Von München nach Kiel
Eine Herbstreise
Samstag, 13. Oktober 2007
Nach zehn Radreisetagen im August (Niederlande mit den Kindern) und meiner zweiwöchigen Fahrt von Kiel nach Worms und schließlich von Lörrach nach Berchtesgaden im September habe ich nun, im Oktober, schon wieder das außerordentliche Vergnügen, für zwei Wochen mit dem Fahrrad unterwegs sein zu können. Dieses Mal in Begleitung meiner Partnerin; geplant ist, von München aus nordwärts zu radeln, so weit, wie wir kommen…
Um 20:21 verlassen wir mit dem Zug Kiel, hätten eigentlich in Hamburg Dammtor aussteigen sollen und sind dann zunächst etwas in Panik, dass wir am Hauptbahnhof, bis wo wir gefahren sind, unseren Nachtzug nicht mehr erwischen. Doch alles wird gut, schnell finden wir heraus, dass dieser auch hier noch einen Halt einlegen wird.
Der Liegewagen ist sehr angenehm, einer von der Sorte, wo nur zwei Leute in einer Art Kabine längs untergebracht sind. Ich werde einigermaßen gut schlafen. Der junge Zugbegleiter ist ein wenig durchgeknallt, aber sehr nett, unsere Räder sind in einem verschlossenen Waggon untergebracht, der meiste Teil unseres Gepäcks ebenso.
Sonntag, 14. Oktober 2007
Um 6:40 wache ich auf, sortiere meine Knochen und blicke aus dem Fenster: es ist nebelig, sieht einigermaßen trist aus. Der Zug verspätet sich ein wenig, erreicht den Münchener Hauptbahnhof statt um 7:05 erst um 7:20, was uns aber einigermaßen egal ist, wir haben ja viel Zeit.
Es dämmert, als wir am Morgen München erreichen
Eine kleine Weile verbringen wir damit, auf dem Bahnsteig unser Gepäck zu sortieren und schließlich auf den Rädern zu verstauen, dann rollen wir in die Haupthalle, um uns zunächst einmal mit einem kleinen Frühstück zu versorgen, es gibt Kaffee, ich gönne mir natürlich in Stück Kuchen und eine Butterbreze mit Schnittlauch, sehr köstlich. Bin ich schon wieder in München, mir ist, als sei es gerade eben gewesen, dass hier alles voll von Oktoberfestgästen ist und ich mit Birgit aus Berchtesgaden ankomme…
Nun ist wenig los, es ist schließlich Sonntag früh. Nach unserer Stärkung geht es hinaus in den kalten Nebel, es sind gerade mal zwei, drei Grad Celsius und ich habe nur meine dünnen Radhandschuhe dabei, meine richtigen habe ich beim Packen nicht gefunden. Ich hätte besser suchen sollen…
Es ist Sonntag, kaum jemand ist zu so früher Stunde unterwegs. So radeln wir vom Bahnhof in Richtung Isar, der Weg führt uns an der Frauenkirche vorbei
Die Stadt ist wie ausgestorben, als wir vom Bahnhof in Richtung der Isar fahren. Der Weg ist einfach zu finden, das hatte ich mir vorab schon in GoogleEarth angesehen: eigentlich müssen wir immer nur geradeaus dem Straßenverlauf folgen. Es geht über den Marienplatz, vorbei an der Frauenkirche und schnell stoßen wir auf den Fluss. Ich freue mich, mal wieder durch München zu fahren und stelle fest, dass dies, so glaube ich, die einzige deutsche Großstadt ist, die mir sympathisch ist. Erinnerungen gehen mir durch den Kopf, ich denke natürlich an meine Interrailtouren, als der Münchener Bahnhof unser Sprungbrett in die griechische Inselwelt war, Sektflasche am Hals und Dead Kennedys aus dem Ghettoblaster… Denke auch an den letzten längeren Aufenthalt im März 1998, als wir mit unserer drei Monate alten Tochter Joe hier waren und Birgit besuchten, die dereinst hier arbeitete…
Der Morgen ist kühl und neblig
Entlang der Isar verlassen wir München; man hat nicht das Gefühl, durch eine Großstadt zu radeln
Nun fahren wir entlang der Isar, der Weg ist schön geführt, es geht durch den Englischen Garten, durch viel Wald und man wähnt sich nicht inmitten einer Millionenstadt. Kalt und ungemütlich ist es allerdings noch eine ganze Weile. Um neun Uhr allerdings reißt der Nebel auf, schlagartig haben wir es mit einem wunderbaren blauen Himmel zu tun - und so wird es den ganzen Tag bleiben!
Wir fahren durch die Einflugschneise des Flughafens FJS (…wo im Dreiminutentakt Lufthansaflieger und zwar nur Lufthansaflieger einschweben - irgendwann beginne ich mich zu fragen, wie viele Flugzeuge die denn eigentlich haben und ob die nun alle hier in München sind…) und erreichen um elf Uhr Freising.
Herbst an der Isar
Das Velotraum an der Isar
Wir haben schon vierzig Kilometer zurückgelegt! Das ist in Anbetracht der frühen Stunde ganz schön viel. Claudia und ich hatten nie konkret darüber gesprochen, wie weit wir eigentlich fahren würden. Ich hatte mir vor der Tour allerdings die Zahlen der Schottlandreise vom Vorjahr noch einmal angesehen und konnte feststellen, dass wir da im Schnitt um die siebzig Kilometer am Tag geradelt sind. Ich gehe davon aus, dass das auf dieser Tour ähnlich werden wird - was ausschließt, dass wir Kiel erreichen werden. Für mich ist das völlig okay, wir fahren also stressfrei, soweit wir kommen und legen den Rest mit der Bahn zurück. Wenn wir bis Göttingen kommen, ist doch in Ordnung!
Dadurch, dass ich genau das artikuliere, wecke ich bei Claudia einen gewissen Ehrgeiz, wie sie sagt. Sie bringt ernsthaft die Option ins Gespräch, dass man es ja immerhin versuchen könnte, nach Kiel zu radeln - das ist mir natürlich mehr als recht!
An der Isar, auf dem Weg nach Freising
Zwischenstopp in Freising
Wir machen einen Abstecher in den Ort Freising, welcher alle Bayern-Klischees bedient: es gibt eine schnuckelige Altstadt, ein Dom thront über dem Ort, auf dem Marktplatz gibt es Landjäger, Bier und Brezen…
Wir kaufen ein wenig ein, fahren dann wieder an die Isar, folgen ihr bis Moosburg und stoßen nur kurze Zeit später zufällig auf den Abens-Radweg, welcher dem Flüsschen, nein Bächlein Abens folgt. Campingplätze sind rar gestreut, der nächste auf unserer Karte verzeichnete befindet sich im noch fernen Neustadt - schon an der Donau!
Inzwischen radeln wir im Sonnenschein
Wir fahren durch Abensberg, wo ein Volksfest tobt und schließlich rollen wir auf Neustadt zu - ich hoffe nun bloß, dass es den ausgewiesenen Campingplatz auch wirklich gibt…
Dies ist der Fall und der Bauer, dem selbiger gehört, empfängt uns lachend mit den Worten: "na, Ihr habt's Nerven…", meint damit die Tatsache, dass wir zu dieser Jahreszeit zu Zelten gedenken und hält uns wahrscheinlich für ein wenig verrückt. Die Campingwiese ist allerdings super, wir sind natürlich die einzigen Gäste und haben fast das Gefühl, wild zu zelten, kein Zaun, keine Hecke trennt uns von den umliegenden Feldern, herrlich.
123 Kilometer haben wir am ersten Tag auf unserem Weg in den Norden zurückgelegt. Unweit der Donau finden wir einen sehr schönen Campingplatz
Schon um sieben ist es zappenduster, daran werden wir uns in den kommenden zwei Wochen gewöhnen müssen. Nach einer wohltuenden Dusche bereiten wir uns eine Gulaschsuppe mit Nudeln, die wir im Licht der Stirnlampe genießen.
Anschließend beschäftige ich mich mit meinen Reisenotizen und der Betrachtung der Landkarten, schreibe einige SMS.
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Montag, 15. Oktober 2007
Unsere erste Nacht ist direkt auch eine der kältesten auf dieser Tour, angeblich sollen es -4°C gewesen sein, was ich allerdings auch glaube; das Zelt ist steif gefroren. Ich spüre das, als ich um acht Uhr den Reißverschluss öffne, er ist etwas schwergängig. Es zeigt sich ein fantastisches Bild: wunderschön liegt Raureif auf der Wiese und auf den Feldern, die Sonne leuchtet gleißend, Wolken sucht man vergebens - ein Morgen, wie er schöner nicht sein könnte.
Wir hatten schon am Vorabend Brötchen bestellt, so können wir bei aktuell einem Grad Außentemperatur ein schönes Frühstück genießen. Auch in ausreichender Menge im Gepäck haben wir Süßer Moment-Instantpudding, den ich schon auf meiner letzten Tour sehr zu schätzen lernte, gerade, wenn es mal etwas kühler war.
In der Nacht sinkt die Temperatur deutlich unter den Gefrierpunkt.
Eis auf der Wiese am Morgen - wunderschön!
Was für ein toller Morgen!
Frostfrühstück
Ich entdecke auf der Karte den Donaudurchbruch und rege an, einen kleinen Umweg zur Besichtigung desselben in Kauf zu nehmen, was sich als gute Idee herausstellen wird. Um zehn kommen wir los, meistens liegen ziemlich genau zwei Stunden zwischen dem Zeitpunkt des Aufstehens und der Abfahrt.
Wir steuern auf die Donau zu
Auenlandschaft an der Donau unweit von Kehlheim
Die Donau bei Kehlheim
Bald erreichen wir die Donau, fahren durch liebliche, einsame Auen und erreichen zeitig den Durchbruch mit seinen wirklich spektakulär schönen Felswänden. Ich überlege die ganze Zeit, warum ich hier nicht war, als ich 1995 mit Birgit nach Iggensbach radelte, kann dann vage rekonstruieren, dass wir auf diesem Abschnitt von Donauwörth nach Kelheim etwas weiter nördlich fuhren. Da haben wir wirklich etwas verpasst, damals. Wir können uns alleine an der Schönheit erfreuen, vermutlich nur, weil es noch relativ früh am Tag ist - die riesigen Parkplätze in der Nähe lassen erahnen, dass sich hier zu anderen Zeiten die Besucher drängeln.
Donaudurchbruch
Donaudurchbruch
Kloster Weltenburg am Donaudurchbruch
Wir wollen weiter nach Norden, also heißt es: Übersetzen mit einer kleinen Fähre. So etwas hatte ich auch noch nicht erlebt; die Fähre wird ohne Motor betrieben, hangelt sich an einem Seil fixiert über den Fluss, die Richtung legt der Fährmann dadurch fest, wie er den Kahn in die Strömung stellt. 1,50 € zahlen wir dafür pro Person.
Claudia fällt an dieser Stelle auf, dass die deutsche Sprache eigentlich nur das eine Wort Fähre kennt für Wasserfahrzeuge, die Personen und Fahrzeuge gezielt transportieren - ob nun so ein archaischer Kahn wie hier oder die gigantische ColorFantasy, die zwischen Kiel und Oslo pendelt, alle heißen sie ganz ordinär nur Fähre. Schon interessant eigentlich, handelt es sich doch wirklich um recht verschiedene Fahrzeuge…
Auf dem Nordufer angelangt haben wir erst einmal eine kleine Steigung zu bewältigen, auf der Strecke von drei Kilometern erklimmen wir 100 Höhenmeter. Danach dürfen wir auch schon wieder hinabrollen und erreichen in dem kleinen Ort Essing das Altmühltal. Isar, Abens, Donau, Altmühl, wir sammeln fleißig Flüsse!
Donau
Donau.
Sonniger Morgen
Irgendwo auf dem Weg nach Norden
Ein idyllisches Bild zeigt sich uns, recht beschaulich sieht das Gewässer aus, verschlafen und provinziell die Dörfer, immer mal wieder lugt eine Burgruine aus dem Herbstlaub. Die Wegführung ist stur am Fluss geführt, das heißt, es gibt keinerlei Steigungen. Einkaufen bei Lidl in Riedenburg, später Pause mit Kuchen. Es zeigt sich schnell, dass wir hier auf einem populären Radfernweg unterwegs sind, so manch anderer Radreisender begegnet uns, wobei zu sagen ist, dass wir den Altersdurchschnitt deutlich herabsetzen…
Wir fahren bis Kipfenberg und es ist zu merken, dass der Fluss immer schmaler wird. Flammen gleich leuchtet das Herbstlaub - ich finde genau das vor, was ich mir für diesen Urlaub gewünscht hatte: würzige Waldluft, glühende Farben, kühle, gute Luft, tiefblauen Himmel.
Herbst
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Dienstag, 16. Oktober 2007
Um sieben klingelt der Wecker, es ist nebelig und mit 4°C recht frisch [nächtlicher Tiefstwert in der Apsis 3°C, im Zelt gemessene Temperatur am Morgen 7°C].
Ich hole die vorbestellten Brötchen an der Rezeption ab, koche Tee und schmeiße dann um halb acht Claudia aus dem Bett. Wir frühstücken und beginnen um halb zehn unser Tagewerk, am Ende werden es wieder über hundert Kilometer sein, die wir heute zurücklegen. Zunächst hält sich der Nebel hartnäckig - und mit ihm die niedrige Temperatur. Es ist recht ungemütlich auf dem Rad, ich habe in meinen Klick-Schuhen eiskalte Füße. Das geht bis elf Uhr so, dann verzieht sich flott die nasskalte Suppe und wir haben es für den Rest des Tages mit strahlend blauem Himmel und wunderbarem Herbstlicht zu tun.
Eichstätt, ein schmuckes kleines Städtchen...
...nur in einigen Gassen erinnert es an die ehemalige DDR...
Wir erreichen Eichstätt, ein schmucker Ort, welcher den Eindruck macht, als sei im Krieg nicht eine einzige Bombe drauf gefallen, so viel alte, intakte Bausubstanz ist zu sehen. Zeit für Würstchen, Leberkäse und Kuchen, wir füllen unsere Vorratslager und weiter geht die Reise an der wirklich netten Altmühl. Auch heute begegnen uns wieder viele Radler unterwegs. Der Fluss windet sich in vielen Kurven durch eine hügelige Umgebung, erst ab Treuchtlingen weitet sich die Landschaft und man könnte fast meinen, in Friesland unterwegs zu sein - naja, fast.
Die Sonne wird bald untergehen, wir rollen auf einer schnurgeraden Straße auf den Altmühlsee zu, da kommt uns ein Liegeradler entgegen. Vielleicht fünfzig Jahre alt, ruft mir etwas zu, was ich nicht verstehe und trifft dann einige Meter hinter mir auf Claudia, der er sich dann förmlich aufdrängt und ein Gespräch beginnt. Er wechselt dann sogar die Fahrtrichtung und schließt sich uns an, natürlich ohne zu fragen, ob uns das überhaupt recht ist und natürlich, ohne seinen Redeschwall zu unterbrechen. Mein Gott, wie nervig. Wir drosseln das Tempo so lange, bis es ihm keinen Spaß mehr macht, uns zu begleiten und er zu unserer Erleichterung von dannen zieht… Leute gibt es!
Schließlich erreichen wir mit der hereinbrechenden Dämmerung den See und damit nach 105 Kilometern auch den Campingplatz, den wir als Ziel ausgewählt hatten.
Neben uns wohnt eine Familie in einem Wohnwagen und während wir im letzten Licht des Tages das Zelt aufstellen (und dabei jedes Mal mehr Routine im Umgang damit gewinnen, es ist ja noch ziemlich neu), bieten sie uns Nudeln zum Abendessen an, die sie gerade kochen. Wir finden das ziemlich nett, bedanken uns herzlich, wollen aber gerne erst einmal duschen und lehnen das Angebot somit ab. Claudia ist später nicht sehr motiviert, ein Kocheressen zu essen, so überredet sie mich dazu, in der Campingplatztaverne eine 5 €-Mahlzeit zu speisen.
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Mittwoch, 17. Oktober 2007
Ich bin früh wach, es ist mit 9°C recht mild im Zelt, auf dem Weg zum Sanitärhaus zeigt sich über mir ein grandioser Sternenhimmel, während über den Boden dichter Nebel kriecht. Um halb sieben klingelt der Wecker und ich mache mich mit der Kamera bewaffnet auf den kurzen Weg an den See, wo ich mich eine ganze Weile aufhalte und den Aufgang der Sonne über dem öligen Wasser verfolge und fotografiere. Meine Begeisterung für derart kitschige Naturphänomene ist ungebrochen, ich kann das sehr genießen.
Morgenstimmung am Altmühlsee
Später frühstücken wir lange (auch auf diesem Campingplatz gab es die Möglichkeit, Brötchen vorzubestellen), kommen schließlich erst gegen zehn los. Der Fluss verjüngt sich immer weiter, bis er nur noch als schmaler, unscheinbarer Rinnsal durch die Wiesen zieht. Wird langsam Zeit für einen neuen Fluss!
Die Landschaft ist noch immer flach, nur seichte Hügel sorgen für ein wenig Abwechslung, alle ein bis fünf Kilometer liegt ein Dorf in der Weite, ganz seltsame Gegend. Bei Kilometer 26 erreichen wir das kleine Städtchen Herrieden, Zeit für eine Pause, Zeit für Nahrungssuche.
Ein kleiner, mittelalterlich anmutender Ort: Ornbau
Ornbau
Irgendwo südwestlich von Würzburg
Gleich werden wir einen Regenschauer abgekommen
Hatten wir bislang, vom Morgennebel einmal abgesehen, stets sonniges, trockenes und dabei an den Nachmittagen richtig warmes Wetter, so zeichnet sich heute eine Änderung dieser stabilen Lage ab: eine finstere Regenfront zieht durch, kurze Zeit, bevor wir das Tagesziel Rothenburg ob der Tauber erreichen. In einem kleinen Dorf finden wir Unterschlupf unter der Überdachung eines Feuerwehrhauses. Wir bereiten ein Heißgetränk und warten, bis es wieder trocken ist, was gar nicht so lange dauert.
Wir erreichen Rothenburg kurz vor Einbruch der Dunkelheit und steuern einen Supermarkt an. Bei wieder einsetzendem Regen fahren wir an der beeindruckenden Stadtmauer entlang, um dann einen knappen Kilometer hinabzurollen in das Dorf Detwang, wo sich der kleine, sympathische Campingplatz befindet. Wir haben damit das "liebliche Taubertal" erreicht uns somit unseren nächsten Fluss. Prima.
Es gibt Spagetti bei Kerzenlicht im Zelt, während der Regen auf das Dach prasselt und ein durchaus kräftiger Wind an den Bäumen zerrt und das Laub rascheln lässt…
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Donnerstag, 18. Oktober 2007
In der Nacht wird es regelrecht stürmisch, was unser Eureka-Zelt aber gut wegsteckt. Am Morgen muss ich erst einmal das Dach von jeder Menge Laub befreien, sieht wüst aus, so richtig nach Herbst.
Die Stadtmauer von Rothenburg sah gestern Abend so toll aus, dass ich mir dachte, man kann nicht einfach weiter fahren, ohne sich den Ort wenigstens mal angesehen zu haben und so habe ich den Wecker auf sechs gestellt, um in aller Frühe noch einmal zur Altstadt hinaufzuwandern und dabei den Aufgang der Sonne und das Erwachen der Stadt zu erleben. Claudia schließt sich dem Vorhaben an und so stiefeln wir bald, ausgerüstet mit Schokoriegeln als provisorisches Vorfrühstück, einen steilen Fußweg hinauf, alles in allem etwa zwei Kilometer. Es ist noch stockfinster, was der ganzen Unternehmung zusätzlich einen besonderen Reiz verleiht.
Touristen sind natürlich noch nicht auf den Beinen und auch sonst erwacht das Leben nur recht zögerlich, wir haben die mittelalterliche Kulisse fast ganz für uns alleine, klasse. Ich mache viele Fotos mit lange geöffnetem Verschluss und staune, denn irgendwie scheint hier alles alt zu sein - hat die Stadt keinen einzigen Bombentreffer abbekommen?
Am frühen Morgen unternehmen wir eine Erkundung von Rothenburg ob der Tauber
Rothenburg ob der Tauber
Rothenburg ob der Tauber
Rothenburg ob der Tauber
Mitnichten. In einem Torbogen entdecke ich eine Luftaufnahme des Ortes, welcher die Schäden eines amerikanischen Bombenangriffes vom 31. März 1945 dokumentiert. Es ist fast nur noch die Stadtmauer zu erkennen, weite Teile der Altstadt liegen in Schutt und Asche. Später lese ich, dass der Angriff eigentlich einem nahe gelegenen Öllager gelten sollte, welches jedoch wegen Vernebelung nicht zu attackieren war und somit Rothenburg als Ersatz ausgewählt wurde. Es ist weiterhin zu lesen, dass sich die Amerikaner nach dem Krieg großzügig an Wiederaufbau und Restaurierung beteiligten. In den Wehrgängen der Stadtmauer legen Tafeln davon Zeugnis ab. Ich bin sehr beeindruckt, wie sorgfältig alles wieder hergerichtet wurde.
Um halb neun sind wir wieder am Zelt. Inzwischen hat auch die Rezeption geöffnet, wo wir unsere vorbestellten Brötchen abholen und - inzwischen sehr hungrig - uns ein ausgiebiges Frühstück gönnen. Ich hatte mir auch vor dieser Fahrt noch ein Brot gebacken, wovon ich heute die letzten Reste verspeise.
Um zehn kommen wir schließlich los, das Tal der Tauber sieht wunderbar aus, die gängige Titulierung "lieblich" ist treffend gewählt. Das Licht ist kräftig, der Wind deutlich kälter als sonst, ein wenig riecht er nach Schnee - und kommt natürlich von vorne! Im weiteren Verlauf des Tages steigen die Temperaturen auf immerhin 12°C, am Abend sinken sie auf 7°C, es ist zumeist sonnig mit gelegentlichen kurzen Schauern, für deren Dauer wir uns immer kurz irgendwo unterstellen.
Das Tal der Tauber sieht wunderbar aus, die gängige Titulierung "lieblich" ist treffend gewählt. Das Licht ist kräftig, der Wind deutlich kälter als sonst, ein wenig riecht er nach Schnee - und kommt natürlich von vorne!
Liebliches Taubertal
Liebliches Taubertal
Den kleinen Kerl sammele ich von der Straße auf
Tauberbischofsheim liegt auf unserer Route
Das wechselhafte Wetter zaubert einen Regenbogen
Wir kommen durch zahllose stereotyp anmutende Dörfer - der beschilderte Radweg macht jedes Mal einen kleinen Umweg über den stets vorhandenen Marktplatz. Irgendwann beginnen wir sogar, uns diese Schlenker zu sparen, es sieht doch einer aus, wie der andere…
Campingplätze sind weit und breit nicht in Sicht, der nächste auf unserer Karte [wir sind übrigens auch mit den veralteten Aldi-Karten unterwegs, die mir schon auf meiner Septembertour leidliche Dienste erwiesen; also im Detail manchmal nicht mehr ganz aktuell sind und nur recht exemplarisch mal einen Campingplatz anzeigen] verzeichnete befindet sich an der Tauber, etwa zehn Kilometer südlich derer Mündung in den Main. Schon etwas k.o. erreichen wir den in einem Wald gelegenen Platz gegen 18:30, in Gedanken schon bei einer warmen Mahlzeit und einem heißen Pfefferminztee. Doch man ahnt es schon beim Vorbeifahren: die Saison ist gelaufen, der Platz ist geschlossen. Ich mache mir noch die Mühe, einen Herrn zu fragen, der zwischen winterfest gemachten Wohnwagen das Gras mäht, ob denn wirklich nichts zu machen sei - nein, sagt er, zu ist zu, es gibt kein Wasser mehr und überhaupt. Allerdings kann er uns insofern weiterhelfen, als dass er uns sicher sagen kann, dass der Platz in Wertheim ganzjährig offen ist, na immerhin.
Auch in Wertheim am Main sind wir fast die einzigen Gäste auf dem Campingplatz, die einzigen Zelter sowieso
So rollen wir in die Dunkelheit, sind froh, dass unsere Räder mit Licht ausgestattet sind und bauen schließlich in der Finsternis bei einsetzendem Regen das Zelt auf. Die Dusche ist eine Wohltat, es gibt mal wieder Gulaschsuppe mit Nudeln. Ich erledige noch meine Reisenotizen und lege mich dann zur Ruh, während der Regen auf unser Dach plattert.
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Freitag, 19. Oktober 2007
Am Morgen ist es immerhin wieder trocken und bei Tageslicht ist zu erkennen, dass der Zeltplatz direkt am Main lokalisiert ist, es fahren Schiffe vorbei.
Wir stehen erst um viertel vor acht auf, ziemlich spät für unsere aktuellen Verhältnisse, warten auf den Bäckerwagen, der deutlich verspätet erst um 8:30 eintrifft und erlauben uns dann ein wirklich ausgiebiges Frühstück, selbst Claudia kocht sich einen zweiten Kaffee nach, was sie normalerweise nicht macht. Ich bereite mir wie stets eine ganze Ein-Liter-Thermoskanne mit meinem hochgeschätzten Assam-Broken.
Es ist nebelig und die Luft fühlt sich kalt an, obwohl das Thermometer immerhin 5°C anzeigt. Halb elf ist es schließlich, als wir loskommen. Es dauert nicht lange, bis meine Füße sich wieder anfühlen wie Eisklumpen. Sollte ich noch mal eine Tour zu dieser Jahreszeit unternehmen, so würde sich vielleicht die Verwendung von Neoprenüberschuhen lohnen… Am frühen Nachmittag finden wir eine wunderbare Bäckerei-Fleischerei-Kombination und gönnen uns eine Mahlzeit mit Heißgetränk. In der Wärme des Lokals macht meine Peripherie auf und ich habe fortan warme Füße, das bleibt auch erst einmal so.
Der Main ist breit und alles andere als "lieblich" oder "romantisch", wie die bisherigen Flüsschen in unserer Sammlung. Gesäumt von gut befahrenen Straßen und einer Bahntrasse, auf der alle paar Minuten ein Güterzug vorbeirollt ist er eher Teil eines Logistikstranges der zu den großen Industriegebieten im Frankfurt-Mannheimer Raum führt. Und überhaupt, in diesen Wochen, da ich so viele Kilometer durch unser Land radele, fällt mir immer wieder auf, wie die Zeichen der Industrie auf Expansion stehen, überall werden Produktionsstätten ausgebaut, dehnen sich Gewerbegebiete aus, drehen sich die Baukräne.
Irgendwo am Main
Irgendwo am Main
Das Wetter bleibt unbeständig; am Nachmittag gehen heftige Regengüsse nieder. Zunächst gehen wie davon aus, dass Unterstellen und Abwarten hilft, doch es hört nicht auf. So pellen wir uns das erste Mal auf dieser Tour in die Regenklamotten und rollen durch das Schietwetter. Der Wind pustet aber bald wieder alle Wolken hinfort, so dass wir bei strahlendem Sonnenschein nach nur 65 Kilometern unser Tagesziel Gemünden erreichen. Früh ankommen, mal nicht im Dunkeln das Zelt aufbauen, am Campingplatz in der Waschmaschine Wäsche waschen, vielleicht bei Tageslicht und nicht mit der Stirnlampe lesen, etwas entspannen - das ist unser Plan.
Schnell ist jedoch festzustellen, dass daraus nichts wird: der Campingplatz nahe am Ortskern ist zwar leicht zu finden, jedoch bedauerlicherweise auch schon geschlossen. Etwas ratlos stehen wir nun da. Uns fällt ganz in der Nähe eine Wiese auf, auf welcher einige Wohnwagen stehen. Während wir das Areal inspizieren, werden wir von einem freundlichen Herren angesprochen, welcher sich nach unserem Ansinnen erkundigt. Wir schildern ihm unsere Lage und er kann uns erfreulicherweise mitteilen, dass dieser Platz zum hiesigen Kanuverein gehört, es kein Problem sei, wenn wir hier nächtigen. Wir sind erleichtert, denn auch wenn wir nun keine Wäsche waschen können, so müssen wir immerhin nicht weiter fahren. Auf der von uns angepeilten Strecke wäre nämlich auch auf lange Sicht nicht mit einem Campingplatz zu rechnen gewesen. Und was das Wildzelten betrifft, davon ist meine Partnerin nicht sonderlich begeistert...
Später bekommen wir den Schlüssel für die im Vereinsheim befindlichen Sanitäranlagen, so dass wir auch duschen können. Der Platz, an dem wir das Zelt aufstellen, ist einer der skurrilsten, die ich jemals hatte: wir stehen halb unter einer Bahnbrücke, nämlich jener Maintrasse, die ich eingangs bereits erwähnte. So rumpeln, auch in der Nacht, in kurzen Abständen die Güterzüge über unsere Köpfe hinweg…
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Samstag, 20. Oktober 2007
Es soll heute, was die Höhenmeter betrifft - derer 700 - unsere Königsetappe werden. Wo ich gerade schon einmal bei statistischen Daten bin, sei an dieser Stelle angemerkt, dass interessanterweise die Etappe mit den zweitmeisten Höhenmetern jene sein wird, die uns durch Schleswig-Holstein führen wird (dann werden es knapp 400 Aufwärtsmeter sein).
In Gemünden am Main können wir auf dem Gelände eines Kanuvereins übernachten. Die Temperaturen sinken in der Nacht deutlich unter die Null-Grad-Marke, der Morgen begrüßt uns mit Sonnenschein.
Gemünden am Main
Gemünden am Main - Zelten halb unter der Eisenbahnbrücke,
Eis auf dem Rasen am Morgen
Es ist ein wunderbarer Morgen - und der messbar kälteste: lediglich -3°C zeigt unser Thermometer in der Apsis an, das sind wirklich abenteuerliche Reiseverhältnisse. Raureif ziert das Gras, Nebelschwaden wabern über den Fluss und die Sonne scheint dabei - eine winterliche, wunderschöne Atmosphäre.
Ich stiefele los, um im Ort Brötchen zu holen, vergesse dabei natürlich, die Postkarten mitzunehmen, die ich eigentlich einstecken wollte.
Wir ziehen es heute vor, im Zelt und nicht wie sonst üblich davor sitzend zu frühstücken - innen sind es immerhin kuschelige 2°C! Nun ja, in den Schlafsack gewickelt ist das aber wirklich kein Problem.
Um halb zehn kommen wir los und die Fahrt hat, vernachlässigt man mal kurz das Laub an den Bäumen, wirklich winterlichen Charakter. Weiß schimmern die Wiesen, es ist bitterkalt auf dem Rad und nicht zum letzten Mal wünschte ich, dass ich mehr als nur meine Radhandschuhe dabei hätte. Immerhin habe ich die, Claudia fährt gänzlich ohne. Lange dauert es, bis auf dem Thermometer die 1°C-Marke geknackt wird. Dort wo Sonnenlicht die Wiesen erreicht, ist das Eis schon geschmolzen, in den schattigen Ecken hält sich der Raureif bis in die Mittagsstunden. Wir folgen dem kleinen Flüsschen Sinn, welches die Grenze zwischen den Höhenzügen Spessart im Westen und Rhön im Osten markiert.
Die ersten dreißig Kilometer sind weitgehend flach, dann gehen die Hügel los. Mit Spannung erwarten wir, ob der angesteuerte Campingplatz kurz vor Fulda wohl geöffnet haben wird, verzichten am Ende der Tagesetappe auf kleinere Schlenker auf Nebenstrecken sondern folgen der viel befahrenen Hauptstraße. Erfreut können wir dann zur Kenntnis nehmen, dass der (wunderliche, da mitten in einem Wohngebiet gelegene und winzig kleine) Platz noch geöffnet hat. Puh, Glück gehabt.
Fulda ist nun fast erreicht, hier steht das Zelt in Rothemann
Noch ist unklar, ob wir es schaffen werden, Kiel zu erreichen. Gut die Hälfte der Strecke ist zurückgelegt, doch ist nur schwer einzuschätzen, inwieweit uns eventuelle Hügel noch bremsen werden...
Es ist erst 16:15, so dass wir heute tatsächlich nach der Ankunft noch in den Genuss von Tageslicht kommen. Die Sonne scheint, wir trinken Tee und Kaffee, essen Schokolade, telefonieren mit den Kindern und am Abend bereite ich uns ein leckeres Essen auf dem Kocher.
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Sonntag, 21. Oktober 2007
Oje, es prasselt auf unser Dach, Regen, Regen, Regen. Das motiviert nicht unbedingt dazu, zeitig das Zelt zu verlassen und so drehe ich mich noch mal um und noch mal und noch mal… Schließlich ist es halb zehn, als wir es aus den Schlafsäcken schaffen. Claudia holt Brötchen und wir frühstücken bei ungemütlichen Temperaturen unter einer Überdachung bei den Sanitäranlagen.
Da es einfach nicht aufhören will zu schütten, bleibt uns schließlich nichts anderes übrig, als im Regen das Zelt abzubauen und uns auf den Weg zu machen in diesen trüben Tag. Ich habe keine Gamaschen (werde ich drei Monate später von Claudia zu Weihnachten bekommen) und so stülpe ich mir kleine Plastiktüten über die Schuhe. Sieht zwar albern aus, aber erstens sieht mich an diesem grauen Sonntagmorgen ohnehin niemand und zweitens habe ich keine Lust, nach wenigen Kilometern nasse und somit noch kälteanfälligere Füße zu haben.
Einer der seltenen Momente auf der Tour, an denen es regnet
Wir steuern über einige Dörfer auf Fulda zu, erreichen den gleichnamigen Fluss, tangieren die Stadt und folgen fortan dem entsprechenden Radweg (Hessischer Radfernweg R1, auch Fuldaradweg genannt).
Nach einiger Zeit hört immerhin mal vorübergehend der Regen auf, richtig gemütlich wird es aber den ganzen Tag nicht mehr. Der Fluss ist klein und beschaulich, die Höchsttemperatur pendelt sich bei 7°C ein, der Radweg ist nett geführt, ohne viel Autoverkehr. Es ist richtig herbstlich-matschig, nasses Laub, kalte Füße.
Tristesse
Regen setzt wieder ein, wir pausieren in einer Bushaltestelle, kochen Tee und heißen Kakao, essen etwas. Zwecks Planung unserer Übernachtung greifen wir ab heute auf Support aus der Heimat zurück: Claudia telefoniert mit ihrem Vater, welcher im Internet nach Campingplätzen sucht. Sieht gar nicht gut aus: in Bad Hersfeld existiert überhaupt keiner, jener im noch recht weit entfernten Rotenburg hat saisonal bedingt bereits die Pforten geschlossen. Claudia ist zusehends beunruhigt und würde am liebsten im nächsten Bed&Bike absteigen, an welchem wir bald vorbeifahren. Ich lege ob der frühen Stunde mein Veto ein und so fahren wir weiter ins wuselige, hässliche Bad Hersfeld, wo ich unter der Einkaufswagenüberdachung eines Aldi-Markte stehend Birgit anrufe, um zu fragen, ob sie gerade Zugriff auf einen Bed&Bike-Führer hat… Hat sie nicht, sie steht gerade im Bahnhofssupermarkt und kauft mit Nadine Sekt…
Mal wieder weit und breit kein geöffneter Campingplatz... Nach knapp achtzig Kilometern suchen wir uns in dem kleinen Kaff Mecklar eine relativ günstige Unterkunft. Mich ärgert es immer, für Pensionen oder Zimmer Geld auszugeben für einen Luxus, den man eigentlich gar nicht braucht.
Also fahren wir weiter und halten auf eigene Faust Ausschau nach einer Bleibe für die Nacht. Nach knapp achtzig Kilometern werden wir in dem kleinen Kaff Mecklar fündig, für relativ günstige 44,-€ (…immer noch horrend viel, vergleicht man das mit der Campingplatzübernachtung; und das für einen Luxus, den man eigentlich gar nicht braucht…) bekommen wir ein nettes Zimmer, genießen die Dusche, gönnen uns in der Gastwirtschaft, deren einzige Gäste wir sind, ein warmes Essen und fläzen uns später auf unser Bett, um den "Tatort" zu schauen.
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Montag, 22. Oktober 2007
Um acht frühstücken wir, um neun geht es bei 3°C los. Es ist bewölkt, der Wind ist eisig, ich habe das Gefühl, dass es so kalt noch nicht war auf dieser Tour - was bekanntermaßen nur meiner subjektiven Wahrnehmung entspricht. Froh sind wir, dass es nicht mehr regnet.
Bald wird sogar die Bewölkung aufreißen und die Temperaturen werden 10°C erreichen. Der Radweg ist sehr schön, die Fulda wird immer breiter und wir kommen gut voran. Irgendwann durchfahren wir einen Landstrich, von dem ich mir sicher bin, dass ich dort auch im September entlang gefahren bin, eine konkrete Erinnerung bringe ich aber nicht zustande. Das zeigt mir, dass ich ganz schön blind durch die Lande gerast bin, auf der Tour…
Herbstradeln
An einer der zahlreichen Windungen des Flusses pausieren wir ausgiebig auf einer Bank, als zwei junge Kerle angeradelt kommen: freakiges Outfit mit Palästinensertüchern, Tramperrucksack auf dem Rücken (!), selbstgezimmertem Anhänger hinten am Fahrrad, welches aussieht, wie ein Sonderangebot aus dem Baumarkt. Von weitem halte ich sie zunächst für Vagabunden. Sie stoppen, stellen fest "…ihr seid aber gut ausgerüstet!" und so kommen wir ins Gespräch. Sie erzählen, dass sie vor zwei Wochen nördlich von Berlin losfuhren, gerade den Harz durch- bzw. überquert haben und nun auf dem Weg nach Gibraltar sind, wo sie überwintern möchten. Sie schlafen im Wald und baden in Flüssen und finden das ziemlich cool. Ich bin recht begeistert von diesem Mut und der jugendlichen Leichtigkeit, ein solches Projekt zu wagen - und auch ein bisschen neidisch… Natürlich fühle ich mich an die gemeinsamen Unternehmungen mit meinem Freund Andreas erinnert, einst in den späten Achtzigern.
Cockpitansicht
An der Fulda
An der Fulda
Heute leistet meine Schwester Birgit uns vom ADFC-Laden in Berlin aus Support-Dienste, sie recherchiert Campingplätze und Pensionen. Wir durchfahren Kassel, beschließen, dort nicht zu bleiben, sondern weiter zu fahren in Richtung Hannoversch Münden, also dem Ort, wo sich Fulda und Werra zur Weser vereinigen. Der dortige Campingplatz hat allerdings schon geschlossen, wie zu erfahren ist. Also nehmen wir Kontakt mit dem wiederum nächsten auf, welcher sich in Hemeln befindet - er hat geöffnet! Hemeln ist einigermaßen genau zehn Kilometer nordwestlich von Hannoversch Münden und liegt direkt an der Weser. Sowohl die Karte wie auch das GPS legen nahe, dass es dort eine Brücke über den Fluss gibt, also queren wir in Hannoversch Münden nicht das Gewässer, sondern fahren, mittlerweile in der Dunkelheit, auf der Westseite. Als wir dann um 19:10 die vermeintliche Brücke erreichen, müssen wir leider feststellen, dass Karte und GPS irren, sich hier also keine Straßen- sondern nur eine Fährverbindung ans andere Ufer befindet. Die letzte Fähre fuhr um 19:00.
Das gibt es doch nicht! Inzwischen haben wir 125 Kilometer in den Beinen.... Aber was tun? Birgit weiß Rat, kann mir eine Unterkunft benennen, an der wir schon vorbeigefahren sind… Also rollen wir fünf Kilometer zurück, nehmen am Ende noch eine steile Rampe und erreichen nach 130 Kilometern unser Quartier. Dieses kostet uns fünfzig Euronen; diese Pensionsschläferei bringt unser Reisebudget komplett durcheinander.
Die Karte, auf welcher ich unser Vorankommen dokumentiere zeigt, dass wir es bis in die Mitte Deutschlands geschafft haben. Fünf Tage haben wir noch Zeit, etwa 500 Kilometer liegen noch vor uns, könnte ja klappen, das Erreichen Kiels.
Eine weitere Übernachtung in einer Pension...
Unter einem Carport breite ich über Nacht unser nasses Zelt aus, welches nach zwei Tagen im Sack mal wieder lüften muss. Das Zimmer ist edel, die Wirtin geschwätzig. Wir gönnen uns ein passables Schnitzel und machen uns dann Gedanken über die weitere Routenplanung. Zur Diskussion stehen die neu ins Gespräch gekommene Variante a) weiter an der Weser bis an die Nordsee und dann per Bahn heim oder b) es auf direktem Nordkurs doch noch versuchen, Kiel zu erreichen.
Wir entscheiden uns für Plan b), auch wenn mir kurzfristig die Nordseeidee recht attraktiv schien. Nun, die Weser läuft nicht weg und ich könnte mir durchaus vorstellen, sie als eine der nächsten Touren in Deutschland mal ins Visier zu nehmen.
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Dienstag, 23. Oktober 2007
Um 8:30 nehmen wir im kleinen Frühstücksraum unsere erste Mahlzeit ein, draußen scheint die Sonne, es scheint ein wunderbarer Tag zu werden, 9°C am Morgen, wie angenehm.
Ich sammele das Zelt wieder ein, stelle erfreut fest, dass es noch nicht muffelt und bald sitzen wir wieder im Sattel, Versuch der Weserquerung, Klappe die zweite. Die Fähre funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie jene am Donaudurchbruch, also nur von der Strömung betrieben, sehr idyllisch. Mit dem anderen Ufer erreichen wir Niedersachsen, das klingt bereits ziemlich nach Heimat! Ist schon eine tolle Sache, so mit dem Rad durch's Land zu fahren. Die wenigen Kilometer, welche wir der Weser folgen, machen mir diese sehr sympathisch. Beschaulich fließt sie dahin, gesäumt von kleinen Dörfern, eingebettet in ein sanftes Hügelland. Ja, hier möchte ich noch einmal herkommen!
Lange folgen wir dem Fluss aber nicht, ab Bursfelde geht es durch waldige Hügel in Richtung der Leine, dem nächsten Gewässer, dem wir dann zu folgen gedenken. Wettermäßig stellt dieser Abschnitt eine Zäsur auf unserer Fahrt dar, plötzlich schlägt es um, die Temperaturen sinken auf 6°C, kalter Wind weht von Nord (uns also ins Gesicht…) und es zieht sich zu. Ungemütlich. Hinein geht es ins höchst unspektakuläre Niedersachsen, welches uns mit seiner ländlichen Tristesse und dem dominanten Grau, mit seinen endlosen Rübenfeldern und den dauerhaft kalten Füßen nicht in der angenehmsten Erinnerung bleiben wird. Wir fahren durch Gegenden, die mich an die verfallenen Landstriche in Sachsen-Anhalt erinnern und ich denke, dass es Zeit wird, allmählich mal ein paar Milliarden Euro Solidaritätszuschlag in die Westländer umzulenken.
Wenig reizvolles plattes Land in Niedersachsen
In einem dieser kleinen Nester legen wir eine Pause in einer Bäckerei ein, es gibt Kaffee und Torte - und es ist warm!
Knapp nördlich von Göttingen erreichen wir die Leine, die hier in einem begradigten Bett verläuft. Zeit für eine weitere Pause, diesmal mit Instant-Pudding und Tee. Die Gegend ist wenig ansprechend, die Ödnis wird akustisch untermalt vom Lärm der Autos und vorbeirasselnden Züge. Wir erreichen über einen grauenhaft schlechten Radweg Northeim; der offizielle Leineradweg wird über viele Kilometer umgeleitet und führt nun direkt an der Bundesstraße entlang. Ich bin letzten Monat auch durch Northeim gekommen, kann mich aber auch hier kaum noch an etwas erinnern - außer an den holprigen Radweg und den Umstand, dass hier meine Knieprobleme begannen, ernsthafte Ausmaße anzunehmen…
Wir fahren nach Northeim hinein, müssen Geld holen, Einkaufen, Postkarten besorgen. Northeim macht einen hochgradig unsympathischen Eindruck auf uns, so dass wir die kurz in Betracht gezogene Variante verwerfen, auf dem hiesigen Campingplatz zu übernachten. Es ist noch einigermaßen früh am Tag und so fahren wir erst einmal weiter, nehmen später mal wieder Kontakt mit Birgit auf, um uns Hinweise für die Übernachtung geben zu lassen. Das stellt sich dann aber doch als problematischer heraus, als zunächst angenommen. Campingplätze sind rar, mit Pensionen sieht es auch düster aus: die eine existiert nicht mehr, die nächste hat wegen Betriebsferien geschlossen, eine weitere ist dann doch zu weit entfernt.
Inzwischen fahren wir wieder auf dem regulären Radweg und sind einigermaßen erstaunt bis genervt von der Tatsache, dass dieser über sehr lange Strecken tatsächlich der Bundesstraße folgt. Das gibt's echt nicht!
Zum Inbegriff dörflicher Trostlosigkeit gerät am späten Nachmittag das Kaff Rittierode, welches wir nach einem steilen Anstieg erreichen. Leere Gassen, verfallene Häuser, eine geschlossene Gastwirtschaft. Einzig am Reiterverein herrscht Leben, doch eine Möglichkeit zur Übernachtung kennt dort auch niemand. Nun, eigentlich nicht weiter verwunderlich, dass es keine Unterkünfte gibt - denn wer will hier schon hin? Wir stellen fest, dass diese Gegend perfekt unheimlich wäre, um dort einen schrullig-kauzigen "Tatort" spielen zu lassen.
Nachdem, wie schon erwähnt, die Dichte an Übernachtungsmöglichkeiten eher dünn ist, steuern wir als letzte Option das Landhaus Greene in Greene an, wobei mich schon der Name schreckt, "Landhaus", das klingt teuer. Auf dem Weg dorthin geraten wir noch in eine Polizeikontrolle, ein ehrgeiziger Jungspund und ein besonnener älterer Beamter halten uns an. Der Junge macht Stress wegen meiner ausgefallenen Frontbeleuchtung (mir knallt im Moment eine Birne nach der anderen durch, bin ziemlich genervt vom der Lichtanlage, die mir von Velotraum angedreht wurde - zu unrecht, wie ich später feststellen muss, denn man hat mir einfach nur stets die falschen Lämpchen verkauft, (nämlich 2,3 (?) anstatt 3W), der ältere bremst ihn, ist sehr freundlich und wünscht schließlich gute Fahrt.
Und schon wieder ein festes Dach über dem Kopf, das nervt langsam...
Landhaus Greene ist teuer, 60 Euro sollen wir zahlen für eine Übernachtung ohne Frühstück. Wie ätzend, doch wir haben nicht wirklich eine Wahl, es ist schon 19:00, es ist zappenduster und wir haben auch keine Lust mehr.
Die Räder finden sicheren Unterstand in der großen, hallenartigen Garage und wir schleppen die Taschen, die wir brauchen hinauf in unser Zimmer. Holzbalken, TV, ein großer Schreibtisch… Luxus, den die Welt nicht braucht. Für das Geld könnten wir fast eine Woche zelten.
Nun ja, jetzt sind wir hier, jammern nützt nix, genießen wir also einfach den Komfort. Wir hatten uns noch mit Brötchen eingedeckt und bereiten uns nun eine ausgiebige Brotzeit.
Ich habe das Gefühl, schon ewig meine Töchter nicht gesehen zu haben, habe etwas Sehnsucht nach ihnen und rufe sie erst einmal an und telefoniere eine ganze Weile mit ihnen.
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Mittwoch, 24. Oktober 2007
Um viertel vor sieben klingelt der Wecker. Wir futtern gleich wieder Brötchen und sind um neun schon wieder auf der Straße. Die allgemeine Trostlosigkeit von Wetterlage und Landschaftsbild setzt sich heute fort. Marode Dörfer, Rüben, Temperaturen um 6°C, Rüben, Leineradweg weiter an der Hauptstraße, Rüben, grauer Himmel, Rüben, kalter Wind, Rüben, eisige Füße den ganzen Tag. Rübenrübenrüben. Felder voller Rüben, LKW voller Rüben, Rübenberge am Wegesrand.
Im Rübenland. Trostloses Wetter, trostlose Landschaft. Rüben, Rüben, nichts als Rüben
Reizarme Gegenden in Niedersachsen
Beschilderung am Radweg? Fehlanzeige. Das erste Schild machen wir nach dreißig Kilometern aus… Dass den "Betreibern" des Leineradweges das nicht peinlich ist… Wer macht so etwas eigentlich, wer ist dafür zuständig?
Der Leineradweg ist eine einzige Enttäuschung; es geht fast ausschließlich entlang befahrener Autostraßen....
In Freden verproviantieren wir uns und weiter geht es ins Rübenland. Zuckerfabrik am Wegesrand. Trostlosigkeit. Das Fahren ist monoton und macht nicht sonderlich viel Spaß, was bei mir dazu führt, dass sich mir schon mal die Motivationsfrage aufdrängt - was mache ich hier eigentlich und vor allem: warum?!? Dies im Besonderen, da nun das Reiseende nicht mehr weit ist. Alfeld: Postkartenkauf für die lieben Kleinen, Landkartenkauf für unser weiteres Vorankommen. Lustlosigkeit. Hell wird es den ganzen Tag nicht und weiter juckeln wir über die Dörfer. Der Mittellandkanal wird überquert und ein paar Kilometer folgen wir seinem Verlauf. Selbst die Brücken über den Kanal sehen alle gleich aus. Wir fahren an einem brüchig aussehenden Kraftwerk vorbei, die Felder ringsum sind gespickt mit Windrädern und erreichen in der Dämmerung den Campingplatz von Hämelerwald - wir hatten uns am Vormittag bereits telefonisch angekündigt und somit sichergestellt, dass er noch geöffnet hat.
Auf dem Campingplatz in Hämelerwald sind wir mal wieder die einzigen Gäste
Der Campingplatz ist ein wenig unheimlich; in einem Wald gelegen, grenzt er unmittelbar an eine öffentliche Parkanlage, in welcher eine Horde Jugendlicher herumlungert - sich aber erfreulicherweise nicht im Ansatz für uns interessiert. Laub liegt überall auf den Grasflächen, Licht gibt es nicht und außer uns scheinen nur noch ein paar Montage-Arbeiter auf diesem Platz in irgendeinem der Wohnwagen zu residieren.
Zum Abendessen gibt es heute Tortellini im Licht der Stirnlampe, ich telefoniere mit den Eltern auf Sylt.
Allgemein ist festzustellen, dass in meiner Wahrnehmung diese Tour jetzt zu verschmelzen beginnt mit jener vor einem Monat, als ich allein bzw. mit Birgit unterwegs war - wie weggewischt erscheinen die knapp vier Wochen zwischen den Reisen, in denen ich arbeiten musste.
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Donnerstag, 25. Oktober 2007
Um sieben Uhr klingelt der Wecker. Ich mache mich in Dunkelheit und Nieselregen auf den etwa einen Kilometer langen Weg in den Ort, um Brötchen zu kaufen. Wieder am Zelt beginne ich, Tee zu kochen und erst dann wacht Claudia auf. Sie hat den Wecker nicht wahrgenommen und ist somit einigermaßen erstaunt, dass sogar schon Brötchen da sind. 7:40, langsam setzt die Dämmerung ein.
Um elf Uhr verlassen wir Hämelerwald. Nun geht es auf fast wie mit dem Lineal gezogenem Nordkurs in Richtung Heimat und das Fahren macht mir trotz weiterhin trister Wetterlage (homogen grauer Himmel, konstant 8°C, recht kräftiger, kühler Wind aus Nordost) und dauerhaft kalten Füßen schon wieder Spaß. Wir kommen ganz gut voran und sind plötzlich schon kurz vor Celle. In einem Vorort finden wir eine außergewöhnlich gute Bäckerei, wo wir uns eine Pause mit Kaffee und Kuchen leisten. Was mir ja schon im September auffiel, kann auf dieser Fahrt nur bestätigt werden: es gibt ein deutliches Nord-Süd-Gefälle, was die Qualität und Vielfalt des Sortiments in Deutschlands Bäckereien betrifft. Im Bayern mit der Kategorie exzellent begonnen, scheint die Güte der Backwaren mit jedem Kilometer, den wir nordwärts zurücklegen, ein wenig abzunehmen, so dass hier, nahe der Elbe, im allgemeinen bestenfalls das Prädikat mittelmäßig vergeben werden kann.
Zügig und ohne Probleme navigieren wir durch Celle, dem südlichen Tor zur Lüneburger Heide. Ja, wir sind wieder in der Lüneburger Heide: ein Zug voller Panzer rollt vorbei, über uns knattern immer mal wieder die Kampfhubschrauber…
Auf dem Weg nach Kreutzen hat Claudia einen Platten, der sehr schnell zu beheben ist. Die Gegend hier hat nun echten Wiedererkennungswert; im Mai 2005 waren wir mit den Kindern für eine Woche zum Campingurlaub hier.
Um 17:00 stehen wir wieder vor genau dem Campingplatz ("Im Oertzewinkel"), der uns damals so gut gefallen hat. Und da der nächste noch sehr weit entfernt ist, bleiben wir kurzerhand hier; obwohl wir beide nach den heutigen 80 Kilometern durchaus noch gut hätten weiterfahren können. Aber dann wird es ja auch schon bald wieder dunkel… Also checken wir ein, können uns auch sofort and den Inhaber erinnern, bauen unser Zelt wieder auf derselben kleinen Wiese auf, wie damals.
Den Kindern kaufen wir eine Postkarte, mal sehen, ob sie sich auch erinnern… Auf der Speisekarte steht bei uns heute Reis mit Huhn süßsauer und später im Zelt beginne ich, eines der Bücher zu lesen, die Claudia mit dabei hat (Mieses Karma von David Safier), eine recht witzige Geschichte über eine Karrierefrau, die ihre Tochter vernachlässigt, den Unfalltod stirbt und zur Strafe in einem scheinbar endlosen Reinkarnationszyklus mal als Ameise, mal als Hund und mal als Weißnichtwas wiedergeboren wird, bis am Ende doch noch alles gut wird. Wirklich amüsant geschrieben, es kommt ja nicht oft vor, dass ich mal ein Buch lese…
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Freitag, 26. Oktober 2007
Noch gut 220 Kilometer trennen uns von Kiel. Mit 10°C ist es mild, wird aber auch über den Tag nicht wärmer. Wir frühstücken mal wieder draußen, unterhalten uns vor der Abreise noch eine ganze Weile mit dem Platzwart und fahren dann hinaus in die Truppenübungsgebiete, immer mal wieder kommen irgendwo aus dem Wald Soldaten…
Wenige Kilometer vom Campingplatz entfernt ist der Heimatbauernhof unserer Arbeitskollegin Henrieke; wir schicken ihr zu ihrer außerordentlichen Freude eine MMS mit Bild und Ton.
Die Strecke ist im weiteren Verlauf recht schön, es geht ständig leicht bergauf und bergab durch Feld und Wald und kaum Autos sind auf den kleinen Nebenstrecken unterwegs.
Am frühen Nachmittag legen wir mal wieder eine Kuchenpause ein und telefonieren mit Claudias Eltern und unseren Kindern, um schon mal die Modalitäten für die Kinderabholung am Wochenende zu besprechen.
"Landkreis Lüneburg" - wir kommen immmer weiter in den Norden, es scheint, als würden wir es bis Kiel schaffen
Ich telefoniere mit den Kindern, wir planen schon mal die Tage nach unserer Heimkehr...
Um 15:20 erreichen wir die Elbe, was schon ein toller Augenblick ist! Eine ganze Weile sind wir nun schon unterwegs seit München, 1150 Kilometer liegen seit dem hinter uns und nun stehen wir an der Elbe, das heißt, in Kürze werden wir Schleswig-Holstein erreichen!
Die Elbe ist erreicht!
Heimatliche Gefilde
An einer vorzugsweise von Motorradfahrern frequentierten Frittenbude kaufe ich eine Bratwurst, die so schlecht ist, wie eine Bratwurst nur schlecht sein kann, wäre nicht nötig gewesen. Um 16:00 erreichen wir das Nordufer des Flusses. 70 Kilometer sind wir heute gefahren, endlos viele Autos fahren an uns vorbei, Lärm die ganze Zeit und bald setzt Dunkelheit ein. Ich lerne, dass es in Schleswig-Holstein einen Sachsenwald gibt und einen Ort namens Friedrichsruh, den wir in der letzten Dämmerung durchfahren. Dort zu sehen sind einige kaiserliche Bauwerke, macht einen interessanten Eindruck, aber wir müssen ja weiter… Diese Ecke unseres Bundeslandes ist mir völlig unbekannt, liegt weit außerhalb meines sonstigen Radradius. Später lese ich, dass es sich bei Friedrichsruh um ein Wohnschloss Otto von Bismarcks handelt, dessen Nachkommen dort noch heute residieren.
Das Fahren auf den dunklen Straßen macht keinen Spaß, von hinten kommen die Autos angerast, da ist man doch immer froh, wenn man das überlebt…
19:00 ist es, als wir im Finstern den kleinen Ort Großensee erreichen, in welchem es laut Karte einen Campingplatz gibt. Gibt es auch, nur hat dieser, wir befürchteten es schon, leider geschlossen. Mist. Was nun? Nach nunmehr 110 Kilometern ist die Motivation nicht groß, noch viel weiter zu fahren. Also schauen wir uns nach Pensionen um, können aber nichts entdecken. In einem Restaurant fragt Claudia mal nach, auch dort heißt es: nein, hier gibt es nichts. Na klasse.
Doch dann wendet sich das Blatt: als wir noch ratlos vor dem Lokal stehen, kommt eine Dame auf den Hof gefahren, die irgendwie auch zu dem Restaurantbetrieb gehört und uns nach unserem Ansinnen befragt. Wir schildern die Lage, berichten von unserer Fahrt und nehmen die üblichen Respektsbekundungen zur Kenntnis. Dann hält sie kurz inne und meint: "…eigentlich dürfte ich Ihnen das ja gar nicht sagen, aber kommen Sie mal mit, ich zeige Ihnen den Weg zum Freibad, da können Sie Ihr Zelt aufstellen, Sie machen ja keinen Blödsinn, oder…?!"
In Großensee dürfen wir ausnahmsweise im Freibad übernachten
Es gibt doch gute Menschen! Sie weist uns den Weg an den See, gibt uns noch mit auf den Weg, dass wir bloß kein Feuer machen sollen (…hatten wir eigentlich sowieso nicht vor…) und verabschiedet sich dann. Hundert Prozent wohl ist mir bei dem Platz zwar nicht, von der nahen Straße ist unser Zelt zumindest teilweise einsehbar und es ist Samstagnacht, wo vielleicht bekloppte Jugendliche durch die Straßen ziehen, aber ich verdränge diese Bedenken, lenke mich vielmehr nach dem Essen ab, indem ich das gestern Abend begonnene Buch durchlese und danach prima einschlafe.
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Samstag, 27. Oktober 2007
Nun scheint es ja tatsächlich zu klappen, dass wir Kiel erreichen werden! Immerhin sind wir gestern bis weit nach Schleswig-Holstein vorgestoßen, da ist es doch als realistisch zu betrachten, dass wir es heute bis in die Landeshauptstadt schaffen werden. Und so wird es ja auch sein.
Um kurz nach sieben stehen wir auf, es ist noch dunkel, wir wollen beizeiten diesen Ort verlassen. In Ermangelung von Proviant frühstücken wir auch nicht, sondern bauen direkt das Zelt ab, packen alle Taschen und rollen um 8:00 hinaus in einen letzten Radreisetag.
Im nächsten Kuhdorf kaufen wir uns Brötchen und halten dann Ausschau nach einem geeigneten Frühstücksplatz, den wir nach 16 Kilometern schließlich finden - auf der Wiese neben einem Bauernhof, etwas im Windschatten großer Strohballen. Ein letzter trüber Tag, es ist grau, aber mit 9°C für aktuelle Verhältnisse recht mild. Wir setzten die Fahrt fort, erreichen Bad Oldesloe, wo wir ziemlich pissige Kommentare ernten, weil wir es wagen, in der Fußgängerzone nicht von unseren Rädern abzusteigen…
Wir steuern eine Tankstelle an, da wir über kein Kartenmaterial von SH verfügen und ich auf dem GPS auch keine Feindaten von der Gegend habe. Allerdings sehen wir vom Kauf einer Karte ab, ich werfe lediglich einen Blick drauf, um zu sehen, wie es weiter geht. Grobe Information immerhin vermittelt der Satellitenempfänger ja…
Nach den trostlos-trüben Tagen im Rübenland Niedersachsen empfängt uns Schleswig-Holstein versöhnlich - bei Sonnenschein legen wir die letzte Etappe zurück
Nächster Zielort ist Bad Segeberg und kurz davor reißt tatsächlich der Himmel auf! Welch grandioser Abschluss dieser Fahrt nach all den tristen, nasskalten Tagen, an denen ich das Radeln schon manchmal als relativ wenig genüsslich wahrgenommen habe. Das bestätigt mich darin, dass es gut war, dass wir die Sache durchgezogen haben und nicht vor ein, zwei Tagen auf die Bahn umgestiegen sind. So hat die Tour einen versöhnlichen Ausklang gefunden und ist in jeder Hinsicht eine runde Sache geworden. Und ich habe heute doch noch einmal warme Füße bekommen! Hurra.
Erstmals taucht Kiel auf einem Hinweisschild auf - hurra!
Herbstliche Acker
Herbstliche Acker
Gestüt südlich von Kiel
Ab Neumünster geht es bald auf vertrauten Pfaden weiter. Am ersten Kieler Ortsschild machen wir ein "We-did-it"-Photo und sind nicht ganz ohne Stolz. Als wir schließlich die Eckernförder Straße erreichen, haben wir seit dem Münchener Hauptbahnhof genau 1303 Kilometer zurückgelegt, heruntergerechnet bedeutet das einen Tagesetappenschnitt von 93 Kilometern (noch mal im Vergleich: im Vorjahr in Schottland waren es 67,5 km/d).
Auf dem Exer in Kiel - es ist geschafft! 1303 Kilometer sind seit dem Münchener Hauptbahnhof zurückgelegt
Allerdings, und da sind wir uns in der Retrospektive einig, wäre es durchaus komfortabler gewesen, zwei, drei Tage mehr für die Strecke gehabt zu haben. Mal ein Ruhetag oder etwas Sightseeing wäre manchmal angebracht gewesen. Doch irgendwie hatte uns doch der Ehrgeiz gepackt, es zu schaffen.
Weitere Gedanken, die ich mir gerade in der zweiten Woche machte beziehen sich auf das Radeln in kalter Jahreszeit. Gerne stöbere ich im Internet auf den Seiten von Radlern, die bei arktischen Verhältnissen in Norwegen, Island oder Finnland unterwegs sind - Radreise bei minus fünfzehn Grad und Schneetreiben. Mich fasziniert die Idee, so etwas eines Tages auch einmal auszuprobieren, dem Reiz der Schönheit nordischen Winters erliegen, eine kleine verwegene Expedition. In diesen Tagen allerdings bin ich ein wenig ins Grübeln gekommen, ob das wirklich etwas für mich wäre, so oft, wie ich nun schon bei lächerlichen 1°C bis 6°C kalte Füße hatte! Hm, vielleicht auch nur eine Frage der Ausrüstung. Aber was macht man da? Neoprenüberschuhe alleine werden wohl nicht reichen…
Wie auch immer, so schnell muss ich auf diese Frage ja auch keine Antwort finden. Jetzt, hier und heute freue ich mich, dass wir wirklich von München nach Kiel geradelt sind, blicke auf einen Radreise-intensiven Spätsommer und überhaupt auf ein schönes, ereignisreiches Jahr zurück. Freue mich - trotz der Probleme (Lichtanlage, Speichenbrüche, das Aufschaukel-Phänomen) - über mein Velotraum-Rad, welches nach wenigen Monaten schon deutlich über 4000 Kilometer auf den Tacho bekommen hat.
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