In fünf Tagen per Anhalter bis nach Athen
...und dann weiter nach Kreta
Vorbemerkungen
Im Frühjahr des Jahres 1989 liegt unser Abitur bereits zwei Jahre zurück. Mein Freund Andreas und ich verbringen in dieser Zeit die letzten Wochen unseres zwanzig Monate dauernden Zivildienstes in einem Senioren-Pflegeheim im niederrheinischen Voerde.
Als wir im März zu einer dreiwöchigen Reise nach Griechenland aufbrechen, ist dies nicht unsere erste gemeinsame Fahrt. Schon einige Male waren wir gemeinsam unterwegs. Neu ist allerdings, dass wir dieses Mal per Anhalter ans Mittelmeer gelangen möchten, was erstaunlich problemlos klappt.
Eine Freundin von uns lebt zu der Zeit in Athen, so dass klar ist, dass wir ihr einen Besuch abstatten würden. Es folgt dann ein Aufenthalt auf Kreta, wo wir zehn Tage am Strand des an der südwestlichen Küste gelegenen Ortes Palaiochora leben und dort die Bekanntschaft eines Pärchens aus Oldenburg machen, mit denen uns noch über viele Jahre ein freundschaftliches Verhältnis verbinden wird.
Auszüge aus dem Reisetagebuch, welches ich dereinst verfasste, möchte ich an dieser Stelle veröffentlichen.
Freitag, 24. März 1989
Ein Freund bringt uns um halb neun zur Raststätte nach Hünxe, wo das Abenteuer des ersten größeren Tramp-Urlaubes starten soll. Kälte, Sturm, Karfreitag, Regen. Meine Motivation ist nicht gerade überwältigend. Zwar haben wir unsere Erwartungshaltung so niedrig wie möglich geschraubt, doch dass es gleich am Anfang mit Sauwetter losgeht - das muss doch nicht sein...
Eingepackt in die Regenjacken stehen wir da. Auf einem Schild am Straßenrand stehen auf der Rückseite Sprüche gekritzelt wie "Alles ist vorbei, auch die Warterei" oder "Samstag morgen, Regen, die holländische Kolonne reißt nicht ab - ich will weg hier!" Genau das drückt die Situation treffend aus. Fast nur vollbepackte Familienkombis und massenhaft Holländer rauschen vorbei. Ich denke wieder an die sarkastischen Urlaubswünsche unserer Altenheimkollegen: "Schöne drei Wochen in Hünxe!".
Warten auf den nächsten Lift
Doch dem ist nicht so. Nach kurzer Zeit hält ein junger Holländer, wir verstauen das Gepäck in dem winzigen Renault und sind bald in Köln, wo wir dann über eine Stunde im Regen stehen. Dann hält doch noch einer und fährt sogar bis Würzburg. Die Landschaft ist nett, wird mal hügelig und mal völlig eben. Je weiter wir in den Süden kommen, umso mehr sieht man amerikanische Kasernen, direkt daneben ein Burger King und ein McDonalds. Das Wetter ist nach wie vor reichlich beschissen und ich habe eigentlich gar keine Lust, dann den warmen, trockenen Wagen zu verlassen. Nun denn, es muss wohl sein. Kaum haben wir das Gepäck draußen, hält der nächste, fährt direkt bis München. Saubär! Ist ein recht abgedrehtes Pärchen in einem riesigen Volvo. Sie ist die ganze Zeit dabei, EKG-Kurven zu betrachten (studiert wohl Medizin) und er hampelt dauernd zu irgendwelchen tierisch lauten Jazz-Rhythmen auf dem Fahrersitz rum. Ich schlafe dann irgendwann ein, und als ich durch ein ruckartiges Bremsen wach wurde, stehen wir auch schon mitten in München. Von einer alten Dame erfahren wir, welche Bus- und U-Bahnverbindung die beste zum Hauptbahnhof ist. Dort angekommen überkommt mich ein leichter Erinnerungsanflug an das letzte Jahr, da wir von hier unsere Zugfahrt nach Athen begannen. Aber was soll´s, keine Zeit für Wehmut, denn das Jetzt ist aufregend genug und ich bin voller gespannter Erwartung.
Bei der Schwester einer Voerder Bekannten werden wir übernachten. Schwer bepackt und leicht k.o. machen wir uns zu Fuß auf den Weg zu ihr. Heftiger Wind pustet uns entgegen und aus unserem Ghettoblaster dudeln die Beatles vor sich hin. Auf der Karte sieht die Entfernung etwas geringer aus, so latschen wir und latschen. Schließlich erreichen wir die Wohnung, verbringen einen netten Abend…
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Samstag, 25. März 1989, 2. Reisetag
Susanne, unserer Gastgeberin ist von ihrer Nachtschicht eingetroffen, hat noblerweise Brötchen mitgebracht, zudem noch diverses Fettgebäck und Salzbrezel für unsere Proviantplastiktüte. Echt nett. Es gibt noch Tee und Kakao, alle Plörren wurden zusammengesucht und verstaut, dann bringt sie uns zur nächsten Autobahnraststätte, ganz schön weit, nämlich am völlig anderen Ende der Stadt. Dankeschön und tschüs.
So. Die Sonne scheint, ich bin total gut drauf. Der Rastplatz ist echt bescheiden. Da es keine Tankstelle gibt, machen hier fast nur Mercedes fahrende, voll beladene Familien ihre Pinkelpause. Übel. Letzten Endes hatten wir fünfeinhalb Stunden Wartezeit. Das trübt zu meinem eigenen Erstaunen meine gute Stimmung kaum, und dann ist es ein Typ, der schon seit 15 Jahren in L.A. lebt und dort als Redakteur einer Motorradzeitung arbeitet, just vom Frankfurter Flughafen kommt und uns in seinem Mietfiesta bis zur Grenze mitnehmen kann. Endlich mal wieder Autofahren! Wir fahren am Chiemsee vorbei und sehen die lang (5½ Stunden) ersehnten Alpen.
Die Alpen voraus!
Klein ist doch die Welt, jetzt hält nämlich ein Typ an, den Schrat von seinem Mittelamerika-Austausch-Seminar kennt. Schade nur, dass er uns hinter Salzburg wieder raus lassen muss. Diesmal an einer recht wenig frequentierten Tankstelle. Ziemlich bald treffen wir auf zwei Holländer, die Richtung Istanbul wollen. Die Sonne scheint hin und wieder und es ist -offenbar aufgrund der riesigen Berge um uns herum- recht windstill. Ab und zu ein paar Tropfen Regen, aber Gott sei Dank nichts Ernstes. Inzwischen ist es schon vier Uhr am Nachmittag. Keiner scheint gewillt, uns mitzunehmen. Wolken ziehen auf und verschwinden wieder. Die gekritzelten Sprüche auf den Pfeilern lassen Böses ahnen: "Schon 8 Stunden hier. Ich will nur weg!", "Scheiße, kein Bier mehr", "Bier haben wir schon, aber weg kommen wir hier trotzdem nicht", "Was ist das nur für ein verfluchter Ort!"...
Kommen wir hier heute noch weg?
Nach zwei Stunden koche ich Tee und da sitzen wir dann zusammen mit den Holländern an der Autobahn, einige Regentropfen fallen, die Dämmerung setzt langsam ein. Wir schauen uns schon nach einem Pennplatz im Freien um, fest glaubend, die Nacht hier verbringen zu müssen. Doch erst mal ein Tee.
Nun, die Holländer beschließen dann, nach Salzburg zurückzutrampen, um dort die Nacht zu verbringen. Erst haben wir das auch vor, doch als wir kein Auto abbekommen, geben wir die Idee auf. Derweil ist es dunkel geworden und der Verkehr an der Tankstelle ist so gut wie völlig abgeklungen. Wir gehen zum Parkplatz und quatschen verschiedene Leute an, ob sie uns nicht mitnehmen könnten - ohne Erfolg. Unsere Erwartungshaltung war Gott sei Dank niedrig genug, um auch jetzt nicht sonderlich genervt zu sein. Was soll´s, gleich noch mal ´nen Tee kochen und zur Not eine kalte Nacht haben - nun, was kann uns schon passieren?!
Ohne dass wir irgendetwas tun, hält dann plötzlich einer an und fragt nach unserem Ziel. Sauber, er fährt in unsere Richtung. Irgendwann lädt er uns an einer Raststätte zum Kaffee ein. Wie er uns erzählt, hat er keine feste Arbeit, studiert dann und wann und ist meist damit beschäftigt, mittels diverser Gelegenheitsjobs Kohle für seine nächste Urlaubstour zusammenzukriegen. Es dauert nicht lange, da sind wir mitten drin im Hochgebirge. Wir bedauern etwas, dass es schon dunkel ist, denn gerade diese Gegend hatte uns gereizt, doch, was soll´s. Wir haben einen wahnsinnigen Sternenhimmel, abgegrenzt von den scharfen Konturen der Berge. Andauernd kommen Tunnel, bis zu sechs Kilometer Länge. Alte Burgen rauschen an uns vorbei und hin und wieder liegen tief unter uns -rechts oder links- Lichter, die ein Dorf anzeigen. Im Autoradio steckt eine Mix-Kassette von mir, wir hören Lennons "Imagine". Ich schaue aus dem Fenster, lausche. Es ist berauschend. Es ist gut, zu sitzen, weg von diesem frustrierendem Ort.
Der Wiener kann uns bis Klagenfurt mitnehmen, wo er direkt bis zur Jugendherberge fährt, uns noch beim Gepäck hilft und uns Tipps für den nächsten Tag gibt, was die beste Stelle zum Weiterkommen betrifft.
Also doch nicht unter einer Autobahnbrücke schlafen, prima. Wir duschen, herrlich (!), kochen Tee, rauchen, fühlen uns sauwohl, schreiben dann noch etwas und legen uns schlafen.
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Sonntag, 26. März 1989, 3. Reisetag
Kaum hat uns der Wecker aus dem Schlaf geholt, überkommt mich wieder eine unglaubliche Lebenslust, pulsierende Motivation in diesen spannenden Tag zu schreiten! Wo werden wir heute Abend sein? Wie weit kommen wir? Brennende Neugier! Was für Leute? Glück? Pech?
Da augenscheinlich die anderen Gäste der Jugendherberge vergessen, ihre Uhren auf die Sommerzeit umzustellen, sind wir die einzigen, die um sieben im Speisesaal erscheinen. Aufgebackene Brötchen, Kaffee, prima. Nachdem wir den Tauernpaß am gestrigen Abend passiert haben, ist das Wetter einwandfrei. Strahlend blauer Himmel und orange leuchtendes Morgenlicht.
Ein leuchtender, kühler Morgen in Klagenfurt
Fußmarsch von der Jugendherberge zur Hauptstraße
Was für ein Tag! Positive vibrations, yeah! Als wir gegen halb acht losgehen, ist die Stadt so gut wie tot, kaum ein Mensch auf der Straße dieser hübschen österreichischen Stadt. Die Bäume der alleeartig angelegten Boulevards werfen lange Schatten in der Morgensonne und die alten, säuberlich restaurierten Bauwerke sind in ein phantastisches Licht getaucht. Etwas Dunst trübt den Blick auf die Berge am Horizont.
Wir erreichen die Landstraße, welche zum Loibl-Paß nach Jugoslawien führt. Das Gras am Straßenrand ist noch feucht und aufgrund des geringen Verkehrs haben wir kaum Hoffnung, vor dem Nachmittag wegzukommen. Das macht jedoch nichts, so gut drauf sind wir. Wir stellen das Gepäck ab und ziehen Jacken und Pullis aus, so warm war es schon. Etwa eine halbe Stunde lang fahren gelegentlich ein paar Autos vorbei, bis dann ein kleines Wohnmobil anhält - ein älteres Ehepaar!
Reise im Wohnmobil
Mit so was hätten wir am wenigsten gerechnet. Rasch packen wir die Rucksäcke und die Fressalientüte rein und los geht´s. Es folgt eine Fahrt durch eine überwältigende Berglandschaft. Schneebedeckte Gipfel, Wälder, tiefe Schluchten. Ich bin fasziniert.
Am Loibl-Paß
An der Grenze gibt es keine Probleme. Da die Beamten unseren Fahrer offenbar kennt, beläuft sich die "Kontrolle" auf ein freundliches Durchwinken, nicht mal die Pässe wollen sie sehen. Wir machen direkt Halt und werden zum Kaffee eingeladen. Die beiden fahren augenscheinlich recht oft über die Grenze, da sie auch diverse Kunden in Jugoslawien haben, deren Nähmaschinen sie reparieren. So fahren wir auch direkt hinter der Grenze in ein Dorf, wo sich Kundschaft befindet.
Wir vertreten uns die Beine, während "unsere Fahrer" ihre Kunden besuchen
Dann geht es weiter, die Alpen haben wir derweil hinter uns gelassen und die Landschaft ist nur noch leicht hügelig, unterscheidet sich aber in Vegetation und Bebauung nur unwesentlich von dem, was wir zuvor sahen. In Ljubljana (Laibach) steigen wir aus, da sich hier unsere Wege trennen. Mitten in der Stadt stehen wir an einer Abzweigung in Richtung Zagreb. Ich male ein Schild ("Zagreb") und wir essen erst mal was am Straßenrand. Wir haben noch Salami, Brot (reichlich zerkrümelt) und Käse sowie mit Vitamintabletten versetztes Mineralwasser aus Deutschland. Kaum stehen wir da, spricht uns ein Jugoslawe an, der mit seinen zwei kleinen Töchtern auf einen Bus wartet. Er spricht etwas deutsch und ist der Auffassung, unser Standort sei nicht gerade der beste. Er nimmt uns im Bus mit, zeigt uns den Weg und entscheidet sich dann, noch eine kleine Stadtführung in die Altstadt Laibachs zu unternehmen.
Unverhoffte Stadtführung in Ljubljana
Mitten durch die uralten Häuser verläuft ein Fluß, dessen Ufer von frühlingsgrünen Bäumen gesäumt ist. Dazu blauer Himmel und Sonne! Wir sind von der Freundlichkeit des Mannes begeistert. Wir suchen nach seiner Anleitung die richtige Straße und nach kurzer Zeit halten zwei Italiener mit einem PS-starken Lancia an. Mein Gott, selten in meinem Leben habe ich derartige Angstzustände erlebt. Der Knabe heizt wie der Henker. Vor den unübersichtlichsten Kurven überholt er. Irre, dabei wild gestikulierend in eine Konversation mit seinem Beifahrer vertieft... Heilfroh bin ich, als er uns bei einem kleinen Kaff namens Novo Mesto rauslässt. Nun, klasse, wir leben noch und sind in Space-Shuttle-Geschwindigkeit ein ganzes Stück weitergekommen.
Da stehen wir nun. Absolute Wallachei, bergige Gegend, kaum Autos, staubige Landstraße. Kaum zu glauben, unser Glück. Nach wenigen Minuten hält einer an, der bis Skopje fahren will! Schade ist, dass er so gut wie kein Wort der verfügbaren Sprachen Englisch, Französisch, Deutsch oder Spanisch spricht, so dass die ersten paar hundert Kilometer so gut wie kommunikationslos verlaufen.
Auf dem Autoput, der Trans-Jugoslawien-Autobahn nach Süden
Ich beginne mit Hesses "Narziß & Goldmund", worüber ich dann einschlafe. So bekomme ich wenigstens nicht mit, dass der Typ noch viel chaotischer fährt, als die Italiener, zumal sein alter Ford längst nicht so dynamisch überholt. Dafür habe ich nach meinem Erwachen angstvolle Stunden bei Beatles-Sound erlebt. Irgendwann werden wir dann noch von einer Polizeistreife (derer es hier andauernd welche gibt) angehalten und unser Fahrer darf erst mal löhnen. Offenbar wegen der weit überhöhten Geschwindigkeit, auch wenn er das nicht zugibt. Das hält ihn aber nicht davon ab, auf der löchrigen Landstraße weiterzurasen, mit Hupe und Lichthupe alles zu verscheuchen, was ihm in den Weg kommt. Die Landschaft um uns wechselt von dichter Bewaldung zu riesigen Ebenen, deren Ende sich am Horizont verläuft und hinter uns geht am nach wie vor wolkenlosen Himmel die Sonne unter. Wir machen eine kurze Tankpause. Eine gute Gelegenheit, endlich mal zu pinkeln.
Bald erreichen wir Belgrad und wir erkennen einiges wieder, da - wie fast auf der ganzen Strecke - die Bahnlinie nur unweit der Hauptlandstraße bzw. Autobahn liegt. Als unser verrückter Fahrer dann plötzlich anhielt, mitten in der Stadt, an einer kleinen Haltemöglichkeit, denken wir schon (…etwas panisch…), er wolle uns hier raus lassen. Er gibt aber wieder Gas und es folgt ein wirres Kurven durch diverse Stadtteile. Schließlich gelingt es uns mittels Zeichensprache herauszufinden, dass er ziemlich müde ist und eine Pause in Bahnhofsnähe plant. Kein Grund zur Beunruhigung also. Prächtig. Irgendwann finden wir schließlich auch den Bahnhof, stellen das Auto ab und begeben uns zunächst in die Bahnhofsraststätte. Nach fünf Stunden der erste Anflug von dem, was man entfernt mit Kommunikation bezeichnen konnte. Dank seines Serbokroatisch-Deutsch-Lexikon ist wenigstens etwas möglich. Er heißt Demir und lebt ganz dicht an der albanischen Grenze. In der Gaststätte spielte ein alter Mann Akkordeon und singt. Demir fragt uns, ob wir ihm nicht einen Job und eine Frau zwecks Scheinehe besorgen könnten. Tja, die "Dama" ist ein Problem, aber wir versprechen, uns für einen befristeten Schwarzjob umzuhören. Sehr begeistert spendiert er die nächste Runde Kaffee bzw. Bier, wovon er sich auch nicht abhalten lässt. War uns doch etwas peinlich, schließlich kommt er schon mittels Spritgeld und Mautgebühr für unser Fortkommen auf. Nun denn, er erklärt uns seine Absicht, den Abend bis ca. zwei Uhr in Belgrad zu verbringen, dann weiterzufahren und schließlich am Morgen Skopje zu erreichen. Sauber, ein Abend Belgrad! Sein Plan, ein Pornokino zu besuchen, reizt uns dann herzlich wenig. Das erledigt sich aber von selbst, da alle geschlossen haben. So latschen wir durch die um 21 Uhr noch brechend volle Innenstadt und lassen uns in einem Café nieder. Total viele Jugendliche, die in ihrer Modeorientiertheit ohne weiteres den mitteleuropäischen Gepflogenheiten entsprechen, was uns für dieses Fast-Ostblockland doch wundert. Auffällig im Straßenbild ist die große Anzahl an Soldaten in Uniform.
Da der Programmpunkt "Bioskop" (Kino) ja ausgefallen ist und es zusehends kühl wird, latschen wir wieder zum Auto und fahren gegen 22 Uhr ab. Ich klettere wieder in mein kleines Stück Platz auf der Rückbank, die ich mir mit unserem Gepäck teilte. Bald werde ich müde. Wieder laufen die Beatles und ich denke an meine Freundin Connie, die nun daheim sitzt, rekapituliere einen vor kurzem stattgehabten Sylt-Urlaub freue mich schon jetzt, sie wiederzusehen. Über diese wohligen Gedanken schlafe ich dann ein.
Demir ist dann mit der Zeit auch müde und bis in die frühen Morgenstunden machen wir auf irgendeinem Parkplatz Schlafpause.
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27. März 1989, 4. Reisetag
Trotz meiner ziemlich verdrehten und gequetschten Schlafposition fühle ich mich recht bald nach meinem Erwachen total fit. Gerade ist Genosse Sonne im Begriff, aufzugehen. Ich fühle mich an mein Erwachen auf der Paris-Tour letzten Monat erinnert, da sah der Himmel genau so orange und friedlich aus. Dabei schaue ich angstvoll über Demirs Schulter, kommt einer von vorne beim Überholen oder nicht. Tatsächlich kommt es dann noch zu einem Fast-Unfall, als er bei einem Fahrmanöver die Kontrolle über den Wagen verliert und dieser bei hoher Geschwindigkeit hin- und herschlingert. Durch wildes Gegenlenken gelingt es ihm gerade noch, das Fahrzeug wieder in die Spur zu bringen. Was für ein Irrer!
Das Gefühl von positiven Vibrationen und brennendem Tatendrang scheint fast zur Selbstverständlichkeit zu werden. "719 km Atina". Das Ziel rückt näher! Wir erreichen um kurz nach acht Uhr Skopje, wo es wieder eine Zeit braucht, bis Demir es gebacken bekommt, eine Parklücke zu finden und den Wagen dann auch noch in diese hineinzubefördern...
In der Altstadt von Skopje
Zu dritt begeben wir uns dann in die Altstadt von Skopje, wo er eine etwas abgelegene Taverne kennt. Ein Çay kostet lediglich 10 Pfennige und schmeckt ziemlich kräftig - für kurze Zeit ist mir fast schlecht. Echt urig, die alten, verschachtelten Häuser und Gassen; die vereinzelten Moscheen mit ihren Minaretten verleihen der morgendlich-dunstigen Szenerie einen verlockenden exotisch-orientalischen Hauch. In einem Laden kann man einem alten Schmied zusehen, welcher interessante Töpfe und Kannen hämmerte. Ich bin begeistert, was wir alles erleben...
Schließlich verabschieden wir uns herzlich von Demir, versichern ihm nochmals, wir werden ihm schreiben und latschen los. Das ist ein ganzes Stück, bis wir die laute, staubige, siffige, schnelle Landstraße erreichen, welche wieder auf den Highway to Athens führt. Da stehen wir und stehen.
Unzählige Laster, Jeeps, Busse, Pkw rauschen vorbei. Keiner hält. Erstmal Krümelfrühstück am stinkigen Straßenrand. Dann gehen wir weiter in Richtung Autobahn, wissend, dass diese mindestens 20 Kilometer entfernt liegt. Nun, wir haben Zeit. Mittagshitze, die Straße flimmert. Gerade haben wir wieder die Hoffnung aufgegeben, an dieser nicht sonderlich sympathischen Ecke einen Lift zu bekommen, haben schon die Rucksäcke auf, als ich so im Gehen einem alten, kleinen Mercedes-Wohnmobil den müden Daumen entgegenhalte, nur so, man kann´s ja mal probieren. In Gedanken schon schwitzend auf dem Weg zur Autobahn... Und tatsächlich, er hält an! Es sind zwei Belgier, die auf einer 5-Monate-Tour in Richtung Türkei unterwegs sind, außerdem hatten sie ihren kleinen Sohn Aurelien dabei. Und sie sprechen sogar ziemlich gut englisch, eine Freude nach der unterhaltungsarmen Strecke zuvor. Der kleine Bus gefällt mir, so etwas in der Art habe ich mir mit meiner Freundin Connie auch schon mal vorgestellt.
Dominique, schätzungsweise Mitte zwanzig, spielt mit Aurelien und sie erzählt uns, dass sie erst eine Tour nach Indien geplant hatten, was jedoch aufgrund verschiedener Einreiseauflagen im Iran gescheitert ist.
Pause - wir werden zum Essen eingeladen!
Irgendwo in den Bergen Südjugoslawiens machen wir dann Halt und werden zum Essen eingeladen. Jetzt lernen wir auch Nicolas kennen, der die ganze Zeit gefahren war und von dem wir soviel nicht mitbekamen. Auch total nett. So im Gespräch kommen wir darauf, dass er aus Nantes ist und sogar das Lycée Jules Verne kennt, echt witzig. Dort habe ich während meiner Gymnasialzeit einen Schüleraustausch erlebt.
Ganz gemütlich ziehen wir uns Brot, Käse, Obst und Tee rein. Superwetter versteht sich von selbst. Wir helfen beim Spülen der Teller und Becher und dann geht es weiter. Jetzt sitzen Schrat und ich alleine hinten und unterhalten uns. Unsere Reisen sind das Thema. Wir stellen wieder fest, wie langweilig und unbefriedigend es doch wäre, sich in ein Flugzeug zu setzen und in zwei, drei Stunden in Athen zu sein. Zugfahren ist da schon besser, man sieht die Landschaft sich ändern, lernt Leute kennen, kann seine Urlaubsvorfreude voll auskosten. Das Trampen übertrifft dies noch bei Weitem. Der Spannungsfaktor kommt hinzu und bei dem Glück, was wir bis jetzt hatten, schwelgen wir in diesen Gedanken.
Eine Zeitlang sitze ich dann vorne, da der Kleine hinten mit seiner Mutter schlafen muss und quatschte mit Nicolas, während die Grenze nach Griechenland immer näher rückt.
Die Kontrolle dort ist etwas nervig, zweimal kommt ein Zöllner ins Auto und schaut sich - mehr oder weniger gründlich - um. Doch dann sind wir in Griechenland! Das Gröbste ist geschafft.
Unterwegs im Norden Griechenlands
Bis Thessaloniki, wo auch unsere "Mitnehmer" Halt machen wollen, pennen wir hinten im Bus. Eigentlich wollten sie sich irgendwo an einem netten Fleckchen hinstellen, doch mit Rücksicht auf uns steuern wir einen Campingplatz an, der etwa 30 Kilometer östlich der Stadt liegt. Echt, unser Glück ist schon eine unfassbare Sache...
Die Zeit ist hier schon eine Stunde weiter, so dass es gegen acht bereits dunkel wird. Wir checken die Preise ab - sie sind passabel - und schlagen das Zelt auf. Erstmal eine erholsame Dusche, und dann sind die beiden noch so nobel, uns zum warmen Abendessen einzuladen. Salate, Kartoffeln, Nudeln. Während sie danach noch Kaffee und Tee kochen, erledigen wir den Abwasch, irgendwie wollen wir uns ja erkenntlich zeigen. Bevor wie dann schlafen gehen, verabschieden wir uns mit einem herzlichen Dankeschön.
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28. März 1989, 5. Reisetag
Brrr, das war eine kalte Nacht im Zelt. Doch wir leben noch, und wir sind in Griechenland. Wir lassen uns zeitig wecken, bauen in der Morgendämmerung unser (vom Tau) total nasses Zelt ab und stehen um kurz nach sieben an der Straße Richtung Thessaloniki, waiting for the bus, listening to some good ZZTop-Songs.
Kühler Morgen in Saloniki, Warten auf den Bus zur Trampstelle
Der Bus kommt auch, und da normale Nahverkehrsbusse zwischen fünf und acht Uhr morgens kostenlos sind, brauchen wir für die fast eineinhalbstündige Fahrt nichts zu bezahlen. Klasse. Dort angekommen füllen wir in einem kleinen Laden unsere Fressalientüte neu auf und gehen frohen Mutes an die nicht mehr weit entfernte Hauptstraße Richtung Athina. Wieder sieht es für kurze Zeit recht hoffnungslos aus, an diesem Ort wegzukommen, doch nach wenigen Minuten hält ein Grieche, der uns bis Larisa mitnehmen kann. Im Gespräch stellt sich heraus, dass er auch schon mal, wie wir im letzten Jahr, auf Skopelos war. Nicht nur das, er hatte sogar auf demselben winzigen Hügel wie wir sein Zelt aufgeschlagen...
Larisa ist dann echt etwas nervig. Stinkende Abgase, Staub, viel vorbeifahrendes Militär, keiner, der anhält. Irgendwann kommt ein Hippie vorbeigelatscht, völlig entnervt und versifft "what a goddamn fuckin´place, waitin´ here since two days, couldn´t get a lift, bullshit...". Nicht gerade förderlich für unsere Motivation, aber natürlich kein Grund, aufzugeben. Nach etwa drei Stunden, als Schrat gerade etwas abseits im staubigen Gras sein Frühstück einnimmt, hält ein Laster. Sauber, sind wir also auch mal im Laster mitgefahren. Echt cool, der Typ. Hat ein Funkgerät, mittels dessen sich die Lkw-Fahrer gegenseitig über Radarkontrollen auf dem Laufenden halten. Wenn das Ding mal nicht eingeschaltet ist, läuft Led Zeppelin, sehr geil. Es ist zwar etwas unbequem, aber die Landschaft entschädigt uns, wir fahren viel an der Küste entlang, passieren Ag. Konstantinos, tolles Wasser, tolle Berge.
Schließlich muss er uns ca. 80 Kilometer vor Athen rauslassen, da er auf die Landstraße nach Korinth auf dem Peloponnes abfahren muss. Da stehen wir dann, einsam und verlassen an der Autobahn, vor einer winzigen Tankstelle, wo nur alle halbe Stunde mal ein Auto hält. Am Horizont Berge, kaum Häuser. So hatten wir uns das Trampen vorgestellt. Am wolkenlosen Himmel geht allmählich die Sonne unter und der Verkehr nimmt zusehends ab. Von Zeit zu Zeit fährt mal ein Bus nach Athen vorbei, und von Minute zu Minute wächst die Versuchung, einen anzuhalten. Nein, wir trampen.
Nach drei Stunden geben wir dann die Hoffnung auf und beschließen - unserem Ehrenkodex zu wider - den nächsten Bus zu stoppen. Es ist schon beinahe zum Prinzip geworden, dass das Aufgeben des Glaubens an den Erfolg blitzartig zum Ziel führt. Denn wenige Minuten nach unserem Beschluß stoppt ein VW-Bus, der dann bis Athen fährt. Er bringt uns bis in einen Vorort und setzt uns an einer S-Bahn-Station ab. Wir haben´s geschafft! Wir sind tatsächlich nach Athen getrampt! Was für ein Gefühl! Wir kaufen ein paar Äpfel und Bananen und fahren zum Omonia-Platz, ziemlich wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Tja, wie geht´s jetzt weiter? Zunächst gehen wir ins Telephone-Office, von wo aus ich mich bei Connie melde und anschließend meine Eltern auf Sylt informiere, dass ich heil und lebendig angekommen bin...
Üblerweise gelingt es uns nicht, eine der Telefonnummern unserer Athener Bekannten ausfindig zu machen, auch nicht die Nummer von Christas (eine Freundin aus Voerde, die für längere Zeit in Athen lebt) Aufenthaltsort bei Costas. Fuck, was tun? Wir checken unsere Möglichkeiten ab. Entweder, wir suchen eine billige Bleibe für eine Nacht in der Nähe des Omonia-Square, oder wir probieren, im Hotel von Roula (einer Bekannten) deren Nummer zu bekommen. Schließlich entscheiden wir uns für letzteres, wenn es auch riskanter ist. Wir finden die Bushaltestelle und fahren eine knappe Dreiviertelstunde in den Vorort Glifada.
Im Hotel ist der Knabe nicht bereit, mit Roulas Privatnummer rauszurücken. Verdammt, es wird zusehends kälter und ich bin auch ziemlich müde. Wir beschließen, erst mal in den Flanagans Pub zu gehen (dessen Besitzer Andrew wir noch flüchtig vom Vorjahr kennen) und ein paar Bier zu trinken. Außerdem besteht ja Hoffnung, dort Roula zu treffen. Und tatsächlich, sie ist da! Was für eine freudige Überraschung. Sie ist natürlich auch ziemlich erstaunt. Ach ja, back home.
Nach einiger Zeit verziehen sich die zwei britischen Rugby-Teams, die die ganze Zeit eine wilde Party abhielten, so dass es ruhiger wird und wir uns zum Smalltalk mit Roula an einen Tisch setzen. Roula hat aufgrund der Kurzfristigkeit unseres Auftauchens leider keine Schlafmöglichkeit parat. Schade. Wir durchspinnen dann einige nicht verlockende Ideen wie draußen schlafen oder die Nacht auf die Weise durchzumachen, indem wir zurück in die City latschen. Alles ziemlich nervig. Bis halb drei sitzen wir da, erwarten die Nacht mit Unbehagen. Ich friere sogar jetzt schon. Auf einmal kommt mir die Idee, dass sich hier ja vielleicht ein Campingplatz befinden könne. Ich frage den Wirt, und tatsächlich!!! Mann, sind wir happy. Gegen drei erreichen wir den Platz und werden auch noch hereingelassen. Rasch steht das Zelt und wir freuen uns, mal so richtig ausschlafen zu können.
Nächtlicher Zeltaufbau in Athen
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Mittwoch, 29. März 1989, 6. Reisetag
Das tun wir auch. Erst gegen zwölf erwachen wir aufgrund der Hitze im Zelt. Eine wohltuende Dusche und ein leckeres Frühstück bei fröhlichem Beatles-Sound. Tee, eine Zigarette, cést la vie! Die Sonne knallt und man kann sich ohne weiteres seines Oberteils entledigen. Ganz in Ruhe essen wir und machen uns dann auf, die Telefonnummer von Costas zu bekommen. Dies gelingt auch, doch ist dort niemand zu erreichen, fuck.
Nun, wir fuhren in die City, tauschen Geld, stillen unseren massiven Hunger mit Griechischem Salat, Zaziki und Pommes -tut gut- und laufen etwas durch die Stadt.
Zappeio
Andreas
Schrat ersteht noch eine recht witzige Sonnenbrille und dann fahren wir zurück nach Glifada, da wir endlich mit unseren Tagebüchern aus dem Quark kommen wollen. Dort angekommen, denken wir, holen wir was zu Essen und trinken einen Tee. Die nahegelegenen Supermärkte haben leider geschlossen, so gibt es nur ein paar Kekse vom Kiosk. Im selben Moment rauschte ein fetter Jeep vorbei, Christa am Fenster, freudestrahlend am winken! So ein Zufall! Naja, an diesem bisher doch eher verrissenen Tag tut ein Glückserlebnis recht gut. Auch Miltos, der den Wagen fährt, wiederzusehen ist eine Freude, hat jetzt einen Bart und sieht aus, wie ein alter Philosoph... Wir fahren in eine nahegelegene Taverne, trinken Bier und erzählen von unserer Reise. Ha, haben wir sie doch noch getroffen! Miltos verdrückt sich kurzfristig und kommt mit seiner Moto Guzzi angeheizt, auch Roula ist in ihrem klapprigen Jeep da. So quatschten wir, während nett die Sonne untergeht und beschließen mit zunehmendem Kohldampf, Souvlaki essen zu gehen. Roulas Jeep springt aber nicht an und sämtliche Reanimierungsversuche scheitern.
Im Stadtteil Glifada
Nicht ganz StVO-konforme Motorradnutzung...
Ich düse dann mit unserem griechischen Bekannten auf seiner fetten Karre durchs abendliche Athen zum Campingplatz, um ein paar warme Sachen für Schrat und mich zu holen. Mit zwei Motorradfuhren werden wir dann zur Souvlaki-Station chauffiert, einmal Schrat und ich hinten drauf, dann Roula und Christa. Das ist schon wieder ein witziges Erlebnis. Christa spendiert uns die Souvlaki-Pitas, die wahrlich köstlich sind. Es ist zwar noch recht früh, etwa neun Uhr, doch halten wir es für das Beste, heute nicht in den Flanagans Pub zu gehen, sondern uns schlafen zu legen. Tja, der Tag war nicht so erlebnisreich, aber was soll schon groß passieren, der aufregenste Teil des Urlaubs ist vermutlich gelaufen, aber wer weiß...
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Donnerstag, 30. März 1989, 6. Reisetag
Ohne Frühstück bauen wir das Zelt ab, packen die Rucksäcke fertig und brechen zeitig auf in die City. Das Gepäck können wir bei den netten Menschen an der Campingplatzrezeption lassen. Im Ortsteil Kipseli sind wir mit Christa verabredet, die dort bei dem Künstler Costas wohnt. Der Kerl ist wirklich genial. Sein altes, kleines Haus ist bis in den letzten Winkel mit irgendwelchen bizarren Objekten aus Holz, Bauschaum, Autoteilen, Farbe etc., Zeichnungen, Photographien, Plakaten ausgefüllt. Alles ist entweder selber gemacht, verändert, bemalt oder beklebt. Auf dem Dach des eingeschossigen Hauses ist eine Terrasse befindlich, auf der wir erst mal Kaffee trinken, Äpfel essen und köstliche Honigtoasts knuspern.
Dachterasse des Künstlers im Stadteil Kipseli
Objekte
Atelier
Objekte
Neben seinen Kunstwerken verdient er sein Geld noch als Saxophonist und hat im Moment eine ganze Menge Streß mit der Aufnahme seiner neuen Platte. TV-Auftritte, auch normal. Des Weiteren hat er derweil einen Auftrag für die Gestaltung eines Theaterbühnenbildes... Beeindruckende Person, dabei im Gespräch so unkompliziert und nahbar.
Genau zu diesem Theater fahren wir dann in seinem klapprigen Uralt-Auto aus den Fünfzigern, da Christa noch Photos machen will (sie wird heute Abend wider nach Deutschland fliegen) und es ist wahrlich interessant... Wir verabschieden uns dann, da wir bloß rechtzeitig gegen sechs in Piräus sein wollen, um die Fähre nach Chania auf Kreta noch zu bekommen. Das schaffen wir auch problemlos, nachdem wir zuvor unsere Sachen in Glifada abgeholt haben.
Hafen von Piräus
In Piräus müssen wir noch ein ganzes Stück laufen, ist ziemlich heiß, bevor wir die Riesenfähre finden. In der miefigen Autoeinfahrt erstehen wir unsere Tickets, die erfreulicherweise nicht einmal 25,-DM kosten, für zwölf Stunden Fahrt wirklich passabel.
Der Raum sieht eigentlich aus, wie ein überdimensionaler Großraumwagen im Zug, hat vorne einen Fernseher und ziemlich viel Platz. Dort lassen wir uns nieder, schon daran denkend, hier gut auf dem Boden schlafen zu können. Mit der Zeit füllt sich das Schiff und schließlich wird zu unserem Ärger der Fernseher eingeschaltet und auf eine unverschämte Lautstärke getrieben.
Dennoch finden wir irgendwann Schlaf.
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Freitag, 31. März 1989
War echt ´ne gute Nacht. Prima gepennt, noch alle Klamotten da, was will man mehr. Ich erwache gegen sechs Uhr und gehe erst mal zwei Stockwerke höher ans Oberdeck. Wir fahren bereits an der Nordküste Kretas entlang. Da es noch fast völlig dunkel ist, hebt sich die Insel nur als schwarze Silhouette vom sternenklaren Horizont ab, außerdem sieht man einige Lichter. Ich schaue hinab, sehe das schwarze Wasser und erkenne nur schwach die rauschende Bugwelle. Es ist kalt und zugig. Nur hinter mir beginnt zaghaft der Himmel, ein gedämpftes Orange anzunehmen und zusehends den Sternenhimmel über mir in ein tiefes, fast violettes Blau zu tauchen. Ich friere und steige wieder hinab. Jetzt dauert es auch nicht mehr lange, bis wir anlegen und von Bord gehen.
Morgens erreichen wir Chania an der Nordküste Kretas
Per Bus gelangen wir nach Palaiochora
Besonders hübsch ist es nicht gerade und auch jegliches Inselgefühl ist mir in diesem, fast städtischen Gebiet fern. Nun ja, Kreta hat ja auch eine Länge von fast 300 Kilometern und das ist ja schon was. Christa gab uns den Tipp, den kleinen Ort Palaiochora im Süden der Insel aufzusuchen. Wir erkundigen uns mühselig nach dem entsprechenden Bus, finden ihn auch. Die Fahrt dauert gut zwei Stunden, wovon ich einige Zeit verschlafe. Nachdem wir das bebaute Gebiet ins Inselinnere hin verlassen, wird die Landschaft bedeutend schöner, urtümlicher. Gar nicht weit weg sieht man hohe, schneebedeckte Berge und die Abhänge, die teils die Straße begrenzen, lassen mir mehr als einmal Angstschauer über den Rücken laufen, insbesondere dann, wenn man unten wieder ein Autowrack liegen sieht... Als wir ankommen, muss Schrat mich erst mal wecken, und da nicht nur ich sondern auch mein Bein fest eingeschlafen war, habe ich zunächst massive Probleme beim Gehen...
Zunächst setzen wir uns in ein nahes Café, schlürfen Frappé (ein kaltes Nescafé-Getränk, köstlich) und beobachten das Treiben auf der Straße. Total viele Freaks, es scheint ein wahrer Aussteigertreffpunkt zu sein.
Wir machen ein nettes kleines Doppelzimmer für umgerechnet 6,-DM pro Person ausfindig. Gut.
Wir lassen uns -Beatles hörend- häuslich nieder und binnen weniger Minuten herrscht in dem Raum ein gemütliches Chaos. Teatime. Ja, uns geht es gut. Nach etwas Tagebuchschreiben erkunden wir den Ort, kaufen ein, Brot und Bier, und gehen zurück. Auch haben wir festgestellt, dass am Strand ein paar Zelte stehen, womit die Entscheidung feststeht, ab morgen auch dort einen Platz zu suchen.
Am Strand von Palaiochora
Wieder in unserem Zimmer quatschen wir uns beim Bier fest. Schwelgen wie zwei sich nach dreißig Jahren wieder treffende Freunde in alten Gymnasiastenerinnerungen. Denken an fast vergessene Gesichter und Geschichten, die so in die Zeit fielen. Hat total Spaß gemacht und sicher dazu beigetragen, die Erinnerung an dieses oder jenes für noch eine gewisse Zeit vor dem Versinken zu bewahren.
Wie beabsichtigt, allerdings wesentlich später als geplant, gehen wir an den Strand, wo wir noch Leute zu treffen hoffen. Doch, tote Hose. So vernichten wir das restliche Bier an der Promenade auf der anderen Seite des Ortes und gehen dann schlafen.
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Samstag, 01. April 1989
In aller Ruhe packen wir ein, zahlen bei den alten Herrschaften, die die Pension betreiben, unsere Miete, kaufen einige Fressalien für´s Frühstück und gehen an den Strand. Es ist nervig windig und wir schauen uns nach einem möglichst windgeschützten Fleckchen zwischen ein paar kleinen Bäumen um. Routinemäßiges Zeltaufbauen.
Nun steht unser Zelt am Strand
Ich bin müde und irgendwie schlecht drauf, erwarte die Nacht mit Unbehagen, da ich heftiges Frieren ahne. Außerdem stört mich der Wind beim Sonnenbaden. Nach einiger Zeit geht es dann wieder.
Wir gehen dann in eine Taverne, wo wir ein paar Freaks draußen sitzen sehen. Ich trinke Bier, Schrat Frappé und wir schreiben einige Zeit. Flüchtige Kontakte zum Nachbartisch entstehen. Die meisten Leute sehen recht fertig aus und ziemlich siffig. Noch ein Bier, noch ein Bier. Dann gesellt sich Susanne aus Hamburg zu uns, sie kennt die meisten Freaks. Wir erfahren, dass es sich um "Tomatenpflücker" handelte, d.h. sie arbeiten tagsüber für 4000-5000,- PX (50-60DM) auf den Plantagen. Der Abend dient dann in erster Linie dazu, die erpflückten Drachmen zu einem alkoholischen Vollrausch zu nutzen. Wir finden die Idee mit dem Arbeiten ziemlich gut und beschießen, es am Montag auch mal zu probieren. Bestimmt ´ne interessante Erfahrung, und etwas Kohle ist ja auch nicht übel...
Ich rufe dann mal wieder kurz zu Hause an, Mutter ist ziemlich erstaunt, dass ich auf Kreta bin.
Wir gehen dann die (einzige) Hauptstraße im sich stets verdichtenden Abenddunkel in Richtung der Berge. Eine ganz seltsame Stimmung überkommt mich. Nach rechts und links ist der Weg mit hohem, dichten Buschwerk begrenzt, aus dem unentwegt exotische Insektengeräusche ertönen. Hin und wieder kommt einer der kleinen Pick-Ups vorbei geheizt beleuchtet die Schneise, die dadurch beinahe Tunnelcharakter erhält. Es ist noch verhältnismäßig warm und irgendwie kommt mir alles so wahnsinnig vertraut vor, auch wenn es kein richtiges Déjà-Vu-Erlebnis ist. Wir beginnen, über Reinkarnation zu reden...
Schließlich erklimmen wir über unwegsames Geröll noch ein Stück des Berges, um den Ort bzw. seine Lichter von oben zu betrachten, den unfassbaren Sternenhimmel zu bewundern und eine Gauloise zu schmöken. Nach einiger Zeit gehen wir dann in die abgedrehte Taverne zurück, wo sich derweil einiges an betrunkenen (aber sehr friedlichen) Gestalten eingefunden hat, unter denen einer namens Steven besonders erwähnenswert ist. Braungebrannt, kräftig, unheimlich gut aussehend, strahlende Augen und in seinem völlig unzurechnungsfähigen Zustand total angetrieben, voller Energie. Dem Wahnsinn nahe, in den Aussagen ein Hauch von tiefer Philosophie und von Genie. Auf der anderen Seite der arme Hund, der Gescheiterte, der Abschaum. Als wir ihn tags drauf erneut trafen und sein Blutpegel im Alkohol noch hoch genug war, er also zu etwas wie tatsächlicher Unterhaltung fähig war, da stimmt mich diese fürchterlich traurig, Steven tat mir total leid. Der Gehalt seiner Gedanken, die verworfene Existenz, dem Alkohol schaurig verfallen.
Nüchtern bleiben wir auch nicht heute abend, hängen noch in einer anderen Taverne und in einer sogenannten Disco (der letzte Scheiß) ab, bevor wir in der Dunkelheit am Strand unser Zelt aufsuchen.
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Sonntag, 02. April 1989
Obwohl wir bis mittags schlafen, bin ich fürchterlich müde und absolut nicht in Urlaubsstimmung. Kalt war die Nacht gottseidank nicht, meine Befürchtung war also grundlos gewesen. Nun, es ist noch leicht bedeckt und wir ziehen erst mal los, um einige Sachen für das Frühstück zu erstehen. Wir machen einen ganz guten Laden ausfindig, welcher sogar Schwarzbrot im Sortiment führt, für diese Gegend wirklich etwas Besonderes. Auf dem Rückweg zu unserem Zelt treffen wir dann Susanne wieder, die dann -auf unsere Einladung hin- mit uns Tee trinkt und frühstückt. Bald kommt die Sonne durch, meine Stimmung hebt sich etwas. Oft aber hänge ich sehnsüchtigen Gedanken an meine Freundin daheim hinterher… Das Verweilen an einem Ort, wie wir es gerade tun, läßt viel Zeit für solche Gedanken...
Wir liegen dann am Strand, ich kann mich noch nicht überwinden, ins recht kühle Wasser zu gehen. Netter Hippie-Sound dudelt aus dem kleinen Kassettenrekorder und als Schrat beginnt, den "Demian" von Hesse zur Hand zu nehmen, da mache ich mich an Körners "Johannes", welcher mich auch nicht eher loslässt, bis ich ihn ausgelesen habe.
Auch am Abend in der Taverne lassen mich viele Gedanken bezüglich der Lektüre nicht los, sie werden dann im Gespräch mit Andreas verdrängt. Auch er verspürt -nach gerade drei "seßhaften" Tagen- den Antrieb, weiterzukommen, Neues zu sehen. Zwar ist es ganz hübsch hier, jedoch dieses intensive Reisegefühl, die motivierte Lebenslust, das Fortkommen, das Streben nach Neuem, die gierige Lust zu atmen, soviel Neues zu atmen, wie möglich, die fehlt hier. Wir planen Aktivitäten für die vor uns liegende Woche, noch nicht ahnend, dass alles weitaus fauler und geiler werden sollte, als gedacht...
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Montag, 03. April 1989, 11. Reisetag
Für den heutigen Montag haben wir uns vorgenommen, in den Tomatenplantagen zu arbeiten, um eine neue Erfahrung zu gewinnen und wieder aktiver zu werden. Es ist noch dunkel, als der Wecker uns aus dem Schlaf holte, und erstaunlicherweise bin ich sofort hellwach und überhaupt nicht genervt. Ganz im Gegenteil, supergut drauf! Und das um kurz nach sechs. Man träumt hier einen Käse, nicht zu fassen. Heute Nacht war ich in Jugoslawien an einem Ort, welcher an ein thermales Heilbad erinnerte. Es handelte sich um eine Höhle mit klarem, türkisfarbenem Wasser, in dem einige Leute badeten. Was allerdings viel witziger war, das war ein daneben gelegenes Schlammfeld, in welchem sich lauter ältere, dickbäuchige, nackte Griechen animalisch suhlten. Auch Schrat hatte irgendeinen Schwachsinn geträumt, und während wir uns davon erzählen und uns schlapplachen, sind wir vollends wach. Pünktlich um sieben sitzen wir dann in der Taverne und nach und nach treffen auch alle anderen Pflückwilligen ein. Wir teilen uns einen Tee, da das Geld im Moment alle ist und ein Tischnachbar bietet uns ein paar Schokoladenkekse an. So sitzen wir da, wartend, in einer englischsprachigen Zeitung lesend und nichts passiert. Nach etwa drei Stunden geben wir und die meisten anderen es auf und gehen. Wie wir später erfahren, war dafür irgendein Streik verantwortlich. Nun, auch nicht so schlimm. Wir tauschen Geld, kaufen für´s Frühstück ein, suchen uns ein sonniges Plätzchen im Windschatten einiger kleinwüchsiger Tamarisken, ganz in Zeltnähe. Es ist ein klarer Morgen und der Wind hat gedreht. In aller Ruhe kochen wir Tee und Eier und hörten Tracy Chapman. Was für ein Tag! Mit der Zeit wird es wärmer und ich beginne Hesses "Narziß und Goldmund" mit Begierde zu lesen, dazu jedoch später noch mal...
Meine sehnsüchtigen Gedanken an einen Ortswechsel, teilweise auch an die Rückfahrt werden immer gedämpfter, trotzdem ertappe ich mich mal dabei, die Tage zu zählen, bis ich meine Freundin wiedersehe.
Heute gehe ich baden. Ganz langsam taste ich mich vor, kalt ist es. Ich spüre die Kühle genußvoll, bin von der Klarheit des Wassers angetan. Die an der Wasseroberfläche gebrochenen Lichtstrahlen tanzen bizarr über den Sandboden, ich sehe meinen eigenen Schatten beim Schwimmen. Ich lebe! Später am Strand übe ich mich im Hand- oder Kopfstehen. Energie ist in mir, wieder dieser beglückende, fast berauschende Zustand von Lebenswille. Positive Vibrations Yeah! Bald zieht es mich erneut ins kühle Meer, wieder ist es Genuß, Leben, Freisetzen von Energie.
Bleibt noch zu sagen, dass ich in meinem Buch voran komme und dass wir abends Spagetti essen.
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Dienstag, 04. April 1989, 12. Reisetag
Auch heute Nacht hatte ich einen eigenartigen Traum. Ich befand mich auf der Sporadeninsel Skopelos in einem Dorf, als verkündet wurde, in der kommenden Stunde werde der nukleare Untergang über die Erde kommen. Sehr schnell waren die Gassen und Plätze voll von Menschen, viele Touristen. Alle schwankten in langsamen Bewegungen hin und her, dabei sangen sie einen schnulzigen deutschen Schlager, viele weinten. Ich stand auf einer Erhebung, alles überblickend. Es war ein wunderschöner Tag, ich hatte auch Blick auf das Meer. Ein schauriger Widerspruch, diese absolute Schönheit und der nahe, unausweichliche Tod. Ich war jedoch nicht von der Hysterie angesteckt, fühlte nur eine unermessliche Traurigkeit. Ich nahm ein Moped und fuhr in die Berge hinauf. Dumpf, wie Choräle klang der widerliche Gesang bis hier. Irgendwie machte ich diese Dummen dafür verantwortlich, durch ihr Augenverschließen und unterlassenes Nachdenken, dass jetzt bald alles und jeder aufhören wird, schön zu sein, zu existieren. Diese Blinden, wie sie die Vergänglichkeit alles Seins weg leugnen und verdrängen. Mir dagegen war stets auch der Tod, ein Ende vor Augen. Ich fühlte mich wissend, überlegen und genoß noch ein letztes Mal die Natur, auch wenn mir eher nach Weinen zumute war... Soweit der Traum.
Für heute haben wir vor, zu einer Bucht namens Elafonissi zu wandern, dort eine Nacht zu bleiben und eben morgen zurückzulaufen. Wieder stehen wir um kurz nach sechs auf, heute nervt mich das ziemlich und ich bin wohl wirklich das, was man einen Morgenmuffel schimpft... Nun, wir packen unsere Klamotten ein, so, dass ein Rucksack in Palaiochora bleiben kann, also nur die wichtigsten Sachen in einen Rucksack. Gestern Abend hatten wir eine Engländerin gefragt, ob wir die übrigen Sachen für die Nacht bei ihr im Zimmer abstellen könnten, was dann auch geschieht.
Wir kaufen dann noch reichlich ein und verteilen es auf zwei Plastiktüten. Dann starte die Aktion, einer hatte den Rucksack und einer die beiden Tüten, alle halbe Stunde wechseln wir. Ist beides lästig, nur haben die Tüten den Vorteil, dass sie durch den allmählichen Lebensmittelverbrauch immer leichter werden, besonders das Wasser macht sich bemerkbar. Etwa zwei Stunden folgen wir der Landstraße. Mir geht´s zusehends besser und ich finde allmählich große Freude an der Sache, besonders jetzt, wo wir den Weg erreichen, der durch Berge und entlang der Küste zum Ziel führen soll. Zumindest hatten wir davon gehört, dass ein Weg existieren soll.
Wir klettern in eine kleine, unwegsame Bucht hinab und sind noch nicht ganz orientiert. Zwei Franzosen, die wir treffen, meinen, es gebe rote Wegmarkierungen, auf deren Suche wir uns dann machen. Wieder über Felsen steigen wir etwas hinauf und plötzlich sehen wir die Punkte, die mit Farbe hier und da auf Steinblöcke gemalt sind. "Weg" kann man das allerdings kaum nennen, nicht mal ein Pfad ist das. Geröll, Sträucher, Steine, teils sehr unwegsam. Nur die Punkte, alle paar Meter einer, geben uns Gewißheit, das Richtige zu tun. Es geht etwas ins Landesinnere. Tolle Berge, wir fühlen uns wie ein Expeditionstrupp und sind schon wieder um eine Erfahrung reicher. Ungefähr eine Stunde vergeht, bis wir über Gestrüppflächen und über Felsblöcke eine hübsche Bucht erreichen, die zur Rast einlädt.
Das Ziel ist es aber noch lange nicht. Es gibt Obst und Wasser, bevor wir weiterziehen. Die Sonne steht inzwischen ziemlich hoch, doch herrscht hier an der Westküste ein tierischer Wind, so dass die Hitze wenigstens kein besonderes Problem ist. Der Weg, zwischenzeitig verdient er diese Bezeichnung, führt nun entlang der Küste, allerdings trennen uns bestimmt hundert Meter Höhenunterschied vom Wasser. Es gibt wahrlich brisante Stellen, da geht es links steil ab und es ist empfehlenswert, genau zu überlegen, auf welchen Stein des Geröllpfades man tritt, um nicht abzurutschen. Wir laufen und laufen. In der Ferne sieht man bereits Elafonissi. Je weiter es geht, umso mehr muss der noch sehr junge Begriff "unwegsam" wieder relativiert werden. Die Gurte des Rucksackes schnüren zusehends und die Plastiktüten sind von dornigen Sträuchern ziemlich zerrissen. Die Abstände zwischen den Verschnaufpausen werden immer kürzer. Schließlich gibt es gar keinen Weg mehr, ebensowenig wie rote Punkte. Die Angelegenheit wird auch immer gefährlicher, oft rutscht man auf Steinen ab, hat Probleme, die Richtung zu finden, ständig am Abgrund. Schließlich schlage ich vor, Kehrt zu machen, womit ich Andreas wohl aus der Seele spreche. Vorläufig beschließen wir, zur Bucht zurückzukehren und dort zu zelten. Wir laufen bereits sechs Stunden und allmählich entwickelt sich die Angelegenheit ernstlich zu einer Strapaze. Ein Fuß vor den anderen und immer so weiter. Ich habe derweil die Idee mit dem Zelten in der Bucht verworfen und habe die Absicht, noch heute bis Palaiochora zurückzuwandern, notfalls alleine.
Schrats Erschöpfungszustand ist schon wesentlich fortgeschrittener, als meiner. Ich war auch nicht so entnervt, wie er. Die Idee, noch heute zurückzulaufen, stößt folglich auf gereizte Ablehnung. Auch dass wir große Teile des Proviants aus den Tüten verloren hatten, macht die Lage etwas ärgerlich. Nachdem ich ihn darauf aufmerksam mache, wie sinnlos es jetzt ist, dieses gereizte Verhalten an den Tag zu legen, fängt er sich bald wieder, wir teilen uns eine Zitrone, so ziemlich alles, was wir noch haben und setzen nach einer knappen Stunde den Rückweg fort. Die Blasen an den Füßen beginnen, lästiger zu werden, aber immerhin laufen wir alsbald schon wieder auf der Landstraße. Irgendwo, zwischen Tomatenplantagen gibt es eine kleine Taverne, wo wir völlig entkräftet und naßgeschwitzt die letzten hundert Drachmen in zwei Cola umwandelen. Das tut gut. Die Sonne sinkt allmählich tiefer, wir müssen weiter. Die ersten Pick-Ups, die vorbeidüsen, eine lästige Staubwolke hinter sich herziehend, fahren vorbei, ignorieren unseren verzweifelt ausgestreckten Daumen. Irgendwann jedoch, ungefähr eine Stunde Fußweg vor Palaiochora, hält doch noch einer. Oh, wie angenehm ist der Fahrtwind hinten auf der Ladefläche und wie wohltuend der Gedanke, bald wieder "zu Hause" zu sein, in Ruhe, sitzend, ein Bier zu trinken! Beim Abspringen von der Ladefläche mache ich mich dann noch halbwegs lang, da der Fahrer wohl nicht gepeilt hatte, dass wir gerade "aussteigen", so gibt er schon wieder Gas. Egal, wir sind jedenfalls wieder da.
Unsere neuen Nachbarn - schnell freunden wir uns an
Am Strand müssen wir dann feststellen, dass sich an unserem netten Fleckchen ein Pärchen mit Zelt eingenistet hat, so beginnen wir, etwas abseits davon in Nähe eines Baumes das Zelt aufzubauen. Noch währenddessen ergibt sich eine kurze Unterhaltung, und sie bieten uns an, das unsrige Zelt doch bei sich dazuzustellen, was wir auch tun. Ein Bad im Meer sorgt für entspannende Erfrischung, bevor wir uns aufmachen, Susanne zu suchen, von der wir noch etwas Geld bekommen, was wir ihr ein paar Tage zuvor geliehen hatten. Kein Problem. Kurz darauf sitzen wir wieder bei Evangeli in der Taverne, trinken Amstelbeer und futtern eifrig Papadopoulos -Schokokekse. Wir erfahren noch von ein paar Leuten, dass heute Abend am Campingplatz eine Party sein soll und beschließen, dort später hinzugehen. Das zweite Bier setzt uns in unserem ausgepowerten Zustand ziemlich zu. Gegen zehn stiefeln wir zum Strand zurück, wo dann bei Kerzenlicht unsere neuen Nachbarn vorm Zelt sitzen. Wir gesellen uns zu ihnen und sind rasch in eine angenehme Unterhaltung vertieft. Die Motivation, noch auf die Party zu gehen, war eh schon gesunken, doch als der Abend so einen angenehmen Verlauf nimmt, ist sie ganz dahin. Die beiden kommen aus Oldenburg und es ist nett, mal wieder norddeutschen Slang zu hören. Beide stellen sich, auch in den kommenden Tagen, als sehr liebenswert heraus.
Irgendwann sind wir müde, so spät war es noch gar nicht, und legen uns hin.
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Mittwoch, 05. April 1989, 13. Reisetag
Ausschlafen, und sich bloß nicht über das nötige Maß hinaus bewegen, das habe ich vor, und es wurde auch verwirklicht. Gleich mit den Frühstückseinkäufen besorgen wir eine Flasche Ouzo, neben Brot und der alltäglichen Packung "La vache qui rit"-Schmierkäse, den Eiern und dem Obst. Äpfel, Orangen, auch Paprika und Möhren. Als wir wiederkommen, sind auch die beiden auf. Tee und Eier werden gekocht, Anja hat noch eine Dose Ölsardinen zur Bereicherung des Frühstücks. Ach, ist das schön! Auch der Muskelkater in den Waden stört nicht und die Blasen an den Füßen wurden sorgsam "abgetragen", kleine OP nach dem Frühstück. Hin und wieder gibt es etwas Ouzo. Bald machte ich es mir auf meiner Isomatte in der heißen Sonne gemütlich. Es scheint wirklich von Tag zu Tag wärmer zu werden.
Mit Begeisterung begleite ich die Wanderjahre Goldmunds, oft kann ich mich mit ihm identifizieren, oft sehe ich Parallelen zum "Johannes". Schon komisch, dass ich ausgerechnet jetzt dieses Buch las, da ich selber unterwegs bin, oft nicht weiß, wo ich abends schlafe und auch von Trieben gelenkt bin, die sich gegen Sesshaftigkeit richten. Was mir besonders in der letzten Zeit durch den Kopf geht, das ist dieses tief verwurzelte Sicherheitsdenken in mir, bei welchem ich mich ständig ertappe. Der gute Goldmund zieht einfach los. Ohne Krankenversicherung und Traveller-Schecks. Ohne zehn Unterhosen, ohne Fressalientüte, ja, ohne Schlafsack, geschweige denn mit Zelt. Er friert, leidet Hunger, aber er ist der Natur nahe, muß sich stets aufs Primitivste mit ihr arrangieren, ist alleine. Aber er ist frei, muß nicht dann und dann wieder an einer Arbeitsstelle erscheinen. Und er lebt, verwirklicht sich selbst (versucht es zumindest). Noch viele andere Gedanken mache ich mir während des Lesens, muss oft pausieren und reflektieren. Ich denke, ich werde diese noch mal ausführlicher niederschreiben.
Wir hören Musik, die Sonne wärmt, stets das Rauschen des Meeres im Hintergrund, ziemlich leerer Strand, nette Leute... c'est la vie! Bis in den späten Nachmittag ist auch der Ouzo leer, eine neue Flasche und jede Menge Kekse und Schokolade werden gekauft. So nimmt der Abend seinen Lauf.
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Donnerstag, 06. April 1989, 14. Reisetag
Ich lese heute das Buch zu Ende, verbringe also den Großteil des Tages in der Sonne bratend. Mit der Wassertemperatur habe ich mich mittlerweile auch gut angefreundet, so dass ich mehrmals täglich bade, auch direkt nach dem Aufstehen, zum Wachwerden.
Am späteren Nachmittag gehen wir an die kleine Uferpromenade, sitzen im Café und genießen das einsetzende Abendlicht.
Fürchterlicher Kohldampf macht sich breit, den auch ein Toast in der Taverne (serviert von einem der alten, ultraträgen Tavernenkellner) nicht stillen kann. Anja und ich gehen Essen, während die Jungs anderweitig beschäftigt sind. Später sitzen wir noch am Strand. In der Nähe hocken ein paar Freaks am Lagerfeuer und klimpern auf der Gitarre... Anja erzählt mir von ihren Bongos, die sie mit Begeisterung spielt und die sie vor einigen Wochen auf einer Wüstenexkursion (sie studiert Geographie im achten Semester) in Tunesien für wenige Dinar erstanden hat. Später kochen wir noch einen Tee am Zelt und führten eine angeregte Unterhaltung.
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Freitag, 07. April 1989, 15. Reisetag
Das Gammel-Leben geht weiter. Ich bin schon früh wach, krieche aus dem Zelt, vorbei an drei dort liegenden, eingerollten Schlafenden (außer mir hatten alle unter freiem Himmel geschlafen) und gehe ans Meer hinab, wo ich wohl eine Stunde sitze. Die Luft schmeckt zu dieser Stunde noch frisch, wie an einem Sommermorgen auf Sylt oder wie zu Frühlingszeiten in Kiel. Vereinzelte Bilder aus meiner Kindheit blitzen auf und sind wieder flüchtig. Ich schwanke zwischen Wehmut und Genuß. Freude kommt auf mit dem Wind, der an meinen Haaren zerrt. Frische Luft von morgens bis abends, Sand, Wasser. Ein Leben mit reduzierten Bedürfnissen, ein glückliches Leben.
Das Frühstück entwickelt sich in seiner vielfältigen Reichhaltigkeit zu einem Tageshöhepunkt, der gemeinsame Tee zum Ritual, am Abend bereiten wir ein köstliches Spagettigericht mit lauter frischen Zutaten. Schrat und Joachim sammeln Holz für ein Lagerfeuer am Abend, während ich mit Anja am Meer den Abwasch erledigt; in Kauerhaltung sitzen wir auf einem umspülten Felsen und scheuern mit Sand das Eßgeschirr sauber. Kulisse: Sonnenuntergang. Genial!
Feuer am Abend
Schließlich bringen wir den Abend damit zu Ende, am Feuer sitzend ein Fläschchen Bier zu leeren. Auch heute Nacht krieche ich wieder in mein Zelt, welches sich in seiner Sandigkeit kaum noch vom Strand umher unterscheidet. Kalinikta.
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Samstag, 08. April 1989, 16. Tag unterwegs
Vorahnung des Urlaubsendes. Joachim schlägt vor, Andreas und ich könnten doch erst Montag und nicht schon Sonntag abfahren. Kurz darauf steht dies als Entschluß fest, wenngleich er uns die zeitliche Möglichkeit nimmt, nach Hause zu trampen. Nun, dafür noch einen Tag länger hierbleiben, das ist toll. Je weiter diese Woche fortschreitet, umso mehr beginne ich, diesen Ort gern zu haben. Das Leben am Strand, den kleinen Ort, ständig "Bekannte", die man auf der Straße trifft, Smalltalk hältt oder grüßt, die Gegenwart von Natur, von etwas Urtümlichem.
Dann mal wieder ein Bad, die Sonne blendet, ich sehe nur noch gleißendes Licht, als ich mich mit kräftigen, stoßweisen Delphin-Schwimmzügen auf sie zubewege. Als meine Kraft nachlässt, lasse ich mich auf dem Rücken treiben, mit dem Blick einem Vogel folgend.
Ich beschließe, auf jeden Fall während des Sonnenuntergangs oder im Dunkeln noch mal Schwimmen zu gehen. Den Sonnenuntergang verpasse ich, denn ich bin mit Schrat in einer Taverne, um allmählich mal den obligatorischen Postkartenberg zu bewältigen und das beängstigende Tagebuchdefizit zu verringern.
Schrat hängt mal wieder mit Joachim in der Taverne ab, während ich es vorziehe, mich am Zelt teetrinkenderweise mit Anja zu unterhalten. Obwohl es kalt ist, brachte ich es fertig, mich gegen zehn doch noch zu entkleiden und ins Meer zu gehen. Ich bereue es nicht und dann ist mir hinterher wärmer als zuvor. Und ich habe wieder das mysteriöse Glitzern gesehen, was beim Baden in der Dunkelheit unter Wasser entsteht, wenn man beispielsweise einen Arm bewegt. Letztes Jahr hatte niemand eine Erklärung für dieses Phänomen gewußt, nicht mal der alte Fischer Apostoles. Anja meinte, es handele sich um Plankton, welches durch die Bewegung Fluoreszenzlicht erzeugt. Ob das allerdings als endgültige Klärung betrachtet werden kann, ist insofern in Frage zu stellen, als dass wir das Leuchten auch in Süßwasser sahen. Und ich weiß nicht, ob auch dort Plankton existiert?!?
Ach ja, fast vergessen, abends flattern hier hin und wieder einige Fledermäuse durch die Gegend!
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Soweit in Auszügen das Tagebuch. Es folgt eine stichpunktartige Rekonstruktion des Verlaufes der letzten Tage der Reise, für die keinerlei Aufzeichnungen vorlagen. Daher ist es theoretisch denkbar, dass die wiedergegebenen Daten um einen Tag vom tatsächlichen Hergang abweichen.
09.04.1989 Polizeikontrolle am Strand, wir werden freundlich aufgefordert, unsere Zelte abzubauen und uns eine Pension zu suchen. Wir ziehen es jedoch vor, unter diesen Umständen ohne Zelte am Strand zu schlafen. Ein letzter fauler Tag, der mit einem derben Ouzo-Besäufnis endet.
Übernachtung am Strand - nun eben ohne Zelt...
10.04.1989 Schrat und ich verlassen Palaiochora, fahren völlig verkatert per Bus nach Chania, von wo aus wir am Abend die Rückfahrt mit der Fähre nach Piräus antreten.
Reichlich verkatert treten wir die Reise nach Norden an...
Letzter Gang durch die Gassen von Palaiochora
Mit der Fähre nach Athen
11.04.1989 Ein Tag in Athen, Frühstück auf dem Akropolis-Hügel. Abends beginnt die Bahnreise nach München. Viel internationale Gesellschaft, es wird gefeiert und getrunken.
Über den Dächern von Athen
Der beeindruckende Hauptbahnhof der Millionenmetropole Athen
Party im Akropolis-Express - Interrail-Feeling!
...und der Zug stampft in die Nacht...
13.04.1989 Ankunft München. Trampen nach Hünxe in NRW, wo wir am Abend eintreffen und uns von einem Zivikollegen abholen und nach Voerde bringen lassen.
Der Morgen ist da, wir rollen auf München zu
Wieder daheim
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