sättel treibt und wir eine Kurztour in die Vogelgebiete am gegenüberliegenden Seeufer unternehmen. Zu Gesicht bekommen wir auch die Lavafelder einer großen Eruption aus dem 18. Jahrhundert, welche sich in den kleinen Ort Reykjalið hinein erstrecken. Der Abend, wohl typisch für dieses Land, ist saukalt, und wir wärmen uns bei weiterem Kaffee auf, sehen die Sonne am blass-blauen Nordlandhimmel über dem See versinken.



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Dienstag 09.08.1994

Karte Tagesetappe


Am Morgen weht ein eisiger Wind, wir freuen und, dass uns bislang unsere Schlafsäcke nicht enttäuschten. Wie verabredet zeitiges Treffen mit Ulrike und Ingrid, geplant ist eine Tagestour zu den Lavafeldern der Krafla (Eruption 1984). Wieder phänomenale Natureindrücke, bizarre Formationen in schwarz, violett und bordeaux. Dampf steigt zwischen den schroffen Gesteinen auf, so nah die Magmakammern unter der Oberfläche. Blubbernde, schwefelig riechende Solfatarenfelder...

Island, Krafla

Weißer Dampf: hier wird aus der Wärme des Gesteins Energie gewonnen.




Island, Krafla

Im Krafla-Gebiet.




Island, Krafla

Unweit des Krafla-Gebiets ist die Landschaft durchzogen von Rohrleitungen,
welche Teil des nahen Geothermalkraftwerks sind.




Island, Krafla, Krater Víti

Höllenschlund: der Krater Víti




Island, Krafla

Im Krafla-Gebiet.




Island, Krafla

Blumen suchen sich ihren Weg im Lava-Gestein.




Island, Krafla, Schlammtöpfe

Brodelnde Schlammtöpfe im Krafla-Gebiet.




Island, Krafla

Giftig sieht's aus!




Island, Krafla

Farben und Formen vermitteln einen lebensfeindlichen Eindruck...




Island, Krafla

Spaziergang im jungen Lavafeld; zum Zeitpunkt des Entstehens dieser Aufnahme ist die letzte große Spalteneruption der Krafla gerade einmal zehn Jahre her.




Island, Krafla

Picknick im Lavagebiet.




Island, Namskard

...und haben sich sehr gebrannt...
Dieses wunderbare Schild warnte dereinst am Namaskard-
Solfatarenfeld vor den Gefahren der heißen Erde.




Island, Namskard

Namskard. Hinter den kleinen Bergen liegt Reykjahlid.


Neben der Krafla schauen wir uns noch in Ruhe die Namasfjall-Solfataren an, welche wir bereits am Anreisetag passierten.
Krönenden Abschluss dieses genialen Tages stellt ein eigentlich normales, wegen der Preise jedoch überaus dekadentes Essen in besagtem Café dar. Wir gönnen uns dazu das erste Bier seit den Six-Packs auf der Fähre, welches mit knapp 10,-DM pro 0,5l-Dose für ein Lokal sogar noch relativ günstig war. Sehr oft werden wir uns diesen Luxus nicht leisten (können). Inzwischen haben sich auch Antje und Matthias im Dorfe eingefunden, wie nett, und wir verbringen einen kurzweiligen Abend. Sobald die Sonne hinterm Horizont versunken ist, fallen die Temperaturen empfindlich ab.



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Mittwoch, 10.08.1994


Bis Mittags sitzen wir im Café, dann sind wir zu einer Radtour mit unseren bayrischen Freundinnen verabredet, es geht zum nahen Vulkankrater Hverfell, 2500 Jahre alt, einen Kilometer im Durchmesser, ganz schön hoch und oben superwindig. Der Blick über die schroffe, beinahe tote Landschaft im Osten mit schwarzen Hügeln, kleineren Kratern und weiten Schotterfeldern; sowie die Sicht gen Westen auf den Mývatn mit seinen grünen Ufern und Pseudokratern lohnt.

Island, Hverfjall

Auf dem Weg zum Hverfjall, einem vulkanischen Krater am Mývatn.




Island, Hverfjall

Blick über den Vulkankrater Hverfell, 2500 Jahre alt, ein Kilometer im Durchmesser. Im Hintergrund der "Mückensee" und der kleine Berg Vindbelgur.


Weiter geht es, nach ausgiebiger Brotzeit am Fuße des Kraters, zu den "Schwarzen Burgen" Dimmuborgir, einem größeren Areal von vulkanisch geprägter Eigenart. Lava, über feuchtes Terrain gelaufen, hat sonderbare Falten und Hügel aufgeworfen, welche den Silhouetten im Gegen- oder Dämmerlicht nach leicht für unheimliche Festungen gehalten werden können. Die Vegetation hat sich ihren Weg schon in das Labyrinth gesucht und so ist die Gegend einmal mehr wie für den "Hobbit" geschaffen.
Besonders fasziniert mich, trotz völlig unterschiedlicher Entstehung, die Ähnlichkeit von den Tuffbergen von Kapadokien, wenngleich diese einen weitaus friedlicheren, jedoch nicht minder mystisch-märchenhaften Charakter haben.
Am Abend schauten wir uns das edle Domizil unserer beiden Begleiterinnen an, eine Rucksackunterkunft mit holzgetäfelten Wänden, Gemeinschaftsraum, Kochecke, Mikrowelle, Kaffeemaschine, Toaster... Allerdings auch etwas kostspieliger als das Campen, und doch beneiden uns die beiden schon jetzt um unsere Flexibilität, welche die Zeltmitnahme uns verleiht.
Tee mit Rum, Tratsch und Talk über die anderen Radler der Norröna... und uns selber. Wir freuen uns, dass wir die Bekanntschaft der beiden gemacht haben!



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Donnerstag, 11.08.1994

Karte Tagesetappe


Gestern hatten wir uns schon dafür entschieden, wegen des genialen Wetters die Gelegenheit zu nutzen, einen 1½-Std. Rundflug zu unternehmen, hätte etwa 240,- DM gekostet. Da gestern Abend der Pilot aber zu müde war, setzte man uns für heute morgen als erstes auf die Liste. Leider hatte aber über Nacht der Wind gedreht, wehte jetzt von Norden und trieb mit grönländischer Kaltluft (Grönland ist nur 300 Kilometer entfernt) auch atlantische Wolken über das Land, so dass wir das Projekt verwarfen. Also, da das Café noch nicht geöffnet hat, genießen wir Kaffee, Tee und Zimtkuchen zu viert in unserem Iglu. Etwas eng, aber gemütlich.
Während dann einzelne Schauer niedergehen, halten wir uns -ja, wo wohl?- im Café auf. Längere Trockenphasen lassen uns glauben, es bliebe den Rest des Tages dabei, und so starten Birgit und ich mit den Rädern unsere Mývatn-Umrundung, welche wir uns fest vorgenommen haben. Anfangs bleibt es trocken, und frohen Mutes bringen wir es bis an den am Südufer gelegenen "Ort" (...drei Häuser) Skutustaðir, bei den sanften grünen Pseudokratern. Dort Kaffeepause im Trockenen, während es draußen zu regnen beginnt. Der vermeintliche Schauer entpuppte sich allerdings während der Weiterfahrt als satter Dauerregen und als wir dann auch noch den kalten Wind von frontal zu spüren bekomen, wird es etwas ungemütlich. Nach knapp 40 Kilometern sind wir wieder in Reykjahlið, durchnässt und durchgefroren gönnen wir uns zunächst einmal einen einen Hamburger, während weiter das Nass gegen die Scheibe schlägt.
Gerade noch rechtzeitig kommen wir dann zur "Volcano Show", einer 2½-stündigen Vorführung dreier Filme über das lokale Vulkangeschehen, welche allerorts mit Plakaten angepriesen wird. Genau das Richtige für den verregneten Abend - denken wir. Über 20,- DM pro Person sind an sich schon happig, doch das qualitativ miserable Material, welches uns vorgesetzt wird, spottet jeder Beschreibung. Waren die ersten beiden Filme im Schulmeisterstil der 60er Jahre über die Eruption auf Heimaey sowie die Entstehung von Surtsey wenigstens noch inhaltlich strukturiert und trotz der fürchterlichen Bild- und Tonqualität eindrucksvoll und ein wenig lehrreich, so schlug der dritte Beitrag eines amerikanischen Vulkanfilmers dem Fass den Boden aus. 60 Minuten völlig wirres Zeug; thematische, chronologische Sprünge, eine ordentliche Portion Eigenlob, welche im Publikum einige Lacher auslösten, derentwegen der Macher des Films vor Scham im Boden versinken sollte.

Wir verlassen den Vorführraum kopfschüttelnd und wunderen uns nachhaltig, wie jemand solchen Schrott produzieren kann, und vor allem damit auch noch seinen Lebensunterhalt bestreiten kann...
Nach der Filmvorführung geht es wieder ins Café, welches wegen des Wetters brechend voll ist. Wir treffen alle bekannten Radler, die Stimmungslage ist allgemein eingedenk des trüben Wetters etwas gedrückt.



Island, Supermarkt in Reykjahlid

Liebevoll bemalte Hauswand am kleinen Supermarkt in Reykjahlid - Werbung für Milchprodukte mit lokalen Motiven.




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Freitag, 12.08.1994

Karte Tagesetappe


Nun, die Nacht ist im Zelt weder kalt noch nass, doch beschert ein erster Blick aus dem Zelt um halb sechs (so zeitig, da wir mir Ulrike und Ingrid verabredet sind, um die heutige Etappe gemeinsam zu radeln) Regen und anhaltend heftigen Nordwind. Also beschließen wir, später loszufahren.
Großartige Überraschung dann beim zweiten Blick um sieben: strahlend blauer Himmel, kaum Wolken, eisiger Wind, etwas Schnee am Seeufer, mehr Schnee auf den nahen Gipfeln, ein Thermometer, welches 1°C anzeigt!!!

Island, Mývatn

Aufbruch an einem frostigen Sommermorgen...
Es ist Mitte August und in der Nacht hat es gefroren!


Bester Laune brechen wir bald auf, während allmählich überall warm verpackte Gestalten aus den Zelten kriechen. Noch etwas Proviant gekauft und ab auf die Piste. Auch der Wind erweist sich als weit wenig dramatisch, da er nicht direkt von Nord bläst und so folgt eine der vielseitigsten und genialsten Etappen überhaupt. Zunächst radeln wieder eine ganze Weile durch Fast-Wüste. Ich muss "Fast" sagen, da ich zu dem Zeitpunkt, da ich dies schreibe, bereits gesehen habe, was tatsächlich Wüste ist, nämlich eine Landschaft ohne jegliche erkennbare Lebensform. In den bislang durchfahrenen, noch relativ kleinen Vulkanaschesandern sprießt doch hin und wieder ein kleines Moos oder Blümchen zwischen dem Gestein hervor in eine feindliche Welt, erst sichtbar auf den zweiten Blick. So vermitteln auch diese "Fast-Wüsten" dem mitteleuropäischen Auge den Eindruck eines endlosen NICHTS, etwa so, als türme man Schotterhalden niederrheinischer Kohlegruben auf, soweit das Auge reicht, dazwischen ein schmales, kaum weniger schottriges Band, auf welchem wir also unseren Weg gen Norden suchen. Ein ständiges Bergauf-bergab. Erste große Pause im Windschatten einer signalorangefarbenen Nothütte, der übliche Kaffi mit Brot und Keksen. Heulender Wind. Ein einsamer Geländewagen mit freundlich winkendem Fahrer rollt vorbei, im Windschatten brennende Bergsonne, Schnee - frisch, strahlend weiß auf fernen Gipfeln...

Island, Nothütte

Wir verlassen das Myvatn-Gebiet und radeln nordwärts in Richtung Husavík. Unterwegs pausieren wir an einer Nothütte, derer es an längeren, wenig frequentierteren Streckenabschnitten einige gibt.


Abrupt ändert sich die Landschaft, hinab geht es in ein weites grünes Tal, soviel Idyll, dass jeglicher Versuch, es zu beschreiben, in triefenden Kitsch ausarten würde. Wir warten bloß noch auf den röhrenden Hirsch.

Dieser kommt allerdings nicht.

Aber wir treffen auf unsere beiden Bayerinnen, welche an einem kleinen Bachlauf picknicken und auf uns warten, welch Freude! Lange, ausgiebige, ausgelassene Pause. Zwischen den Blödeleien schauen ein paar Schafe vorbei, können gar nicht so recht lachen und ziehen ihres Weges. Als uns die heiße Sonne dann doch zu träge zu machen droht, brechen wir auf, nehmen einen 10 km-Umweg in Kauf, um uns das Feilichtmuseum Grenjaðarstaður anzuschauen, ein einsamer Hof mit Grasdach aus dem vergangenem Jahrhundert mit kleiner Kirche.
Die letzten dreißig Kilometer ziehen sich etwas in die Länge, zwar asphaltiert, doch beständig hügelig. Birgit nimmt das sehr mit, sie ist völlig k.o., als wir am frühen Abend den Zielort Husavik erreichen. Ich bin erstaunlicherweise gar nicht so kaputt, fühle allmählich ungeahnte Kräfte wachsen… Ein gewisser Trainingseffekt scheint sich einzustellen.

Island, Hafen von Husavík

Am Hafen von Husavík.




Island, im Nordosten Islands

Im Nordosten Islands


Was eigentlich bloß als kurzer Absackerkaffee geplant ist, bevor wir unsere unterschiedlichen Schlafplätze aufsuchen, endet in einem dreistündigen Restaurantaufenthalt mit Chicken, Fritten, Salat und Coke... Ziemlich teuer für unsere Verhältnisse, aber oberlecker. Auf dem Weg zum Campingplatz setzt Regen ein, in rasanter Routine - jeder Handgriff sitzt, ein Spitzenteam - steht das Zelt, wir liegen drin.



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Samstag, 13.08.1994

Karte Tagesetappe


Um halb zehn treffen wir die beiden wieder, der Tag unserer letzten gemeinsamen Etappe ist gekommen. Vorher allerdings noch Großeinkauf, da Birgit und ich uns vor einer guten Woche Wildnis wähnen. Der Kassenbon spricht Bände… wir planen den Hochlandtrip in Richtung Askja.
Heute fahren wir entlang der Küste um die Halbinsel Tjörnes bis in die Mündungsebene der Jökülsa á Fjöllum. Wieder geniales Wetter, die Strecke erinnert auf langen Stücken an Portugal.

Island,

Wir verlassen Husavík. Der folgende Küstenabschnitt erinnert mich stark an die Atlantikküste Portugals.




Island,

An der Küste der Halbinsel Tjörnes.




Island, Tjörnes

An der Küste der Halbinsel Tjörnes.


Wiesen, Steilküsten, weiß getünchte Höfe mit kaminroten Dächern. Wieder fühle ich mich kräftig, energiegeladen. Ich realisiere: Ich reise, ich lebe!!!
Verschwende kaum einen Gedanken an daheim, genieße tatsächlich das Jetzt. Spüre auch, wie ich insgesamt ruhiger, friedlicher, ausgeglichener werde. Wieviel wir jetzt schon gesehen haben, wieviele Wochen noch vor uns liegen! Kein Stress. 24 Stunden am Tag frische Luft, viel Bewegung, die fast völlige Alkoholabstinenz, frei von beinahe allen Zwängen, gesunder Hunger, ja oft Bärenhunger schon am Morgen, während ich mir zu Hause oft schon ein halbes Toast runterwürgen muss, um überhaupt ein Frühstück gehabt zu haben. Es scheint mir ein wenig so, als sei ich mal wieder aus einem ewig langen Winterschlaf erwacht und an das Licht des Lebens gekommen! Schön so!
Gegen Ende der Etappe werden Ingrid und ich - wir fahren etwas vor - noch ein langes Stück von einem Riesenköter gejagt, welcher uns kläffend auf den Fersen bleibt, so schnell wir auch fahren; erste Begegnung mit den ungeliebten Vierbeinern, kräftiger Adrenalinstoß. Unerwartet kurze Zeit nach einer ausgiebigen Pause erreichen wir den Bauernhof Hóll, wo die beiden eine Unterkunft reserviert hatten. Wir unsrerseits fragen nach der Möglichkeit, auf der Wiese zu zelten und nach Rücksprache mit dem Hausältesten gibt die uns empfangende Dame grünes Licht, für eine unerwartet niedrige Summe von etwa 10,- DM.
Beim Abpacken stelle ich etwas zerknirscht fest, dass eine Schweißverbindung meines hinteren Gepäckträgers den heftigen Vibrationen der Waschbrettabfahrten leider nicht standgehalten hatte. Auf genau diesem Streckenabschnitt waren bereits Henrik und auch Antje ihre Low-Rider-Bügel gekracht. Nun, ich nehme es völlig gelassen, morgen würde mir schon eine Lösung einfallen - und fühle mich ein wenig an Route 65 Northern Ohio erinnert. Den Abschluss des Tages im warmen Abendlicht stellt ein ausgiebiges Abendessen (instant) vorm Zelt dar, Ulrike und Ingrid sind zu Gast und wir gedenken der Tatsache, dass wir uns nun auf den Tag genau schon zwei Wochen kennen...



Island, Hof Holl

Unsere Begleiterinnen haben eine Bauernhofübernachtung gebucht.
Wir bitten um Erlaubnis, am Hof zelten zu dürfen, was uns gestattet wird.
Es ist der Zeitpunkt des Abschieds von den beiden Damen. Sie müssen allmählich die Heimreise antreten, während uns noch viele Wochen bleiben.




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Sonntag, 14.08.1994

Karte Tagesetappe


Ausschlafen! Und wieder Sonne, als wir uns aus dem Zelt schälen. Dank fast völliger Windstille wird es sehr warm. Das ausgedehnte Frühstück erhält eine ganz besondere Note, als die große Pferdeherde zum Grasen auf unsere Zeltwiese getrieben wird. Wie nett, plötzlich den Riesenkopf eines dieser freundlichen Tiere über der Schulter zu haben.
Jetzt muss ich mich ja noch mal um mein Rad kümmern. Ein jüngeres Mädel, der deutschen Sprache mächtig, verbringt ihre Ferien auf Hóll. Ich frage sie nach der Möglichkeit, meinen defekten Gepäckträger schweißen zu lassen und - was ich irgendwie schon hoffe - es gibt tatsächlich ein entsprechendes Gerät hier! Schon wähne ich mich in dem Glauben, dieses Problem hätte sich beinahe von selbst gelöst, da werde ich Zeuge, wie beim Schweißversuch das Material zerbirst, und das Endstück, welches mit dem Rahmen verschraubt wird, brennend zu Boden fällt. Tja, Aluminium ist eben ein besonderes Zeug, und ich sehe mich schon im Bus nach Akureyri sitzen, auf dem Weg, einen neuen Gepäckträger zu kaufen. Doch es kommt anders: der Bruder des jungen Mannes vom Hofe Hóll hat Zugriff auf ein Aluschweißgerät, allerdings in einem etwas entfernteren Ort. Es wird telefoniert, und schließlich das Angebot unterbreitet, für umgerechnet etwa 50,-DM dort hinzufahren und die Reparatur durchzuführen, sollte etwa zwei Stunden dauern. Wir haben ohnehin alle Zeit der Welt, also sagte ich (natürlich) ja.
Es folgt die Stunde des Abschiedes von unseren beiden, liebgewonnenen Passauerinnen, herzliche Umarmungen (Adressen hatten wir schon auf der "Norröna" getauscht) und schon radeln sie lange winkend davon in Richtung Asbyrgi. Wir aalen uns unterdessen in der Sonne, verspielte Hunde tapsten umher, die Mädchen vom Hof reiten im Tölt vorbei, andere Pferde grasen neben den Isomatten - wir schlittern von einem Idyll ins nächste.
Bald kommt der Allrad-Pick-Up des Hofmannesbruders auf die lange Auffahrt gerollt, und mir wird das kleine Meisterwerk überreicht. Sieht hervorragend aus und soll mich mindestens über die rumpelige F88 bis zur Askja ohne weitere Fraktur begleiten. Fix ist dann gepackt, Dankeschön und Adieu bei den Bauern und dem deutsch sprechenden Mädchen - dann hat uns die Piste wieder. In kurzer Zeit, bei bestem Rückenwind erreichten wir das 10 Kilometer entfernte Asbyrgi, Tankstelle, Trucker- und Touri-Stop, Frittenbude, alles in einem. Was fast schon zu erwarten war, wir treffen Ulkike und Ingrid. Ein Stündchen verweilen wir, essen Pommes, trinken Kaffee, kaufen in dem unerwartet gut bestückten Laden noch ein paar Kleinigkeiten, ich erstehe für kommende kalte Tage eine schöne (wenigstens schön warme) Mütze aus Wolle. Dann fährt deren Bus zurück nach Husavík, während wir um halb vier aufbrechen in Richtung Dettifoss. Dabei überqueren mal wieder die Jökülsa á Fjöllum, den schlammigen Fluss, dessen Lauf wir nun über hundert Kilometer fast bis zu seinem Quellgebiet folgen werden. In weiter, weiter Ferne geben Wolken den Blick auf den Berg Herðubreið frei, jene Königin aller Berge. Einige Tage sollen wir ihn nicht aus den Augen verlieren und schließlich an seinem Fuße unser Quartier aufschlagen....
Da das Hochland also unser Ziel ist, lassen wir die Schlucht von Asbyrgi liegen, biegen von der Asphaltstraße auf die schon recht unwegsame Piste in Richtung Süden ab. Ein Wegstück, beinahe nur von Touristenfahrzeugen frequentiert, doch das hält sich wegen der recht weit fortgeschrittenen Tageszeit auch in Grenzen. Das Grollen der Fälle ist schon von weitem zu hören, der erste der drei großen, der Hafragilsfoss ist unser Pausenziel. Kekse und Zigaretten vor einem gewaltigen Panorama...

Island, Hafragilsfoss

Wir setzen die Reise in südliche Richtung fort und erreichen auf dem Weg zum "Dettifoss" bald den grandiosen Wasserfall "Hafragilsfoss".




Island, Hafragilsfoss

Hafragilsfoss.


Nur noch wenige Kilometer, und wir erreichen den mächtigsten Wasserfall Europas, den Dettifoss. Ein riesiges Flussbett mit basaltenen Wänden, von so surrealer Wirkung, dass ein vorbeirauschender Raumgleiter auch nicht weiter verwundert hätte. Faszinierende Wolkenspiele am Himmel in einer Gegend, und da muss ich Birgit zitieren, in welcher man es nicht wagt, an der Existenz von Trollen, Elfen oder mächtigen Naturgöttern zu zweifeln. Wenige Touristen, welche noch am Ort sind, fahren bald davon, und so sind wir zwei die einzigen - so winzig kleinen - Menschen an diesem Fleck, haben den Dettifoss und das Universum für uns alleine.

Island, beim Dettifoss

Der Dettifoss-Canyon im Abendlicht.




Island, beim Dettifoss

Lagerplatz beim Dettifoss.




Island, am Dettifoss

Die Nacht bricht herein am Dettifoss.


Die Monumentalität flößt Ehrfurcht ein, bis zum letzten Staubkorn zeugt aber auch alles um uns herum von so brachialer Urgewalt und der Ursprünglichkeit unseres Planeten. Der Staub des milchigen Flusses hat seinen Ursprung in Schmirgelprozessen unter dem Eis des Gletschers Vatnajökull; das Bett der Jökülsa ist, so vermuten wir, ein Produkt einer gewaltigen tektonischen Verschiebung; die Basaltsäulen entstehen beim Aufbrechen ebensolcher Fissurlinien. Einmal mehr weht mir ein Hauch von universaler Ewigkeit entgegen, zaghaft erobert Moos die schroffen Felsen am Wasserfall, Zellteilungen, Sauerstoff produzierendes Leben entsteht, Chlorophyll gibt den leblosen Farbtönen der vulkanischen Landschaft einen urzeitlichen Teint - das Leben kommt aus dem Wasser. "Göttlich" ist ein abgenutztes Adjektiv, und doch, ohne ein religiöser Mensch zu sein, sage ich: dies ist ein göttlicher Ort.
Ebendort speisten wir fein, verfolgen noch, wie das Licht der untergehenden Sonne in der Schlucht spielt und schließlich in fahlen, blassen Tönen die Nacht ankündigt. Im Zelt, mit der Erde verwurzelt, schliefen wir gut, begleitet vom (fast) ewigen Rauschen des Falles.



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Montag, 15.08.1994

Karte Tagesetappe


Bestens geschlafen, die Fälle rauschen noch, die Sonne scheint, ein gutes Frühstück lockt uns an die Luft, gegen Mittag erreichen wir zum zweiten Mal auf dieser Reise den "Ort" Grimstaðir (...drei Häuser, Tankstelle, Campingwiese). Endgültig letzter Zivilisationsvorposten, und auch dieser liegt, nachdem eine Busreisegruppe Halt machte und wieder davonbrauste, wie tot da. Ausgiebige Müsli- und Kaffeepause bei immer noch warmer Sonne, Schokoriegelkauf an der Tankstelle. Wir rollen auf die Nº1, ein bekannter Abschnitt, wie beim letzten Mal anständiger Gegenwind, und verfolgen, wie in der Ferne über dem Hochland aus schwarzen Wolken heftige Schauer niedergehen. Es scheint, als wolle uns das Gebiet verschrecken, als drängen wir in etwas ein, was uns nicht haben will. Und nun biegt eine unauffällige Piste von der "Eins" nach Süden ab, wolkenverhangen in der Ferne, doch schon größer als gestern, der Herðubreið. Schilder warnen "Four-Wheel-Drive only!".

Island, an der F88

Wir orientieren uns südwärts, fahren ein kurzes Stück auf der Ringstraße und stehen nun an der F88, jener Hochlandpiste, die zur Askja führt.




Island, Pause in der Wüste

Pause in der Wüste.




Island, in der Wüste

Wo die Straße aufhört und wo die Wüste anfängt, ist nicht immer ganz klar...
Lange schon sehen wir den Herdubreid vor uns, allmählich wird er aber größer!


Wir schaffen bis zum Abend noch zwanzig Kilometer auf jener F88 Die Fahrgeschwindigkeit beträgt oft unter fünf Stundenkilometern, mein Klick-Fix-Bügel (welcher in dieser Präortlieb-Ära meine Lenkertasche fixiert) zerbricht unter dem Geholper, wir campieren im Nichts. Auch wenn es sich noch um ein Gebiet der Kategorie "Fast-Wüste" handelt, so erfahre ich zum ersten Mal, was es mit der Stille der Wüste auf sich hat, ein unwirklicher Zustand, außer dem Uhrticken und einem vereinzelten Magenglucksen wirklich Nichts zu hören.
Nach zwei durchfahrenen Schauern bringen wir sogar das Zelt trocken hoch, genießen die Freiheit, einfach irgendwo Quartier beziehen zu dürfen.



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Dienstag, 16.08.1994

Karte Tagesetappe


Dieser Tag lehrt uns, dass es neben den drei klassischen Feinden des Radfahrers, welche da wären Regen, Gegenwind und Steigungen, einen vierten gibt, nämlich den Zustand der Straße. Die Daten meiner Statistk sprechen beinahe schon für sich: für die knapp 40 Kilometer bis zum Herðubreið benötigen wir gut neun Stunden, effektive Fahrzeit 5½ Stunden, Durchschnittsgeschwindigkeit 7,2 km/h. Braver Rückenwind, wenig Steigung, Regenschauer, welche sich gegen Nachmittag häufen - und eben diese Piste. Also eigentlich gibt es kein Wort, welches den Zustand treffend beschreibt. Schotter- oder Feldweg, Piste, Pfad - alles freundliche Euphemismen. Sand wechselt mit Lava, Schotter mit Waschbrett, Geröll großkieselig mit Geröll kleinkieselig. Wir gehen es gelassen an. Und auch den Regen, welcher teils recht heftig wird, betrachten wir mit einer gewissen Dankbarkeit, da diese Gegend sonst für ihre Sandstürme berüchtigt ist.

Island, Herdubreid

Meter um Meter kämpfen wir uns auf der holprigen Piste voran,
dabei rückt der majästetische Berg immer näher.




Island, Herdubreid

Nach stundenlanger Schaukelei erreichen wir die Oase Herdubreidarlindir,
wo wir die Nacht verbringen.


Eine ganz besondere Note erhält die Etappe durch drei Furten, welche wir mit einer gewissen gespannten Furcht/Freude in unserem Abenteuerwahn erwarten. Bei ohnehin schon nicht gerade hochsommerlichen Temperaturen raus aus Schuhen und Hosen, rein ins eiskalte Wasser. So eiskalt, dass es nach einigen Schritten regelrecht schmerzt. Mehrere Durchquerungen sind nötig, um das Gepäck und die Fahrräder sicher und trocken rüberzubringen. Nur bei der ersten gehe ich barfüßig, bei den weiteren müssen meine Birkenstock-Sandalen herhalten. Nach kurzer Pause erfolgt die Weiterfahrt mit Algen in den Speichen. Der Straßenzustand ist rumpelig, der Regen kräftiger - wir sind dann froh, den Zeltplatz am Fuße des Tafelvulkans Herðubreið zu erreichen.



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Mittwoch, 17.08.1994

Karte Tagesetappe


Erwachen bei Regen, hört aber bald auf und wieder bringen wir das Zelt trocken rein. Furchteinflößend, majestätisch, mit von erodierenden Gewalten gezeichneten Steilwänden präsentiert sich der Berg, 1100 Meter sich über das Umland erhebend, den Gipfel fast 1700 Meter über Meeresniveau; entstanden ist der steinerne Koloss bei einer subglazialen Eruption bei der letzten Eiszeit.
Frohen Mutes setzen wir uns am Morgen wieder auf die beladenen Räder, dringen nun endgültig in totes Land ein, die sogenannte "Missetäterwüste", Odaðahraun. So bezeichnet, da in früheren Tagen hierhin die Schwerverbrecher verbannt wurden. Ihren Charakter erhält die Gegend von hellem Bimsstein, welcher bei einer Eruption der Askja 1875 bis 30 Kilometer in den Himmel geschleudert und noch auf skandinavischem Festland nachgewiesen wurde. Die Wüste ist nun echte Wüste, nicht eine aride, wie etwa die Sahara (...kaum Niederschlag), sondern in dem humiden lokalen Klima eine sogenannte edaphische, da jeder Niederschlag sofort im Boden versickert und damit jedem Leben die Existenzgrundlage raubt.
Freudig überrascht stellen wir fest, dass die F88 zwar immer noch recht rumpelig ist, sich aber insgesamt in einem wesentlich besseren Zustand darbietet und somit gut zu befahren ist. Bei einer Kaffeepause am Straßenrand hält ein Geländewagen, ein Deutsch sprechender älterer Mensch packt eine Profi-Kameraausrüstung aus und filmt uns, während sein laufender Motor ihm Strom spendet und uns die Ruhe nimmt...

Island, Odadahraun

In der Odadahraun, der Missetäterwüste. Bimstein, soweit das Auge reicht.




Island, Herdubreid

Und immer ist der Herdubreid präsent, seit Tagen begleitet er uns.




Island, Troll in der Missetäterwüste

Dies ist wohl ein erstarrter Troll inmitten der kargen Weite.




Island, Mittagspausein der Wüste

Mittagspausein der Wüste




Island, Askja-Hütte Dreki

Das Ziel ist erreicht, wir können unser Zelt an der Askja-Hütte aufstellen.




Island, Herdubreid

Und noch einmal: der Herdubreid in seiner ganzen Pracht!


Askja präsentiert sich als hohe Felswand, an deren Fuße eine auch für Zelter zugängige Hütte steht, in welcher wir einen weiteren Regenschauer abwarten, bevor wir das Zelt aufstellen. Den Plan, oder besser die Idee, weiter durchs Hochland durch den Sprengisandur zu fahren, verwerfen wir, weil unsere Vorräte allmählich ausdünnen, zwar noch zum Überleben reichen (allerdings haben wir "Überleben" dergestalt neu definiert, dass einige Annehmlichkeiten, wie Kekse, Schokoriegel, Käse etc. schon dazu gehören...), aber eben einen nicht unerheblichen Komfortverlust bedeuteten. Außerdem denken wir, mit der F88 zunächst genügend Eindrücke vom Fahren im Hochland gewonnen zu haben und die 5-7 Tage, welche uns weitere Kilometer durch die unwegsame Wüste kosten würden, besser noch für eine ursprünglich nicht vorgesehene Tour in die Westfjorde zu nutzen.



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Donnerstag, 18.08.1994

Karte Tagesetappe


Das Wetter meint es wieder relativ gut mit uns, wir radeln acht Kilometer durch Lava, bis hinauf zum Kraterrand der Askja, überwinden dabei etwa 400 Höhenmeter. Der Durchmesser des Kraters beträgt 8 Kilometer, und beim Durchwandern des Plateaus fällt es selbst unseren Laienaugen leicht, die zirkuläre Physiognomie der uns umgebenden Bergkette zu erkennen. Im Plateau der tiefste See Islands, der Öskjuvatn, an dessen Rand ein kleiner Krater -Vití, zu deutsch "Hölle"-, dessen trübes Wasser durch eine nahe Magmakammer angenehm erwärmt ist, Kontrast zum kühlen Wind, welcher vom Vatnajökull herüberweht. Hinab steigen wir, baden in dem milchigen See.

Island, beim Öskjuvatn

Ausflug zum Hochplateau des Öskjuvatn.




Island, Askja

Wandern auf dem Askja-Plateau




Island, Krater Vití

Am Rande des Öskjuvatn liegt der kleine Krater Vití, zu deutsch "Hölle", dessen trübes Wasser durch eine nahe Magmakammer angenehm erwärmt ist - Kontrast zum kühlen Wind, welcher vom Vatnajökull herüberweht.




Island, Askja

Mich fasziniert die Ähnlichkeit zwischen den großen und den kleinen Landschaften. Dieses Bild zeigt ein Rinnsal und mit Asche bedeckte Schneereste. Aber könnte es nicht auch eine Berglandschaft sein, welche aus der Vogelperspektive aufgenommen wurde?


Die Rückfahrt bergab erfolgt geschwind über die Lavapiste, Birgit verliert ihr Rücklicht... Regen setzt ein und wir vergammeln den Nachmittagsrest in der Hütte. Schreiben, Essen, Gästebuchlesen.



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Freitag, 19.08.1994


Askja und Hütte Dreki in dichten Nebel gehüllt, man würde sich in der Ewigkeit isoliert fühlen, wären da nicht einfallende, busreisende Touristenhorden, lärmend mit zehn Zelten. Ist mir ziemlich auf die Nerven gegangen.
Das Wetter, meint einsetzender Nieselregen, schmälert die Motivation, einen weiteren Ausflug in die Umgebung betreffend und bekräftigt uns in unserem Entschluss, die Rückfahrt per Bus vorzunehmen. Da unsere Bargeldreserven nicht mehr so üppig sind, sie eben bloß noch für das schweineteure Ticket reichen, bekommen wir von der Hüttenbetreuerin einen Überweisungsauftrag zwecks späterer Zahlung unserer Übernachtungskosten. Welch ein Vertrauen, keine Kontrollmöglichkeit hätte bestanden!!!
Aus der Busperspektive, stundenlange Schaukelei, wirkt die Strecke bei Weitem trostloser, die Wüste noch mehr wie eine Wüste. Wahrscheinlich, weil beim Durchrauschen der Blick für tausend Details verloren geht...
Nach den "Entbehrungen" der Tour steuern wir in Reykjahlið direkt unser "Stammcafé" an und gönnen uns erst mal Fritten, Burger und Kaffi. Der Vertrautheit mit dem Ort wird der endgültig heimelige Charakter genommen durch die Tatsache, dass weder Ulrike und Ingrid noch die anderen Radler "unserer" Norröna noch dort sind - und die gehörten schon dazu.



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Samstag, 20.08.1994

Karte Tagesetappe


Sodenn kommt kein Wehmut auf beim Fortradeln bei durchwachsener Wetterlage. Big Shopping, Auffüllen unseres Vorrates, ausgiebiges Frühstück ...on the road again. Weiteres Highlight des Morgens: Dusche nach einer Woche! Welch eine Wohltat.
Regelmäßige Schauer zwingen uns oft in die Regenkleidung, worin ich ordentlich schwitze. Demnächst ist eine gescheite Gore-Tex-Jacke fällig. Ein 5 Kilometer-Anstieg zehrt an den Kräften, eine rasante Abfahrt mit Blick ins weite Tal ist die Belohnung. Bereits aus der Ferne erkennbar: der "Götterfall", Goðafoss. Ich frage mich, woher der Name rührt, die Fälle an der Jökülsa beeindruckten weit mehr. Kaffee und Kuchen, einsetzender Dauerregen bis zum nächsten Morgen, ausgiebiges Abendessen, Lesen und Schreiben im Zelt.



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Sonntag, 21.08.1994

Karte Tagesetappe


Auf der heutigen Etappe ins heiß ersehnte Akureyri überspringt mein Kilometerzähler die Marke 1000km, zeitweise nieselt es und ein 600 m hoher Pass ist zu überwinden. Dann können wir hinabrollen in die drittgrößte Stadt des Landes. Hat allerdings auch nur 16.000 Einwohner und vermittelt den Eindruck einer provinziellen Mischung aus Flensburg und Charleston/ South Carolina gepaart mit lokalen Architekturelementen, welche an Farben reich sind und teilweise einem süddeutschen Fachwerkstil nachempfunden scheinen.
Netter Campingplatz, nahes Schwimmbad, ein angenehmes Örtchen zum Rasten und Verweilen, Einkaufen und Räder checken.
Eine beleuchtete Überdachung erlaubt am Abend längeres Draußensitzen zum Postkartenschreiben oder um mit anderen Campern Konversation zu betreiben - warm angezogen versteht sich...



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Montag, 22.08.1994


Heute soll ein Ruhetag sein. Zeit, um Dinge zu organisieren, Zeit zum Entspannen. Nach einem kleinen Frühstück begeben wir uns ins nahe Freibad - unsere erste Berührung mit der hiesigen Badekultur. Zum Bahnenschwimmen ist das Wasser fast zu warm, so halten wir uns beinahe nur in den unterschiedlich heißen Hot Pots auf, kleinen Becken, welche jeweils mehreren Leuten sitzend Platz bieten. Eine herrliche Entspannung für uns! Anschließend lassen wir uns an der frischen Luft sitzend trocknen - kurioserweise, ohne dabei zu frieren, obwohl die Lufttemperaturen 10°C deutlich unterschreiten...
Postkarten und Briefe werden zur Post gebracht, meine Hoffnung auf Poste restante Post wird nicht erfüllt. Wir waschen Wäsche per Maschine am Campingplatz und erledigen verschiedene Einkäufe, u.a. Gummiringe, um unser Zelt bei zu erwartenden Stürmen besser abspannen zu können.
Die sehr nette Dame vom Campingplatz bemüht sich mittels diverser Telefonate, eine geeignete Werkstatt ausfindig zu machen, welche meinen (Alu...) Klickfix- Bügel reparieren könnte. Ich hatte seit dessen Zerbrechen auf dem Weg zur Askja wüst improvisieren müssen, größter Nachteil war die extrem schwere Zugängigkeit meiner Kameraausrüstung.
Schließlich finden wir uns bald in einem kleinen Metall verarbeitenden Betrieb, bestückt mit lauter Maschinen aus Deutschland. Ein freundlicher Mann nimmt sich meiner Angelegenheit an, grübelt, meint schließlich, Aluminium nicht schweißen zu können. "But... I can make a new one!!" Nun, der Preis schien mir sehr günstig, also gebe ich die Anfertigung in Auftrag - gespanntes Warten bis morgen.



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Dienstag, 23.08.1994


Mein neuer Bügel ist genial, aus Eisen geschmiedet, blank glänzend, exakt dem gebrochenen Original nachempfunden, passt haargenau in die Halterung, ich bin absolut begeistert.
Es werden die 700 Kronen für die Askjaübernachtung überwiesen, im einzigen Alkoholladen der Stadt kaufen wir für meinen morgigen Geburtstag ein Six-Pack Bier und eine Flasche Bordeaux. Ein sonniger Tag, es wird in den tatsächlich wolkenfreien Intervallen regelrecht heiß, wir vergammeln den Tag, erledigen Post, unterhalten uns mit anderen Reisenden. Dann der Beschluss, am Nachmittag aufzubrechen, genug des Müßiggangs! Doch die Motivation ist dann, nicht zuletzt wegen netter Company, doch nicht die höchste, und so muss der aufkommende Wind mit finsteren Wolken als Grund dafür herhalten, doch nicht loszufahren. Und das, obwohl wir mit Ausnahme des Zeltes bereits all unsere Sachen gepackt hatten.
Erstmal etwas essen, weiterhin Konversation, Schreiben, ausgiebige Radreinigungsaktion, neuerlicher Besuch des Schwimmbades. Diesmal ist die Wasserrutsche geöffnet, eine lange gewundene Röhre, phasenweise zappenduster, wir haben Spaß, wie kleine Kinder.



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Mittwoch, 24.08.1994

Karte Tagesetappe


Mein Geburtstag! Nach Israel 1989 das zweite Mal im Ausland! ...etwas liegt er uns schon im Magen, der vor uns liegende Aufstieg auf knapp 600 Meter. Es gibt aber endgültig keinen Aufschub mehr, die Westfjorde rufen und so radeln wir los. Das Wetter ist uns mal wieder wohlgesonnen, die vorüberziehenden Wolken behalten den größten Teil ihres Regens für sich und der Wind hatte über Nacht auf Ost gedreht. Also, was will man mehr?
Die Fahrt durch das Öxnalsdalur ist phantastisch, die Überwindung der Höhenmeter geschieht auf langer Distanz beinahe unbemerkt. Ein Bach im Tal, welches vermuten lässt, dass vor langer Zeit Gletscher hindurch abgeschmolzen sind, so sanft geschliffen und weit geschwungen; ebenso ist eine Vielzahl der Bergkuppen auf einem Höhenniveau - Gletscherschmirgelei? Sparsame Vegetation auf dem Gestein, Wasser frisst sich kleine Rinnsale oder große Canyons in das Gebiet. Vom Mikro- bis zum Makrokosmos, alles in Island scheint Erosion zu sein, alles in Bewegung, Veränderung in ewigem Fluss.
Eine Etappe, wie sie schöner kaum hätte sein können, nach einer kleinen Blume von Birgit nehme ich das mal als mein zweites Geburtstagsgeschenk am heutigen Tage. Auf dem Weg zur Passhöhe kehren wir in einem neu errichteten Gästehaus ein, Kaffi ist angesagt. Ein etwa 50-jähriger Däne erzählte uns, wie er vor 30 Jahren ins Land kam, erst auf Fischdampfern seinen Unterhalt verdiente, später mit der Zucht von Pferden und nun, mit beginnender Herzschwäche, als "Gestheimili"-Bestitzer. Eine herzliche Gestalt, das Wetter und viel frische Luft hatten Spuren ins Gesicht gezeichnet. Einen Faible für statistische Daten scheint der gute Mann zu haben: 4 Mio. Liter Frischwasser werden täglich aus Island exportiert, 4200 Bauernhöfe gibt es im Land, er hat Daten zur Landflucht, benennt Prozentwerte für Arbeitslosigkeit, Einwohnerzahlen, Pferdeanzahl im Lande etc...

Island, Öxnadalsheidi

Auf der Paßhöhe der Öxnadalsheidi (etwa 550 Meter) stellen wir das Zelt auf.
Hier wird dann am Abend mein 26. Geburtstag gefeiert.


Oben am Berg ist bald ein passabler Platz zum Zelten gefunden, es gibt gutes Instantessen aus unserem Riesenvorrat. Es hat sich mittlerweile beinahe eingebürgert, auch auf normalen Touren lebensmittelmäßig ein wenig großzügiger zu planen... Und dann zum Essen Bier und Vino, später Salzkräcker und Kekse. Mit von der Partie sind Spinnenhorden, Schafe, ein paar grasende Islandpferde. Trotz später einsetzenden Regens ein sehr netter, spaßiger Abend. Gelegenheit, noch einmal zu erwähnen, welch angenehme Reisepartnerin die Schwester doch ist.
Mäßige Temperaturen erlauben es, mit offenem Innenzelt zu schlafen.



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Donnerstag, 25.08.1994

Karte Tagesetappe


Ein ganz klein wenig verkatert steigen wir am Morgen auf die Räder und loben uns noch einmal selbst für die mit Bedacht getroffene Wahl des Nachtlagers oben auf dem Pass. Meint, dass eine lange Abfahrt vor uns liegt, zudem noch mit Rückenwind. Irgendwann vor dem Zielort Varmahlið setzt auch noch Regen ein und so ist klar: keine Weiterfahrt heute. Stattdessen: Shopping im sehr gut sortierten Supermarkt, Fritten, Eis und Kaffi, Besuch des Schwimmbades nebst seinen herrlichen Hot Pots.
In der abendlichen postprandialen Mußestunde im Zelt brüten wir mal wieder über der Islandkarte, schauen auf die Strecke in Richtung Westen, in Richtung der angepeilten dortigen Fjorde. Es gerät der nahe Abzweig der F37 in unser Blickfeld. Wir sind schon etwas chaotisch, was unsere Routenplanung angeht… Am Ende verschieben wir das Westfjordprojekt und beschließen, abermals das Hochland zu bezwingen. Unter Radlern erzählt man sich allerdings, die Kjölur-Route sei die am relativ besten befahrbare aller "F"-Straßen. Besonders lockt uns die Gegend zwischen den beiden großen Gletschern Lang- und Hofsjöküll, südlich von Hveravellir.
Es sollte sich als eine der besten bislang getroffenen Routenentscheidungen erweisen - doch so weit sind wir ja noch nicht...
Erst muss noch die Geschichte erzählt werden von der abendlichen Fahrt zur Telefonzelle, deren erster Anlauf für mich leicht lädiert endet: den grobschotterigen Weg mit unbeladenem Rad entlangzubrettern, recht schnell, welch ein Vergnügen! Im Halbdunkel übersehe ich allerdings beim Versuch, schräg links auf einen vermeintlich abkürzenden Feldweg zu rasen, einen Stacheldrahtzaun. Das in allerletzter Sekunde eingeleitete Bremsmanöver - reflexhaft auch mit der Frontbremse - wirft mich zu Boden. Harter, knirschender Aufschlag mit Stirn und Nase im Schotter, nur knapp neben einem dicken Stein. Halb vom Fahrrad begraben lag ich da, den Schnürsenkel im Stacheldraht verheddert, insgesamt etwas zerknautscht. Mehrere Schnitte an der linken Hand, unschöne Schürfwunden an Stirn, Nase, rechter Hand und Knien... aber keine Gehirnerschütterung, nichts Nähenswertes. Fahrrad okay. Wahrscheinlich habe ich ziemliches Glück gehabt, hätte auch anders ausgehen können…



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Freitag, 26.08.1994

Karte Tagesetappe


Großeinkauf für sieben Tage, schwerbeladene Räder für den Fressluxus ("Überleben") in der Wildnis des Hochlandes, noch mal Fritten und Burger.
Kühles, stürmisches Wetter und ein zäher Anstieg fordern uns direkt, nachdem wir Varmahlið verlassen haben. Gelegentlich fällt Nieselregen. Der Regen drückt auf meine Stimmung, es gibt Tage, an denen mich das echt runterzieht. Dann hilft es mir auch nicht, wenn ich mir sage: "ach, es könnte ja auch schneien!". Das sind dann Momente, in denen ich mich nach Griechenland sehne. Kurioserweise hatte auch Birgit heute ihren "Ich könnte jemanden erschlagen" - Tag. Wir stehen es gemeinsam durch und zelten später bei Regen am Rande der F37. Beim gemütlichen, ausgiebigen Abendessen im Zelt bessert sich die Stimmung.

Die Straße ist bislang deutlich besser, als geglaubt, auf weiten Abschnitten kaum schlechter, als die nicht asphaltierten Teile des Lowland-Straßennetzes.
Noch der Erwähnung wert: Hundeattacke. Dat fiese Viech biß sich hartnäckig in Birgits Packtasche... - aber, hätte ja auch in die Wade beißen können, oder?!?



Island, Kjölur-Hochlandpiste

Über Varmahlid gelangen wir schließlich zur F37 (heute F35), der Kjölur-Hochlandpiste.




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Samstag, 27.08.1994

Karte Tagesetappe


Kein Regen, bessere Stimmung. Das Hochland heißt nicht umsonst Hochland, doch den Großteil eben jener unbequemen Differenz von Normalnull an aufwärts haben wir bereits am Vortag überwunden. So geht, nach umfangreichem Frühstück die Fahrt friedlich, trocken und mit Rückenwind durch eine recht gleichartige, öde Gegend. Flache, sparsam bewachsene Lavagebiete, kleinere Seen, gelegentlich Hügelchen. Über viele, viele Kilometer keinerlei Änderung, lediglich verschwindet allmählich der Pflanzenwuchs völlig, die Temperaturen sinken. Schließlich begeben wir uns auch in das mit einer Jahresdurchschnittstemperatur von -1,6°C kälteste Gebiet des Landes. Die Pausen gestalten wir deshalb nur kurz, eisiger Wind - ein strammer Norder "vom Polar".
Erfreut stellen wir fest: keine Furten!!! Entweder gibt es Brücken, oder die kreuzenden Wasser sind so spärlich, dass die Durchquerung eher einer Pfützendurchfahrt nahe kommt. Der einzigen potentiellen Flussdurchquerung weichen wir aus, indem wir all unser Hab und Gut nebst Rädern über einen Holzsteg tragen, welcher eigentlich den Bauarbeitern dient, welche dort eine Brücke errichten. Panneneintrag: "Verlust der Luftpumpe", welche leider abfällt und in dem Strom schnell fortgetragen wird. Kein gutes Gefühl, noch deutlich über 100 Kilometer Hochland vor sich zu haben, ohne die Möglichkeit, Luft zu pumpen...
Die Wolken hängen tief und erlauben keinen Blick auf die Gletscher, nur selten zeigt sich ein schmaler weißer Streifen, welcher deren Existenz erahnen lässt. Hveravellir: zwei Hütten, isländische 4-Wheeler auf Wochenendausflug, ein Gebiet mit (fast schon vertrauten) geothermalen Becken, Sinterkegeln, dampfenden Spalten, ein Hot Pot (natürlich gespeist), welcher ruhig hätte heißer sein können und ein Thermometer, welches 2°C anzeigte, als wir später in die Schlafsäcke kriechen, nachdem wir uns schreibend und lesend in einer der behaglich geheizten Hütten aufhielten.



Island, Hveravellir

Ein Etappenziel ist erreicht: Hveravellir, ein kleines Geothermalgebiet im Hochland.




Island, Hveravellir

Kalt ist es! Und wir sind nicht die einzigen Gäste. Es ist Wochenende, da zieht es auch die Isländer Orte, wie diesen - die kommen allerdings mit wuchtigen Geländewagen angerollt.




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Sonntag, 28.08.1994

Karte Tagesetappe


Noch immer verstecken sich die Gletscher. Wir sind schon geneigt, ihnen eine ureigene Scheu vor Touristen zu unterstellen.
Bei einem lumpigen Celsius-Grad radeln wir los und warten auf das Warmwerden unserer peripheren Körperpartien - haben uns gut eingepackt: zwei Paar Socken, dicke Handschuhe, Wollmütze. Ein wahrlich eisiger Sturm weht (uns wohlgesonnen von Nord!) und vermag es, uns sanfte Hügel hinaufzuschieben, ohne dass wir in die Pedale treten müssen - und das, obschon die schottrige Piste einen erheblichen Rollwiderstand bietet…
Dann geschieht es doch noch: die Wolkendecke bricht auf, präsentiert schließlich einen unglaublich blauen Himmel mit einer gestochen klaren Sicht auf den Hofsjöküll, gewaltig, majestätisch. Märchenhafte Berge in der Ferne, ein berauschender, ja, wirklich berauschender Anblick, welcher es mal wieder vermag, mir beinahe die Freudentränen in die Augen zu treiben.
Wir radeln direkt darauf zu, es wird immer gigantischer, ich kann mich satt sehen... Dass die Hände beim Fotografieren gefühlt fast einfrieren und dass der Straßenzustand teilweise doch recht gruselig ist, wird kaum wahrgenommen…

Island, Kjalvegur

Wir pausieren - und sind glücklich, dass nach Tagen eher trüben Wetters nun der Himmel aufreisst und den Blick frei gibt auf die Gletscher Lang- und Hofsjoküll.




Island, Kjalvegur

Kurs Süd auf dem Kjalvegur.


Eine skurrile Episode an diesem von Naturschönheiten geprägten Tag stellt der kurze Aufenthalt in einer Wanderhütte dar, welche wir zum Pausieren ansteuern, verspricht sie doch Wärme und vor allem Windschatten zum Tee- und Kaffeekochen. Einige vor dem Haus sich befindliche Männer, augenscheinlich alkoholisiert, hätten Skepsis auslösen müssen. Im Inneren herrschte Chaos, es stinkt dach Dreck, kaltem Rauch und Schnaps. Zigarettenkippen schwammen in Eßtöpfen, Bierflaschen und Müll überall, auf einer gammeligen Couch ein gammeliger Mann, seinen Rausch ausschlafend. Wie kann es sein, dass ausgerechnet Isländer selber eine Hütte derart versiffen? Wir sind einigermaßen entsetzt.
Nun, wir verschließen die Tür zum Wohnraum gegen den Gestank und kochen im kleinen Vorraum. Ein Mann in ranzigem blauen Overall mit Fellmütze nach Trappermanier trat ein, lallte "Come in...do you want to sit...there is a sofa - and a dead man... Eat something?" - no thanks. Wenig später ein anderer Trunkenbold, welcher uns mit seinen absonderlichen Lallmonologen dazu bewegte, dann eilig diesen Ort zu verlassen.
Weiterreise durch die Gletscherwüste südlich des Kjölur - Gebietes, wir machen unseren Weg, rollen eine ganze Weile zu Füßen des Langjöküll, sehen in dessen Gletschersee Hvitárvatn in der Ferne Eisberge schwimmen.
Bilder, von denen ich lange zehren werde. Was auch nicht zu erwarten war, ausgerechnet auf einer Hochlandpiste unsere zweitlängste Tagesetappe (bislang) in Island zu fahren, immerhin 65 Kilometer. "Wildnis VI", so heißt unsere Lagerstatt im Lavagesteinfeld am Fuße des Gletschers, über welchem wir während unseres Abendessens die Sonne versinken sehen, während der ohnehin schon spärliche Autoverkehr auf der nahen Straße vollends zum Erliegen kommt.

Island, Klelch, der Kleine Elch

Auch "Klelch", der Kleine Elch, genießt die Aussicht in die Weite der Landschaft.


Für mich eine Etappe, deren Eindrücke an Intensität sogar diejenigen des Kraflagebietes übertreffen. Diese gebündelte Reinheit: pure, saubere, klare, unverfälschte Natur. Die Weite, die Stille, die Ewigkeit - und wieder, wie stets: die Erosion. Letztere, vor allem die Ästhetik ihrer mannigfaltigen Zeichnungen fasziniert, sie alleine wäre schon Thema für eine Photoausstellung.



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Montag, 29.08.1994

Karte Tagesetappe


Auf isländischen Straßen dauert es meist bis in die Mittagsstunden, bis man überhaupt von Verkehr sprechen kann. Das gilt selbst für die Nº1, natürlich aber für eine Hochlandstrecke. Als gegen acht die Sonne über die Berge steigt und freundlich wärmt, finden wir sowohl das Zelt als auch die Räder von einer Eisschicht überzogen vor. Ringsherum Stille, ein paar Wolken, klar und kalt der Langjöküll. Nur ungern verlassen wir die Straße F37, bejubeln unseren "routenplanerischen Irrsinn", welcher uns auf diesem frühen Weg in den Süden Islands führte. Auf den letzen Kilometern sagt uns die Straße noch einmal: "ja, ich bin eine Hochlandpiste, halte auch dieser Bezeichnung würdige Oberflächengestalten bereit!", meint: wir fahren bis zum Gullfoss auf bösem Waschbrett.

Island, Gullfoss

Das Hochland liegt hinter uns, wir erreichen den Gullfoss, eine der klassischen Sehenswürdigkeiten Islands.


Kein Problem aber für uns; Sonne, Wärme und die Schönheit der gewaltigen, versetzt über drei Höhenniveaus stürzenden Wasserfälle entschädigen uns mehrfach.
Nächste Station ist der legendäre Ort Geysir, welcher allen ähnlichen Springquellen der Welt seinen Namen verlieh. Der eigentliche "Geysir" spuckt allerdings schon seit einer Weile nicht mehr, so aber der kleinere Strokkur. Und das ist nicht minder eindrucksvoll. Wir beschließen, dort zu zelten, und uns nach Weiterfahrt der Bustouristen in Ruhe das Spektakel zu beschauen. Aber erst mal: Kaffi! Im Preis für das Zelten ist die Benutzung des Pools des einzigen Hotels inbegriffen, was wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Herrlicher Hot Pot! Ich schieße gefühlte zwanzigtausend Photos vom Strokkur.



Island, der Geysir Strokkur

Und dann folgt sogleich der nächste Klassiker: der Geysir Strokkur.




Island, am Geysir

Doch nicht nur die Springquelle selbst ist sehenswert, auch die Umgebung hält schöne Details bereit.




Island, am Geysir

Geothermalgebiet am Geysir.




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Dienstag, 30.08.1994

Karte Tagesetappe


Gemächlicher Aufbruch nach Frühstück und Räderreinigen und Kaffi an der "Kaffitanke". Mäßige Tagesform, Fahrt durch grüne Landwirtschaftsgebiete, die lange Abfahrt in den Zielort Selfoss wird uns durch Gegenwind gründlich versalzen.

Island, in der Nähe des Geysir

Wir zelten ganz in der Nähe des Geysir; der ruhige Vormittag wird zur Pflege der Räder genutzt.




Island, in der Nähe des Geysir

Unweit des Geysirs.


Unterwegs treffen wir Henrik und Iris ("Norröna-Crew"), beide wohlauf und auch ihr Knie wieder okay nach dem Sturz am Mývatn. Eine Weile unterhalten wir uns am Straßenrand, wer hat in den letzten Wochen wann was gemacht, wohin führen die Wege, Austauschen von Tipps und Empfehlungen, wo es das beste Softeis gibt etc.
Trotz insgesamt recht guter Fahrbedingungen sind wir total erschlagen, als wir schließlich ankommen. Rascher, routinierter Zeltaufbau, bevor wir uns in die Dekadenz der Zivilisation begeben. Ein ausgedehntes, fettes Pizzaessen und anschließender Besuch eines sehr angenehmen Cafés sind angesagt, dort zur Feier des Tages mal wieder ein echtes Bier und einen echten Jim Beam auf Eis. Wir regenerierten ein wenig, haben später sogar noch die Energie, in der Campingplatzbaracke (warm, trocken, windgeschützt, hässlich) mit einigen nach uns angekommenen Campern zu plauschen.
Der Ort selber überrascht uns: gäbe es nicht überall Schilder und Werbetafeln in isländischer Sprache, man fühlte sich versetzt in eine US-amerikanische Kleinstadt. Nicht einmal 4000 Menschen leben dort, doch ist unverkennbar, man hat Platz satt. Breite, erstklassig asphaltierte Straßen, Suburbia-Heime mit amerikanischen Limousinen auf den Auffahrten; Dominos Pizza und Kentucky Fried Chicken fehlen ebenso wenig, wie die Shopping Mall am Hauptverteilerkreisel des Ortes. Mich amüsiert diese extreme Amerikanisierung, Birgit zeigte sich eher entsetzt. Was sind das bloß für Kontraste, noch vor zwei Tagen in der "endlosen" Natur, heute hier??? Doch trotz aller städtischen Attribute kann der Ort nicht über seine eigentliche Dörflichkeit hinwegtäuschen, vielleicht war es auch gerade das, was ihn mir doch sympathisch machte...



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Mittwoch, 31.09.1994


Die Schlappheit der gestrigen Fahrt wirkt nach, ich habe das Gefühl, etwas Ruhe, Rast zu brauchen, will Post erledigen, Tagebuch schreiben, einen neuen Schaltzug einbauen. 600 Meter im Schwimmbad geschwommen (…wie niedlich; aus heutiger Sicht, 20 Jahre später…) bei Regen, Hot Pot... Essen, Tee trinken. Ein eher fauler und doch ausgefüllter Tag, auch wenn ich diesmal vor dem Justieren der Schaltung kapituliere und es den Fachmann im Radladen machen lasse. Abends lange Zeit im Café gesessen, bei Kaffee und isländischem Egils-Pseudo-Bier "Pripps", etwa so hervorragend, wie Jever fun...



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Donnerstag, 01.09.1994


Der Tag markiert den folgeschwersten Wendepunkt der Nordatlantikfahrt. War es gestern nur grau, so folgt heute ein Sturm mit heftigem Regen. Während des Frühstücks in dem besagten Aufenthaltsraum prasselt es auf das Dach, ohne Unterlass; kein Wetter, welches zur Weiterfahrt einlädt.
Ich trage die Möglichkeit eines möglichen vorzeitigen Abbruchs der Reise in Verbindung mit einer potenziellen Umbuchung nicht erst seit heute im Kopf, hütete mich aber stets davor, Birgit gegenüber etwas davon zu erwähnen, mutmaßend, ihr bereits mit meinen gelegentlichen "Ach, Hellas..."-Äußerungen ein wenig auf die Nerven zu gehen. Und schließlich ist es ja stets auch eine punktuelle Angelegenheit, zu viele Momente intensiven Genusses hat die Reise mir bislang zu geben vermocht.
Umso überraschter, ja geradezu perplex bin ich, als ich dann aus ihrem Munde eine dahingehende (=ans Mittelmeer gehende) Überlegung vernehme. Nach dem Motto "Noch würde es sich lohnen und dabei nicht mehr kosten, als ein Verweilen hier".
Das Wetter änderte sich im Verlauf des Tages kaum, wird eher noch schlimmer, was unserer Wahnsinnsidee Auftrieb gibt. Routenplanerischer Irrsinn in seiner pursten Form. Vor dem Panorama des Unwetters wirkte der Gedanke an einen trockenen, behaglichen Monat süß frohlockend... Seeigeltauchen im Mittelmeer, Schlafen am Strand, griechischer Salat...
Die Durchknallphase dauert einige Stunden, kostet Massen an Tee, Nescafé und Zigaretten. Es schließt sich die Phase der Informationssammlung an, erste Anzeichen brutaler Ambivalenz schießen ein. Ganz so leicht trenne ich mich nämlich trotz miesen Wetters nicht von diesem Land, welches ein Jahr lang Traumziel war. Das örtliche Reisebüro kann wenig helfen, ein Telefonat mit der Icelandair ist ebenso wenig von Erfolg gekrönt. Einzige Möglichkeit: Klärung vor Ort in Reykjavik. Nach einem Stündchen im Café beschließen wir, noch heute in die isländische Hauptstadt zu fahren; das Los entscheidet, dies per Bus zu tun (was ich am Abend schon wieder bereue, meine Radlerehre ist angekratzt).

Island

Per Bus gelangen wir von Selfoss nach Reykjavík.


Ein sonderbarer Film läuft da ab. Regen. Regen. Dann Einfahrt in die 150.000-Einwohnerstadt. 6-spurige Straßen, man möchte meinen, in eine Millionenmetropole zu geraten. Auch hier: Platz satt und so ist der erste oberflächliche Eindruck der, dass auch hier ein massiver US-Einfluss im Spiel ist. Später soll uns Reykjavik aber auch noch Teile seines ureigenen Gesichtes zeigen. Der Sturm bläst so arg, dass teilweise das Handling der Räder kaum noch möglich ist, als wir vom Busterminal zur Jugendherberge fahren, wollen uns einen behaglichen Schlafplatz gönnen. Gut, dass wir telefonisch reserviert hatten, es ist voll und wir treffen zahlreiche bekannte Gesichter, deren flüchtige Bekanntschaft wir im vergangenen Monat an verschiedenen Orten machten.
Wir sind k.o., von der absonderlichen Wende heute etwas wirr im Kopf. Trotzdem schreibe ich noch einige Stunden, habe ein großes Tagebuchdefizit, bevor es dann ins Bett geht.



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Freitag, 02.09.1994


The chaos goes on and on and on.

Flüchtige Sonnenstrahlen beim Frühstück stellen die Idee in Frage, einsetzender Regen forciert sie. Wir fahren zum Icelandair-Ticketoffice, eine sehr bemühte Dame nimmt sich unserer Angelegenheit an. Nach langer Computerhackerei im internationalen Amadeus-Netz halten wir ein Ausdruck in der Hand "04.09.1994 06:45 HAM - 07:55 FRA - 12:45 ATH". Die Vorverlegung des Fluges KEF-HAM auf Samstag (morgen) ist kostenlos möglich ohne Schwierigkeiten. Sie setzte uns für den Athenflug auf zwei der letzten vier Plätze in der Passagierliste, noch mit der Option zu canceln. Wir haben also ein paar Stunden Bedenkzeit. Eine schwierige Zeit, eine lange Zeit... Sollen wir, sollen wir nicht?!
Am Postamt kann ich einige postlagernde Briefe (unter anderem von Ulrike und Ingrid) in Empfang nehmen. Sehr nett!

Island, Café Paris in Reykjavík

Im Café Paris in Reykjavík fällt die endgültige Entscheidung, nach Kreta zu fliegen.


Im Café Paris lesen wir diese, bevor wir in eine entscheidungstechnische Tortur stürzen bei Kaffi und Donuts. Lange dauert es und wir diskutieren beide Möglichkeiten. Argumentativ ist das Problem aber nicht in den Griff zu kriegen, zu viele Emotionen sind im Spiel. Auch Whisky und Baileys auf Eis bringen uns nicht weiter. Eher halbherzig lassen wir das Los entscheiden, es sagte uns: Athen. Trotz der vorherigen Abmachung, den Entscheid zu akzeptieren, bleibt das gefühlsmäßige, ambivalente Chaos, welches sich auch somatisch in einer eindeutig sympathisch innervierten, prüfungsstreßähnlichen inneren Aufgewühltheit manifestiert. Aber dann: auf zum Reisebüro.

So ganz glücklich sind wir dann auch nicht, als wir die Tickets in der Hand hielten... Etwas mehr Ruhe tritt ein, als wir im großen Sundlaug planschen, später Sachen packen. Abends im Bett ist lange nicht an Schlaf zu denken, ich bin geneigt, diese geballte Unentschlossenheit mit ihren Polaritäten auf mein ganzes Leben zu projizieren, was die Sache nicht leichter macht…



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Samstag, 03.09.1994


04:00 Aufstehen, Shuttle-Bus nach Keflavik. Gähnen. Abschiedsschmerz. Chaos im Kopf. Die letzte Tour durch ein weites Lavafeld...
Kaffee im niedlichen Airport, an welchem in 24 Stunden etwa so viele Flugbewegungen abgewickelt werden, wie in Frankfurt am Main innerhalb von 30 Minuten.
Wir sind dankbar für den einsetzenden kräftigen Regen, bestätigt er doch unser Handeln. Dann radeln wir die knapp fünf Kilometer in den Ort Keflavik, um Kartons und Klebeband für die Radeinpackaktion zu besorgen. Darauf verwenden wir dann sehr viel Sorgfalt, welche damit belohnt werden wird, dass wir später in Athen unsere geliebten Gefährte ohne jeglichen Schaden in Empfang nehmen können.
Nun beginnt also die Flugaktion 6000 Kilometer in den Süden, keine Wolken über Südostisland, was uns einen gigantischen Blick auf den Vatnajökull nebst seinen Sandern und dem Eisbergsee beschert. Gutes Essen an Bord, 2½ Stunden - dann Landung in Kopenhagen, laue, spätsommerliche Abendstimmung. Viertel nach acht: Hamburg. Geld aus dem Automaten ziehen, Telefonieren mit den Eltern (Mutter schmeißt sich bald weg vor Lachen), ein Hefeweizen am Airport, Räder zur Gepäckverwahrung. Die befürchtete schlaflose oder Etappenschlafnacht bleibt aus; ein Bediensteter des Flughafens drängt uns regelrecht auf, eine bestimmte Halle aufzusuchen, wo das Schlafen auf gepolsterten Sitzbänken erlaubt ist. Was für eine Überraschung!

Zum Bericht "Griechenland - Hitzeschlacht auf Kreta und Santorin" geht es hier.



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