Schottland
     Westliche Highlands und äußere Hebriden

Titelbild


Schottland. Warum ausgerechnet Schottland? Eine Frage, die mich umso mehr beschäftigen wird, je näher der Abreisetermin rücken würde…

Doch hübsch der Reihe nach. Immerhin ist es drei oder vier Jahre her, dass Schottland überhaupt als optionales Reiseziel den Weg in mein Bewußtsein fand. Und zwar war es tatsächlich eine Werbebroschüre (ist das peinlich, oder darf man das erzählen…?) des schottischen Fremdenverkehrsamtes, welche dem Spiegel beilag und welche unter anderem grandiose Photografien von sturmumtosten Steilküsten zeigte. Das gefiel mir gut und seitdem kam die Sprache immer mal wieder auf diesen nördlichsten Teil Britanniens, wenn es um Planungen für Urlaubsfahrten ging.
Zum Jahreswechsel 2005/2006 entscheiden meine Frau und ich uns für die Region als das Zielgebiet für die Sommerreise. Kurz war noch Irland im Gespräch, doch dann fällt die Wahl auf Schottland - nicht zuletzt wegen der überaus günstigen Anreisemöglichkeit mit dem Billigfluganbieter Ryanair. Das Ticket wird schon im Dezember gebucht und kostet uns beide inklusive der Fahrräder gerade einmal 335,- Euro (wobei, das muss ehrlicherweise erwähnt werden, dazu noch ein Übergepäckaufschlag von fast 100,- Euro kommen wird…).

Der lange, kalte Winter hat dafür gesorgt, dass mein Sonnenhunger in diesem Jahr immens ist. Selbst im Mai, als wir mit den Kindern eine Woche Urlaub in Ostfriesland machen, ist es kühl und unbeständig. Ich bin enttäuscht. Monatelang Kälte und Feuchtigkeit, ich habe wirklich die Nase voll.
Der erste echte Lichtblick des Jahres ist der Juni, als ich mit meiner Schwester im Kajak über die Ostsee paddele (Link). Wat härrlich…! Und was habe ich Trottel vor, nun, da es hier in Deutschland endlich schön geworden ist?! - ich will in eines der berüchtigsten Regenlöcher Europas reisen, um dort den halben Juli im Radsattel zu verbringen. Tolle Idee.
Das geht schließlich soweit, dass ich mich bei Ryanair erkundige, ob die Tickets stornierbar sind - sie sind es nicht. Wären sie es gewesen, ich hätte sie tatsächlich zurückgegeben: Sommer und Sonne in Kiel, kinderfrei, jeden Tag auf mein Rennrad oder Schwimmtrainingseinheiten im Freibad, das scheint mir gegenwärtig die deutlich attraktivere Variante zu sein.
Allemal eine schlechte Idee wäre es allerdings gewesen, die Flugkarten verfallen zu lassen. Also halte ich fortan meinen Mund und erwarte lustlos den Tag der Abreise.

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Montag, 10. Juli 2006

Karte Tagesetappe

Von Urlaub kann zunächst noch keine Rede sein: um sechs Uhr schon reißt uns der Wecker aus dem Schlaf. Nun heißt es: flink Tee kochen, Duschen, ein letzter Rundgang durch die Wohnung - sind alle Geräte aus, alle Fenster zu?
Und dann rollen wir pünktlich, also unserer Planung entsprechend, um 7:00 mit dem Auto los; Ziel ist der Feld-, Wald- und Wiesenflugplatz Blankensee bei Lübeck. Ich trinke Tee, versuche, irgendwie wach zu werden. Im Radio wird berichtet vom WM-Sieg der Italiener, von einer durchfeierten Nacht in Rom.
Es ist mild und sonnig, als wir gegen halb neun unser Ziel erreichen. Vor dem Terminal laden wir das voluminöse Gepäck ab und dann bringe ich das Auto auf den etwa einen Kilometer entfernten Parkplatz, wo es die nächsten zwei Wochen für 40,- € stehen wird. Da das einigermaßen genau den Spritkosten für die Strecke Kiel-Lübeck-Kiel entspricht, haben wir davon Abstand genommen, uns von irgendjemandem bringen und abholen zu lassen. Es hätte keinen finanziellen Vorteil gebracht und nur unnötige Mühen gekostet.
Zu Fuß erreiche ich nach ein paar Minuten wieder das Terminalgebäude, wo im Moment noch nicht viel los ist. Alles hier macht einen ziemlich spartanischen Eindruck, wenngleich das Personal von ausgesprochener Freundlichkeit ist. Zu unserem großen Bedauern müssen wir das wirklich schwere Werkzeugpaket mit dem regulären Gepäck aufgeben, es darf nicht ins Handgepäck… Und: was ich auch noch nie erlebte, wir müssen die Luft aus unseren Reifen lassen. Das wird uns ein paar Stunden später vor ein kleines Problem stellen…
Am Security-Check werden dann noch die Gummispannriemen einkassiert und schon sind wir in der Wartehalle - einem großen Zelt, in dem es warm und stickig ist und welches sich beharrlich mit Reisenden füllt.
Grundsätzlich habe ich großes Verständnis für all die Kontrollen und doch bin ich in meinem übermüdeten Schädel einigermaßen genervt von den ganzen lästigen Prozeduren. Diese Gereiztheit erfährt weitere Nahrung durch meine grundsätzliche Unlust, was diese Unternemung an sich betrifft. Ich habe schlicht und ergreifend keinen Bock und ich nehme mir ganz fest vor (…nicht wirklich ein Vorsatz von Bestand…), bis auf weiteres keine Flugreise mehr zu tätigen und schon gar nicht in ein Regenland. Sondern ich würde einer Fähre oder der Eisenbahn den Vorzug geben…

Erstaunlich pünktlich hebt der Flieger ab - nur sieben Minuten nach der angekündigten Startzeit drückt uns der beeindruckend machtvolle Schub der Turbinen in den Himmel. Ich kämpfe mit meiner Genervtheit ob der beengten Verhältnisse in der Kabine. Viel sehen kann man auch nicht, da die Fenster winzig klein sind und ich am Mittelgang sitze. Wenn ich doch mal mit verdrehtem Hals einen Blick erhasche, dann sieht dieses Schottland unter uns belanglos grün, flach und dunstig aus. Zum Glück ist es kein Flug von langer Dauer, bereits nach zwei Stunden landen wir um 11:30 Ortszeit in Prestwick, etwa 50 Kilometer südlich von Glasgow. Ja, und da stehen wir nun mit einem Haufen Taschen, zwei platten, in Pappfetzen gewickelten Fahrrädern, ohne Gaskartuschen - und: ohne Luftpumpe für Claudias französischen Ventile (…leider vergessen, wie dilettantisch!) vor dem nicht all zu großen Flughafengebäude…
Zwei ältere Herren nebenan sind am Ende ihrer Reise und gerade im Begriff, ihre Räder für den Flieger vorzubereiten, sie können uns erfreulicherweise mit einer Luftpumpe aushelfen… Noch heute werden wir uns eine kaufen, schließlich gibt es kaum ein wichtigeres Werkzeug auf einer Radfahrt!
Gesehen hatten wir die beiden schon vorhin in Lübeck, nun kommen auch sie aus dem Terminal: ein Vater-Sohn-Gespann, die einzigen Radreisenden außer uns, die mit unserer Maschine angereist sind. Auch sie bereiten ihr Equipment vor; ihr Gepäck haben die zwei in einem Kinderanhänger untergebracht. Kurze Konversation, dann trennen sich zunächst unsere Wege - noch ahnen wir nicht, dass wir uns schon bald wieder treffen würden und dass wir mit den beiden für einige Tage gemeinsam reisen sollten…
Unsere Pappen entsorgt ein freundlicher Angestellter des Flughafens, ich denke: "na, immerhin regnet es nicht…" und dann treten wir in die Pedale. Kurs Nord: die kleine Hafenstadt Adrossan ist unser Ziel, vielleicht dreißig Kilometer entfernt. Von dort aus, so unser Plan, wollen wir mit der Fähre übersetzen auf die Insel Arran.

Lustlos rolle ich dahin. Die Navigation fällt nicht immer ganz leicht, unsere Karten im Maßstab 1:250.000 sind prima für die große Übersicht oder eine dünn besiedelte kleine Insel, weniger geeignet indes für einen bevölkerungsreichen Küstenabschnitt mit vielen Orten, Straßen und Abzweigungen. In Einzelfällen leistet hier das GPS gute Dienste. Die Landschaft ist hässlich - das sehe ich auch in der Retrospektive so, (diese Einschätzung ist also nicht nur in meiner latent gereizten Wahrnehmung entsprungen). Von Industrie und Industrieruinen zerrissene Natur, kleine Arbeiterviertel, viel Grau. Schon nach wenigen Kilometern fallen die zahlreichen Golfplätze auf, überall ist der Rasen pedantisch gemäht, man sieht hier und da tatsächlich kleine Castles (oder große Villen). Linksverkehr, britische Ästhetik. Was zum Teufel mache ich eigentlich hier?!?

Dennoch kommen wir ordentlich voran. Claudia hat "gute Beine" und wir stoßen auf einen beschaulichen und ganz vernünftig beschilderten Radweg, dem wir eine Weile folgen, bis wir ihn dann doch wieder verlieren. Recht schnell entdecken wir auch, dass die Entfernungsangaben auf den Schildern in Meilen sind; eingangs dachte ich, wir kommen ja kaum vorwärts, die Kilometer werden von Schild zu Schild ja kaum weniger… Eine Meile entspricht 1,6 Kilometern.
Wir erreichen Irvine, eine kleine, grottenhäßliche, graue Stadt, in welcher es aber ein großes Einkaufszentrum gibt - wir hoffen, dort neben allgemeinem Proviant auch eine Luftpumpe und auch Gaskartuschen zu bekommen. Während Claudia sich in das Treiben stürzt, bleibe ich draußen vor der kleinen Mall bei den Fahrrädern und beobachte das Treiben ringsum. Mir fallen die zahlreichen stark übergewichtigen Menschen auf, ein Eindruck, der sich im weiteren Verlauf der Reise verfestigen wird.
Ich werde von einem jungen Mann angesprochen, er interessiert sich für unsere Fahrräder, fragt nach unseren Plänen, unserer Herkunft und so weiter... Ich habe allerdings extreme Probleme, ihn zu verstehen (das kann ja heiter werden, denke ich bei mir…). Was für ein schrecklicher Akzent das ist, ich weiß es nicht - wie auch immer, die Konversation vollzieht sich recht holprig. Erfreulicherweise werden wir aber bald feststellen, dass das hier die Ausnahme ist. Nie sollte es ernsthafte Probleme mit der Verständigung geben.
Claudia kommt wieder, bis auf die Kartuschen hat sie alles bekommen. Gut beladen geht die Fahrt nun an die trostlose Küste und bald erreichen wir Adrossan, wo wir am Fährhafen Vater und Sohn wieder treffen - und bald erfahren, dass Vater und Sohn Peter und Ole heißen. Die beiden kommen ursprünglich aus Neumünster, wo der elfjährige Junge auch noch immer mit seiner Mutter wohnt, Papa Peter lebt mit neuer Partnerin in Lübeck. Und nun sind die beiden für drei Wochen auf "Männertour" - wir sollten noch staunen ob der Leistungsfähigkeit des Kleinen…

Um 18:00 legt die recht große Fähre "Caledonian Isles" [Caledonia ist im übrigen die alte römische Bezeichnung für Schottland] ab, tief unten am Rand des Autodecks sind unsere Räder sicher verzurrt, während wir uns auf dem Oberdeck die frische Seeluft um die Nase wehen lassen… Es ist keine besonders lange Überfahrt über den Firth of Clyde, schon bald spuckt uns der Dampfer wieder aus, wir rollen im Hafen des kleinen Ortes Brodick an Land und nach wenigen hundert Metern setzt ein recht kräftiger Regen ein. Das erste Mal also Zeit für die Regenkleidung! Sofort sehe ich all meine negativen Erwartungen bestätigt. Na klasse. Schon bald aber sollte ich eines besseren belehrt werden: nach kurzer Zeit ist es nämlich wieder trocken, die Straße ist wunderschön, sie folgt eine ganze Weile direkt dem Küstenverlauf, Autos sind kaum unterwegs auf der Insel. Es ist erstaunlich warm, die Vegetation erscheint mir unpassend üppig, selbst Palmen sind keine Seltenheit. Der Wind pustet kräftig von hinten, das Meer riecht herrlich nach Meer - mit einem Mal erscheint mir alles ganz wundervoll - ich genieße! Ja, wer hätte das gedacht.
Ein erstes Aufblitzen der stimmungsmäßigen Berg- und Talfahrten, wie ich sie schon einst in Island erlebte… Ambivalenz des Nordlandes.
Peter und Ole sind übrigens in Brodick geblieben, wo sich auch ein Campingplatz befindet.

Nach einigen Kilometern knickt die Straße ab. Sie verlässt die Uferlinie und zieht hinein in das recht hügelige Inselinnere. Zunächst in kleinen sanften Wellen und dann mit einer handfesten kleinen Steigung arbeiten wir uns hinauf bis auf gut zweihundert Höhenmeter.
Leider habe ich es vor der Reise versäumt (…wohl auch im Rahmen meiner generalisierten Motivationskrise, was die Vorbereitung der Tour angeht), meinen HAC4-Höhenmesser mit neuen Batterien ausstatten zu lassen. Das Gerät ermöglicht das Ermitteln der auf einer Etappe insgesamt zurückgelegten Höhenmeter, ein wie ich finde recht interessanter Parameter.

Insel Arran

Dramatisches Lichtspiel auf der Insel Arran


Auf solche aufsummierten Messungen muss ich also verzichten, kann lediglich hin und wieder mit dem GPS eine einzelne Höhenmessung vornehmen (in diesem Fall sind das 206 Meter) und mir anhand dieser Werte eine ungefähre Vorstellung von der Gesamtsumme machen.
Am Berg setzt abermals heftiger Regen ein, der ein ganz klein wenig den Genuss des wirklich schönen Ausblicks trübt. Die Berge machen hier und da sogar einen etwas schroffen, verwegenen Eindruck, immerhin misst der höchste Gipfel der Insel, der Goat Fell, 874 m, was ja so wenig nicht ist…
Wir rollen dann flott hinab nach Lochranza, finden in Sturm und Regen problemlos den Campingplatz (…natürlich direkt neben einem Golfplatz…). Die Rezeption ist gleichzeitig ein kleiner Laden und als wir nach dem Einchecken schon fast im Hinausgehen sind, entdecke ich ganz oben im Regal einige Gaskartuschen, die ich umgehend alle kaufe… Ist der heiße Tee für die nächsten Tage gesichert…
Nach der kurzen enthusiastischen Phase vorhin bin ich wieder reichlich genervt. Dennoch, das Essen tut gut, das Schlafen dann auch. War ja doch irgendwie ein langer Tag mit überdurchschnittlich vielen überdurchschnittlich verschiedenartigen Ereignissen und Erlebnissen…

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Dienstag, 11. Juli 2006

Karte Tagesetappe

In der Nacht tost ein beachtliches Unwetter, es heult der Sturm, Regen prasselt auf das Dach. Das Material ächzt - auch wenn es nicht ganz so sehr leiden muss, wie im vergangenen Monat, als ich mit Birgit an der Surendorfer Steilküste campierte…

Insel Arran, Frühstück in Lochranza

Wie schön, mal wieder ein Frühstück vor dem Zelt!


Vor dieser Tour hatte ich die Boden- und Dachnähte des Zelts noch mal beim Segelmacher abdichten lassen. Die paar Euro haben sich als lohnenswerte Investition herausgestellt; wir würden auf dieser Tour von Wassereinbrüchen verschont bleiben.
Am Morgen dann, wie erfreulich, ist es trocken. Der Himmel reißt auf und der kräftige Wind treibt lockere Wolkenfetzen über die Landschaft. Wir frühstücken, lassen die noch vom Vortag nassen Kleidungsstücke im Wind trocknen und machen uns dann auf den Weg zum Fähranleger, der nur wenige hundert Meter entfernt ist.

Insel Arran

Insel Arran, Fähre

Die kleine Fähre wird uns von Arran ans Festland nach Cloanaig bringen


Wir haben Glück, das Schiff liegt gerade da und kaum, dass wir auf das Deck gerollt sind, da schließt auch schon die Klappe und der Kahn setzt sich in Bewegung. Wir steigen eine schmale Treppe hinauf, um auf dem Oberdeck (ziemlich übertriebene Bezeichnung für die drei Sitzplätze auf der winzigen Fähre…) die dreißigminütige Überfahrt zu erleben. Kaum treten wir in den Wind, da reißt mir eine Böe meine schöne schwarze Mütze vom Kopf und weht sie ins Meer. Ein bedauerlicher Verlust, und das direkt zu Beginn der Reise…

Wir verlassen die Insel Arran mit der Fähre

Die Fährüberfahrten gestern und heute schlagen im Übrigen mit insgesamt 17,- £ zu Buche. Neben uns sind noch drei weitere Radreisende mit an Bord: ein französisch sprechendes Pärchen mit entsetzlich dilettantisch anmutender Ausrüstung sowie eine Einheimische mit einem wunderschönen Cannondale-Reiserad. Außer einem verhaltenen Hallo erfolgt allerdings keinerlei Konversation.

Wir erreichen also das Festland und folgen instinktiv und gänzlich unüberlegt der Küstenstraße nach Nordosten. Wieder eine sehr beschauliche Route mit wenig Autoverkehr. Nach etwa fünf Kilometern hält ein Landwirt seinen Traktor an, um uns freundlich darauf hinzuweisen, dass es sich bei dieser Straße um ein dead end handelt…
Beim Blick auf die Karte hätte sofort klar sein müssen, dass wir komplett falsch fahren - keine Ahnung, wie uns (vor allem mir als der Navigator…) das passiert ist. Interessanterweise wird Stunden später Peter und Ole der gleiche Fauxpas unterlaufen…

Auf dem Weg nach Tarbert

Auf dem Weg nach Tarbert - ungefähr so habe ich mir Schottland vorgestellt...


Also wieder zurück und ab auf die richtige Straße, welche uns nun nordwestlich über die kleine Hügelkette der Halbinsel Kintyre führt. Sie mündet dann direkt in die A83. Das ist zwar keine Autobahn, wie der Name vermuten lassen könnte, aber immerhin eine Straße mit beträchtlicher Verkehrsdichte. Als wäre dieser Umstand an sich noch nicht schlimm genug, sie ist vor allem sehr schmal und kurvenreich. Das führt bei dem nicht unbedingt rücksichtsvollen Verkehrsverhalten der Schotten nur allzu oft zu haarsträubend engen Begegnungen mit dem überholenden MIV (…Motorisierter Individualverkehr). Das Fahren ist unter diesem Aspekt also relativ anstrengend. Auch der Linksverkehr stellt noch auf Tage hinaus eine gewisse Schwierigkeit dar bzw. erfordert hohe Konzentration. Das vor allem dann, wenn man sich an unübersichtlichen Kreuzungen oder an Kreisverkehren befindet. Wir wählen dann oft die Defensivtaktik "Fahren oder Schieben über den Gehweg", da is' man wenigstens sicher…
Am Nachmittag erreichen wir das 1500-Seelen-Örtchen Tarbert (Ansiedlungen mit diesem Namen gibt es übrigens einige in Schottland; der Name bedeutet soviel wie Landenge, über die ein Boot transportiert werden kann).

Tarbert

Am Hafen von Tarbert

Am Hafen von Tarbert


Ein idyllisches Nest mit kleinem Hafenbecken, alten Häusern und genau der Infrastruktur, derer wir bedürfen: wir füllen (in einer kleinen Schlachterei) unsere Trinkflaschen auf, ein Geldautomat steht zur Verfügung und im gut sortierten Supermarkt kaufen wir Proviant. Vor einer Buchhandlung entdecken wir wieder das schöne Cannondale-Rad der Britin…
Eng und kurvig zieht die Straße entlang des Loch Fyne nordwärts, viele Laster sind unterwegs und machen uns das Leben schwer… Wir halten Ausschau nach einem Fleckchen für eine längere Pause, ein kleiner Rastplatz am Straßenrand scheint uns sehr geeignet. Es gibt Tee, Brötchen und Kuchen… Erstaunlich warm ist es - ich vermisse meine Mütze! Doch bevor mir die Sonne meine Glatze verbrutzelt, muss ein Geschirrhandtuch als Kopfbedeckung herhalten… Auf dem Gewässer knattert ein Raddampfer vorbei, vom Autolärm einmal abgesehen wirklich ein netter Platz.

Pause am Loch Fyne

Pause am Loch Fyne


Später am Ortseingang von Lochgilphead halte ich kurz am Straßenrand an, um einen Blick auf die Karte zu werfen. Ein alter Mann, welcher in seinem Vorgarten Unkraut jätet unterbricht seine Arbeit und fragt, ob er uns helfen könne. Kann er eigentlich nicht, unsere Karte gibt ziemlich genau her, wo in dem Nest sich der Campingplatz befindet, außerdem ist er schon ausgeschildert. Das hält ihn allerdings nicht davon ab, ein Schwätzchen mit uns, vor allem mit mir zu halten. Erfreulicherweise ist sein Akzent relativ gut zu verstehen. Er erkundigt sich nach unserer Reiseplanung, konstatiert, dass diese Straße einst mal ein schmaler Pfad war und dass auch er reichlich genervt ist von der Blechlawine, die da nun an seinem Garten vorbeirollt. Von den Highlands schwärmt er in den höchsten Tönen, gibt uns noch eine Routenempfehlung mit auf den Weg, welche wir am kommenden Tag tatsächlich beherzigen werden, als wir der kleinen, landschaftlich überaus reizvollen Straße entlang des Loch Awe folgen. Dann gibt er noch eine mystische Geschichte aus den Highlands zum Besten - ob er diese nun in seiner Wahrnehmung wirklich erlebt hat (was ich annehme) oder ob das einfach nur als kleiner "Touristenschocker" gedacht ist, wie auch immer. Er berichtet vom Tag seiner Hochzeit. Die Gesellschaft spaziert nach dem Gottesdienst von der kleinen Kirche heim auf den Hof. Eine Frau wird von mehreren Anwesenden gesehen. Erst später, als man beim gemeinsamen Schmaus sitzt, kommt das Gespräch wieder auf die Dame und jemand weiß zu bereichten, dass die Gute schon seit zwei Jahren tot ist… wie gruselig!

Wir treffen die Britin mit dem schicken Cannondale-Rad wieder. Sie spricht uns an, ob wir nicht auch auf dem Weg zum hiesigen Zeltplatz sind, ja, sind wir, man könne doch gemeinsam einchecken, manchmal wird nur die Gebühr für einen slot, also einen Stellplatz berechnet. Klar, wir willigen ein, wenn sich doch auf diese Weise ein paar Pfund sparen lassen!
Das wird allerdings nichts, so dass wir hier, wie eigentlich immer, einen personenbezogenen Tarif zahlen. Und schwupp, trennt sich unsere Zweck-WG wieder.
Kaum dass das Zelt steht und die Tütensuppe auf dem Brenner köchelt, da rollen Peter und Ole auf unsere Wiese! Wir sind erfreut und überrascht, die beiden noch einmal wieder zu treffen und vor allem erstaunt, dass Knirpsi so munter diese Etappe gefahren ist, immerhin waren das um die neunzig Kilometer. Die beiden mussten ja auf Arran noch über den Hügel, den wir bereits gestern Abend bewältigt hatten! Respekt.
Die Sonne scheint, ein schöner Abend ist es!

Lochgilphead

Hauptstraße von Lochgilphead


Wir unternehmen eine Gang in den Ortskern, nun, eigentlich ist es nur eine vielleicht zwei- oder dreihundert Meter lange Straße mit einigen kleinen Geschäften sowie einem großen Supermarkt. Es gibt sogar tatsächlich ein Sportgeschäft, welches allerdings schon geschlossen hat. Morgen früh werde ich noch mal wieder kommen und mir eine neue Mütze kaufen. Auf der Straße rollen die Dorfkids mit ihren getunten Prollschüsseln rauf und runter, Arm aus dem Fenster, Mucke voll aufgedreht… ist doch irgendwie überall das gleiche!
Was allerdings ganz und gar nicht stereotyp ist: an der Kirche steht eine Reihe Männer in Kilts, die munter auf ihren Dudelsäcken musizieren…

An diesem Abend machen wir das erste Mal Bekanntschaft mit einer für uns bislang unbekannten Spezies: winzig kleine, penetrante und in Massen auftretende Insekten, die mit ungekannter Dreistigkeit in jede Körperöffnung eindringen und bei Kontakt unangenehmen Juckreiz auslösen. Die Biester machen es unmöglich, am Abend draußen zu sitzen und vielleicht noch ein Pläuschchen mit unseren Nachbarn zu halten, nein, sie treiben uns ins Zelt. Und man kann noch so schnell sein beim Öffnen und Wiederverschließen des Reißverschlusses - man schaufelt immer einen Schwarm mit hinein ins Zelt. Widerlich. Später erfahren wir, dass sie in diesem Land durchaus typisch sind. Dem Schottland-Kenner sind sie unter dem Namen midges und dem Biologen unter der Bezeichnung Culicoides impunctatus vertraut.
So ist Schottland wohl eine der wenigen Regionen, wo sich der Radreisende den Wind herbeiwünscht, auf dass dieser die Quälgeister hinfort tragen möge…

Campingplatz Lochgilphead

Wir machen uns noch mal Gedanken über den weiteren Routenverlauf. Eine konkrete Planung existierte nicht - ich hatte im Vorfeld bekanntermaßen keine Lust, mich über das absolut notwendige Maß hinaus mit dieser Reise zu beschäftigen. Vage angedacht hatten wir allerdings durchaus, in die Highlands zu reisen - vielleicht schon wegen des verlockenden Klanges des Wortes. Highlands - das hört sich verdammt gut an. Ein nüchterner Blick auf die Karte indes zeigt, dass es ebendort nicht sehr viele Straßen gibt. Das wiederum muss bedeuten, dass dann auf diesen wenigen Pisten umso mehr Verkehr kumuliert. Diese Annahme finden wir später im Gespräch mit anderen Radreisenden bestätigt. Gerade nach unserer heutigen Erfahrung mit dem schottischen Verkehr erscheint das nicht sehr verlockend zu sein. Vielleicht sind die Highlands dann doch eher etwas für den Wanderer, der sich abseits der Hauptverkehrsstraßen durch die Wildnis bewegt… Hinzu kommt noch, dass man wegen des Verlaufs der Straßen nur schwer eine Runde hätte basteln können, die gut in unseren Zeitrahmen gepasst hätte.
Claudia regt an, dass wir uns in Richtung der Inseln, also Skye und den Hebriden orientieren könnten, wo ich nichts gegen habe. Das bedeutet, dass unser Ziel für die nächsten ein, zwei Tage die Hafenstadt Oban sein soll, von wo aus es vielfältige Möglichkeiten gibt, mit der Fähre auf eine Insel zu gelangen.

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Mittwoch, 12. Juli 2006

Karte Tagesetappe

In der Nacht prasselt abermals kräftiger Regen auf unser Dach, welcher erst am Morgen in leichten Niesel übergeht.
Irgendwann ist es dann trocken, wir holen das Zelt ein, verabschieden uns von den beiden Jungs, um dann noch Einkäufe zu erledigen.
Eine schöne neue Mütze nenne ich bald mein eigen, ein paar Gummispannriemen kaufen wir und natürlich Lebensmittel. Und dann, wer taucht auf? Natürlich, Peter und Ole, die ihrerseits für ihre Etappe Proviant brauchen. Und dann schon wieder: "tschüs und gute Reise!"
Wir verlassen Lochgilphead nach Norden und sind für ein paar Kilometer gezwungen, wieder die stark befahrene Hauptstraße zu nutzen. Dann allerdings, in dem kleinen Ort Bridgend, bietet sich die Möglichkeit, auf eine schmale Nebenstrecke auszuweichen.

Steinalte Steinmauer

Steinalte Steine

Diese wird uns bis an das lang gestreckte Loch Awe heranführen und dann am westlichen Ufer desselben weiter verlaufen. Nun wird es richtig nett: so gut wie kein Auto begegnet uns, die Piste ist bisweilen etwas rumpelig und windet sich durch eine grüne, hügelige Landschaft, die schon ein wenig "highlandig" aussieht. Schafe grasen am Wegrand, schroffer Fels lugt bisweilen aus dem Grün hervor.
Das Loch Awe ist ein schmales Gewässer, welches sich über eine Länge von etwa 40 Kilometern erstreckt. Das westliche Ufer ist bewaldet und ziemlich hügelig; mehrfach geht es von null auf hundert Höhenmeter rauf und wieder runter und wieder rauf… Die Steigungen sind ruppig und so wird bald eine Pause fällig. Ein kühler Wind weht und lässt es etwas ungemütlich werden… Auf einer Hügelkuppe legen wir am Straßenrand eine Pause ein, ich schmeiße den Kocher an und bereite uns eine Brotzeit. Wir sind ein wenig k.o. von den Anstiegen. Auf dem Boden dieses Umstandes blödeln wir rum: "…pass mal auf, gleich kommt Ole hier fröhlich pfeifend den Berg rauf…!".

Ruhige Nebenstrecke

Endlich weg von der befahrenen Hauptstraße! So lässt es sich radeln...


Ganz abwegig war der Gedanke natürlich nicht: wir hatten den beiden von der Streckenempfehlung durch den alten Herren gestern berichtet und wussten, dass die beiden auch vorhatten, auf dieser Straße zu reisen. Dennoch sind wir eigentlich sicher, dass wir sie längst "abgehängt" haben. So sind wir durchaus ein wenig überrascht, als dann wirklich ein putzmunterer Junge heranpedaliert kommt, etwas später gefolgt von einem keuchenden Vater… Wir laden die beiden ein, sich zu uns zu gesellen und so halten wir die Pause gemeinsam ab. Ich bin etwas irritiert, als Peter im Rahmen dieses Picknicks eine komplette, rohe Zwiebel verspeist, ganz so, als wäre sie ein Apfel. Er fand das völlig normal… Ich weiß ja nicht…
Ole ist hellauf begeistert von unserer Gesellschaft und artikuliert die Idee, gemeinsam weiterzufahren. Papa bremst ihn ein wenig, so nach dem Motto "mein Sohn, nun dräng' Dich den Leuten mal nicht auf, vielleicht wollen die auch ihre traute Zweisamkeit!". Wir signalisieren jedoch deutlich, dass wir damit überhaupt kein Problem haben, ganz im Gegenteil.

Auf dem Weg nach Taynuilt

Haus am Fjord

Schnell stellt sich heraus, dass Ole (der fast ohne Gepäck unterwegs ist, das muss man fairerweise sagen) und ich ein gemeinsames Tempo fahren und die ruppigen Hügel hinaufstrampeln, während Claudia und Peter einen gemeinsamen Rhythmus finden. Ole findet das ziemlich cool… Seine Begeisterung findet ihren Höhepunkt, als ich ihm nach einer rasanten Abfahrt mitteilen kann, dass wir gerade mit einer Höchstgeschwindigkeit von tatsächlich 71,6 km/h (ein Wert, der als valide betrachtet werden kann, da sowohl der Tacho wie auch das GPS ihn anzeigten) einen Hügel hinabgesaust sind. Er jubiliert und meint, das müsse er später unbedingt seiner Mutter simsen. Ich bemühe mich nach Kräften, ihm das auszureden… Peter meint auch, dass das möglicherweise keine so gute Idee wäre…
Wenig später habe ich noch das Vergnügen, umschwärmt von zwei bis fünf Millionen midges eine Reifenpanne zu beheben - was für ein Spaß… Diese kleinen Mistviecher!

An der kleinen Siedlung Annat verlassen wir die wassernahe Straße, über weiterhin hügeliges Terrain geht es in Richtung Nordwest nach Taynuilt. Unterwegs ist eine Pause fällig.
Um 20:00 erreichen wir nach knapp 70 Kilometern den angepeilten Campingplatz. Eine laute, relativ befahrene Straße verläuft neben unserer Lagerstätte, wo wir eine Dusche genießen und dann gemeinsam an einem Tisch das Abendessen bereiten. Langes Draußensitzen bleibt uns auch heute verwährt, zu nervtötend sind wieder die kleinen Viecher… Schade eigentlich.
Die beiden stellen eine angenehme Gesellschaft dar; Peters Umgang mit Ole erscheint uns darüber hinaus sehr vernünftig. Es ist eine gesunde Mischung aus Vertrauen, Zutrauen aber auch "In-die-Pflicht-nehmen". So fallen dem Knirps durchaus Aufgaben zu, wie etwa Aufräumen, Wasser holen etc.

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Donnerstag, 13. Juli 2006

Karte Tagesetappe

Der Tag beginnt mit Nieselregen, der sich allerdings bald legt. Wir stehen um halb zehn auf, frühstücken gemeinsam mit Peter und Ole und rollen um zwölf Uhr auf die stark befahrene Piste, die uns in knapp zwei Stunden in die Hafenstadt Oben führen wird.

Wiesen nördlich von Taynuilt

Der Verkehr ist die Pest: die Verhältnisse sind abermals extrem unübersichtlich, mehr als einmal geht mir der Arsch auf Grundeis, wenn uns mal wieder in irgendeiner Kurve ein rasender Laster schneidet. Wenn ich mir vorstelle, ich sollte hier mit meinen Töchtern fahren, ich würde tausend Tode sterben…
In Connel, an der Bridge of Connel, pausieren wir und können dabei beobachten, wie sich ein Wildwasserfahrer mit seinem Kajak in den sprudelnden Wellen unterhalb der Brücke vergnügt. Sieht aus, als könnte das ziemlich viel Spaß machen…!

Bridge of Connel

Mein Rad an der Bridge of Connel

An der Bridge of Connel


Schließlich aber erreichen wir Oban unversehrt - ein kleiner, quirliger, sympathischer Ort. Auffallend ist ein gewaltiger, wie ein Amphitheater anmutender Bau, welcher auf den Hügeln thront: der McCaig's Tower. Etwas größenwahnsinniges Bauprojekt eines Bankiers aus den 1880er Jahren, welches nie fertig gestellt wurde und nun eine Gartenanlage beherbergt. Leider ist unsere Zeit hier zu knapp bemessen, als dass wir einen Aufstieg zur Besichtigung hätten unternehmen können.

In Oban

Wir erreichen den netten Hafenort Oban


Überall im Ort alte Bausubstanz, eine wirklich nette verspielte Häuserzeile ziert den Hafen - was ich nie für möglich gehalten hätte, ich beginne Sympathie für die (wie ich es immer nenne) "britische Ästhetik" aufzubringen.

In Oban an der Fähre

Am Fähranleger kaufen wir Fahrkarten für den um 16:00 ablegenden Dampfer nach Craignure auf der Isle of Mull. Noch Zeit also, um Einkäufe zu erledigen. Ich bleibe bei den Rädern, während die drei sich auf den Weg machen, einen Supermarkt zu suchen. Sie sind recht lange unterwegs und kehren schwer beladen zurück.

Oban

Oban

Ansichten von Oban


Die Überfahrt ist wunderschön: die Sonne scheint, ein frischer Wind weht, die Möwen schreien, es riecht nach Meer und im Gegenlicht funkelt das Wasser funkelt silbern. Ein Hauch von Diesel zieht mir in die Nase - Fernwehduft - und so stampft der Kahn aus dem Hafen hinaus. Wir überqueren den Firth of Lorn südlich der Insel Lismore, an deren Südspitze sich ein wirklich schöner Leuchtturm befindet. Ich muss endgültig konstatieren, dass es gut war, dass die Flugtickets nach Schottland nicht stornierbar waren…

Leuchtturm Lismore

Leuchtturm Lismore
Überfahrt von Oban nach Craignure, Isle of Mull


Der Seekajakfahrer in mir beobachtet die Wasseroberfläche: ich glaube, das hier ist kein Revier für Anfänger - mindestens jedoch sollte man die die lokalen Verhältnisse kennen. Zwischen den kleinen und großen Inseln und Felsen sind Respekt einflößende Strömungen am Werk, das Wasser ist in Aufruhr - eine Mischung aus Gezeitenstrom, kabbeliger Windsee und Dünung…

Vierzig Minuten dauert die kleine Seefahrt, dann ist Mull erreicht und hier trennen sich auch wirklich zum letzten Mal unsere Wege: die Jungs werden fortan eine andere Richtung einschlagen. Ole ist deutlich anzumerken, dass ihn dieser Umstand berührt. Ob wir die beiden jemals wieder sehen? Natürlich haben wir das übliche Ritual des Adressentauschs vollzogen, doch zeigt die Erfahrung, dass man ja in den allermeisten Fällen von Reisebekanntschaften nie wieder etwas hört. Nun, das ist in Zeiten des Internets etwas einfacher, eine eMail ist schnell mal geschrieben… Wir werden sehen.

Ein paar Kilometer geht es an der Küste entlang, dann erreichen wir die kleine Bucht Fishnish Bay. Hier gilt es, eine Entscheidung zu treffen: bleiben wir auf dem dortigen Campingplatz oder überqueren wir mit der Fähre den Sound of Mull und setzen unsere Reise auf dem Nordufer fort? Immerhin ist es schon nach sechs am Abend, unser Tacho weist für den heutigen Tag bislang 37 gefahrene Kilometer aus.

Lochaline

Lochaline


Nun, das Wetter ist schön, die Beine sind noch gut in Form und so nehmen wir die Fähre nach Lochaline, eine kleine, schöne Überfahrt (die beiden Fährpassagen heute schlagen übrigens mit 11 £ zu Buche). Der nächste Campingplatz ist etwa vierzig Kilometer entfernt in dem kleinen Nest Strontian - zu weit eingedenk der Tatsache, dass es nun mittlerweile halb sieben ist. Unser Plan sieht vor, noch ein kurzes Stück zu fahren und dann nach einem netten Flecken in der Wildnis Ausschau zu halten.

Kaum liegt der Fähranleger hinter uns, da windet sich die Straße auf 100 Höhenmeter. Dann wieder auf 25, dann auf 185, auf 65, auf 285… Welliges Terrain also. Kaum ein Auto begegnet uns, die Landschaft ist grün und weit, es ist der bislang schönste Abschnitt der Tour. Auf der Suche nach einem Lagerplatz für die Nacht unternehme ich mehrere Inspektionsgänge in der näheren Umgebung der Straße. Die Gegend erweist sich jedoch insgesamt als relativ ungeeignet. Zum einen findet sich in Ermangelung von höherer Vegetation kaum ein sichtgeschützter Platz, zum anderen ist der Boden, auch wenn es auf den ersten Blick gar nicht so aussieht, recht sumpfig - das Wasser steht regelrecht in dem borstigen Bodenbewuchs. Also fahren wir noch ein Stück und noch ein Stück und noch ein Stück. Irgendwann schließlich kommt der Gedanke auf, vielleicht doch noch den Campingplatz in Strontian anzusteuern. Das Licht ist wundervoll und das Radeln eine wahre Freude. Wir sehen wie üblich viele Schafe, heute allerdings auch noch Rehe und Hirsche. Irgendwann ist der letzte Berg erklommen und es eröffnet sich eine grandiose Aussicht auf das Loch Sunart - im Hintergrund die Berge der westlichen Highlands, die in dem Gebiet knapp 900 m Höhe erreichen.
Die rasante Abfahrt führt uns in eine ganz wunderliche Landschaft: rollten wir eben noch durch karge, eintönige Sumpfwiesen, so empfängt uns hier eine Vegetation von mediterran anmutender Üppigkeit. Das weiche Abendlicht untermalt den Mittelmeercharakter. Gleichzeitig indes erinnert mich der Fjord an den isländischen Eyarfjörður, an welchem Akureyri liegt. Und die verdichtete, schwüle Atmosphäre aus Hesses "Klingsors letzter Sommer" kommt mir ins Gedächtnis - also doch alles Italien?
Nein, jeder Versuch, die Landschaft einzuordnen, sie in irgendeine in meinem Hirn existierende Schublade zu stecken, scheitert. Ich muss erkennen: es ist wohl Schottland!

Sonniger Fjord bei Strontian

Sonniger Fjord bei Strontian

Sonniger Fjord: Loch Sunart
Wir erleben ein rasante Abfahrt, bevor wir Strontian erreichen


Still liegt der Fjord unter einem wundervollen, wolkenlosen Sommerhimmel. Schnell haben wir das Normal-Null-Niveau erreicht.
Allerdings muss ich feststellen, dass auch ich inzwischen nicht mehr ganz so waghalsig die Abfahrten nehme, wie in früheren Zeiten in Island oder auf Kreta. Habe wohl in den letzten Jahren während meines Berufslebens auf der Intensivstation zu viele zertrümmerte Schädel gesehen, die mir durchaus ins Gedächtnis kommen, wenn ich eine Piste hinabsause. So schnell möchte ich eigentlich nicht deren Schicksal teilen… Und wie schnell das gehen kann, das erlebe ich täglich in der Klinik.
Hinzu kommt noch der Umstand, dass das Vertrauen, welches ich inzwischen noch in mein gealtertes Reiserad setzen kann, nicht mehr das größte. Ein solides neues Rad, bei dem die Sorge fern liegt, dass mir der Lenker bricht, ein Bremszug um die Ohren fliegt oder gar der Rahmen bricht, würde mir eher erlauben, die Abfahrten am Limit zu vollführen.

Um 22:00 erreichen wir den kleinen, etwas verwunschenen Zeltplatz von Strontian und haben noch Zeit und Licht genug, um in Ruhe das Zelt zu errichten. Einzig quälend indes sind mal wieder die midges, die uns auch heute wieder zum Essen ins Zelt zwingen, die Küche bleibt kalt, zum Kochen hat keiner von uns noch Lust.

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Freitag, 14. Juli 2006

Karte Tagesetappe

Hätte man das für möglich gehalten - die Sonne brennt auf's Zeltdach und im Innern wird es unerträglich warm. Ich fühle mich zerknautscht, habe einen matschigen Schädel, woran nicht einmal die Dusche etwas zu ändern vermag.

Das Fahrrad

Das Fahrrad

Das gute alte Kettler auf seiner letzten Reise


Physisch bin ich weiterhin in einer desolaten Verfassung, finde einfach keinen Rhythmus, als wir schließlich aufbrechen, um am Nordufer des Fjordes westwärts zu rollen. Es ist eine traumhafte Strecke: ein welliger Kurs, der dem Loch Sunart folgt und oft von Bäumen gesäumt ist. Ein frischer Wind weht uns um die Nase, es duftet wie so oft nach Meer und Wald. Genial, schöner könnte es kaum sein. Auch vom Autoverkehr bleiben wir weitgehend verschont. Die schmalen Straßen haben die Eigenart, dass sie einspurig konzipiert sind und das Passieren des entgegenkommenden Verkehrs durch Ausweichbuchten ermöglicht wird, die alle paar Hundert Meter eingerichtet sind. Auf diesen Straßen verhalten sich die Autofahrer erstaunlich rücksichtsvoll, oft halten sie schon an und warten unsere Vorbeifahrt ab, auch wenn wir noch wirklich weit entfernt sind. Sehr angenehm.

Auf der Küstenstrasse

Radreiseidyll


Bald verlassen wir die Küstenstraße, orientieren uns nordwärts. Es bleibt beschaulich. Wir kommen durch kleine Orte, die verschlafen wirken, alles kommt mir vor, wie Sonntagnachmittag… Kaum ein Mensch ist auf den Beinen, alles wirkt verlassen, beinahe wie ausgestorben. Einige spürbare Erhebungen haben wir zu passieren, mal geht es auf 100 Höhenmeter, dann auf 150 und dann noch mal auf 100. Es ist weiterhin annähernd wolkenlos, die Sonne brennt uns auf den Pelz, so dass die Hügel zu einer schweißtreibenden Angelegenheit geraten.
Nach einigen Meilen gelangen wir wieder ans Meer, namentlich an den Sound of Arisaig, welcher sich nach Osten ins Landesinnere zu dem Fjord Loch Ailort verjüngt. Diesem Gewässer folgen wir nun - ein weiteres landschaftliches Highlight! So stelle ich mir eine Schärenlandschaft in Schweden vor: geschliffener Fels, tiefblaues Wasser, die Sonne funkelt auf dem Meer.

Loch Ailort

Loch Ailort


Überhaupt ist heute ein Tag, an dem viele alte Bilder in meinem Kopf geweckt werden, wenn ich so alleine, gedankenverloren die Kilometer abspule. Der Genuss der Etappe vermischt sich mit Visionen noch zu unternehmender Fahrten mit dem Rad, ein Aufflammen der alten Träume, Überlegungen, mal wieder Griechenland oder gar Island zu bereisen; der Wunsch, in vielen Wochen Norwegens Norden zu erreichen…
Eine Ansammlung wuchtiger Felsen lädt uns zum Pausieren ein, ich wage ein Bad, was allerdings nicht lange währt, das Wasser ist ziemlich kalt…

Loch Ailort

Am Loch Ailort

Die Fahrt geht weiter, bis wir am Ostzipfel des Fjords den (gleichnamigen) Ort Lochailort erreichen. Wir beschließen, die Fahrt bis zu den Campingplätzen von Arisaig fortzusetzen.
Die Strecke verlangt uns noch mal einiges ab, in engen Kurven windet sich die Straße durch eine waldige Landschaft, mehrfach sind Steigungen bis auf 100 Meter Höhe zu fahren. Einmal mehr bedauere ich, dass meine Altimeter-Uhr auf dieser Tour nicht mit dabei ist…

Nach 74 Kilometern erreichen wir den angepeilten Küstenabschnitt. Der erste Campingplatz ist dicht gemeldet, auf dem nächsten (ein winzig kleiner), den wir ansteuern, wird uns ein letztes freies Fleckchen zugewiesen - es ist Wochenende und auch die Schotten wissen, wo es in ihrem Land am schönsten ist und bevölkern die Landschaft. Es geht hier nicht anders zu, als auf einem Campingplatz in Deutschland; man grillt, trinkt Bier, genießt den sommerlichen Abend.


Kajakfahrer im Sonnenuntergang vor Arisaig

Ein Kajakfahrer im Sonnenuntergang vor Arisaig - welch wunderbarer Anblick!


Sonnenuntergang vor Arisaig

Wir residieren in unmittelbarer Strandnähe, "kochen" Kartoffelpüree mit Fleischbällchen aus der Dose und Bohnen, während wenige Meter entfernt einige Kinder sich im Dudelsackspiel probieren und dabei ziemlich schmalzig die Sonne untergeht. Das wiederum hat zur Folge, dass versammelten Gäste des Platzes sich völlig ungeniert direkt "auf unser Grundstück" stellen, um das kitschige Naturspektakel zu verfolgen. Mich nervt schließlich ein wenig, dass ein beachtlicher Teil der Menschen sich auch weiter dort aufhält, als die Sonne längst hinter dem Horizont verschwunden ist. Man palavert lautstark und ohne jede Rücksicht… Ich schlafe schlecht ein und verbringe eine unruhige Nacht.

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Samstag, 15. Juli 2006

Karte Tagesetappe

Ein wolkenloser, sonniger Sommertag liegt vor uns. Während wir frühstücken, kommt ein Pferd vorbei, wie nett. Wir lassen es langsam angehen, verbringen noch ein wenig Zeit am nahen Strand.

Araisaig

Griechenland? Nein, es ist Schottland!


Auch wenn ich mittlerweile kapiert habe, dass ich in Schottland bin, so muss abermals konstatiert werden, dass diese Küste hier auch ohne weiteres als eine griechische durchgehen würde, so kristallklar das Wasser, so ähnlich die Felsstruktur. Dann setzen wir uns allmählich in Bewegung. Im Hausflur der Campingplatzinhaberin Joyce hinterlege ich mit einer kurzen Notiz die 6 £ Übernachtungsgebühr, da ich sie nicht persönlich antreffe.
Über eine rumpelige Piste geht es wieder auf die Hauptstraße, vorläufiges Ziel ist der Hafenort Mallaig. Dorthin führen zwei Wege: kurz und befahren die Hauptstraße sowie wellig und etwas verschlungen eine ruhige Nebenstrecke. Ich gebe der Nebenstrecke den Vorzug und so trennen sich für eine Weile unsere Wege; Claudia möchte keine "Umwege" nehmen. So fahre ich über eine zauberhafte "griechische" Piste mit zahlreichen kleinen Buchten, bis wir uns an der Fähre in Mallaig wieder treffen.

Küste

Da nun die Hebriden unser Ziel sind und uns noch so manche Fährfahrt bevorsteht, erwerben wir für 49,90 £ pro Person das so genannte Rover-Ticket, welches uns für die kommenden acht Tage berechtigen wird, ohne weitere Kosten sämtliche Linien der Caledonian McBraine-Reederei (die in diesen Gewässern das Monopol innehat) zu nutzen.

Links fahren

Auf der Fähre, die uns zur Isle of Skye bringen wird, entdecke ich dieses Motorrad


Sogleich geht es auf den nächsten Dampfer, welcher uns über den Sound of Sleat zur Isle of Skye bringen wird. In dem kleinen Hafenort Armadale gehen wir an Land; hier sieht es nun erst einmal so aus, wie ich mir einen Küstenabschnitt in Alaska vorstelle; der Duft von Nadelbäumen erfüllt die salzige Luft, recht lieblich folgt die Straße für eine ganze Weile unmittelbar der Uferlinie, bevor ein welliger Abschnitt ins Inselinnere folgt. Der Nadelwald weicht einem karg anmutenden borstigen heideartigen Bodenbewuchs, so dass der Landschaft in meiner Wahrnehmung nun beinahe einen Hauch von isländischen Lowlands anhaftet…
Nach insgesamt 40 Kilometern Fahrstrecke stößt unsere "kleine rote Straße" (die A851) auf die "dicke grüne", nämlich die A87.

Sonniges Radeln

Sonniger Fjord

Sonniges Radeln

Ruhige Nebenstrecke


Wir machen eine ausgiebige Pause und setzen die Fahrt fort. Die A87 ist die Hauptverkehrsader, welche vom Festland kommend auf die Isle of Skye zieht, dementsprechend haben wir mal wieder mit dem Verkehr zu kämpfen, was den Genuss der wirklich wunderschönen Landschaft ein ganz klein wenig schmälert. Erst auf den letzten Kilometern am späten Nachmittag können wir auf eine "kleine weiße Straße" ausweichen, welche eigentlich eher ein Betriebsweg ist und welche völlig verkehrsfrei dem Ufer einer kleinen Halbinsel folgt. Traumhaft schön und tiefblau liegt der Fjord Loch Ainort im warmen Licht unter uns, wir sichten sogar einen Seehund! Radreise at its best!

Fjord Loch Ainort

Der Verlauf der Straße zieht wieder ins Inselinnere und verjüngt sich zum Loch Sligachan, an dessen innerstem Zipfel der von uns angepeilte Campingplatz lokalisiert ist.
Wir finden eine einfache Wiese vor, Wohnwagen gibt es ebenso wenig, wie eine Rezeption; ganz nach isländischer Manier kommt am Abend der Warden herum und sammelt Geld ein. Es tummeln sich schottische Wochenendausflügler und ausländische Touristen - ein sympathisches kleines Outdoor-Camp!
Ich kümmere mich um das Abendessen. Wie eigentlich immer, so gibt es auch heute zu einem Dosen- oder Istantfutter noch eine Portion Salat respektive Rohkost und zum Nachtisch viele Kekse…

Campingplatz am Loch Sligachan

Schon seit unserer Ankunft habe ich einen kleinen Berg im Visier, welcher sich in relativer Nähe zum Lagerplatz befindet - er erinnert mich entfernt an den Bláhnúkur… Ich denke mir: "…eigentlich müsste man da noch mal hoch…". Flugs sammele ich ein paar Sachen zusammen; Stirnlampe, Kamera, GPS, Jacke, Wasser, Kekse. Immerhin ist es bereits 21:10, als ich mich auf den Weg mache. Ich muss also ordentlich Gas geben, fixiere den Gipfel und mache mich im Laufschritt auf den Weg durch sumpfige Wiesen. Meine Hose, die ich bislang penibel sauber zu halten schaffte, wird mit Schlamm bespritzt, es ist ziemlich feucht und es gibt keinen Pfad (oder ich finde ihn nicht?) und so schlängele ich mich voran. Nach kurzer Zeit wird mir gewahr, dass der Fleecepullover wohl etwas viel des Guten ist, ich bin nass geschwitzt…
Nach den Feuchtwiesen geht es an den Berg, zunächst recht flach, dann doch ziemlich steil. Immerhin kann ich nun einem "Pfad" folgen, naja, eigentlich ist das ein trockenes Bachbett voller Geröll… Ich hüpfe hinauf, halte kurz inne und schaue nach hinten: auf die Wiesen, den Fjord, die Berge - sehr, sehr schön! Doch weiter, weiter, die Nacht rückt heran!
Das, was ich für den Gipfel gehalten habe, ist nur ein kleines Plateau auf dem Weg dorthin, also weiter, schnell, schnell!

Am Loch Sligachan

Am Loch Sligachan

Sportlicher Blitzaufstieg auf 430 Höhenmeter -
zur Belohnung gibt es eine tolle Aussicht!


Keuchend erreiche ich schließlich um 22:00 mein Ziel, freue mich über die Aussicht und den Umstand, dass ich mich tatsächlich noch zu dieser Unternehmung aufraffen konnte.

Magellan GPS

Das alte Magellan Sport Trek pro


Das GPS verrät mir, das ich soeben in fünfzig Minuten 430 Höhenmeter bewältigt habe, ganz anständig.
Zehn Minuten verweile ich, blicke in die Ferne und dann hüpfe ich hinab, von einem Felsbrocken zum nächsten - nach 35 Minuten bin ich wieder am Zeltplatz, wo ich Claudia lesend im Zelt antreffe.

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Sonntag, 16. Juli 2006

Karte Tagesetappe

Am Morgen pustet ein beachtlicher Wind über den Fjord - das ist prima, bedeutet es doch, dass wir von midges unbehelligt unser Frühstück einnehmen können.
Um zwölf Uhr sind wir auf der Straße, die Temperaturen sind mild, der Himmel ist bewölkt, die Landschaft mit ihren kleinen Bergen recht hübsch und so erreichen wir bald den kleinen, schmucken Ort.
Nun stellt sich die Frage: fahren wir auf direktem Weg über die Hauptstraße nach Nordwesten weiter bis Uig (der von uns angepeilte Hafenort - das wären 25 km - von wo aus es auf die Hebriden weitergehen wird) oder wählen wir den deutlich längeren (ca. 54 km) Nordost-Kurs auf beschaulicher Nebenstrecke, die uns küstennah um die gesamte Halbinsel Trotternish führen würde?

Portree

Blick auf den kleinen Ort Portree


Es erweist sich als eine ausgesprochen gute Entscheidung, dass wir die längere Variante wählen, da uns nun ein landschaftlich wirklich schöner, ja beinahe spektakulärer Abschnitt bevorsteht. Zunächst müssen wir, kaum dass wir den Ort verlassen haben, einen 200m-Anstieg bewältigen.

Pause am Wasserfall

Nach einigen Kilometern erreichen wir einen kleinen Pausenplatz bei einem idyllischen Wasserfall - ein schöner Fleck für die Mittagspause! Ich koche Wasser und decke den Tisch mit allem, was meine Packtaschen hergeben.
Die Aussicht ist wirklich toll. Vom Rauschen des Wassers untermalt schweift der Blick über die Berge; besonders ins Auge fällt ein spitzer, schroffer Fels, der Old Man Of Storr.

Fahrrad

Mit beachtlichen Höhenunterschieden setzt sich die Fahrt fort. Die Steigungen tun allerdings kaum weh, da wir weiterhin von einem sehr starken Wind vorangetrieben werden, der uns beinahe die Hügel hinaufpustet. Die Abfahrten gestalten sich dementsprechend rasant! Das Meer im Osten ist aufgewühlt und inzwischen scheint sogar die Sonne, eine tolle Fahrt. Man merkt, es ist Sonntag: viele Ausflügler und Touristen sind auf der Straße unterwegs und suchen, wie wir auch, hier und da die Aussichtspunkte an der imposanten Steilküste auf.

Altimeter

Nicht nur das GPS, auch das Barometer meiner Armbanduhr liefert Höhendaten,
kann diese aber leider nicht aufaddieren



Steilküste sturmumtost mit Weihnachtsmann

Steilküste sturmumtost - mit Weihnachtsmann


Steilküste sturmumtost

Steilküste sturmumtost

Als wir den kleinen Küstenort Staffin erreichen, hat der Wind etwas gedreht und treibt finstere Wolken über das Land. Ich hätte die als harmlos eingestuft, während Claudia die Möglichkeit starken Regens sieht und somit anregt, doch lieber hier auf den Campingplatz zu fahren, bevor wir dann noch fett nass werden.

Bei Staffin

Sie sollte recht behalten: kaum, dass wir auf den Platz rollen, prasselt es los und sind somit froh, dass wir uns erst einmal unterstellen können.
Zwischendurch folgen immer wieder trockene Intervalle, die wir nutzen, um das Zelt an einem windgeschützten Plätzchen aufzubauen. Ein freundlicher Nachbar erklärt sich auf Anfrage bereit, unser Handy aufzuladen (auch wenn dieses Vorhaben zunächst wenig Erfolg versprechend ist, da wir keinen Netz-Adapter mitführen und die schottischen Steckdosen nicht der deutschen Norm entsprechen… Der Herr jedoch kramt aus den Tiefen seines Wohnwagens noch einen solchen hervor…).

Kleine Wanderung am Abend

Kleine Wanderung am Abend


Trotz des instabilen Wetters machen wir uns um 20:00 noch mal auf einen kleinen Erkundungsspaziergang an die Küste. Knapp zwei Stunden stiefeln wir durch schöne Wiesen, hinab ans Wasser, einem Fahrweg folgend bis zur Hauptstraße und schließlich zurück zum Campingplatz. Dabei kriegen wir ordentlich eins auf die Mütze, die letzten zwei, drei Kilometer schüttet es wie aus Eimern…
Auch die Nacht wird stürmisch und regnerisch, unser Zelt hält dem Wetter aber beharrlich stand!

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Montag, 17. Juli 2006

Karte Tagesetappe

Um halb acht treibt es uns aus den Federn, wir wollen auf jeden Fall pünktlich die Fähre in Uig erreichen. Es ist weiterhin sehr windig, Sonne und Regen wechseln sich ab und als wir um halb zehn während eines Schauers den Campingplatz verlassen, zaubert die Sonne einen wundervollen Regenbogen über die trübe Landschaft. Es ist kaum zu glauben: ich habe nach dem kleinen Spaziergang von gestern Abend doch tatsächlich Muskelkater in den Beinen! Seltsam.

Regenbogen

Wir haben beschlossen, nicht die komplette Küstenstraße um den Nordzipfel der Halbinsel Trotternish abzufahren, sondern die Abkürzung über die Berge zu nehmen, eine kleine "weiße Straße", die kurz hinter Staffin westwärts abzweigt.
Es regnet sich ein, während wir auf der Piste aufwärts rollen. Zunächst sanft, dann ziemlich ruppig geht es über eine Distanz von vier Kilometern hinauf auf 260 Höhenmeter.

Am Berg

Nebel, Regen, karge Vegetation...


Die Landschaft ist karg, grün, nass - mir drängt sich mal wieder ein Vergleich auf: ich fühle mich ein wenig erinnert an die isländischen F22-Abschnitte im Gebiet der Eldja. Eingehüllt in nebelgleiche, tiefhängende Wolken und nassgeschwitzte Regenkluft erklimmen wir den Hügel, rollen über ein kleines Plateau und stürzen uns auch schon hinab zur Westküste der Halbinsel, wo wir gegen elf triefend nass und durchgefroren eintreffen. Die drei Stunden Zeit bis zur Abfahrt der Fähre verbringen wir in der zugigen Wartehalle der Caledonian McBrayne Agentur, wo es immerhin einen Automaten gibt, der heißen Kakao spendet!
Zwei weitere (jeweils einzeln reisende) Radler sind auch zugegen, es kommt allerdings zu keiner Konversation. Mir wird die ganze Zeit nicht richtig warm, es ist ziemlich ungemütlich. Um 14:00 legt endlich die Fähre ab und wir gönnen uns an Bord den Luxus einer warmen Mahlzeit: es gibt Pommes und Hamburger von eher mittelmäßiger Qualität, während draußen hinter dem Fenster eine trübe Nordsee vorbeizieht.

Regenwetter

Etwas trostlos gestaltet sich die Überfahrt von der Isle of Skye
zu den Äußeren Hebriden, namentlich nach Tarbert auf Lewis


In einem der zahlreichen Fernseher auf der Fähre verfolge ich die Nachrichten und nehme mit einem gewissen Entsetzen zur Kenntnis, dass die Israelis mal wieder in den Südlibanon einmarschiert sind; Nordisrael indes liegt unter Hizbollah-Beschuß. Rauchpilze über Haifa - der Anblick der Stadt ist für mich nicht ganz ohne Wiedererkennungswert; vor vielen Jahren erreichten wir dort, von Athen kommend, Israel…
Ich kann immer nur den Kopf schütteln über so viel Irrsinn, wie er sich in dieser Gegend dort abspielt…


Seeleute an Deck

Schiff der Küstenwache vor Lewis

Rettungsring Hebrides

Hier und jetzt bei uns geht es erfreulich friedlich zu, nach einer guten Stunde schiebt sich unser Kahn in die schärenartige Landschaft der Äußeren Hebriden, ein bisschen kommt ein "Nun sind wir echt am A... der Welt-Gefühl" auf. Es regnet nicht mehr, die Wolken hängen aber tief, es ist eine dampfige, dichte Atmosphäre. Und als wir in Tarbert (…schon wieder ein Tarbert!) auf der Insel Harris anlegen, da schafft es sogar die Sonne durch die Wolken!

Küste von Lewis

Vor der Küste der Insel Lewis


Hafenort Tarbert auf Lewis

Fähre im Hafen von Tarbert auf Lewis

Unsere Fähre am Hafen von Tarbert auf Lewis


Zwar zieht es sich bald wieder zu, doch bleibt es immerhin trocken. Wir nutzen das Vorhandensein von Zivilisation (…hier in Gestalt eines Tante Emma-Ladens in einem winzigen Kaffs auf einer dünn besiedelten Insel mitten im Atlantik…), um unsere Vorräte aufzufüllen und unsere Wasserflaschen wieder zu füllen. Einen Campingplatz gibt es auf den kommenden Kilometern nicht, so dass wir uns auf wildes Campieren einstellen.
Unser Plan sieht vor, in den kommenden Tagen von hier aus die südlichste Insel der Äußeren Hebriden - namentlich Barra - zu erreichen, um dann von dort aus mit der Fähre wieder an das Festland zurückzukehren.

Hier und jetzt auf Harris stehen uns zwei Routen zur Wahl: der flache Westkurs auf der Hauptstraße (die hier allerdings kaum befahren ist) oder eine auf der Karte sehr verlockend aussehende Strecke an der Ostseite der Insel. Da letztgenannte Route im Reiseführer allerdings als verhältnismäßig hügelig und somit recht anstrengend beschrieben ist, wir entscheiden uns für die Weststraße.
Wir staunen ob der weißen Strände, die sich immer wieder in kleinen Buchten zeigen. Schon bald halten wir die Augen auf und scannen die Landschaft nach einem potenziellen Schlafplatz ab. Zwar ist die Gegend extrem dünn bevölkert, doch ist es nicht ganz einfach, einen geeigneten Platz zu finden, da die Bauern weite Flächen eingezäunt haben. Schließlich erreichen wir den auf der Karte als solchen ausgewiesenen Pausen- und Rastplatz Horgabost - nichts weiter, als eine große Wiese neben der Straße mit direktem Zugang zu einem dieser wunderschönen kleinen Strände. Wir beschließen, dort zu bleiben.

Wildes Campieren in Horgabost auf Harris

Wildes Campieren auf der Insel Harris


Strand in Horgabost auf Harris

Schon beim Zeltaufbau behelligen uns Schwärme von Fliegen, ja, diesmal richtige Fliegen, gar nicht mal die fiesen midges, sondern richtige, penetrante Fliegen im klassischen Sinne. Fliegen, die in die Nase fliegen, in die Ohren fliegen, in den Mund fliegen. Aufdringliche Fliegen. Massenhaft Fliegen.

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Dienstag, 18. Juli 2006

Karte Tagesetappe

Und genau so, wie der gestrige Tag endete, so beginnt der heutige. Mit dem einzigen kleinen Unterschied, dass noch etwas weniger Wind weht und sich somit die Aufdringlichkeit der Insekten ins Unerträgliche steigert. Nebel und Nieselregen stören uns da gar nicht, wir kämpfen ausschließlich mit den Viechern. An ein geordnetes Frühstück ist überhaupt nicht zu denken, so dass wir einigermaßen genervt den Entschluss fassen, diesen Ort auf dem schnellsten Wege zu verlassen, um uns dann später am Wegrand einen geeigneten Platz zu suchen. Es wird das Programm "Regeneinpacken" gestartet, also das Verstauen sämtlicher Taschen und Säcke bei verschlossenem Zelt, um die Zeit draußen in "ungeschütztem" Zustand möglichst kurz zu halten…

Auf Harris

Um zehn verlassen wir fluchtartig die Wiese. Bemerkenswert, wie sehr einem dieses Getier doch einen eigentlich sehr schönen Ort zu verleiden vermag…
Endlich auf dem Rad, endlich durchatmen! Etwas Ruhe finden, ohne pausenlos wild mit den Armen zu gestikulieren oder schon wieder so ein Viech auszuspucken…
Nach einigen Kilometern finden wir schließlich einen passablen Ort, um das Frühstück nachzuholen (…direkt an der Straße neben ein paar Felsen voller Schafscheiße…).

Frühstück auf Harris

Nachdem uns am Morgen die Fliegen vom Lagerplatz vertrieben hatten, gibt es später am Straßenrand ein Frühstück


Auf Harris

Auf Harris

und am frühen Mittag erreichen wir den kleinen Hafen von Leverburgh, von wo aus es auf die nächste Insel, nämlich nach North Uist weitergeht. War es bislang bedeckt und relativ trübe, so reißt nun der Himmel auf und wir können die Fahrt mit der Fähre bei blauem Himmel genießen. Es regt sich kaum ein Lüftchen und so liegt das Meer beinahe spiegelglatt da. In einem Slalom sucht der kleine Dampfer seinen Weg zwischen Felsen und Untiefen im Sound of Harris, ein unübersichtliches Revier, von dem ich mir denken kann, dass hier in früheren Zeiten so mancher Kahn im Sturm auf Grund gegangen ist…

Warten auf die Fähre von Harris nach North Uist

Wir warten auf die Fähre, die uns dann von Harris nach North Uist bringen wird


Warten auf die Fähre von Harris nach North Uist

Ich kann die Stille und die Weite der bizarren Landschaft genießen, freue mich, wenn mal wieder ein Seehundkopf hervorlugt und die Seevögel schreien.

Auf der Fähre machen wir die Bekanntschaft der jungen Polin Maria, die mit dem Rucksack durch das Land reist. Eigentlich jobbt sie seit einigen Monaten in Irland in einem Souvenir-Laden, nun hat sie gerade für eine gute Woche Urlaub. Sie reist mit dem Bus oder trampt, letzteres scheint hier ziemlich gut zu funktionieren - nun ja, für eine junge, hübsche Frau wohl selten ein Problem. Unsere Wege werden sich in den kommenden Tagen noch das eine oder andere Mal kreuzen.
Die Inselwelt, die nun vor uns liegt, stellt sich karg dar. Kaum ein Baum ist auszumachen, dafür von Felsbrocken durchsetzte Wiesen, hier und da mal ein Bauernhaus. In den Niederungen immer wieder Tümpel und kleine Seen, alles ziemlich feucht und, das muss ich schon so sagen, recht unspektakulär, ja, manchmal geradezu langweilig.
Der Charme, der dieser Gegend in meinen Augen dennoch anhaftet, beruht auf der (durchaus exotischen) Tatsache, dass diese Inselwelt so ziemlich am äußersten Zipfel Europas liegt, hier scheinbar alles ein wenig beschaulicher abläuft, alles einen recht friedlichen Eindruck macht. Ein eigener kleiner Kosmos, irgendwo mitten im Meer und dennoch politisch wie geografisch fest an Europa angebunden. Die Straßen sind einspurig angelegt, alle paar Hundert Meter sind Wartebuchten eingerichtet - das verpflichtet zu Rücksichtnahme und Freundlichkeit. Und in der Tat, die Autofahrer in dieser Ecke der Welt verhalten sich dem Radreisenden gegenüber sehr zuvorkommend.

Otters crossing

Wir staunen nicht schlecht über dieses etwas ungewöhnliche Verkehrsschild...


Was ich auch noch an keinem anderen Ort der von mir bislang bereisten Welt gesehen habe, sind die Warnschilder "Caution - Otters crossing". Zu unserem außerordentlichen Bedauern ist uns aber während der ganzen Tage auf den Hebriden kein einziger Otter begegnet…

Kilometer um Kilometer machen wir bei gutem Wetter unseren Weg nach Süden. Plattes Land, Tümpel, versprengte Häuser. Monotonie. Immer wieder Dämme, die Wasserflächen überbrücken. Eine lange Baustelle. Torfstecher auf den Feldern, Reihen trocknender Blöcke. Dann ein Hungerast, der eine Pause erforderlich macht. Wir hocken uns ins Gras und ich komme mal wieder in den Genuss eines Obst-Joghurt-Kübels, hatte mich heute Mittag in Leverburgh vor der Fährabfahrt noch mal entsprechend eingedeckt…

Schnurgerader Damm

Am Abend erreichen wir den Campingplatz von Lionacleit (was da jetzt genau Lionacleit heißt, das gibt die Karte nicht her; ein Ort ist hier jedenfalls nicht…), wo uns ein ausgesprochen unsympathischer Warden einen Platz zuweist. Lange nicht mehr so etwas unfreundliches und muffeliges erlebt und schon gar nicht in diesem bislang überaus freundlichen Land! Maria hat hier auch schon ihr Quartier aufgeschlagen…

Meatballs

Wir vertilgen Fleischbällchen aus einer poppig gestylten Konservenbüchse, Claudia brütet über der Karte und über den Fährfahrplänen, um unseren weiteren Reiseverlauf zu skizzieren. Da längst nicht alle Verbindungen täglich bedient werden und die uns bis zum Rückflug verbleibende Zeit allmählich kürzer wird, ist es an der Zeit, sich entsprechende Gedanken zu machen, um nicht plötzlich auf irgend einem Eiland festzuhängen, während in Prestwick der Flieger ohne uns abhebt…

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Mittwoch, 19. Juli 2006

Karte Tagesetappe

Eine sonderbar bleierne Schwüle liegt über der Landschaft. Der Campingplatz leert sich: Familien verladen gigantische Zelte in ihre gigantischen Geländewagen, der schrullige, schnarchende Junge von nebenan packt sein Ein-Mann-Zelt in seinen abgewarzten Ford Fiesta und auch Magda macht sich auf den Weg.
So sind wir fast die letzten, als wir um elf Uhr endlich aufbrechen. Ein schwulstiger, "dicker" Wind weht uns schräg von vorne ins Gesicht, landschaftlich geht es unspektakulär weiter. Nach zehn Kilometern ist die erste Pause fällig. Wie gestern gibt es kaum etwas anderes zu sehen, als sumpfige Wiesen, Dämme, winzige Ortschaften und kleine Gehöfte, am Horizont bescheidene Hügelchen. Bei Kilometer 30 folgt die zweite Pause.

Funkelndes Meer

Bei einem Einkauf in irgendeinem Kaff treffen wir zwischendurch Maria wieder, die einen Lift nach dem anderen bekommt… So überrascht es uns auch nicht, als wir ihr am späten Nachmittag am Hafen von Eriskay abermals begegnen. Eriskay ist eine winzige Insel, welche sich (mit einem Damm verbunden) südlich von South Uist befindet. Wenn ich nur so den Kartenausschnitt in der Kunststoffhülle der Lenkertasche vor mir habe, so muss ich immer an die Südspitze Südamerikas, an Feuerland denken - dort indes dürfte noch ein wesentlich höhergradiger "Am Arsch der Welt-Faktor" gegeben sein… "In echt" sieht die Gegend hier so griechisch aus wie eine Landschaft nur griechisch aussehen kann: türkisfarbenes Wasser in kleinen Buchten, weiße Sandstrände, Fischerboote, die auf spiegelglatter See vor sich hin dümpeln.
Von "Tierra del Eriskay" bringt uns eine Fähre nach Barra. Auch heute gibt es wieder viel von der hiesigen Tierwelt zu sehen: wir passieren eine Felsinsel voller Seehunde und Vögel. Schon klasse!

Auf Benbecula

Auf der Insel Barra

Blick auf Castlebay, Barra

Wir haben die südlichste Insel des Archipels erreicht, namentlich Barra.
Hier blicken wir auf den Hauptort Castlebay, in dessen Nähe wir auf einer Wiese wild campieren werden.


Der Wind hat etwas aufgefrischt, es ist nicht mehr ganz so schwül. Maria hat einen sehr netten Fahrer erwischt, mit dem sie auch auf Barra noch weiterfährt. Er wohnt dort und erzählt ihr viel von der Insel, während sie selbige im Auto mehrfach umrunden… Von ihm stammen auch die Empfehlungen für Übernachtungsplätze auf Barra: zum einen sei es im Norden am Flugplatz (…dazu an später noch eine Anmerkung…) recht schön und geeignet; zum anderen gäbe es nordwestlich von Castlebay entsprechende Strände. Wir entscheiden uns für die zweitgenannte Option, tauschen mit Maria unsere Handynummern aus und verabreden, dass wir uns dort zwecks gemeinsamen Campierens am Abend treffen würden. Sie hatte uns gefragt, ob es uns recht sei, wenn sie sich uns für ein, zwei Nächte anschließt, damit sie nicht alleine irgendwo in der Landschaft ich Lager aufschlagen muss. Wir hatten ihr diese Bitte nicht abgeschlagen, zumal sie eine durchaus angenehme Gesellschaft darstellt. Auf welligem Kurs geht es über die Insel bis nach Castlebay, dem Hauptort. Alles macht einen recht niedlichen Eindruck und die Hügelchen bringen uns noch mal ordentlich ins Schwitzen.

Maria hatte westlich des Ortes bereits mit einem Bauern gesprochen, ob sie auf seiner Wiese übernachten kann. Wir holen uns die Erlaubnis, uns dazuzugesellen, was kein Problem ist. Die Zelte stehen auf einer schönen Wiese unweit des Meeres. Wir baden, bereiten uns ein Abendessen uns sitzen bei milden Temperaturen noch eine ganze Weile draußen vor den Zelten und pflegen Konversation mit unserer polnischen Nachbarin.

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Donnerstag, 20. Juli 2006

Karte Tagesetappe

Tropfen prasseln auf das Dach, wir beginnen unser Frühstück im Zelt. Als es dann aufhört zu regnen, können wir doch die Plane öffnen und die herrliche Aussicht auf das Meer genießen. Einen wirklich schönen Platz haben wir hier erwischt! Allerdings war die Absprache mit den Bauern "stay for one night" - eine Herde Rindviecher ist angekündigt.
Und um denen nicht in die Quere zu kommen, holen wir bald die Zelte ein und ziehen um - auf eine andere Wiese ein paar hundert Meter weiter in Richtung des Ortes Castlebay. Magda schließt sich an. Auch sie muss morgen früh die Fähre nach Oban erwischen, und wo werden wir dann gemeinsam zum Hafen fahren.
Für den heutigen Tag sind indes keine gemeinsamen Aktivitäten geplant, Maria hatte irgendwelche Tipps von ihrem gestrigen Fahrer - ein kleines Musikevent oder sowas - ich fasse den Beschluss, nun mit dem Rad die Insel zu umrunden.
Claudia schießt sich dem dann an und so verlassen wir Castlebay und rollen im Uhrzeigersinn auf der Ringstraße los. Nach ein paar Kilometern bemerkt Claudia: "hatten wir nicht noch Koordinaten für einen Geocache?". Ja, stimmt. Ich krame in meiner Lenkertasche und finde auf einem Zettel die Daten. Mein Geocaching-begeisterter Schwiegervater verfolgt in GoogleEarth unsere Reise und schickt ab und zu per SMS Cache-Koordinaten (Link: Barra Fun Box) .

Cache gefunden!

Geocache gefunden...


Cache geloggt

...und ins Logbuch eingetragen.


Bislang ergab es sich nicht, einen zu suchen, doch heute ist ein optimaler Tag dafür! Flugs sind die Koordinaten eingegeben und es stellt sich heraus, dass wir nur wenige Hundert Meter von der Fundstelle entfernt sind, ziemlich leicht und ohne große Sucherei ist der Schatz zu finden - mir fehlt ja auch die Geduld, ewig im Unterholz zu stochern, um dann ein Filmdöschen zu finden…


Barra Airfield

Barra Airfield

Barra Airport - ein etwas ungewöhnlicher Flugplatz: nur bei Ebbe kann gelandet und gestartet werden. Wir drehen im flachen Wasser eine Runde über die Startbahn.


Unser Weg führt dann zum spektakulären Flugplatz von Barra: eine weite Bucht, die in Abhängigkeit von Ebbe und Flut mal trocken liegt und mal überflutet ist. Das feste Watt fungiert als Start- und Landepiste, die Flugpläne folgen somit dem Gezeitenkalender! Was es nicht alles gibt…
Leider ist nun gerade Flut, so dass uns nicht vergönnt ist, Flugbewegungen zu beobachten. Wir können uns nur den Spaß machen, mit den Fahrrädern über das geflutete Flugfeld zu rollen…
Wir erinnern uns, dass diese Location auch als Übernachtungsplatz im Gespräch war und tatsächlich stehen hier einige Zelte und Wohnmobile am Strand. Wäre auch schön gewesen!

Claudia macht den Vorschlag, da wir nun schon so gut wie jede Straße auf Barra gefahren sind, auch noch den Süden, namentlich die kleine Insel Vatersay (die mit einem Damm mit Barra verbunden ist) zu erkunden. Gute Idee, es fährt sich ja auch leicht, so ganz ohne Gepäck! Unterwegs kommen wir mal wieder durch Castlebay, erledigen im dortigen (bescheiden sortierten) Supermarkt einen kleinen Einkauf und rollen dann zu den weiten Stränden von Vatersay. Ab und zu durchbricht ein Sonnenhauch das homogene, dunstige Grau, welches bislang diesen Tag dominiert hat.

Des abends auf dem Heimweg halten wir an einem Privathaus an. Claudia klopft an die Tür, um zu fragen, ob es möglich sei, unsere Wasserflaschen aufzufüllen. Mit geradezu überschwänglicher Freundlichkeit wird dieser Bitte entsprochen - Claudia ist eine kleine Sensation, die mit ihrer Anwesenheit die drei Generationen des Haushalts in ihren Bann zieht - vom kleinen Kind bis zur Großmutter. Sie kommt dann nicht nur mit gefüllten Wasserflaschen zurück, sondern auch noch mit einer Plastiktüte voll mit frisch gefangenen Krebszangen (…und dem entsprechenden Knowhow, wie diese zuzubereiten sind…).

Lecker Abendessen

Wir bekommen Krebszangen geschenkt, die wir auf zwei Gasbrennern zubereiten - eine willkommene Abwechslung zum Dosenfutter...



Zubereitung der Krebszangen


Zubereitung der Krebszangen


Wilder Lagerplatz bei Castlebay, Barra

Einen schönen Lagerplatz haben wir gefunden!


Wir kehren zum Zelt zurück, finden dort Maria vor und laden sie stolz zu unserem besonderen Schmaus ein. Ich bin zwar im Allgemeinen gar kein Freund von solch schmierigem Pulkram, der obendrein noch ordentlich nach Fisch stinkt, aber diese Aktion hat allein schon ob ihrer Exotik Spaß gemacht. Auf zwei Brennern kochen wir die Zangen, haben dann gewisse Probleme, das derbe Material zu brechen, um an das schmackhafte Fleisch zu kommen.
Anschließend wird das komplette Kochequipment am Strand gründlich gereinigt und vom Fischgeruch befreit, bevor wir uns dann ein "richtiges" Abendessen bereiten; Salat, Karotte, Paprika und das übliche Tütenfutter…
Claudia springt noch mal in die Fluten. Ich folge ihr nicht, mir ist das deutlich zu kalt - auch insgesamt sind die Temperaturen im Vergleich zum Vorabend deutlich niedriger, aber es bleibt immerhin trocken!

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Freitag, 21. Juli 2006

Karte Tagesetappe

Fünf Uhr am Morgen ist keine besonders erquickliche Zeit, um aufzustehen, im Urlaub schon mal gar nicht… Aber es nützt ja alles nichts, wenn wir nicht auf den Hebriden versauern wollen, so sollten wir uns aus den Schlafsäcken pellen.

Wilder Lagerplatz bei Castlebay, Barra

Schade, dass ich immer so müde bin, sonst müsste man das ja eigentlich viel öfter machen, dieses zeitige Aufstehen. Die Landschaft hat ihren eigenen Reiz zu solch früher Stunde. Die Stille, die (zumindest gefühlte) Einsamkeit, der Nebel, der über der See liegt. Schweigend spulen wir unser Programm ab, kochen Tee, räumen die letzten Sachen zusammen, die wir am Vorabend noch nicht vorbereiten konnten. Auch Maria gibt sich wortkarg, was ich recht angenehm finde - kaum etwas ist nerviger, als um diese Zeit von jemandem zugetextet zu werden - in der Klinik gibt es Mitarbeiterinnen, die es fertig bringen, mir morgens um viertel vor sechs schon ein Ohr abzukauen…
Fliegen umschwärmen uns, das hohe Gras ist bevölkert von dicken Schnecken, es sind so viele, dass man gar nicht mehr drauf achten kann, ob man nun darauf tritt oder nicht.

Auf Barra

Wir freuen uns, dass es nicht regnet und machen uns dann auf den Weg zum nahen Hafen. Das Leben auf der Insel ist noch nicht erwacht, kein Mensch außer uns bevölkert die Straße, die Häuser liegen still da, wie ausgestorben.

Am Hafen von Castlebay, Barra

Sehr früh am Morgen müssen wir zum Hafen, um die Fähre nach Oban zu erreichen


Auch am Hafen ist noch nicht viel los, wir sind gut in unserem Zeitplan. Auf der Fähre herrscht die routinierte Betriebsamkeit der Arbeiter, die die Überfahrt vorbereiten. Irgendwann wird die Luke geöffnet, wir dürfen an Bord. Ich genieße Tee und Ingwerkekse, während das Schiff um kurz nach sieben wummernd den kleinen Hafen verlässt. Ein letzter Blick auf den beschaulichen Ort - und dann verschwindet er auch schon aus unserem Blickfeld.
Nach einem Zwischenstopp in Lochboisdale auf South Uist (ca. um neun Uhr) geht es ostwärts in Richtung Festland, Oban ist das Ziel der Reise. An Bord gönnen wir uns ein fettiges Frühstück mit Speck und Bohnen und verbringen später viel Zeit auf dem Oberdeck; die Tierwelt gibt sich wieder spektakulär, auf der Reise bekomme ich nicht nur die "üblichen" Robben, sondern sogar Wale zu Gesicht. Etwas nervig indes, dass ein Arbeiter mit nur wenigen Unterbrechungen damit beschäftigt ist, Teile des Decks abzuschleifen, was einen nervtötenden Lärm verursacht. Kann man das nicht machen, wenn die Fähre im Hafen liegt?

Wir passieren den Sound of Mull, ein wenig Vertrautheit kommt auf und am Mittag erreichen wir bei anhaltend gutem Wetter unser Ziel.
Von Maria haben wir uns schon an Bord verabschiedet und bevor unsere Reise nach Süden weitergeht, sind noch einige Dinge zu klären bzw. zu erledigen. Im Souvenirladen ersteht Claudia als Mitbringsel für unsere beiden Töchter jeweils eine Weste und ein kleines "Kühlschrank-Magnet"-Schaf, das Mäh macht, wenn man draufdrückt… In der Touristeninformation ist zu erfahren, dass es für unser Fortkommen keine Alternative zum Landweg gibt. Wir hatten zunächst noch die Hoffnung, mit einer Fähre zur Insel Jura reisen zu können, um nicht den gleichen Weg zurück fahren zu müssen, den wir gekommen sind. Daraus wird also leider nichts, es bleibt uns kaum etwas anderes übrig, als über die Hauptstraße A 816 in Richtung Lochgilphead zu fahren.

...wieder auf dem Festland

Steinmauern, Wiesen, Schafe...

Einkaufen wollten wir eigentlich auch noch, das verschieben wir aber auf später. Das Wetter ist eigenartig, mal kühl, mal schwül-warm, mal regelrecht heiß, ganz seltsam. Der Verkehr hält sich erfreulicherweise einigermaßen in Grenzen, die Piste gibt sich wellig. Mal erklettern wir 110 hm, dann sind es 170 hm und so weiter. Ist sicher wieder einiges zusammengekommen am heutigen Tag. Ein bei Arduaine auf der Karte verzeichneter Campingplatz ist in der Realität nicht vorhanden - oder wir übersehen ihn. Doch vermutlich hätten wir ihn auch links liegen gelassen, wenn wir ihn gefunden hätten. Beide sind wir noch relativ fit. Es gibt noch mal eine Apfel- und Schokoriegel-Pause und dann geht die Fahrt weiter nach Lochgilphead, wo wir am Abend um halb neun ankommen.
Die letzten Kilometer gegen Etappenende gibt Claudia noch mal ordentlich Gas, so dass ich ihrem Tempo nicht mehr folgen kann; mein morsches altes Fahrrad versagt mir schon seit Monaten die Nutzung die Nutzung des großen Kettenblattes. So kann ich zwar hochfrequent einen Berg hinaufkurbeln, wenn es aber darum geht, in der Ebene Gas zu geben, ist ungefähr bei Tempo 25 Schluss mit lustig. Auch wenn ich ja gerne mit hohen Kurbeldrehzahlen fahre, irgendwann tritt man nur noch ins Leere…
Wir kennen uns ja nun aus, rollen direkt noch mal beim Supermarkt vorbei und decken uns mit Lebensmitteln ein.
Der Campingplatz ist deutlich voller, als beim letzten Mal, die Dusche nach dem langen Tag ein Hochgenuss. Kochen müssen wir mal wieder im Zelt, an den midges hat sich hier nichts geändert… Ich frage mich, wie die schnatternden alten Damen nebenan das machen, die sitzen draußen am Tisch, als wenn nichts wäre - mich macht das Viechzeug binnen Minuten irre…

Gegen Mitternacht werde ich wach von einem Vater uns seinen Teenie-Töchtern, die im Scheinwerferlicht ihres Landrovers in unserer unmittelbaren Nachbarschaft ihre Zelte aufbauen, dabei laut palavern, gackern und kichern. Ich bin maximal genervt …

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Samstag, 22. Juli 2006

Karte Tagesetappe

Rückblickend kann ich - vor allem vor dem Hintergrund meiner zu Reisebeginn existierenden Motivationskrise - auf Schottland bezogen sagen, dass ich in jeder Hinsicht mit diesem Flecken Erde versöhnt bin, mir grundsätzlich sogar vorstellen könnte, noch einmal in meinem Leben hier herzureisen - etwa im Rahmen einer Tour auf dem Nordseeküsten-Radweg.

Küstenstraße auf der Insel Arran

Küstenstraße auf der Insel Arran


Mit Ausnahme des Campingplatzinhabers auf Benbecula waren alle Menschen, mit denen wir in Kontakt traten, von überdurchschnittlicher Freundlichkeit. Meine Befürchtung, wir würden zwei Wochen durch Regen radeln, ist erfreulicherweise nicht eingetreten (…wir profitierten von der sprichwörtlichen Wechselhaftigkeit in diesen Breiten…) und landschaftlich hat das Land sicher auch seine Reize. Wenngleich, ich habe das an anderer Stelle bereits angedeutet, in diesem Zusammenhang das Wort "spektakulär" zu verwenden sicher vermessen wäre. Kein Vergleich zu den Weiten und der Einsamkeit der isländischen Wüsten, den Felsformationen Kapadokiens, den Wolkenkratzerschluchten New Yorks, den schroffen Graten der Alpen… Nichtsdestotrotz würde ich niemandem davon abraten, das Land zu bereisen. Besonders gut hat mir die Allgegenwart des Meeres gefallen - unter diesem Aspekt war die Tour eine konsequente Fortsetzung meiner Kajaktour im Vormonat. Und was liebe ich den Duft des Meeres!
Wir stehen um halb zehn auf, Form und Motivation sind gut - aber dennoch herrscht noch Unklarheit, was die weitere Routenführung angeht. Ein paar Kilometer südlich von Lochgilphead böte sich die Möglichkeit, auf eine Nebenstrecke abzubiegen und die Halbinsel Knapdale zu umrunden. Da das erheblich weiter wäre und auch so manche Steigung auf der Karte verzeichnet ist, nehmen wir letztendlich Abstand von dieser Option. Irgendwie ist eben doch die Luft raus, am Tag der vorletzten Etappe - zumindest glauben wir das am Morgen noch…
Um halb zwölf verlassen wir also Lochgilphead, bleiben dann wie gesagt auf der uns bekannten, noch immer stark durch MIV frequentierten und somit reichlich nervtötenden A 83. Warm ist es und trocken und bald erreichen wir wieder Tarbert, das kleine Nest mit dem netten Hafen. Abermals kaufen wir dort ein, pausieren ausgiebig, sehen einen Landrover mit Kieler Kennzeichen…
Dann wieder der bekannte Berg auf der Halbinsel Kintyre, der bekannte kleine Fähranleger in Claonaig, wo wir eine Dreiviertelstunde auf die Fähre nach Arran warten und die Zeit für ein kleines Picknick nutzen. Noch sind wir fit und laut Karte kommen entlang unserer Route noch einige Campingplätze, namentlich der von Lochranza (auf Arran, dort, wo wir unsere erste Nacht verbrachten), dann den zweiten auf Arran, nämlich in Brodick und schließlich noch jener auf dem Festland in Adrossan.

Mit dieser Perspektive fahren wir auf Arran von der Fähre, frohen Mutes und in der Gewissheit, es mindestens noch bis Brodick zu schaffen. Wir erinnern uns gut an die Abfahrt von dem 200 Meter hohen Hügel inmitten dieser wirklich wunderschönen, fast gebirgigen Landschaft - nun ist das einstige Gefälle eine Steigung... Wir kommen aber gut voran.

Seehund neben der Straße

Als wir auf der Küstenstraße unterwegs sind, erblicken wir am Strand einen Seehund, der sich nicht weiter stören lässt. Wirklich nett.
Sehr zeitig sind wir in Brodick, schaffen es locker, die Fähre um 19:20 zu nehmen, die uns und ein paar hundert (zumeist reichlich besoffene) einheimische Wochenendausflügler ans Festland bringt.

Brodick, Arran

Wir denken uns, warum sollen wir in Brodick bleiben, wenn wir schon die Möglichkeit haben, mit der Fähre ans Festland und sogar quasi auf den Campingplatz zu rollen, nämlich jenen in Adrossan. Dann haben wir morgen nur noch die kurze Fahrt bis Prestwick, sozusagen als entspannender Abschluß.
Das allerdings war keine gute Idee, wie sich herausstellen sollte. Nachdem wir durch das prollige Adrossan geradelt sind (Scharen Trunkener, laute Musik, die aus den Bars dröhnt, getunte Autos, wummernde Bässe, das beginnende Nachtleben - alles in allem ungemein einladend…), finden wir relativ leicht am Ortsrand den auf unserer Karte verzeichneten Campingplatz. Schon die äußere Erscheinung ist abschreckend: eine gigantische Ferienkolonie mit Supermarkt, Disco, Restaurant und Bar - das volle Programm. Könnte auch auf Nordkreta oder auf Malle stehen, das Teil… Auch hier tobt der Pabst im Kettenhemd, es ist laut und wirkt insgesamt nach meinen, nach unseren Maßstäben ausladend. Na gut, welche Alternative haben wir? Also rauf da.
Und jetzt kommt's: der fette, uniformierte Wachmann, der als einziger Ansprechpartner präsent ist, weist uns ab mit der knappen Information "We're full." Und basta. Völlig sinnlos mit diesem Herrn zu diskutieren. Ich bin stinksauer ob dieser Arroganz. Ein kleines Zelt passt immer irgendwo hin. Erst recht, wenn schon die Dämmerung hereinbricht und der nächste Campingplatz dreißig Kilometer entfernt ist…
Aber es hilft ja nichts, wutschnaubend verlassen wir diesen unangenehmen Ort und fassen dann den Entschluss, uns bis nach Prestwick durchzuschlagen. Claudia äußert die Vermutung, dass der dortige Zeltplatz wegen seiner Nähe zum Flugplatz rund um die Uhr geöffnet hat - schließlich kommen die Flieger ja auch schon mal in der Nacht an. Ich bin sehr skeptisch, was diese Annahme betrifft, hätte mich durchaus für eine Wildübernachtung erwärmen können, doch das lehnt Claudia in dieser Gegend ab.
Die Dunkelheit bricht herein, die Navigation fällt zusehends schwer und schließlich wählen wir die Autobahn für unser Vorankommen. Die verläuft zum einen ziemlich direkt zu unserem Ziel, zum anderen ist sie über weite Strecken beleuchtet und sie befreit uns von Orientierungssorgen... Unsere Räder sind natürlich nicht mit einer Lichtanlage ausgestattet, wir hatten ja keinesfalls vor, in der Nacht zu fahren. Im Kampf gegen das schwindende Licht geben wir ordentlich Gas, während rechts von uns mit einem Affenzahn die Autos vorbeirasen… Auf offener Strecke ist das gar nicht mal ein Problem, wenn man sich ganz links hält, kann eigentlich nichts passieren. Als kritisch betrachte ich lediglich die langgezogenen Autobahnausfahrten - da möchte man sich nicht unbedingt länger aufhalten… Alles in allem ein bizarrer Ritt… Langsam aber sicher schmelzen die Meilenangaben bis zum Flugplatz, der natürlich hervorragend ausgeschildert ist, und schließlich erreichen wir in absoluter Dunkelheit unser Ziel.
In Prestwick angekommen hilft sogar noch mal das GPS, um in der Finsternis den Zeltplatz zu finden. Die Rezeption hat erwartungsgemäß nicht mehr geöffnet, ein Schild weist den spät eintreffenden Reisenden jedoch an, sich in der Bar zu melden. Das wird auch sofort gemacht, ein freundlicher Tresenmann rückt gegen Pfand einen Schlüssel für die Sanitäranlagen heraus und das war's.
Herrlich, wir sind angekommen! Schnell ist das Zelt aufgeschlagen. Die Temperaturen sind anhaltend mild und es ist nach wie vor trocken. Wir kochen noch ein wohl verdientes Abendessen, sind ordentlich hungrig nach diesem exotischen Nachtritt, der uns mit exakt einhundert gefahrenen Kilometern die längste Etappe der Reise bescherte.
Der Flugplatz liegt in Blickweite, man kann die Maschinen auf der Rollbahn sehen, ich beobachte bei einer Tasse Pfefferminztee, wie eine Boeing 747 abhebt und im großen Bogen und mit viel Lärm und Licht über unser Lager zieht. Beeindruckend, wie dieser gigantische Haufen Blech so langsam in den Himmel entschwebt…
Um halb eins geht es zu Bett und ich falle in einen guten, tiefen Schlaf - trotz all der Flieger…

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Sonntag, 23. Juli 2006

Karte Tagesetappe

So sehr wir uns gestern Abend in Adrossan auch geärgert haben, der Vorteil, der sich aus unserem Nachtritt ergibt ist ja nun, dass wir heute nicht noch mal wieder auf's Rad müssen und somit den kompletten Tag zur Verfügung haben.
Zur Gestaltung desselben entscheiden wir uns für einen Ausflug ins etwa fünfzig Kilometer entfernte Glasgow. Zum Flugplatz sind es vom Campingplatz aus nur wenige hundert Meter und genau dort befindet sich auch eine kleine Bahnstation, von wo aus wir bequem mit einer Bummelbahn ins Zentrum der großen Stadt (nach London immerhin die zweitgrößte Großbritanniens) gelangen. Gegen Vorlage unserer Ryanair-Tickets bekommen wir sogar noch Rabatt auf die Fahrscheine.
Der Hauptbahnhof ist wunderschön restauriert und von dort aus unternehmen wir bei bestem Wetter einen ausgedehnten Spaziergang durch die Innenstadt und entlang des River Clyde. Nachdem wir schließlich die wesentlichen Sehenswürdigkeiten abgeklappert haben und uns ein Bild von der Stadt gemacht haben, folge ich zunächst etwas lustlos Claudias Vorschlag, das Museum of Transport zu besuchen. Da der Eintritt frei ist, lasse ich mich überreden und muss am Ende feststellen, dass es wirklich interessant ist: zahllose Exponate (von der Kutsche bis zu den verschiedensten Automobiltypen und einer Vielzahl von Schiffsmodellen) sind in liebevoll und ansprechendem Ambiente ausgestellt. Recht schön.

In Glasgow am River Clyde

In Glasgow

In Glasgow

In Glasgow

In Glasgow

In Glasgow


In Bahnhofsnähe finden wir, praktischerweise schon zu einem Bündel geschnürt, ein paar Pappkartons, die wir direkt mitnehmen, um morgen unsere Räder damit für den Flug zu verpacken.
Die Rückfahrt nach Prestwick erfolgt mit Unterbrechung: auf halber Strecke hat wohl ein Stein die Frontscheibe des Zuges beschädigt. In der Folge werden alle Reisenden hinausgebeten und kommentarlos auf dem Bahnsteig stehen gelassen (der Service der Deutschen Bahn wäre nicht anders gewesen…), während der Zug zurück nach Glasgow rollt. Ringsum setzt wildes Handytelefonieren ein. Wir nehmen es gelassen - in spätestens einer halben Stunde würde der nächste Zug kommen und wir haben ja heute schließlich keine Termine mehr.

Köstiliches Dosenfutter

Ein letztes Mal genießen wir schottisches Dosenfutter - lecker!


Sachenpacken vor der Rückreise

Flieger

Wieder am Zelt angekommen wird nach einer Dusche ein letztes Mal köstliches Dosenfutter "gekocht". Nebenan fällt mir ein charismatischer Herr auf, der offensichtlich wandernd unterwegs ist und sein Gepäck in einer Chariot-Jogger-Karre transportiert. Er ist in ein stundenlanges Gespräch mit einem anderen Gast des Campingplatzes vertieft.
Wochen, wenn nicht Monate später, stoße ich auf spiegel-online auf einen Bericht über einen Mann, der um den Globus wandert - und ich meine, den Herrn auf den Fotos wieder zu erkennen. Ein Abgleichen der Reisedaten bestätigt diese Vermutung. Es handelt sich um einen Kanadier [Jean Béliveau, www.wwwalk.org ], der nun schon seit Jahren unterwegs ist, dabei von Nord- nach Südamerika stiefelte, dann von Süd- nach Nordafrika und nun quer durch Europa. Ziel: Asien. Fand ich ja mal wieder sehr beeindruckend…

Statistik

Unsere bescheidene Reise geht nun zu Ende, wir packen soweit wie möglich alles zusammen, achten dabei auf eine möglichst optimale Gewichtsverteilung in den einzelnen Taschen. Morgen sollen wir früh aufstehen und bloß nicht verschlafen!

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Montag, 24. Juli 2006


Abschied

Ich koche mir noch einen Tee für die Reise, dann wird im Morgengrauen der Rest unseres Gepäcks verstaut.
Ich äußere Claudia gegenüber noch meine Verwunderung über den Umstand, dass man uns zwar auf dem Hinflug die Gummispannriemen abnimmt, sich nun aber niemand für meine Ein-Liter-Thermoskanne mit Tee interessiert. Wäre die jetzt voll Benzin, sollte es kein so großes Problem sein, damit den Flieger vom Himmel zu holen…
Und in der Tat, nur wenige Wochen nach unserer Tour fliegen Terroristen damit auf, wie sie in einzelnen Flaschen flüssige Sprengstoffkomponenten in Flugzeuge schmuggeln wollten - in aller Eile wurde eine neue Handgepäckordnung etabliert und seitdem sind Flaschen verboten…
Die Eincheckmodalitäten ziehen sich hin, aber wir erreichen pünktlich unsere Maschine, die auch pünktlich abhebt. Unspektakulärer Rückflug in den deutschen Sommer.
Für die Fahrt von Lübeck bis Neumünster (wo wir noch mal kurz bei Claudias Eltern reinschauen) benötigen aufgrund des hohen Verkehrsaufkommens genauso lange, wie soeben von Prestwick nach Deutschland…

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