Island
Spätsommerlicher Ausflug in die Westfjorde
...und ein Helikopterflug zur Holuhraun-Eruption
Vorbemerkungen
Zweieinhalb Wochen verbringe ich im Spätsommer 2014 in Island. Die Westfjorde sind heuer das Ziel, bei fast ausnahmslos bestem Wetter erkunde ich diesen einsamen Winkel und lerne endlich dieses Gebiet mit seinen sehr unterschiedlichen Landschaftsformen kennen. Deutlich ist zu spüren, dass die touristische Hauptsaison vorüber ist: die Campingplätze sind teilweise bereits geschlossen, anderen Radreisenden begegne ich kaum, die Fernbusverbindungen unterliegen dem Winterfahrplan und sind daher deutlich eingeschränkt.
Ich werde wunderbare Momente erleben. Besonders hervorzuheben sind sicher die klaren Nächte, in denen ich mehr als einmal in den Genuss komme, Polarlichter beobachten zu können. Besonders im süd-westlichen Teil des Fjordlandes führt mich meine Reise durch atemberaubende, wirklich spektakuläre Gegenden.
Und nicht unerwähnt bleiben darf in dieser kurzen Vorschau natürlich der Hubschrauber-Ausflug zur Holuhraun-Eruption. Mit dieser Tour geht ein seit sehr langer Zeit gehegter Wunschtraum für mich in Erfüllung, indem ich Zeuge eines Vulkanausbruchs werde!
März 2014
Schon während der Februartour im vergangenen Jahr stellte ich mir die Frage, wann ich denn wohl wieder nach Island reisen würde und eigentlich war für mich schon sehr früh klar, dass das 2014 geschehen würde.
Eine Neuauflage der Wintertour wollte ich allerdings erst mal nicht, vielmehr stand der Wunsch an erster Stelle, mal wieder im Sommer das Land zu besuchen. Moderatere klimatische Verhältnisse, welche mich erwarten würden, sind das Hauptmotiv. Auch könnte ich es mir ganz nett vorstellen, unterwegs ab und zu mal mit einem anderen Radler ein Pläuschchen zu halten. So plane ich bereits Ende 2013 diesen Urlaub.
September 2014
Schon lange zieht es mich in die abgelegenen Westfjorde. Erste Überlegungen, das Gebiet zu besuchen, stelle ich in den 1990er Jahren an, umgesetzt werden solche Pläne allerdings dereinst nicht.
Als ich im Vorjahr Island bereise, reicht meine Zeit nicht aus, um den Weg dorthin anzutreten und auch der Umstand, dass im Winter der öffentliche Verkehr quasi eingestellt ist, verbietet mir den Besuch dort.
Nun, im Spätsommer 2014 soll es endlich soweit sein! Doch die Planung der Tour verläuft nicht geradlinig…
Mitte August erfahre ich mehr oder weniger zufällig von der massiven seismischen Aktivität am Bárðarbunga. In Berichten auf den einschlägigen isländischen Nachrichtenseiten
(Morgunblaðið,
Mila-Webcams,
TV-Station RUV)
ist die Rede davon, dass eine mögliche Eruption des Vulkans unmittelbar bevorsteht. Na, denke ich, das ist ja spannend! Die Fernsehstation RUV hat eigens eine englischsprachige Seite mit Neuigkeiten zum Geschehen eingerichtet und auch auf der Internetpräsenz des Morgunbladid lässt sich die Entwicklung verfolgen.
Auf der Internetseite der isländischen Fernsehstation wird regelmäßig über die aktuelle Lage am Vulkan berichtet. Am 27. August 2014 hat die Eruption noch nicht begonnen, es ist lediglich von auffälliger seismischer Aktivität die Rede.
Für mich persönlich stellen sich sehr früh zwei entscheidende Fragen: erstens: ist meine Reise an sich in Gefahr? Sollte es nämlich zu einer subglazialen Eruption kommen wie vor einigen Jahren (2010) am Eyafjallajökull, so könnte es zum Erliegen des Flugverkehrs kommen - das würde mir natürlich gar nicht gefallen. Waren es im letzten Jahr die streikenden Fluglotsen, welche die Zeit vor der Abreise zur Zitterpartie geraten ließen, so ist es heuer das Beben am Berg. Täglich mehrfach vergewissere ich mich, dass es noch keinen Ausbruch gegeben hat…
Die zweite Frage, die ich mir stelle, lässt mich innerlich jubilieren: sollte möglicherweise ein Traum wahr werden, welchen ich habe, seit ich vor bald 20 Jahren das erste Mal meinen Fuß auf isländischen Boden setzte, nämlich das persönliche Erleben eines Vulkanausbruchs?! Mit extrem viel Glück wäre das möglich!
Ende August kommt dann die mit Spannung erwartete Nachricht, dass die Eruption begonnen hat und zwar nicht wie befürchtet unter dem Vatnajökull sondern nördlich des großen Gletschers nicht allzu weit entfernt vom Askja-Massiv. Also: erst einmal keine Aschewolke! Allerdings kommen täglich Meldungen von Beben unter dem Gletscher und auch ein Absinken des Eisschilds wird beobachtet, was für einen Schmelzvorgang spricht. Somit bleibt es für mich bis zum letzten Tag vor der Abreise wirklich spannend. Ich mache mir sogar Gedanken, was ich wohl mit den zweieinhalb Wochen anfangen würde, wenn ich tatsächlich nicht nach Island gelangen würde - ich würde vielleicht von Bergen nach Oslo radeln… Doch diesen Plan B muss ich ja zum Glück nicht in die Tat umsetzen!
Bericht am 01. September 2014 - Der Ausbruch hat begonnen.
Kaum, dass die Vulkanaktivität begonnen hat, durchforste ich das Netz nach Möglichkeiten, das Gebiet zu besuchen. Schnell muss ich feststellen, dass das nicht so einfach ist. Weiträumig sind die Straßen gesperrt, je nach aktueller Warnstufe werden teilweise Überflugverbote ausgesprochen. Auf der Seite der Reykjavíker Helikopter-Fluggesellschaft Nordurflug ist zu lesen, dass man plane, Flüge anzubieten, sobald die behördliche Genehmigung vorliegt, ggf. mit der Möglichkeit zum "Landgang".
Unglaublich viele Variablen also, Unwägbarkeiten, die es außerordentlich unwahrscheinlich erscheinen lassen, dass ich die brodelnde Lava zu Gesicht zu bekommen werde.
Um grundsätzlich näher am Geschehen zu sein, stelle ich Überlegungen an, von meiner Westfjord-Idee abzurücken. Ich denke, ich könnte alternativ vom Mývatn aus den äußersten Nordosten des Landes erschließen und dann, je nachdem, wie gut ich vorankommen würde, eventuell den östlichen Zugang zur Sprengisandur-Route wählen (welchen ich auch noch nicht geradelt bin), um dann das Hochland zu queren. Eine schöne Mischung aus Neuentdeckungen und etwas "Retro-Feeling" - Erinnerungen an die Touren in den 1990er Jahren…
Mir erscheint diese Variante sehr attraktiv. Und sie böte den Vorteil, dass ich dichter am Eruptionsgeschehen wäre, was wiederum, so denke ich zumindest, mir ggf. die Chance eines Besuchs ebendort leichter und vielleicht auch kostengünstiger machen würde.
Screenshot der Vegagerdin-Straßenzustandsberichte, ebenfalls vom 01.09.2014 - gut zu erkennen ist, dass die Gebiete nördlich des Vatnajökull gesperrt sind, denn bei einer großen subglazialen Eruption droht ein Gletscherlauf, also weiträumige Überschwemmungsgefahr.
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Dienstag, 09.09.2014
Der Morgen gerät zunächst etwas hektisch, da ich mich zu spät aus dem Bett bequeme. Doch stecken mir vorangegangene Nachtdienste noch in den Knochen, so dass das irgendwie sein muss.
Um halb neun also bereite ich mir ein Frühstück, allein, da die Mädels längst aus dem Haus sind, um ihren Alltagsgeschäften nachzugehen. Dann schnell die Küche in Ordnung gebracht, eine zügige Dusche und flott noch mal zur Bank, um etwas Bargeld zu holen. Bereits um halb elf steht dann, wie verabredet, mein Schwiegervater vor der Tür, um mich per Auto nach Hamburg zu bringen.
Der Tag ist trübe, Regen fällt und so sausen wir durch Sprühwasserwolken über die Autobahn und erreichen schließlich pünktlich den Flughafen Fuhlsbüttel. Schnell ist mein Gepäck aus dem Opel Zafira entladen, ein herzliches Dankeschön und Auf Wiedersehen an Werner gesagt.
Wie schon im Sommer für den Flug nach Aberdeen habe ich auch nun mein Rad wieder in einen regulären (also relativ großen) Fahrradkarton gepackt. An der Sperrgepäckannahme muss dieser aus Sicherheitsgründen noch einmal geöffnet werden, da er nicht durch das Röntgengerät passt - was ich allerdings erwartet und somit auch schon Klebeband zum Wiederverschließen dabei habe. Mein Ölfläschchen in der Werkzeugtasche wird bemängelt, der freundliche Beamte drückt allerdings ein Auge zu, so dass das zehn Euro teure Behältnis nicht in den Müllcontainer sondern zurück in mein Gepäck wandert.
Als ich mein Rad und die Taschen los bin, bleibt mir noch genügend Zeit, um auf der Aussichtsterrasse eine Thermoskanne Tee zu genießen. So richtig gemütlich ist das bei dem Schietwetter allerdings nicht.
An der Sicherheitskontrolle werde ich dann doch noch einiges aus meinem Handgepäck los, da ich, was zugegebenermaßen auch recht schusselig ist, eines meiner "Klöterkramtäschchen" im Rucksack transportiere. Dass den Sicherheitsleuten das Stichskalpell nicht gefallen würde, hätte ich mir denken können. Dass sie allerdings auch die Tuben mit Waschmittel und den teuren SeamSealer einkassieren, nervt mich dann doch ein wenig. Nun ja, es ist ja nicht zu ändern. Diskussionen gibt es noch, ob die Fußwärme-Pads nun dabei bleiben dürfen oder nicht. Ein herbeibestellter Vorgesetzter beäugt die Packungen kritisch, gibt dann aber zum Glück grünes Licht…
Im Flieger habe ich einen Platz auf der rechten Seite, direkt beim Notausgang über der Tragfläche, was mir angenehme Beinfreiheit beschert. Einen Sitzplatznachbarn habe ich nicht, was ja auch nicht schlecht ist. Ich vertreibe mir die Zeit mit dem Versenden eines Regenfotos über WhatsApp, letzte Grüße an die Menschen, mit denen ich regelmäßigen Nachrichtenverkehr pflege.
Kräftiger Regen beim Abflug in Hamburg
Wolkig ist es nicht nur über Deutschland, auch der Nordatlantik zeigt sich verhüllt, so dass ich, worauf ich ein ganz klein wenig gehofft hatte, beim Flug entlang der isländischen Südküste keine Vulkan-Rauchwolke erblicken kann.
Ziemlich pünktlich setzt gegen halb vier Ortszeit (2 Stunden Zeitverschiebung zur MESZ) der Flieger in Keflavík zum Landeanflug an. Rege Bautätigkeit herrscht am Flughafen, auch hier zeigt sich, dass Island als Reiseland boomt, man stellt sich darauf ein, in Zukunft noch mehr Besucher abzufertigen.
Eine ganze Weile dauert es, bis ich mein Fahrrad in Empfang nehmen kann, sorgenvolle Erinnerungen werden wach an Aberdeen von einigen Wochen - auf der Anreise blieben unsere Räder in London hängen und wurden erst später nachgeliefert. Da ich aber heute ohne Zwischenstopp Keflavík erreiche, bin ich grundsätzlich schon optimistisch…
Schließlich habe ich alles beisammen, schiebe meinen Gepäckwagen in Richtung Ausgang, wo ich mich am Schalter einer der Busgesellschaften einfinde. Mein Plan sieht vor, mir ein Ticket nach Reykjavík zu kaufen, da ich wenig Lust verspüre, diese monotone, verkehrsreiche Strecke schon wieder zu radeln. Als ich im meinem Portmonee prüfe, ob das Bargeld noch ausreicht, staunt der Schalterbeamte nicht schlecht über meinen 100-ISK-Schein, und fragt, wo ich den denn her habe, den gebe es ja schon ewig nicht mehr! Muss dann wohl ein Relikt aus den 1990er Jahren sein… Habe ihn dann gut gehütet und nicht ausgegeben, für ein Busticket hätten meine Barschaften ohnehin nicht gereicht, so dass ich dieses mit der ec-Karte zahle.
Nach einer guten Stunde Fahrt komme ich an der Jugendherberge bzw. am Campingplatz an, beschwerlich ist es, mit dem voluminösen Gepäck die Rezeption zu erreichen.
Auch hier stehen die Zeichen auf Expansion: es gibt einen Neubau, in welchem nun der Empfang untergebracht ist und wo sich neben einer Küche auch ein Aufenthaltsraum befindet. Ich darf mich über 10% Preisermäßigung freuen, da ich mit dem Rad reise - Schilder werben damit, dass auf diese Weise der nachhaltige Tourismus unterstützt werden soll…
An Tischen sitzen - vorwiegend jüngere - Menschen, die fast ausnahmslos ein Smartphone oder Tablet in den Händen halten, auf dem Boden liegen Stromkabel und jede Menge Verteilersteckdosen, über welche die Geräte mit Elektrizität versorgt werden. Ein typisches Bild unserer Zeit und so ganz anders, als damals, als ich meine ersten Reisen nach Island unternahm… Wobei nun nicht der Eindruck entstehen soll, dass ich das verteufeln möchte, später am Tag werde ich auch noch einer der Smartphone-Menschen sein. Es ist eben nur extrem auffällig…
Ich stelle mein Zelt auf der Wiese hinter der Jugendherberge auf, der Platz ist insgesamt noch gut besucht, die übliche Hightech-Outdoorshow, zwischen hochwertigen Zelten bewegen sich die Leute in Funktionskleidung - daran hat sich in all den Jahren nichts geändert.
Ich plaudere ein wenig mit einer jungen Dame, welche neben mir in einem winzigen Einpersonenzelt wohnt, lagere dann für eine geringe Gebühr meinen Radkarton und sonst noch einiges an Verpackungsmaterial in der Gepäckaufbewahrung ein, so bleibt mir vor der Abreise das Suchen nach Pappen erspart, das entspannt mich erheblich.
Am frühen Abend mache ich mich auf den Weg in die Stadt, hole Geld, fotografiere, streife etwas planlos umher.
Ich informiere mich über die Flugpreise - inzwischen werden Flüge zur Eruption angeboten - und finde bestätigt, was ich schon bei meiner Internetrecherche in den vergangenen Tagen feststellte: es würde kein kostengünstiges Unterfangen werden. Hubschrauberflüge ab Reykjavík sind für 239.000 ISK, also 1.600 € zu haben, mit dem Flugzeug geht es ein wenig günstiger, da ist man mit etwa 600 € dabei. Ab Akureyri wird derzeit noch nicht geflogen. Einen Flugzeugflug schließe ich aus, ich bin überzeugt, dass das nicht so eindrucksvoll sein würde - und dann ist der Preis immer noch hoch… Also kann ich mir mal das Hirn zermartern, ob ich wirklich aberwitzige 1.600 € ausgeben möchte für ein paar Stunden Vergnügen.
Noch immer gehe ich primär davon aus, dass ich morgen oder übermorgen an den Mývatn reisen werde. Als ich im Abendlicht am Konzerthaus Harpa mein Stativ aufstelle, um die Reflektionen in der Glasfassade abzulichten, komme ich mit einem anderen Fotografen ins Gespräch. Er ist tags zuvor aus der Mývatn-Gegend zurückgekehrt und berichtet, dass es "Checkpoints" der Polizei gibt, wo man gebeten wird, seine Mobilnummer zu hinterlassen, um jederzeit gewarnt werden zu können; binnen einer Stunde sollte man dazu in der Lage sein, das Gebiet zu verlassen. Die mögliche Gefahr: ein Gletscherlauf infolge einer großen subglazialen Eruption. Außerdem höre ich von ihm das erste Mal von der Schwefeldioxidbelastung, welche durch den Vulkanausbruch gegeben ist und je nach vorherrschender Windrichtung dazu führt, dass die Menschen in entfernten Ortschaften, beispielsweise Egilstaðir, dazu aufgefordert werden, die Häuser nicht zu verlassen bzw. diese geschlossen zu halten. Auch wird, vor allem pulmonal beeinträchtigten Personen, von körperlicher Aktivität im Freien abgeraten. Mich macht das nachdenklich und so ziehe ich doch schon wieder in Betracht, eventuell in die Westfjorde zu fahren.
Abends sitze ich am Zelt, trinke Tee und genieße einen Jogurt, während in meinem Kopf die Gedanken rotieren: soll ich mir einen teuren Flug leisten, ja oder nein? "Once in a lifetime opportunity" hin oder her, es ist einfach mal verdammt viel Geld! Soll ich an den Mývatn reisen, ja oder nein? Soll ich die Westfjorde besuchen, ja oder nein?
Diese Grübelei lässt mich nicht los und begleitet mich in die Nacht. Und als ich so in meinem kleinen Zelt liege und mir dann vorstelle, ich wäre nun irgendwo im Nordosten des Landes und ein Gletscherlauf würde mich hinfortspülen, da ist mir das ein wenig unheimlich. Ich fasse den Entschluss, morgen nach Blönduós zu fahren und von dort aus in die Westfjorde aufzubrechen. Puh, eine Entscheidung ist schon mal gefallen.
Ja, und was den Flug betrifft, so ringe ich mich auch durch, diese Chance zu nutzen, werde morgen mal herausfinden, wie die konkreten Modalitäten überhaupt aussehen.
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Mittwoch, 10.09.2014
Während am Morgen Regen auf das Zelt tröpfelt, verspüre ich wenig Motivation, meinen warmen Schlafsack zu verlassen. Der Blick nach draußen zeigt dann aber, wie es ja oft so ist, ein deutlich freundlicheres Bild: Sonnenstrahlen finden ihren Weg zwischen den Wolken. Also raus aus den Federn! Während ich Marmeladenbrote frühstücke, spiele ich ganz kurz doch noch mal mit der Idee, die Sprengisandur-Route zu befahren, besinne mich dann aber endgültig auf die Westfjordvariante.
Mir kommt entgegen, dass der Bus nach Blönduós erst am frühen Abend die Hauptstadt verlassen wird, was mir die Möglichkeit gibt, noch in aller Ruhe in Reykjavík unterwegs zu sein, wozu ich richtig Lust habe. Und es ist ja auch noch einiges zu besorgen: Kartuschen fehlen mir noch, Feuchttücher für die Körperhygiene in der Wildnis benötige ich ebenso. Ich mache mich schlau, was Busverbindungen in den Westfjorden betrifft, kaufe Postkarten und einen Haufen Hraun-Kekse, welche ich in einem großen Paket bei der Post aufgebe und meinen Mädels nach Hause schicke. Die Sendung wird sehr lange unterwegs sein, dann aber große Freude hervorrufen…
Ich genieße einen ausgiebigen Aufenthalt im Café Paris, gönne mir Karottenkuchen und guten Kaffee. Immer mal wieder zieht ein Regenschauer durch, ich habe jedoch stets Glück und bin dann gerade irgendwo in einem Gebäude. Dann mache ich mich auf zum Flughafen, um mich nach den Hubschrauberflügen zu erkundigen. Zunächst orientiere ich mich zur westlichen Zufahrt, muss dann aber feststellen, dass dort nur der reguläre Personenverkehr abgewickelt wird. Also noch mal ganz rum auf die andere Seite…
Schließlich finde ich das Büro der Gesellschaft Norðurflug auf dem östlichen Gelände. Ich fasse mir ein Herz und betrete das Gebäude. Sehr freundlich erklärt man mir jedoch, dass heute wegen der Windverhältnisse keine Flüge stattfinden und am Folgetag ggf. die Gäste mitfliegen dürfen, die für heute gebucht waren. Frühestens für nächste Woche könnte sie mir eine Reservierung machen, natürlich auch ohne Fluggarantie. Ich überlege nicht allzu lange. Tagelang möchte ich nun nicht in Reykjavík sitzen und abwarten. Also bitte ich darum, mich für den 24. und 25. September auf die Liste zu nehmen. Sollte der Vulkan bis dahin noch immer aktiv sein (wovon ich nicht einmal ausgehe), dann habe ich eben dann die Chance… Ich hinterlasse Mobilnummer und Emailadresse und schwinge mich wieder auf mein Rad. Direkt vor meiner Nase sehe ich "die Perle" und denke mir, Mensch, da warst Du auch noch nie… Also radele ich da mal hoch und schaue mir die Stadt von oben an. Weiter geht es dann zum Hafen, wo ich vorbei an schmucklosen Hallen bis auf die Nordseite der Haupteinfahrt gelange. In der Stadt herrscht rege Bautätigkeit, überall bestimmen Kräne die Kulisse.
Ansicht von Reykjavík vor der Kulisse des Esja-Gebirges.
Am späten Nachmittag bin ich wieder am Zelt, packe meine sieben Sachen zusammen, genieße Vanilleskyr und Banane und rolle schließlich auf bekannten Wegen zur etwa fünf Kilometer entfernten Busstation Mjódd. Der Bus 57 steht schon bereit und ich hatte gehofft, ich würde mein Rad wieder in den unteren Stauräumen verladen können. Doch nein, dieses Mal soll es hinten am Bus auf zwei Stangen gehoben und dort mittels poröser Gummilaschen fixiert werden. Ich bin froh, dass ich meine Spannriemen parat habe, so dass ich das gute Velotraum adäquat sichern kann. Den Busfahrer erkenne ich wieder, es ist der selbe, welcher mich einst auf der Passhöhe westlich von Akureyri im Schneesturm auflesen wollte…
Obschon die Fahrt mit dem Bus gute vier Stunden dauert, gerät sie kurzweilig. Ich schaue aus dem Fenster und genieße es, wieder in Island zu sein. Immer wieder gehen heftige Regengüsse nieder, immer wieder ist es dann auch trocken und sonnig. Islandwetter eben.
Es ist finster, als ich in Blönduós den Bus verlasse. Die Tankstelle weckt unweigerlich Erinnerungen an den Schneesturm, den ich hier vor einem guten Jahr ausgesessen habe… Ich freue mich, dass mein Velo den Transport schadlos überstanden hat, schnell hängen dann die Taschen am Rad und ich rolle hinüber auf die andere Straßenseite zum Campingplatz. Es ist echt duster, so dass die Orientierung nicht einfach ist. Beim letzten Mal lag hier kniehoch der Schnee… heute suche ich mir meinen Weg über eine zum Teil schlammige Wiese und baue dann im Licht der Stirnlampe mein Zelt auf. Viel ist hier nicht mehr los, noch zwei weitere Zelte kann ich ausmachen. Anmelden kann ich mich heute Abend nicht mehr, die Rezeption ist erwartungsgemäß nicht besetzt - auch telefonisch kann ich niemanden erreichen. Die Visitenkarte des Betreibers habe ich vom Vorjahr noch im Portmonee.
Ein Tee, ein Käsebrot - und dann entdecke ich doch tatsächlich ein tanzendes Polarlicht in einem Wolkenloch! Schwach zwar und bald wieder verdeckt, aber immerhin - wenn das keine tolle Begrüßung ist…
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Donnerstag, 11.09.2014
Als ich am Morgen erwache, habe ich das Gefühl, ewig lange geschlafen zu haben. Ich denke, es müsste mindestens schon zehn Uhr sein… Erfreut stelle ich jedoch fest, dass es erst sieben ist, klasse. Bei geöffnetem Zelt liege ich eine Weile da, schaue in den freundlichen Himmel, der Blick folgt den vorüber ziehenden Wolken. Ich frühstücke Müsli, trinke Tee dazu, wie immer, bezahle um neun meine Übernachtungsgebühr und schreibe ein, zwei Postkarten.
Bevor ich später meine Tagesetappe nach Westen starten werde, möchte ich noch "eine Mission erfüllen", wenn auch eine etwas alberne, wie man vielleicht denken mag. Da ich im vergangenen Februar des Schneesturms wegen meine Radfahrt wenige Kilometer östlich vor Blönduós abbrechen musste, fehlt mir ja noch ein Stück Ringstraße in meiner Statistik. Und damit ich guten Gewissens die Linie auf meiner persönlichen Island-Radfahr-Landkarte durchziehen kann, möchte ich heute noch einmal bis zu meiner einstigen Lagerstätte fahren.
Ich packe am Zelt schon mal alles soweit zusammen, mache mich dann aber ohne meine Taschen auf den Weg nach Osten. Die Berge kommen mir groß vor heute Morgen, ich mir so klein… Erwartungsgemäß finde ich nach etwa sieben Kilometern problemlos die gesuchte Stelle - auch ohne Schnee erkenne ich sie sicher wieder - mache ein, zwei Fotos, lasse kurz noch einmal die damaligen Ereignisse vor meinem inneren Auge Revue passieren und rolle dann wieder zurück nach Blönduós. Dort drehe ich noch eine Runde durch den Ort, erledige einen Einkauf und hole Geld.
Um 11:40 beginnt dann mein reguläres Tagewerk, als ich voll beladen den kleinen Ort verlasse. Weites, recht monotones Grasland charakterisiert die Landschaft, zumeist scheint freundlich die Sonne. Der Wind legt dann kräftig zu und legt zu und legt zu, so dass ich mich bald schon wieder an meinen windigen Februarausflug erinnert fühle. Es ist nicht nur unglaublich anstrengend, es ist bisweilen nicht mehr möglich, das Rad vollends unter Kontrolle zu halten. So schlingere ich angestrengt am Fahrbahnrand entlang und freue mich jedes Mal, wenn ich wieder einen überholenden LKW überlebt habe… Besonders gefährlich ist dabei, dass ein solcher Laster plötzlich und schnell den "Wind wegnimmt", was zumeist ein Verreißen des Lenkers zur Folge hat und mich mehr als einmal bedrohlich weit in die Fahrbahnzone bugsiert… Ab und zu lege ich Schiebepassagen ein, wobei das auch nicht wirklich viel einfacher ist - immerhin eine Variation der motorischen Muster.
Ich pausiere ausgiebig am Wegesrand, das hohe Gras um mich herum sieht aus, als würde es fließen, vom Wind gepeitscht. Der heiße Tee tut wohl und ein paar Schnitten Brot geben mir wieder Kraft.
Die Straße hat sich längst nach Süden gewendet, ich stehe direkt im Wind und kämpfe mich buchstäblich Meter für Meter voran. Dass das ausgerechnet auf der ersten Etappe so sein muss, mannomann, das wäre doch nicht nötig gewesen. Es kommt vor, dass ich vor mich hinfluche und mich in ganz genervten Momenten sogar frage: "Was soll dieser ganze Outdoorscheiß eigentlich? Ist es jetzt an der Zeit, eine Kreuzfahrt zu machen?" Oh nein, dass dann doch nicht.
Island empfängt mich mit Sonne und viel Wind - Pause am Rand der Ringstraße.
Ich fahre heute mit 10,3 km/h die niedrigste Etappendurchschnitts-geschwindigkeit der ganzen diesjährigen Tour heraus, das zermürbende Zerren und Rauschen des Windes, der Lärm der Autos und LKW bleiben bis zum Abend meine Begleiter und ich bin wirklich richtig froh, als ich um 19:00 Laugarbakki erreiche.
Der Campingplatz ist winzig klein und schon daher sehr sympathisch. Einzige weitere Gäste am heutigen Abend sind zwei junge Paare, eines per Auto, eines per Rad unterwegs. Die Autofahrer halte ich zunächst für Isländer, es stellt sich aber heraus, dass alle aus Deutschland kommen.
Eine Dusche finde ich in einem etwas abgelegenen Nachbargebäude (in welchem es auch einen Hotpot gibt, den ich allerdings heute verschmähe), mein Abendessen koche ich mir am Zelt, während der Wind - der Sturm - weiterhin mächtig an meinem Hilleberg zerrt. Während ich so dasitze, kommt der junge Radler auf einen Plausch zu mir, fragt, warum ich denn nicht in die Küche komme zum Kochen. Ich erwidere, dass ich mir hier draußen an der frischen Luft ganz wohl fühle…
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, endlich mal meine Tagebuchnotizen auf den neusten Stand zu bringen, doch kann ich mich dazu nicht mehr aufraffen. Um halb zehn liege ich hundemüde im Schlafsack. Den Lärm des Windes schalte ich ab: Oropax kommen wie immer in die Ohren. Ich habe volles Vertrauen in mein Zelt, welches in Ermangelung jeglichen Windschutzes exponiert auf der Wiese steht. Hätte ich nicht im Vorjahr ähnlich extreme, und teils ja sogar noch schlimmere Verhältnisse erlebt, wäre ich vielleicht besorgt gewesen, so jedoch nicht im Ansatz.
Das junge Paar hat noch versucht, den gemieteten Kleinwagen als Windschutz vor das Zelt zu stellen, die Radler konnten einen kleinen, dürren Strauch nutzen.
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Freitag, 12.09.2014
Fast zwölf Stunden schlafe ich, herrlich. Die Nacht war stürmisch und regnerisch, was so gut wie vollständig an mir vorbeigegangen ist. Es fällt noch immer ab und zu etwas Regen und so gehe ich zum Frühstück heute dann doch mal in die kleine Küche. Dort sitzen bereits die anderen vier am Tisch und begrüßen mich freundlich. Wie es mir denn ergangen sei, die aufgeregte Frage - in meinem Gesicht muss wohl geschrieben stehen "War was?", ich weiß zunächst wirklich nicht, was sie meinen. Schnell stellt sich dann heraus, dass sie den nächtlichen Sturm als recht unheimlich wahrgenommen haben. Die beiden jüngeren, die Autofahrer, sind in der Nacht sogar ins Gebäude geflüchtet und haben mit ihren Isomatten in der Küche geschlafen. Ich glaube, dass meine diesbezügliche Gelassenheit sie ein Stück weit beeindruckt hat.
Das Frühstück in der Gesellschaft der vier macht Spaß. Es ist ein freundlicher Austausch von wo kommst Du her, was has Du vor, wie war die Reise… Ein wenig Fachsimpelei über das Material, ein wenig Routenplanung. Sehr angenehm, so ein Start in den Tag. Auch wenn ich grundsätzlich sehr gut mit mir alleine zurechtkomme und auch oftmals wirklich gerne alleine bin, so genieße ich dennoch derartige Begegnungen. Nebenbei nutze ich das Vorhandensein einer Steckdose, um die GoPro-Kamera wieder aufzuladen
Die Idee, heute Vormittag noch ein wenig zu schreiben verwerfe ich in Anbetracht der fortgeschrittenen Uhrzeit ebenso wie den Gedanken, vielleicht doch noch mal den Hotpot nebenan zu besuchen. Als ich dann mein Rad beladen möchte, stelle ich fest, dass es platt ist, na klasse!
Hilft ja nichts, also erst einmal flicken. Inzwischen sind alle Regenwolken vom Wind fortgetragen worden, die Sonne scheint, der Wind weht mit fast unverminderter Intensität aus Süden bis Südwesten - natürlich jene Richtung, in welche ich radeln werde. Dennoch habe ich bei dem leuchtenden Sonnenschein richtig Lust, aufzubrechen. Also los, hinein in den Wind! Ich fahre von Laugarbakki wieder auf die Ringstraße. Ich weiß, dass nun dreißig Kilometer vor mir liegen, die sich noch einmal etwas ungemütlich gestalten werden. Langsam schaukele ich voran und wieder rasen Autos und LKW an mir vorüber, so dass ich mich wirklich auf die ruhigen Straßen in den Westfjorden freue - und das schönste ist, bald werde ich diese ja erreicht haben! Ich blicke nun nach rechts, dort erstreckt sich lang der Hrútafjörður. An dessen südlichem Zipfel, bei Staðarskáli, wird sich meine Fahrtrichtung um 180° ändern.
In Staðarskáli, daran erinnere ich mich, gibt es eine große Tankstelle. Während diese Kilometer um Kilometer näher rückt, überlege ich, ob ich dort einkehren und mir eine große Portion Pommes gönnen sollte. Davon sehe ich dann allerdings doch ab, denn das Wetter ist super und meine Vorratstasche gut gefüllt - kann ich mir den Tankstellenstopp lieber mal an einem Regentag genehmigen.
Schließlich erreiche ich den Abzweig der Straße 68, welche nach Norden abzweigt. Bis Ísafjörður sind es von hier genau 333 Kilometer, nach Hólmavík 111, so ist es auf den Schildern ausgewiesen. Ich bin ganz begeistert, ein bisschen fühlt es sich so an, als würde die Tour jetzt erst richtig losgehen.
Yippiieeh! Mit über dreißig km/h sause ich ohne Anstrengung bei dem grandiosen Rückenwind nordwärts - Westfjorde, ich komme! Das Licht ist intensiv, die Farben beinahe surreal gesättigt, tiefblau leuchtet der Fjord, klar zeigen sich alle Konturen. Es ist ein Traum - wunderbar! Nach eineinhalb Tagen mit so manchem Fluch auf den Lippen bin ich schlagartig wieder versöhnt - das ist Island!
Mit so manchem Fotostopp fahre ich bis 15:00 und lege dann eine einstündige Tee- und Brotepause am Wegesrand ein. Hier kommt kaum noch ein Auto vorbei, was ich als außerordentlich angenehm empfinde.
Blick auf den Hrútafjörður, im Hintergrund bereits erkennbar: das Westfjordland!
Ein weiterer Blick über den Hrútafjörður, diesmal nach Osten.
Entlang des Hrútafjörður radele ich bei bestem Rückenwind nordwärts auf der Straße Nr. 68. Das Schild sieht aus, als stünde es schon seit 40 Jahren dort...
Immer weiter geht es nach Norden. Der Tag neigt sich seinem Ende entgegen, Zeit, sich nach einem halbwegs windgeschützten Schlafplatz umzuschauen.
Noch zwei Stunden radeln, dann mal einen Schlafplatz suchen, so ist mein Plan. Ganz so lange bin ich schließlich nicht mehr unterwegs, da ich auf dem Display des GPS-Geräts erkenne, dass der Verlauf der Straße sich mit dem näher rückenden Bitrufjörður wieder nach Südwesten ausrichtet. Mein Wunsch ist, diesen Tag nicht mit einem Kampf im Gegenwind ausklingen zu lassen, also schaue ich mich bald nach einem Lagerplatz um. Nicht ganz einfach, in dieser Graslandöde eine Stelle zu entdecken, die zumindest ein bisschen Windschatten bietet. Schließlich werde ich aber fündig, als ich ein gutes Stück abseits der Straße eine kleine Felsgruppe entdecke. Ich erkunde das Areal zunächst ohne Fahrrad; erst als ich mich entschieden habe, wird das Vehikel nachgeholt. Ich bin einmal mehr froh, ein so winziges Zelt zu haben, welches man in fast jede Nische stellen kann. Der Boden ist ausgesprochen uneben, nur eine dünne Grasschicht liegt auf dem Geröll. Und obschon der Stellplatz leeseitig ausgerichtet ist, muss das arme Soulo sich ganz ordentlich von den Böen durchpeitschen lassen…
Nebenbei mache ich ein paar GoPro-Filmchen. Da ich die Kamera erst wenige Tage vor der Abreise nach Island zum Geburtstag geschenkt bekam, habe ich keine Erfahrung im Umgang mit selbiger. Kann nicht einschätzen, wie der Bildausschnitt aussieht (sie hat ja kein Display), habe keine Vorstellung, welches Einstellintervall bei der Zeitrafferfunktion welches Resultat zur Folge hat, kann nicht sagen, wie extrem nun der Weitwinkel in welchem Modus ist. Blindflug…
Schließlich entscheide ich mich für diese Nische mit bester Aussicht.
Mein Lagerplatz ist fantastisch. Weit geht der Blick auf das Meer hinaus, welches voller Schaumkronen ist. Im Abendlicht leuchten die Felsen, auf einer kleinen, vorgelagerten Halbinsel grasen die Islandpferde und nur sehr selten rollt noch ein Auto auf der unbefestigten Straße vorbei. Viel schöner geht nicht!
Und als dann die Nacht hereinbricht und es kühl und finster wird, steigt der Mond über die Berge östlich des Hrútafjörður, sein fahles Licht spiegelt sich auf der Wasseroberfläche. Erste Sterne funkeln und als ob das alles nicht schon großartig genug wäre - es beginnt nun der Tanz der Polarlichter am klaren, fast wolkenlosen Himmel. Was für ein Spektakel!
Kaum, dass der Mond über die Berge am Horizont gestiegen ist, da beginnt der Tanz der Polarlichter an diesem klaren, kühlen Abend!
Ich bin begeistert, nach sehr vielen Jahren dieses wunderbare
Naturphänomen mal wieder beobachten zu dürfen.
Gute zwei Stunden verwende ich auf das Fotografieren
und setze dabei auch mein Reiserad in Szene.
Schließlich wird es mir irgendwann zu kalt und ich verkrieche mich in meinen Schlafsack - den Zelteingang lasse ich jedoch noch lange geöffnet
und genieße zum Einschlafen diesen Ausblick!
Wie berauscht fotografiere ich bald zwei Stunden dieses zauberhafte Phänomen, bin so froh, dass ich die Spiegelreflex-Nikon, ein Stativ und meinen Infrarotauslöser dabei habe. Wenn mir nicht irgendwann echt zu kalt geworden wäre (Temperatur knapp 5°C), hätte ich wahrscheinlich bis zum Morgen Bilder gemacht. Ganz interessant ist, dies sei an dieser Stelle angemerkt, dass die Nordlichter, die ich sah, fast durchweg weißlich leuchteten, während sie auf den Fotos grün erscheinen.
So verkrieche ich mich dann aber doch irgendwann in meinen warmen Schlafsack, lasse jedoch das Zelt geöffnet und lege mich so hin, dass ich noch lange den Blick genießen kann auf das Firmament mit der tanzenden Aurora borealis.
Was für ein Tag, was für ein Abend!
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Samstag, 13.09.2014
Der Morgen ist von winterlicher Anmutung, ein kühler Wind weht, durch eine dünne Wolkendecke strahlt gedämpftes Sonnenlicht.
Zum Frühstück gibt es wie gewohnt Müsli (welchem ich bereits daheim Milchpulver zugesetzt habe) mit warmem Wasser. Klingt ja immer eher unappetitlich, habe ich mich aber mittlerweile so sehr dran gewöhnt, dass ich es richtig gerne esse.
Während ich mein Lager abbreche, löst sich mein kleiner Fahrradschlüssel vom Schlüsselband, was ich nur durch Zufall entdecke: beim Zusammenräumen entdecke ich ihn im unübersichtlichen Gras-Moos-Mix am Boden. Hätte nicht viel gefehlt und ich hätte ein echtes kleines Problem gehabt - schließlich habe ich mein Rad mit dem soliden Abus-Schloss gesichert. Um das wieder zu öffnen, hätte ich das Rad wahrscheinlich ein, zwei Kilometer zum nächsten Bauernhaus tragen können in der Hoffnung, dass dort eine Flex zur Verfügung steht… Im weiteren Verlauf der Tour habe ich dann grundsätzlich besser Acht gegeben und: ich habe bei solchen Wildübernachtungen das Rad erst gar nicht mehr abgeschlossen.
Ein Hilleberg-Hering ist mir an diesem Morgen entwischt, obschon der ja deutlich größer ist, als so ein kleiner Fahrradschlüssel.
Bei der Abfahrt muss ich feststellen, dass der Vorderreifen über Nacht abermals dezent Luft verloren hat. Ich pumpe erst einmal nur auf, mal sehen, wie lange das gut geht - den Tag wird es halten. Schließlich ist es kurz nach zehn Uhr, als ich in die Etappe starte.
Die Versorgung mit frischem Trinkwasser ist
wie erwartet zu keinem Zeitpunkt ein Problem.
Es folgen einige entspannte Kilometer, bevor ich dann auf Südwestkurs gehe und damit voll im Wind stehe. Das ist wieder fies, aber technisch gut fahrbar - außerdem überschlage ich, dass es nur um die zehn Kilometer sind, bis ich wieder günstigere Verhältnisse haben werde und diese Erkenntnis lässt mich entspannt fahren.
Als ich dann schließlich den innersten Punkt des Fjords erreiche und den Wind wieder von hinten habe, ist es, als führe ich mit einem eBike.
Ansicht meines "gepimpten" Cockpits: das neue Garmin GPSmap 64 ist ebenso erstmals im Einsatz wie die GoPro-Actionkamera - und auch das Zzing, welches dazu dient, den mittels Nabendynamo gewonnenen Strom zum Aufladen
von Akkus nutzbar zu machen.
Um vom Kollafjörður zum Steingrimsfjörður zu gelangen, gilt es, einen kleinen Paß zu erklimmen: auf etwa 300m arbeite ich mich hinauf, oben erwartet mich eine Landschaft, wie man sie auch im zentralen Hochland finden könnte.
Ebenso steil, wie der Anstieg war, so weist auch die Abfahrt ein gehöriges Gefälle auf. Leider muss ich bei dieser Straßenbeschaffenheit ständig bremsen und kann das Rad nicht einfach laufen lassen.
Bald steht dann die nächste kleine Hürde bevor: auf einer Strecke von drei Kilometern erklimme ich 300 Höhenmeter, um vom Bitrufjörður zum Kollafjörður zu gelangen. Oben erwartet mich ein karges Hochplateau und auch eine Webcam. Ich lege eine kurze Pause ein, winke freundlich in die Kamera, denke, vielleicht sitzt gerade jemand am anderen Ende der Welt und freut sich… Hinab geht es geschwind und schon habe ich den nächsten Fjord zu fassen, ja, die Westfjorde heißen nicht umsonst Westfjorde. Überall Fjorde.
Mir kommt zwischendurch auch immer wieder in den Sinn, meine gegenwärtige Strecke mit North Atlantic Cycle Route zu betiteln (in Anlehnung an den Nordseeküstenradweg - North Sea Cycle Route), denn über viele Kilometer fahre ich unmittelbar am Wasser entlang; dann trennt mich nur ein steiniger Strand von den kühlen Wogen des Atlantiks. Typisch für diese Region ist das viele Treibholz, matt-weiße Stämme von teilweise beachtlicher Größe, denen man ansieht, dass sie schon eine ganze Weile im Meer trieben: ganz rund geschliffen schauen sie aus. Würde mich schon mal interessieren, welchen Weg sie genommen haben, wo sie einst wuchsen, bevor es sie an isländische Gestade gespült hat…
Die Menschen hier sammeln sie ein, an so mancher Bucht sehe ich ordentlich gestapelte Türmchen mit dem charakteristischen Holz. Natürlich sehe ich auch erschreckend viel angeschwemmten Abfall, vor allen Dingen tatsächlich irgendwelchen Kunststoffkram: Seile, Netze, Tonnen, Schuhe…
Leider bleibt auch der entlegenste Winkel des Planeten nicht von dieser Sauerei verschont.
Zu meiner großen Überraschung finde ich irgendwann am Wegesrand (und zwar genau zu der Zeit, da ich nach einem Pausenplatz Ausschau halte) eine Bank mit einem Tisch, das ist ja klasse, so komfortabel hätte ich es gar nicht erwartet. Es ist nämlich nicht so, dass die Dinger hier alle paar Kilometer herumstehen!
Ich staune nicht schlecht - und freue mich - in dieser gottverlassenen Gegend eine Pausenbank am Wegesrand zu finden!
An den Küsten der abgelegenen Westfjorde ist immer wieder Treibholz zu sehen.
Seit vielen Jahren ist die Bevölkerungszahl auch in den Westfjorden rückläufig - es zieht die Menschen in den Großraum Reykjavík. Somit sind nicht selten
verlassene Gebäude zu sehen.
Ich verbinde mal testweise die GoPro mit dem Zzing (ein Gerät, welches mit dem Nabendynamo verbunden und somit dazu in der Lage ist, die auf diese Weise generierte Elektrizität in einem eingebauten Akku zu speichern. Die Abgabe an ein Endgerät erfolgt mittels USB-MiniUSB-Verbindung). Es wird sich allerdings herausstellen, dass das keine wirklich sinnvolle Angelegenheit ist. Es wird nie so sein, dass die Kamera ausreichend Strom bekommt. Allerdings genügt der im Tagesverlauf erzeugte und gespeicherte Strom aus, um abends immer dem Smartphone ein wenig Energie zu spenden, so dass ich den Kontakt per SMS in die Heimat halten kann, und das ist doch auch schon mal was. Gerade in einer Gegend wie den Westfjorden, wo ich in der Tat tagelang keinen Steckdosenkontakt habe, ist das nützlich.
Nach einer Stunde des Müßiggangs setze ich meine Radfahrt fort und erreiche allmählich den zunächst weiten Steingrímsfjörður, an dessen Nordrand es eine kleine Insel gibt, die auch den Namen Grimsey trägt. Die Straße führt die ganze Zeit dicht am Meer entlang, es herrscht kaum Autoverkehr. Aus dem Fjord lugt ab und zu mal der Kopf einer Robbe.
Da fällt mir schnell auf, dass ein roter Truck schon das dritte oder vierte Mal an mir vorbeifährt. Und als ich dann um eine Kurve komme, sehe ich das fette Auto dann auf meiner Seite stehen, so als wolle man mir den Weg versperren - was wird das denn jetzt? Ich erreiche das Fahrzeug, aus den Fenstern ragen Gewehrläufe, drinnen sitzen drei Männer in Flecktarn - sie wenden, beschleunigen ihren Truck, und brausen zwei-, vielleicht dreihundert Meter die Straße hinab bis zu einer kleinen Bucht, bremsen ab, springen mit ihren Flinten aus dem Wagen und eröffnen das Feuer auf eine Gruppe Gänse, die am Strand in einer gewissen Entfernung zu sehen ist. Kaum sind die Schüsse verhallt, da rennen sie los und greifen sich die erlegten Tiere - sie haben wirklich auf die Distanz einige erwischt!
Gerade, als sie wieder oben an der Straße ankommen, erreiche auch ich die Stelle. Ich bin ja erleichtert, dass sie nicht auf Touristen-Raubzug sind (wobei ich das nicht ernsthaft angenommen hatte) und halte an, um mit ihnen das Gespräch zu suchen. Ihr Englisch ist nicht besonders, so gerät die Konversation etwas holprig, doch sind sie offenbar ziemlich stolz auf ihre Jagderfolge und freuen sich, mir diese präsentieren zu können: es ist ein bizarres Bild, als die drei in ihrem Militär-Look begeistert die Heckklappe ihres Wagens öffnen und noch fünf oder sechs Vögel auf den Asphalt werfen, um mir ihre Beute zu zeigen. Frisches Blut läuft aus den Schnäbeln, nebenbei werden den soeben abgeschossenen aber noch zuckenden Vögeln die Hälse umgedreht, ein archaisches Bild. Ich habe da von der Sache her kein Problem mit und was hässliche Bilder angeht, habe ich schon von Berufs wegen ein ziemlich dickes Fell…
Zwei einsame Wanderer im Auenland...
Weiter geht meine Reise entlang der Küste. In der Nähe eines Ortes, na ja, wohl eher eines Gehöfts mit dem Namen Húsavík schaue ich mir noch einen kleinen, etwas abseits der Straße liegenden Wasserfall an, gelange wenig später zu einigen Seen, auf denen sich Schwäne tummeln. Abermals halte ich an, hole das 300er Tele aus dem Rucksack und probiere, die stolzen Vögel abzulichten.
...nicht minder idyllisch: Schwäne in der Gegend von Holmavík.
Schwäne.
Als ich nach etwa 80 Kilometern auf mein Etappenziel Hólmavík zurolle, begegnet mir ein junger Kerl, der trampend unterwegs ist, wir halten einen kurzen Plausch. Dann, gegen 18:00 fahre ich in den Ort hinein und schaue erst einmal, wann und wie lange der Supermarkt geöffnet hat. Schließlich ist morgen Sonntag und ich möchte auf keinen Fall in diesem Nest feststecken, nur weil meine Vorräte aufgebraucht sind. Aber: alles wird gut, auch morgen soll geöffnet sein.
Das Einchecken am Campingplatz ist am Schwimmbad vorzunehmen, direkt nebenan. Leider ist der Pool geschlossen, heute hätte ich gerne noch ein Bad und vor allem auch eine heiße Dusche genossen. Der Platz selber ist recht klein, eine fast quadratische Grasfläche, welche zu drei Seiten mit einem deichartigen Wall und nach Westen, zur Küste hin, von natürlichen Felsen eingefasst ist. Eine allein reisende, etwas ältere Radlerin ist noch Gast und zwei junge Mädels, die gerade neben ihrem Mietauto ein winzig kleines Einpersonenzelt aufstellen. Später kommt noch ein etwas älteres deutsches Paar in einem Landrover mit Dachzelt hinzu.
Ich bereite mir ein Globetrotter-Lunch-Tütenessen, zum Nachtisch gibt es eine Milka mit Smarties (hatte Claudia mir mit auf die Reise gegeben) und Tee. Um das Hafenambiente unterhalb der Felsen im schwindenden Licht filmisch zu dokumentieren, positioniere ich die GoPro auf ihrem Stativ auf den großen Steinblöcken und aktiviere die Zeitrafferfunktion. Wenige Meter weiter sitzen die beiden Mädels mit ihrem Gaskocher und bereiten sich ein Nudelgericht. Als sie mich auf die GoPro ansprechen, ergibt sich eine Konversation und letztendlich laden sie mich ein, mich zu ihnen zu setzen. Die beiden sind nun nach ihrem Abitur das erste Mal in Island und just gemeinsam den Laugarvegur gegangen. Sie berichten, dass es zu dieser Jahreszeit gar nicht mehr besonders voll war, was mich direkt ein wenig überrascht. Eine von den beiden, Lena, wird in Kürze heim nach München reisen, die andere, deren Namen ich nicht erinnere, plant noch einen mehrwöchigen Arbeitsaufenthalt auf einer Farm im Süden. In der Zwischenzeit bereisen sie nun im Mietauto die Westfjorde. Dass sie beide meinen, Island "habe etwas mit ihnen gemacht", kann ich nur zu gut verstehen, ich freue mich über diesen leisen Zauber, er mag auch dazu beitragen, dass wir uns an diesem Abend wirklich gut verstehen. Zu unseren Zelten brechen wir auf, als es dunkel ist und wir vor Kälte zittern.
Der Tramper, den ich vorhin bei meiner Einfahrt in den Ort traf, taucht auch zwischenzeitig mal auf, macht aber einen sehr zurückgezogenen und sogar sonderbaren Eindruck. Er hat kein Zelt dabei und legt sich irgendwo in die Felsen.
Schade, dass dies die letzte Begegnung dieser Art sein wird… die nächste Zeit wird für mich eher einsam - was ich im beschreibenden Sinne meine, ganz ohne negative Konnotation.
Auch heute Abend lasse ich noch lange das Zelt geöffnet, genieße es, die kühle, klare Luft einzuatmen und schaue in den Himmel. Ich freue mich, diesen heutigen Abend erlebt zu haben, auch wenn es mich zugleich ein wenig melancholisch macht, die jungen, enthusiastischen, idealistischen Menschen zu erleben, die nun gerade ins Leben hinaustreten - führt es mir doch einmal mehr klar vor Augen, wie alt ich bin…
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Sonntag, 14.09.2014
Als ich aufwache, regnet es, also drehe ich mich noch einmal um, schlafe wieder ein und stehe dann erst auf, als es gegen neun Uhr wieder trocken ist. Ich sitze am Zelt und futtere mein Müsli, da kommt der Landifahrer zu mir gestiefelt - sehr cool, Zigarette im Mundwinkel - und macht einen auf Islandkenner. Er stellt fest, wie mutig es doch von mir sei, im September mit dem Rad hier zu reisen. Aha.
Ich sage ihm nicht, dass ich schon im Februar hier war…
Nach dem Frühstück spaziere ich hinunter zum Hafen, wo ich mich in der Touristeninformation erkundige, wie es mit Bus- und Fährverbindungen im Westfjordland so ausschaut. Ich erfahre von den deutlich eingeschränkten Verbindungen von Ísafjörður nach Reykjavík und auch vom Notbetrieb der Fähre nach Stýkkishólmur. Das stellt mich vor die Frage, ob ich es mir überhaupt erlauben kann, die geplanten Abstecher nach Krossnes am Norðurfjörður und zum Kaldalón zu unternehmen.
Nach einigem Hin und Her entscheide ich mich aber doch dafür, die Krossnes-Fahrt zu wagen, und dann mal zu sehen, wie es weiter gehen kann. Krossnes liegt im äußersten Nordosten des Westfjordlandes am Ende einer ziemlich genau einhundert Kilometer langen Sackgasse. Dort gibt es nicht viel, aber die abgelegene Lage an sich macht es für mich attraktiv und auch der Umstand, dass es dort ein kleines Freibad mit Hotpot direkt am Strand gibt, ist ein Anreiz für mich. Ich plane vier Tage für die Unternehmung ein: zwei 50-Kilometer-Etappen hinein in die Sackgasse und zwei wieder hinaus. Anschließend würde ich mich westwärts orientieren, also gar nicht mehr nach Hólmavík zurückkehren. Somit ist dann voraussichtlich die nächste Einkaufsmöglichkeit in etwa einer Woche in Ísafjörður gegeben. Das bedeutet, ich muss mich am hiesigen Supermarkt gut eindecken mit Proviant für diesen Zeitraum.
Die beiden jungen Damen brechen auf, wir verabschieden uns freundlich, geben einander die besten Wünsche für unsere jeweiligen Pläne mit auf den Weg.
Als ich dann meine sieben Sachen zusammenpacke, kommt die alleinreisende Radlerin zu mir, um mich zu warnen. Sie habe von einer schlimmen Wetter- vor allem Windvorhersage gehört und meint, es sei vielleicht klug, unter diesem Umständen nicht aufzubrechen, es könne schließlich gefährlich sein. Ich weiß das grundsätzlich, hatte ja weiß Gott schon genug Kämpfe mit isländischen Winden gefochten, bedanke mich bei ihr für den Hinweis und versichere ihr, dass ich über Erfahrung und erstklassiges Equipment verfüge, so dass ich den Aufbruch verantworten kann.
Um 12:00 mache ich mich auf den Weg. Noch hält sich der Wind in Grenzen, doch wird er in der Tat im Tagesverlauf noch zunehmen. Es ist trocken und manchmal schafft es sogar die Sonne, sich durch die Wolken zu kämpfen. Ich muss eine kleine, etwas biestige Steigung überwinden, um dann wieder am Steingrímsfjörður zu radeln. Fröhlich lachend und winkend kommend mir die beiden Mädels in ihrem Auto entgegen und wenige Minuten später treffe ich schon wieder Bekannte: die drei Flecktarntypen sind mal wieder auf einem Jagdausflug. Als sie mich erblicken, halten sie gleich an. Wir halten einen kurzen Plausch, dann fahren wir unseres Weges.
Für mich bedeutet das sehr bald, dass ich die Straße 645 verlassen muss, will ich nicht die komplette Halbinsel entlang der Küste umfahren. Also hinein in die unglaublich steile Schotterstraße Nummer 643. Alter Schwede, da bleibt sogar mir die Luft weg! Isländisches Luftlinienprinzip statt sanfter Serpentinen… ja, das erlebe ich nicht zum ersten Mal! Schließlich findet aber auch diese Steigung ihr Ende, auf etwa 150 Höhenmetern erreiche ich eine herbstlich leuchtende Hochebene, die mich sehr an Jans Bilder aus Norwegen erinnert, könnte sicher so auch in der Hardangervidda aussehen.
Die Abfahrt ist super und natürlich viel zu kurz und bald rolle ich durch ein weites Tal, welches auf den Bjarnarfjörður zuläuft. Für einen kleinen Moment geht mir ein wenig der Arsch auf Grundeis, als an einem Gehöft zwei große Hunde wild kläffend auf mich zugerannt kommen und ständig versuchen, mir vor das Vorderrad zu laufen. Besonders vertrauenerweckend sehen die wirklich nicht aus! Ich fahre langsam und versuche, nicht anhalten zu müssen… In dem Moment kommt von hinten der fette Landrover mit meinem Islandspezialisten angedonnert - das finden die Köter reichlich uncool und suchen das Weite. Puh, gut gegangen!
Es folgt ein fantastischer Abschnitt - North Atlantic Cycle Route at its best! Spektakulär große Berge erheben sich zu meiner Linken. Und ich kleiner Mensch stehe daneben mit meinem Fahrrad - das ist Respekt, ja geradezu ein wenig Furcht einflößend!
Ich lasse den kleinen Ort Holmavík hinter mir und folge dem Verlauf der Ostküste. Es ist eine gut 100 Kilometer lange Sackgasse - die Landschaft und die Straßenverhältnisse werden rauer.
Unterwegs im Nordosten der Westfjorde.
Der Wind treibt mich mit Macht voran, er weht bislang zu meinen Gunsten und stets so, dass keine Gefahr von ihm ausgeht. Das ändert sich ein wenig, als ich nach einer längeren Pause an der Bucht Kaldbaksvík irgendwann auf Westkurs drehe. Von links heulen über die Berge bedrohliche Böen hinab, Staubfahnen tanzen auf der Straße, rechts fällt das Terrain steil zum Meer hin ab. Bei dieser Konstellation ziehe ich es vor, auf der linken Straßenseite zu fahren, damit mich nicht doch eine Böe den Hang hinab wirft. Immer, wenn ein Auto kommt, was zum Glück selten ist, halte ich kurz an.
Um zum nächsten Fjord zu gelangen, gilt es, den gut 250 Meter hohen Pass über den Fyrsdalsfjall zu queren - bedrohlich baut sich der Berg vor mir auf. Grau und Schwarz dominieren die Landschaft, alldem haftet ein ungemütlicher Charakter an. Bald beginnt die Steigung, auf die ich mich im Schritttempo hinaufkämpfe. Es geht unglaublich langsam voran, oft muss ich pausieren, so steil ist teilweise der Berg. Als ich irgendwann schließlich die Passhöhe erreiche und sofort die Anstrengung vergessen ist, bietet sich ein atemberaubendes Bild über den Fjord und die Berge.
Es ist einsam, nur selten begegnet mir ein Auto. Radfahrer gibt es gar nicht, ich vermute, ich bin der einzige, der jetzt noch hier unterwegs ist...
Lange halte ich jedoch nicht inne, um das Ambiente zu genießen, denn der Einbruch der Dunkelheit rückt unaufhaltsam heran und ich bin etwas in Sorge, wo in dieser Landschaft ohne Windschatten ich wohl einen sicheren Lagerplatz finden kann. Die Straße ist schlecht, so dass ich das Rad permanent abbremsen muss, als ich hinunter zum Reykjarfjörður abfahre. Nebenbei scanne ich die Umgebung nach einem geeigneten Zeltplatz ab - nichts Brauchbares will mir erscheinen. Doch dann, nach wenigen Kilometern am Fjord entdecke ich etwas oberhalb der Straße eine kleine Mulde im Moos, die gut sein könnte. Ich stelle das Rad ab, kraxele hinauf und inspiziere das Terrain. Zu meiner absoluten Überraschung stelle ich fest, dass, durch welches physikalische Phänomen auch immer, trotz tosenden Sturms in dieser kleinen Senke fast Windstille herrscht. Genial!
Der Wind wirbelt die Gischt über dem Reykjarfjörður auf und lässt auf der Straße die Staubfahnen tanzen. Da bin ich froh, diesen geschützten Platz gefunden zu haben, in meiner "Moosmulde" ist es annähernd windstill.
So wuchte ich mein Rad hoch, was ziemlich beschwerlich ist und baue mein Zelt auf. Es gibt dann Tee und Nudeln, ich schreibe SMS an meine Frau und an meinen Geocacher-Schwiegervater, der sich immer über aktuelle Aufenthaltskoordinaten freut.
Es ist trocken, aber kalt und so krieche ich in meinen Schlafsack, lasse mich auf meinem Thermarest-Kissen auf einem Felsen nieder und schaue ganz lange auf den Fjord und die Berge. Es kommen von Norden noch genau zwei Autos vorbei, deren Annäherung ich etwa eine Dreiviertelstunde verfolge - solange brauchen sie, um den Fjord auszufahren.
Ist das herrlich! Ich genieße diesen Ort und freue mich, hier zu sein. Dennoch stelle ich fest, dass ich noch immer so ein "gehetztes Grundgefühl" verspüre und dieses nicht loswerde. Eigentlich hatte ich mir doch vorgenommen, diese Fahrt ganz ruhig und bedächtig anzugehen, mich ein wenig auf das Kredo meiner frühen Reisen zu besinnen, welche ich sehr langsam angegangen bin, wollte ich doch immer lieber einen kleinen Teil einer Landschaft gründlich erkunden, anstatt gehetzt große Gebiete zu durcheilen. Wollte Pausentage einlegen, Wanderungen unternehmen, lesen, schreiben und malen; hatte mir eigens für die aktuelle Unternehmung einen neuen Aquarellkasten, Pinsel und Papier zugelegt… Aber mein Zeitkontingent ist begrenzt, der eingeschränkte öffentliche Verkehr setzt mich zusätzlich unter Zugzwang - und das unterscheidet die gegenwärtige Reise schon grundsätzlich von den frühen Fahrten, da spielte Zeit keine Rolle.
Ja, ich genieße die Landschaft und das freie Leben, doch habe ich bis zum heutigen Tag noch nicht die tiefe Magie wiedergefunden, welche mich einst so in ihren Bann zog - ehrfürchtiges Staunen vor einer Landschaft mit offenem Mund und Tränen in den Augen. Ich kann aber an dieser Stelle schon einmal etwas vorgreifen, indem ich sage, dass ich in den kommenden Tagen noch solche Momente erleben werde!
Öfter hingegen denke ich derzeit, ich müsste vielleicht mehr in meine Sesshaftigkeit investieren, mehr an Haus und Garten machen, komisch oder? Habe ich mich jetzt outdoormäßig ausgetobt? Hat meine Wildnis-Zeit nun ihr Ende? Nein, ganz so radikal ist der Umbruch sicher nicht, aber vielleicht verlagern sich die Akzente ein wenig. Liegt es am Alter? Oder daran, dass ich ja nun wirklich schon recht viel erlebt habe bei meinem "wunderbaren Leben im Freien"?
Ich schaue auf den finsteren Fjord, der Wind weht noch immer über mich hinweg, mein Hilleberg steht fast still, während ein paar Meter unter mir zu erahnen ist, wie weiterhin der Staub auf der Straße tanzt… Zeit, ins Zelt zu kriechen.
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Montag, 15.09.2014
Auch am Morgen weht unvermindert ein kräftiger Wind und die Sonne scheint, genial! Es gibt den üblichen Frühstücksmüslipamp und einen Liter chinesischen Chun Mee, dann packe ich meinen Kram zusammen. Kurz überlege ich tatsächlich, ob ich nicht einen Teil meiner Ausrüstung einfach hier lasse - bis Krossnes sind es vierzig Kilometer, da ist es ja gar nicht so abwegig, dass ich am Abend wieder hier sein könnte. Es überwiegt dann aber doch das Verlangen nach Autarkie auf der anstehenden Etappe - möchte zu keinem Zeitpunkt auf mein vollständiges Equipment verzichten. Also rolle ich voll beladen in den Tag, so verlockend ein gepäckloser Tagesausflug auch gewesen wäre.
Ich beobachte die Schaumkronen auf dem Fjord, deren Intensität tatsächlich etwas rückläufig zu sein scheint, was für weniger Wind spricht. Dennoch werde ich das Gefühl nicht los, dass das dicke Ende noch kommt, wenn ich diese Sackgasse wieder verlassen werde. Mir geht es bisweilen zu leicht voran… und die Vorstellung, einhundert Kilometer gegen bösen Wind anzukämpfen ist nur so mittelverlockend. Zwischenzeitig überlege ich sogar, ob ich, so denn sich die Gelegenheit böte, die Rückfahrt per Anhalter auf einem LKW, Pickup-Truck oder Wohnmobil vornehmen sollte, schließlich bin ich die Strecke dann ja geradelt und kann guten Gewissens meine Linie auf der Karte eintragen… Gedanken, die allerdings ohnehin müßig sind, da es quasi keine LKW, Pickup-Trucks oder Wohnmobile gibt, die mich mitnehmen könnten.
Nach einem guten Kilometer erreiche ich Djupavík, ein aus wenigen Gebäuden bestehendes Dorf am innersten Punkt des Fjords. Vor einer alten Fischfabrik aus den 1930er Jahren liegt das rostige Wrack eines alten Dampfschiffs am Ufer - es diente dereinst als Winterunterkunft für die Fabrikarbeiter.
Heute befindet sich in dem Betonbauwerk eine kleine Kunstgalerie, in den angrenzenden Häusern gibt es unter anderem auch ein Hotel. Ich mache einige Fotos vom Wrack und von der Fabrik und versuche mir auszumalen, wie es hier wohl zuging, als man hier den Hering verarbeitete…
Das rostige Wrack der M/S Suðurland an der Küste von Djupavík.
In den 1930er Jahren diente es für die Arbeiter einer angrenzenden
Fischfabrik als Wohnunterkunft.
Wrack der M/S Suðurland vor den Ruinen der alten Fischfabrik in Djupavík.
Djupavík - die alte Fischfabrik.
Dann geht die Fahrt weiter und bald drehe ich in den Wind. Die Sonne scheint, hier und da lugt mal wieder der Kopf einer Robbe aus dem Meer, es ist so mild, dass ich ohne Jacke fahren kann. Zwölf Kilometer Genussradeln sind angesagt; die Küste ist unglaublich schön, der Verlauf der Straße ein wildes Auf und Ab mit bis zu 14%igen Steigungen bzw. Gefälleabschnitten. Die Piste ist voller Schlaglöcher, so dass ich stets auf der Hut sein muss, nicht zu schnell zu werden.
Weiter geht die Fahrt entlang des Reykjarfjörður, noch immer befinde ich mich nicht am Ende der Sackgasse (Straße 643).
Dramatisches Lichtspiel über dem Reykjarfjörður.
Ein Hauch von Grün in der ansonsten von Braun und Grau dominierten Physiognomie der Landschaft.
Schließlich erreiche ich die Spitze der Landzunge, die auch den Namen Reykjanes trägt. Nun ändert sich meine Fahrtrichtung zunächst auf Nord, dann auf West, was bedeutet, dass ich wieder ungemütlich in den Wind drehe. Dadurch, dass es sich nun auch der Himmel verfinstert, wird es schlagartig empfindlich kühl. Die Landschaft ist weit, bietet dem Wind kein Hindernis und erlaubt dem Blick, die ganze Bucht bis zur Halbinsel Krossnes einzusehen. Und obschon das hier nun weiß Gott ein abgelegener Winkel ist, so habe ich gar nicht so ein "Am Arsch der Welt-Gefühl". Ich halte kurz an, ziehe meine Jacke über und stärke mich mit einem Müsliriegel für die verbleibenden Kilometer.
In Norðurfjörður, so der Name des winzigen Ortes (einige versprengte Häuser und ein kleiner Hafen) entdecke ich sogar zwei "offizielle Campingplätze", die ich jedoch zunächst links liegen lasse. Um ziemlich genau 14:00 erreiche ich nach gut drei Stunden Fahrt mein Ziel: das kleine Schwimmbad etwas unterhalb der Straße.
Dieses kleine Schwimmbad - Krossneslaug - ist mein Ziel.
Ich genieße dort eine heiße Dusche und ein Bad im warmen Wasser,
bevor ich mich wieder auf Südkurs begebe.
Da ich hungrig bin, suche ich mir zunächst ein halbwegs windgeschütztes Plätzchen, um ein Mittagspicknick einzunehmen. Besonders gemütlich ist das jedoch nicht, so dass ich mich wirklich auf den kleinen Badegang freue. Das Eintrittsgeld werfe ich in eine dafür aufgestellte Blechdose und begebe mich dann in das Becken, in welchem außer mir nur ein junges Pärchen vor sich hin dümpelt. Leider ist weder das Hauptbecken, noch der Hotpot besonders heiß, so dass ich den Außenbereich nach kurzer Zeit wieder verlasse. Dafür genieße ich dann ausgiebig und lange die Dusche, die wirklich herrlich ist. Nach mehreren Tagen der Feuchttuchwascherei tut das unglaublich gut.
Nun geht es also auf dem gleichen Weg gut 100 Kilometer zurück...
Etwas planlos verlasse ich kurz vor vier Uhr den Ort und drehe hinein in den Wind. Soll ich einen der Campingplätze ansteuern? Unterwegs irgendwo wild campieren? Nach kurzer Zeit stelle ich dann fest, dass ich gar nicht mehr besonders viel Wasser (ungefähr einen Liter) an Bord habe, was dann auch die Entscheidung begünstigt, als Ziel wieder "meine Moosmulde" anzusteuern. Ich habe gute Beine, so dass mich der etwas böse Wind nicht stört. Die Bewölkung lockert wieder etwas auf, so dass die Sonne des späten Nachmittags die Landschaft in ein zauberhaftes Licht taucht. Die Tatsache, dass ich weiß wo ich hin soll und wo ich Wasser bekomme (am Wasserfall in Djupavík) beruhigt mich sehr, so dass ich ganz entspannt in die Pedale treten kann.
Die Fahrt entlang des Fjords ist Hochgenuss, trotz des Windes. Und auch, als auf den letzten Kilometern vorübergehend ein paar Tropfen Regen fallen, schmälert das nicht den Genuss.
Bald steht dann mein Zelt wieder an vertrauter Stelle und schon zum Essen ist es wieder trocken. Lange blicke ich auch heute Abend wieder in den Sternenhimmel, ein Polarlicht entdecke ich jedoch leider nicht…
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Dienstag, 16.09.2014
Es fällt mir heute schwer, mich zu motivieren, den Schlafsack zu verlassen, was vornehmlich an der bevorstehenden Gegenwindetappe liegt.
Als ich dann allerdings doch irgendwann den Reißverschluss öffne, erwartet mich ein grandioser Ausblick: kaum Wolken am Himmel, die Sonne scheint, alles leuchtet. Schlagartig ändert sich meine Stimmung, ich habe Hummeln im Hintern und freue mich auf den Tag.
Am Morgen ist der Himmel wolkenlos, die Luft klar und die Landschaft leuchtet förmlich. Euphorisch gehe ich in den Tag, fühle mich nach durchaus strapaziösen Momenten in den vergangenen Tagen versöhnt mit der rauen Umgebung.
Was für ein Morgen! Da stört es auch überhaupt nicht, dass ich schon nach kurzer Fahrzeit einen steilen Anstieg auf gut 200m zu bewältigen habe.
Halb elf ist es, als ich nun zum zweiten Mal meine Moosmulde verlasse und die Etappe beginne. Wie ich es erwartet habe, muss ich mich nach wenigen Kilometern wieder den kleinen 250m-Pass hinaufarbeiten, was allerdings schnell erledigt und eingedenk der großartigen Rahmenbedingungen sogar fast eine Freude ist. Sicht und Licht sind weiterhin grandios, unter mir liegt der nächste Fjord, von den Bergen oberhalb rauscht ein langer Wasserfall hinab. Vor lauter Fotografiererei komme ich kaum voran und pausiere dann auch noch ein kleines Weilchen am Wasserfall. Aus meiner Schoko- und Müsliriegeltasche angele ich einen Lion - den habe ich bei den Fahrten in den 1990ern schon gerne mit Birgit genossen, wir stimmten dann immer Hendrix' "Wild Thing" an, da dereinst ein Werbeclip für den Riegel mit dieser Musik unterlegt war. Für Birgit mache ich an diesem schönen Ort ein Foto von dem Lion…
Die Schönheit der Landschaft, das Licht - alles ist perfekt, da ist sie nun wieder, die isländische Magie! Das sind jene Momente, in welchen Glück mich durchströmt, für die sich all die Schinderei (und manchmal auch die Flüche) gelohnt haben!
Auf der Höhe des kleinen Passes pausiere ich, futtere Schokoriegel, mache Fotos und genieße den Ausblick.
Lonesome rider.
Für viele Kilometer geht es gut, das Vorankommen ist einfach, das Rad rollt fast von allein. Lange hält der Genuss an.
Und ich konstatiere es nicht zum ersten Mal, Island ist ambivalent, Island polarisiert; als ich allmählich immer weiter in Richtung Südwest drehe, verspüre ich wieder die zermürbende Kraft des Windes, welcher mir ins Gesicht weht. Mühselig kämpfe ich mich nun Meter um Meter voran, das Heulen und Rauschen in den Ohren ist nervtötend…
Es ist 15:00, als ich bei Kilometer 40 eine ausgiebige Pause im Windschatten der Böschung einlege. Wenig später, gut gestärkt und physisch sowie mental etwas erholt, verlasse ich den Barnarfjörður und setze die Fahrt ins Landesinnere fort. Mit etwas Sorge erwarte ich den Bauernhof, an welchem mir vorgestern die beiden Hunde nachstellten - und auch dieses Mal setzen sie schon zum Sprint in meine Richtung an - werden dann aber von ihrem Besitzer zurückgepfiffen. Glück gehabt. Mistviecher.
Kurz darauf geht es dann wieder hinauf auf die schöne Hochheide, 150 Höhenmeter, teils recht steil, aber durchweg gut fahrbar. Weiterhin ist kein Wölkchen am Himmel, ist das herrlich!
Ich muss feststellen, dass es überhaupt kein Problem war, die einhundert Kilometer nach Krossnes doppelt gefahren zu sein. Im Nachhinein freue ich mich, dass sich in Ermangelung einer Mitfahrgelegenheit die Frage gar nicht ernsthaft stellte, den Rückweg nicht selbst zu radeln. Und da ich nun in Gegenrichtung fuhr, alles also aus einer völlig anderen Perspektive sah, kam es mir eigentlich fast so vor, als sei ich dort nie gewesen. Und trotz der zermürbenden Windpassagen kann ich jetzt schon sagen, dass dies eine der ganz besonders schönen Etappen dieser kleinen Reise ist.
Von der kleinen Hochebene geht es dann auf der Straße 643 steil hinab, wieder herunter zum Steingrímsfjörður, all das sind geradezu vertraute Wege für mich. Schließlich erreiche ich den Abzweig in Richtung Ísafjörður - es ist die Hauptstraße 61. Verkehr gibt es allerdings zu dieser Zeit so gut wie keinen, quasi alleine rolle ich in das gleißende Sonnenlicht genau nach Westen. Es ist ein flach aus den Bergen abfallendes Tal, durch eine weite Graslandschaft schlängelt sich, mal breit, mal schmal, ein munteres Gewässer. Langsam rolle ich hinauf und beinahe unbemerkt erarbeite ich mir noch 80 Höhenmeter. Bei Kilometer 71 stelle ich in den holprigen Wiesen mein Zelt auf. Ich muss sagen, ich bin nach der heutigen Etappe ein wenig erschöpft, um so mehr freue ich mich, so ein schönes Fleckchen gefunden zu haben.
Der Tag bleibt klar und licht. Bald nun wird die Sonne hinter den Bergen versinken, ich werde dann auf meinem Thermometer zusehen, wie die Temperatur bis auf Null Grad Celsius absinkt. Ich verkrieche mich in meinen Schlafsack, blicke in den Sternenhimmel und schlafe darüber ein...
...bis ich zwei Stunden später wieder aufwache - und am Firmament ein unglaubliches Nordlichtspektakel erblicke!
Bald verschwindet die Sonne hinter den Bergen, umgehend wird es empfindlich kühl, ja, ich kann buchstäblich zusehen, wie das Thermometer bis auf 0°C abfällt. Sternenklar und wolkenlos ist der Abend, kaum ein Auto kommt auf der Straße vorbei. Ich schlafe - gut eingepackt - nach dem Essen bei offenem Zelt ein. Als ich zwei Stunden später wieder aufwache, blicke ich in einen Himmel voller Polarlichter - unglaublich! Ich raffe mich auf, trotz der Kälte die Kamera startklar zu machen, habe heute Abend jedoch nicht so viel Ausdauer, was das Fotografieren angeht. Neben der Tatsache, dass ich unglaublich müde bin und es a…kalt ist, spielt noch eine Rolle, dass mein relativ kleines Stativ kaum in der außerordentlich unebenen Wiese vernünftig aufzustellen ist. Genieße ich das fließende Licht am Firmament eben "nur so"!
Was für ein ambivalenter, was für ein großartiger Tag das doch war!
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Mittwoch, 17.09.2014
Um punkt acht Uhr bin ich wach, viel Kondenswasser hat sich unter dem Außenzelt gesammelt. Es ist mit 8°C wieder richtig warm geworden, der Wind hat gedreht und Wolken bedecken den Himmel. Ich muss während meines Frühstücks daran denken, dass in Kiel heute der letzte Examenstag der aktuellen Schüler stattfinden wird - mündliche Prüfungen und Verkündung der Ergebnisse beim Festakt in der Akademie (an welcher ich als Freigestellter Praxisanleiter an der Ausbildung von angehenden Krankenschwestern und Pflegern beteiligt bin). Schon etwas schade, nicht dabei zu sein, doch die Reise geht natürlich vor.
Gut eineinhalb Stunden später sitze ich auf dem Rad und rolle an den Berg. Nur wenige hundert Meter weiter erblicke ich ein großes Schild, welches über den bevorstehenden Pass informiert: auf 439 Metern wird der höchste Punkt erreicht sein. Gut, dass ich das gestern Abend nicht mehr gesehen habe, denke ich mir!
Mein heutiger Frühsport besteht also im Bewältigen einer Höhendifferenz von 360 Metern und das auf einer Strecke von ziemlich genau fünf Kilometern. Es weht ein eiskalter Wind, eine winterlich anmutende Sonne wirft ihr fahles Licht durch eine dünne Wolkendecke. Als ich schließlich oben ankomme, sind es nur noch 5°C. Ich sehe mich veranlasst, meine Handschuhe aus den Packtaschen hervorzuholen und auch meine Regenjacke noch zusätzlich überzustreifen.
Das Landschaftsbild ist karg, die Vegetation spärlich, es ist ein winterlich-trostloses Szenario. Mir kommen Bilder der Nordseeküstenfahrt vor wenigen Wochen in den Sinn - das ist doch noch gar nicht lange her! Ich muss vor allem an die idyllische Etappe von Edinburgh nach Innerleithen denken, liebliche Hügel in warmem Abendlicht, ein Fotoshooting mit den Kindern am Fluss, die Füße im sprudelnden Wasser. Und nun stehe ich hier in der Kälte, welch ein Kontrast! Dennoch genieße ich dieses spezielle Ambiente. Bedingt durch den Umstand, dass ich hier weit und breit der einzige Mensch bin (nur sehr selten kommt mal ein Auto vorbei), verleiht der Szene etwas Surreales.
Es folgt eine ganz sanfte, lange Abfahrt zum Fjord hinab - das ist mir deutlich lieber, als ein rasanter Höhenmeterverlust, so habe ich wesentlich länger etwas davon. Als ich schließlich unten ankomme, bin ich durchgefroren.
Etwas wehmütig lasse ich dann den Abzweig nach Kaldalón "links" (also eigentlich rechts) liegen und rolle an den Ísafjörður. Gerne hätte ich dieser Lagune einen Besuch abgestattet, wäre zum Drangajökull hinaufgewandert - da ich jedoch kaum einschätzen kann, was da auf der sonstigen verbleibenden Strecke auf mich zukommt an Steigungen oder Stürmen, verzichte ich auf diesen Abstecher. Hätte mich zu sehr unter Druck gesetzt.
Ich erreiche bei etwas dunstigen Verhältnissen den Ìsafjörður, einen Seitenarm des Ìsafjarðardjúp. Auch hier: verlassene Gebäude.
Typische Pausenverpflegung: Käsebrot, Schokokekse und Tee.
Um 13:00 habe ich schon vierzig Kilometer in den Beinen, Zeit für eine Pause. Mal wieder finde ich eine Sitzbank mit Tisch am Wegesrand, die zum Verweilen einlädt. Der Charakter der Landschaft hat sich westlich des Passes grundlegend geändert, es ist, als wäre ich in einer völlig anderen Welt gelandet. War der östliche Teil, den ich in den vergangenen Tagen bereiste, wild, schroff und bisweilen von düsterem Gepräge, so dominieren hier nun weiche Formen: weit geschwungene Bergrücken, grüne Wiesen, sanft abfallende Hänge. Hinzu kommt, dass die Landschaft in einen feinen Dunst gehüllt ist, das Licht daher diffus leuchtet, ohne Schatten zu werfen. Wind regt sich nicht mehr, einsam ist es ohnehin, Stille liegt über Hügeln und dem langen, friedlichen Fjord. Ab und zu folgen mir die neugierigen Blicke einer Robbe, die ihren Kopf aus dem Wasser reckt.
Als Tagesziel habe ich den "Ort" Reykjanes (…mal wieder ein Reykjanes…) angepeilt. Auf der Karte ist ein Campingplatz eingezeichnet, ich lasse mich dazu verleiten, mich auf eine behagliche Infrastruktur zu freuen - Elektrizität, um die Akkus der Kameras und des Smartphones aufzuladen, vielleicht ein WLAN, um mal wieder Facebook, WhatsApp und die Email-Accounts zu checken und möglicherweise sogar reisende, radreisende Menschen zu treffen?!
Bei Kilometer 70 erreiche ich das Nest und muss dann enttäuscht feststellen, dass ich Behaglichkeit oder gar andere Reisende hier nicht finden werde. Reykjanes besteht eigentlich nur aus einem großen, in die Jahre gekommenen Hotel-Betonklotz, von dem die Farbe abblättert, einem ebenfalls wenig einladenden Pool und einer Zapfsäule. Die Wiese vor dem Hotelgebäuse soll wohl der Campingplatz sein. Ich muss nicht lange überlegen, um mir darüber im Klaren zu sein, dass ich hier nicht bleiben mag.
Also fülle ich nur eben die Trinkflaschen auf und setze meine Fahrt fort. Ich sehe, es sind noch etwa 130 Kilometer bis Ísafjörður, also beschließe ich, die 100 heute noch voll zu machen. So kann ich eventuell morgen sogar schon Ísafjörður erreichen und hätte dann Freitag einen Ruhetag - oder zumindest könnte dann die Freitagsetappe sehr kurz werden.
Gegen sechs Uhr finde ich einen Platz für mein kleines Zelt inmitten eines alten, zum größten Teil von Moos überwucherten Geröllfeldes. In der Tat bin ich froh, dass das Zelt sooo klein ist, das macht es gerade in derart schwierigem Terrain immer möglich, irgendeine Nische zu finden. Bin schon wieder ganz schön k.o., was mich echt wundert, besonders anstrengend war es doch eigentlich nicht heute.
Auch am Abend bleibt es windstill und ein wenig dunstig. Ich mache es mir in meinem Schlafsack auf dem Thermarest-Sitz vorm Zelt gemütlich, koche Nudeln, futtere Schokolade und blicke hinaus auf das glatte Wasser des Ísafjarðardjup, die Bucht Kaldalón und den Gletscher Drangajökull an der Nordseite des Fjordes.
Während ich die allabendliche SMS an Claudia verfasse, kommt irgendwann das Postauto vorbei und auch der Samskip-LKW, der Waren nach Ísafjörður bringt… Genau wie gestern Abend - denn auch, wenn mein Lagerplatz nun um 100 Kilometer versetzt ist, so ist die Straße noch dieselbe - und Abzweigungen gab es seither nicht wirklich. Täglich grüßt das Murmeltier.
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Donnerstag, 18.09.2014
Ich wache zeitig auf und finde das gleiche, beinahe monochrome Bild vor: spiegelglatte See, der Gletscher im Dunst, so gut wie kein Autoverkehr. Der Windstille folgt die akustische Stille, das Licht ist noch immer diffus-gedämpft. Mir kommt das alles irgendwie unwirklich vor.
Doch es ist eine schöne Unwirklichkeit, in welcher ich dann gemütlich mein Müsli verspeise und den Kwai Flower Oolong schlürfe - gut eingepackt in den Schlafsack.
Um halb zehn bereits sitze ich im Sattel und beginne die Fjordetappe, welche mit knapp 120 Kilometern das längste Teilstück dieser Unternehmung werden wird. Es bleibt windstill und, wie es bei Fjordfahrten so ist, sehe ich oft schon Stunden im Voraus, wo ich später entlang radeln werde… Skötufjörður, Hestfjörður, Seyðisfjörður, Àlftafjörður, Skutulsfjörður. In Luftlinie ist mein Tagesziel übrigens nur 20 Kilometer entfernt!
Entspannt trete ich auf der Küstenstraße in die Pedale, zwischenzeitig fühle ich mich auf die Färöer Inseln oder ins norwegische Fjordland versetzt: es gibt Abschnitte, da rauscht alle paar Meter ein kleiner Wasserfall über die Grashänge hinab, wirklich schön anzusehen!
Auf meiner Facebook-Seite fand sich zu diesem Bild der folgende Kommentar:
W: "Und was machen wir morgen Abend?"
S: "Das Gleiche, was wir jeden Abend tun... Wir versuchen, die Weltherrschaft an uns zu reißen!"
Wasserläufe am Ìsafjörður.
Wasserläufe am Ìsafjörður.
Am innersten Punkt eines jeden Fjords mache ich ein Foto vom Fjord-Namensschild und futtere Kekse oder Müsliriegel. Eine ganze Weile kann ich weit unter mir einen Mann in einem kleinen Boot beobachten, der mit dem Gewehr immer mal wieder ins Wasser schießt - der Widerhall des Schusses pendelt durch die weite Landschaft. Auf was er zielt und ob er etwas trifft, lässt sich nicht erkennen. Recht seltsam finde ich das.
Ein kleines Highlight am Wegesrand ist die "Robbenversammlung" an der Landzunge zwischen Skötufjörður und Hestfjörður: eine ganze Reihe der sympathischen Meeresbewohner tummeln sich vor der Küste, räkeln sich auf den Felsen, tauchen auf, tauchen ab. Ich konnte sogar beobachten, wie einer von ihnen "auf Delfin macht" und ganz elegant im Bogen aus dem Wasser springt - das habe ich bei Robben noch nie gesehen!
Regelmäßig erblicke ich diese freundichen Tiere - entweder sie recken nur einmal kurz ihren Kopf aus dem Wasser und werfen einen neugierigen Blick herüber - oder sie winken nett :-)
Ich freue mich auf Ísafjörður, denke, wenn ich die Segnungen der Zivilisation schon nicht im maroden Reykjanes genießen konnte, so wird es in der Hauptstadt der Westfjorde doch sicher möglich sein… Elektrizität, WLAN, ein Ruhetag vielleicht in der Gesellschaft anderer Reisender, womöglich gar Radreisender? Nach den langen Etappen gestern und heute einfach mal das Zelt stehen lassen und nicht direkt weiterfahren… Na, schauen wir mal.
Bevor ich an den Àlftafjörður gelange, gilt es, eine gut hundert Meter hohe Steigung zu bewältigen. Oben angekommen finde ich einen kleinen Rastplatz vor, schöne Gelegenheit für eine ausgiebige Mittagspause. Auf der anderen Seite des Meeresarms kann ich den Ort Suðavík ausmachen, welcher 1995 zu trauriger Bekanntheit kam, als eine Lawine mehr als ein Viertel aller Häuser zerstörte und viele Menschen in den Tod riss. Die Gebäude wurden an anderer Stelle wieder errichtet, so dass der Ort sich heute zweigeteilt darstellt.
Weiter geht die Fjordfahrt, bis ich einige Kilometer vor Ísafjörður mal wieder an eine Vegagerðin-Webcam gelange. Trotz leichten Nieselregens denke ich, nun muss ich es endlich mal ausprobieren: ich stelle mich vor die Kamera und rufe meine Frau in Deutschland an. Wie immer, ist ihr Laptop eingeschaltet und doch dauert es einen Moment, bis ich sie auf die richtige Seite zur richtigen Webcam dirigiert habe. Es stellt sich dann noch heraus, dass die Kameras nicht kontinuierlich Bilder übertragen, sondern nur alle paar Minuten ein neues Bild ins Web stellen. Wie auch immer, irgendwann sieht sie mich auf dem Bildschirm und kann einen Screenshot anfertigen - ganz schön albern eigentlich, aber was soll's!
Einige Kilometer, bevor ich die kleine Stadt Isafjörður erreiche, komme ich mal wieder an einer der zahlreichen Vegagerdin-Webcams vorbei.
Schon manches Mal hatte ich die alberne Idee, heute realisiere ich sie: ich rufe meine Frau an, um ihr über diese Kamera zuzuwinken...
Es dauert eine Weile, bis ich sie telefonisch zur richtigen Webcam dirigiert habe, dann aber gelingt das Unterfangen und es entsteht dieser Screenshot...
Nach dieser bekloppten Aktion ist dann bald Ísafjörður erreicht: nähert man sich der Stadt so wie ich von Osten, so gelangt man zunächst zum Flughafen - die Piste ist ins Wasser gebaut - um dann den Fjord auszufahren und schließlich am Westufer das Stadtzentrum zu erreichen. Lediglich 2.500 Einwohner zählt diese abgelegene "Metropole", in der ich nun den Campingplatz suche… was natürlich nicht lange dauert und mich zu einem trostlosen, menschenleeren Areal inmitten des zentrumsnahen Hafengebiets führt. Hier werde ich wohl nicht bleiben können! Da auch die Touristeninformation zu dieser Stunde bereits geschlossen hat, entnehme ich dem Reiseführer, dass es beim nicht weit entfernten Hotel Edda die Möglichkeit zum Campieren gibt - doch auch das stellt sich als wenig geeignet heraus, denn es gibt dort keine Sanitäranlagen, wie ich erfahre.
Gut, soviel also zu meiner Vision von einem entspannten Ruhetag. Bleibt mir nur noch die Variante, den Ort wieder zu verlassen und zurückzufahren: drei Kilometer vorher hatte ich noch ein Hinweisschild auf einen etwas abseits der Hauptstraße gelegenen Campingplatz gesehen. Auch diesen finde ich geschlossen vor, Rezeption zu, Sanitärgebäude zu, Wasser überall abgedreht - man stellt sich auf den Winter ein!
Mich hält das aber nicht davon ab, hier an diesem eigentlich recht einladenden Ort mein Soulo auf eine von Hecken und Sträuchern umsäumte Wiese zu stellen. Ganz in der Nähe, am Berghang, sprudelt ein Bach, so dass meine Trinkwasserversorgung gesichert ist - und irgendwo im weitläufigen Gestrüpp am Berg ist sicher eine Toilette versteckt…
Später verirren sich noch zwei deutsche Mädels mit ihrem Leihwagen hierher, sie stellen ihr Zelt ganz in der Nähe auf und berichten, dass sie schon seit geraumer Zeit auf geschlossene Plätze stoßen, es jedoch nie ein Problem war, dort dennoch sein Lager aufzuschlagen.
Mittlerweile hat es sich eingeregnet, so dass ich nicht mehr motiviert bin, noch einmal zum Einkaufen in die Stadt zu fahren. Die Stimmung ist etwas geknickt ob der allgemeinen Trostlosigkeit, während ich mir Nudelreste koche… Mal sehen, was die nächsten Tage so bringen…
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Freitag, 19.09.2014
Es regnet die ganze Nacht, es regnet am Morgen. Bin etwas geknickt und insgesamt demotiviert. Was tun? Tee kochen, Müsli bereiten, Lesen im Reiseführer…
Gegen zehn Uhr mache ich mich dann trotz Schietwetter auf den Weg in die Stadt. Ich bringe Ansichtskarten zur Post, erledige einen kleinen Großeinkauf, besorge mir an der Tankstelle noch eine Gaskartusche (die ich letztendlich nicht benötigen und dann in Reykjavík an der Jugendherberge lassen werde).
Ich suche die Touristeninformation auf, wo ich von einem extrem netten Mitarbeiter erfahre, dass die Fähre von Brjanslækur nach Stykkishólmur nur sonntags und dienstags verkehrt und dass eine Reservierung erforderlich ist. Eigentlich ist das eine Verbindung, die ganzjährig täglich bedient wird, doch muss das Schiff, welches normalerweise hier eingesetzt wird, zurzeit die Linie zu den Vestmänner-Inseln bedienen, da wiederum der für die Strecke vorgesehene Fährneubau aus Norwegen nicht rechtzeitig geliefert wurde… Ringtausch.
Das schränkt mich natürlich in meiner Planung erheblich ein, ich bin mir nämlich alles andere als sicher, inwiefern ich die etwa 130 Kilometer nach Brjanslækur bis übermorgen bewältigen kann - einige der bösesten Pässe der Westfjorde liegen auf dem Weg und ich muss ja immer mit Wind rechnen… Die Wettervorhersage lässt allerdings für morgen sonnige und ab Sonntag dann regnerische Bedingungen erwarten.
Ich verlasse die Touristeninformation, suche mir ein nettes Café und zermartere mir bei Kaffee und Zimtkuchen das Hirn, wie es weiter gehen kann. Folgende Optionen wäge ich ab:
1.) ich nehme heute um 16:00 den Bus und fahre nach Reykjavík,
2.) ich bleibe in Isafjörður, unternehme morgen hier einen Tagesausflug (Wanderung, Radtour nach Bolungarvík oder so) und fahre dann nach Reykjavík oder
3.) ich radele in den Süden, nehme Dienstag die Fähre, bin dann aber erst am Mittwoch in der Hauptstadt.
Schließlich mache ich mich abermals auf den Weg zur Touristeninformation, denn ich habe nun den Entschluss gefasst, weiterzufahren und zwar noch heute. Eingedenk der Wetteraussichten werde ich heute und morgen so weit fahren, wie ich komme, um die Sonne auszunutzen.
Vermutlich hätte ich mich ansonsten noch ewig darüber geärgert - und was soll ich auch eine Woche in Reykjavík rumhängen, was für eine abwegige Idee eigentlich. Ich bitte den freundlichen Mitarbeiter darum, für mich eine Fährreservierung für den kommenden Dienstag vorzunehmen, lasse mir zur Sicherheit aber auch die Nummer der Fährgesellschaft geben, man kann ja nie wissen…
An einem PC habe ich dann die Möglichkeit, kostenlos ins Internet zu gehen, was ich nutze, um bei Facebook reinzuschauen (Jan hat gerade einen Haufen Bilder von seiner letzten Hardangervidda-Wanderung reingestellt), um kurz die Nachrichten bei spiegel-online zu überfliegen (just haben sich die Schotten in einem Referendum gegen die Unabhängigkeit entschieden, was ich sehr begrüße), um einmal mein UKSH-Postfach einzusehen und auch die sonstigen privaten Mails zu überfliegen. Apropos fliegen: an Norðurflug sende ich eine Mail, dass ich am 24.09. nicht werde fliegen können, da ich dann noch nicht wieder in Reykjavík sein werde. Auch mache ich mir ein Bild von der aktuellen Lage am Vulkan: weiterhin Bebenaktivität, weiterhin munteres Lavageblubber - klasse!
Wie so oft, wenn ich dann mal einen Entschluss gefasst, einen Plan gemacht habe, geht es mir gleich viel besser. Hinzu kommt, dass nun am frühen Nachmittag auch das Wetter freundlicher wird. Ich mache mich also mit meinem schweren Einkauf auf den Weg zum Zelt, packe zusammen und bin schließlich um kurz nach drei auf der Straße.
Südlich von Isafjörður erwartet mich eine sechs Kilometer lange Tunnelfahrt. Kein sonderlich spaßiges Unterfangen.
Diese führt direkt an den Berg: etwa 100 Meter oberhalb von Isafjörður bohrt sich ein langer Tunnel in den Berg, durch den ich durch muss, will ich denn nach Süden. Die alte Straße, welche über die Berge führte, bevor der Tunnel existierte, wird nicht mehr gewartet und ist laut Reiseführer nicht einmal mehr für Radler zu benutzen. Somit habe ich keine Wahl. Also rein da! Sechs Kilometer liegen vor mir, nach den ersten tausend Metern überkommt mich mal wieder ein Anflug von Panik, mir wird fast schwindelig, als ich an all das Kohlenmonoxid um mich herum denke. Quatsch, Heiko, stell Dich nicht so an, der Tunnel wäre niemals für Radler freigegeben worden, würde die Ventilation nicht für tolerable CO-Konzentrationen sorgen. Also Ruhe bewahren und immer weiter in die Pedale treten. Es gelingt mir schließlich, meine Panik niederzuringen. Nach zwei Kilometern gabelt sich die Straße im Berg, ich biege links ab in Richtung Flateyri. Die Röhre ist durchweg gut beleuchtet, Autos sind stets schon von weit her zu hören, sie schieben ihre Schallwelle vor sich her, was ziemlich laut ist. Ich fahre mit Licht und habe zusätzlich noch meine Reflektor-Weste übergestreift - sollte ich dieses Unterfangen also überleben…
Und so ist es dann auch, nach sechs Kilometern spuckt mich der Berg dann wieder aus. Mein GPS zeigt nun 173 Höhenmeter an, habe ich im Berg also einiges an Höhe gewonnen! Und wieder einmal habe ich das Gefühl, in einer komplett anderen Welt gelandet zu sein. Eben noch das quirlige Städtchen, nun eine einsame, friedliche Fjordwelt mit versprengten Gehöften und vielen Schafen. Die Berge sind teils von hochalpiner Anmutung, Verkehr gibt es kaum. Es ist dunstig, aber trocken, ein leichter Wind weht aus Westen, während ich mich durch die Landschaft bewege. Ein 270er Berg stellt sich mir noch in den Weg, der ist jedoch leicht zu nehmen.
In der einsetzenden Dämmerung erreiche ich gegen 19:00 die kleine, etwa 300 Seelen zählende Ortschaft Þingeyri. Der Campingplatz liegt neben dem Schwimmbad, etwas abseits der Hafenanlagen, da, wo man ihn eigentlich nicht vermuten würde. Nur ein kleines Wohnmobil steht auf der windgeschützten Wiese, später trifft noch ein junges Paar mit einem PKW ein. Es gibt ein WC und Waschbecken mit fließendem Wasser, das ist doch schon mal was!
Anmeldung und Duschen wären im Schwimmbad, dieses hat allerdings geschlossen. Bin mal gespannt, ob morgen jemand kommt, um die Gebühr zu erheben.
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Samstag, 20.09.2014
Guter Dinge öffne ich zeitig am Morgen den Zeltreißverschluss. Die Sonne lässt zwar noch auf sich warten, aber immerhin ist es trocken und nicht allzu windig. Ich muss an Claudia denken, die heute mit geplant 17 Teenie-Mädels den Geburtstag meiner Tochter nachfeiern wird. Auch wenn das sicher ein anstrengendes Event ist, so wäre ich da doch ganz gerne dabei gewesen. Nun ja, man kann nicht alles haben.
Ich bin gerade mit meinem Frühstück fertig, da kommt eine Dame mittleren Alters vorbei und sammelt das Übernachtungsgeld ein. Ich erkundige mich nach den Öffnungszeiten des Schwimmbads, da ich gerne mal wieder geduscht hätte. Sie teilt mir mit, dass das Bad heute geschlossen bleibt, hält dann kurz inne und bietet mir schließlich an, ich könne jetzt direkt mit ihr mitkommen, sie würde im Schwimmbad arbeiten und habe dort nun zu tun. Es wäre möglich, dass sie mir die Duschen aufschließt - ein Angebot, welches ich gerne annehme. Binnen einer Minute habe ich meine Sachen zusammen und begleite sie.
Welch eine Wohltat! Die letzte Dusche konnte ich in Krossnes genießen, so dass ich sehr dankbar bin.
Auch wenn ich weiß, dass heute viele viele Höhenmeter (im Nachhinein ermittele ich derer über 1600) auf mich warten, so bin ich doch guter Dinge und freue mich auf die bevorstehende Etappe. Meine Wasserzuladung habe ich auf eine Flasche beschränkt, möchte nicht unnötiges Gewicht die Berge hinaufschleppen. Und ich habe keinen Zweifel, dass ich Abend irgendwo Wasser bekommen werde.
Auch leichter Nieselregen, welcher einsetzt, als ich um zehn vom Campingplatz rolle, stört mich nicht. Kurz hinter dem Ortsausgang führt eine lange Rampe den Berg hinauf, Asphalt werde ich bis zum Abend nicht mehr unter die Reifen kriegen, die Straße ist durchweg eine mehr oder weniger brauchbare Schotterpiste. Es folgt ein Abschnitt, auf dem sie gerade neu gemacht wurde - dieser muss wohl erst noch festgefahren werden, was zu schlammigen und somit für den Radler suboptimalen Verhältnissen führt. Nach einigen Kilometern ist das aber auch schon wieder vorbei, doch dann geht es bereits an den nächsten Anstieg, von dem mein Reiseführer behauptet, es sei mit etwa 550hm der höchste und anstrengendste Pass im ganzen Westfjordland. Nun ja, langsam aber sicher schraube ich mich hinauf, Kurve um Kurve geht es voran. Es ist ein wenig anstrengend, aber immer fahrbar.
Zu einem etwas ärgerlichem Ereignis kommt es bei Höhenmeter 400: ein entgegenkommender Geländewagen hält etwa hundert, vielleicht hundertfünfzig Meter vor mir an, heraus springt ein Kerl mittleren Alters, behangen mit fetten Spiegelreflexkameras und Teleobjektiven. Umgehend beginnt er, mich ins Visier zu nehmen. Mir gefällt das nicht, so dass ich ihm winkend signalisiere, er möge das bleiben lassen. Das interessiert diesen Hornochsen jedoch nicht die Spur, er knipst munter weiter. Als ich ihn erreiche, pampe ich ihn an, dass er gefälligst zu fragen habe, wenn er meint, mich fotografieren zu wollen (ich hätte ja noch nicht einmal etwas dagegen, mich stört einfach diese Selbstverständlichkeit). Mit eiskalter Ignoranz und in überheblichem Ton erwidert er nur, er befände sich in öffentlichem Raum, er könne fotografieren, was er wolle "I am a professional photographer, I know my rights…". Was für ein Arschloch.
Ich ärgere mich nachhaltig über diesen Kerl und ein wenig ärgere ich mich auch über mich, dass ich nicht schlagfertiger reagiert habe. Im Nachhinein fallen mir natürlich noch tausend mögliche Formulierungen ein. Nun ja.
Mit ordentlich Adrenalin im Blut fliege ich die letzten 150 Höhenmeter nur so hinauf, tauche bald ein in dichten Nebel, nur selten kommt mal ein Auto vorbei, oft sind es Touristen und so gut wie immer wird mir freundlich zugewunken.
Auf der Passhöhe weist mein GPS 538 Meter Höhe aus, Zeit für ein paar Fotos im Nebel und für einen Schokoriegel. Passenderweise gibt es eine Toblerone, das Matterhorn-Logo korrespondiert doch bestens mit meinem Berggipfel!
Der höchste Paß im Westfjordland ist erklommen:
ich stehe auf etwa 540m im Nebel...
...und genieße eine Toblerone - passt doch super, mit dem Matterhorn-Logo!
Die Abfahrt steht bevor.
Ich ahne schon, dass die Abfahrt kühl werden könnte, so dass ich mir meine Regenhose und Handschuhe anziehe. Eine Weile rase ich durch den Nebel hinab, dann wird erwartungsgemäß die Sicht besser - sehr weit sehe ich das Tal ein, durch welches sich meine Straße fjordwärts schlängelt. Vereinzelt umgeben mich Schneefelder, völlig durchgefroren sause ich weiter talwärts und bin heilfroh, als ich den Arnarfjörður erreiche - endlich wieder pedalieren, mich warm fahren! Der Nebel und der Nieselregen haben die Oberfläche der Straße mit einem feinen Film flüssigen Schlamms überzogen - große Teile davon haben finden sich nun auf mir und auf meinem Fahrrad… Zeit für die Gamaschen, würde ich sagen!
Die Feuchtigkeit des Nebels schlägt sich auf der unbefestigten Straße nieder und erzeugt einen feinen Schlamm, welcher sich während der rasanten Abfahrt überall verteilt.
Schon von weitem kann ich den Wasserfall Dynjandi am anderen Ufer des Fjordes erkennen - auch wenn mich davon noch 20 zu fahrende (und 10 Luftlinien-) Kilometer trennen.
Am Wasserwerk am innersten Punkt des Fjords lege ich dann meine Mittagspause ein, es gibt Kekse und Nüsse und ich nutze erstmals meine Fußwärme-Pads, denn die Flunken sind nach der Abfahrt noch immer nicht wieder warm geworden.
Stille über dem Fjord.
Über 100m stürzt das Wasser des Dynjandi in die Tiefe.
Doch nicht nur der Dynjandi ist ein Augenschmaus, auch andere Wasserläufe in der nahen Umgebung können sich sehen lassen.
Schließlich erreiche ich die Fälle, die wirklich schön anzusehen sind und dann geht es auch schon wieder an den Berg, abermals soll ich 500 Höhenmeter bewältigen. Die Umgebung von Dynjandi fesselt mich noch viel mehr, als der Wasserlauf selber - ich kann sagen, es beginnt das atemberaubendste Teilstück der diesjährigen Islandfahrt. Die Landschaft ist karg, teils von kleinen Wasserläufen durchzogen, sie erinnert mich an die Bilder des norwegischen Fjells, die ich gestern erst auf Jans Facebook-Seite sah. Ödes Steinland umgibt mich, kleine Seen, Schneefelder, einfach wunderschön! Es geht viel bergan und ich habe irgendwann das Gefühl, dass ich mich sogar ein wenig daran gewöhne, es macht mir gar nichts mehr aus. Nach dem Pass rolle ich ein wenig hinab, pendele mich für einige Kilometer auf dem Niveau von etwa 300 hm ein, während die Sicht besser wird, ja sogar Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke brechen. Der Blick schweift über die verschiedenen Arme des Suðurfirðir weit unter mir - grandios. Oft halte ich an, fotografiere und genieße. Da ist er wieder, der Enthusiasmus für das wonderful life outdoors, für die wenn auch teilweise strapaziösen Abenteuer im Freien! Ich gestehe durchaus, in den letzten Tagen immer mal wieder überlegt zu haben, ob es nicht vielleicht eine gute Idee wäre, mal einen alten Landrover Defender zu kaufen und diesen zum Reisevehikel auszubauen, um dann etwas mehr Komfort genießen und um mit etwas weniger Anstrengung vorankommen. Heute jedoch tun mir all die Menschen in ihren Geländewagen einfach nur leid, wie sie hier so durchrauschen. Auch wenn sie immer mal wieder anhalten, schauen, fotografieren - sie sind doch viel zu schnell! Wie viele Details und kleine Schönheiten am Wegesrand entgehen ihnen, wie viel Nähe zur - wenn auch rauen - Natur bleibt ihnen verborgen!
Karges, einsames Westfjordland.
Der Tag begann nebelig und feucht. Nun, am späten Nachmittag wird die Sicht besser, das Licht klarer.
Spektakuläre Aussicht über den Fjord.
Großartiges Lichtspiel am späten Nachmittag.
Der Tag neigt sich seinem Ende entgegen - mehr als 1600 Höhenmeter habe ich heute überwunden.
Eine Skizze des heutigen Höhenprofils in meinem Tagebuch.
Gegen 18:00 geht es abermals an den Berg, ich bewältige weitere 200 Höhenmeter und erreiche zum letzten Mal für heute ein Höhenniveau von ca. 500 Metern. Es setzt bereits langsam die Dämmerung ein, Zeit, sich nach einem Lagerplatz umzuschauen. Vorher sorge ich aber dafür, dass alle meine Flaschen wieder mit frischem Wasser gefüllt sind.
Die Schlafplatzsuche gestaltet sich zunächst etwas schwierig, denn mich umgeben nur Steine, Steine, Steine. Eigentlich wollte ich ja noch in den Bergen bleiben über Nacht, doch will mir partout keine geeignete Nische unter die Augen kommen. Schließlich sause ich all die mühsam erarbeiteten 500 Meter wieder hinab, bitterkalt wird mir dabei, und erreiche schließlich die Küste am Vatnsfjörður. Hier ist es dann kein Problem, in einem kleinen Wäldchen, nein, ein einer Ansammlung von Sträuchern einen geeigneten Platz zu finden. Ganz in der Nähe stürzt ein Wasserfall über eine Felskante und ein Bach trägt Trinkwasser an mein Zelt. Idyllfaktor also auch hoch, sehr gut. Nun habe ich also tatsächlich binnen zweier Tage quasi den Fährhafen erreicht - werde also nicht erst Dienstag, sondern bereits Sonntag die Überfahrt antreten können.
Schnell steht dann das Zelt, bald ist mir auch wieder warm. Zum Kochen habe ich allerdings heute keine Lust mehr, vielmehr mache ich mir Käse- und Honigbrote, dazu schlürfe ich ein norwegisches Instant-Heißgetränk namens "Solbær Toddy" - Jan hatte mir das aus Norwegen mitgebracht.
Recht idyllischer Lagerplatz mit Wasserfall. Es ist meine letzte Station im Westfjordland. Von hier werde ich am Folgetag mit einer kleinen Fähre ins südlich gelegene Stykkishólmur reisen, von wo aus ich schließlich per Bus Reykjavík erreichen werde.
Eine ganze Weile brüte ich noch über Landkarte und GPS und frage mich, ob es möglicherweise eine Idee wäre, morgen nicht die Fähre zu nehmen, sondern ostwärts bis nach Staðarskali zu radeln. Ich kann ermitteln, dass das etwa 300 Kilometer wären mit zwei, drei kleinen Pässen von maximal 300 Metern Höhe - sollte doch in drei bis vier Tagen machbar sein. So könnte ich einen Kreis schließen.
Die Alternative: morgen Nachmittag mit der Fähre nach Stykkishólmur, übermorgen dann per Bus nach Reykjavík. Dort vorm Heimflug nach Deutschland drei chillige Tage - Schwimmad, Kino, Malen, etwas Gesellschaft?! Vielleicht noch mal per Rad als Tagesausflug nach Selfoss fahren, um "die Lücke auf der Karte zu schließen", nachdem wir 1994 dort unsere Tour abbrachen, um per Bus nach Reykjavík zu flüchten. Auch verlockend!
Ich kann heute Abend keiner der beiden Varianten eindeutig den Vorzug geben, so beschließe ich, morgen früh das Wetter entscheiden zu lassen: scheint die Sonne, radele ich in Richtung Osten, wenn es regnet, werde ich die Fähre nehmen - und dann eben im nächsten Jahr von Staðarskali nach Látrabjarg fahren!
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Sonntag, 21.09.2014
So, da ist er nun, der angekündigte Regen! Damit fällt dann auch die Entscheidung für die Fähre. Ich sage mir: alles richtig gemacht! Erstens, dass ich überhaupt Ísafjörður südwärts verlassen habe und zweitens, dass ich gestern so weit gefahren bin.
Mit dem aktuellen Gaskocher ist es nicht möglich, im Zelt zu kochen (da die Standfüße extrem heiß werden), was sich bei derartigem Schietwetter als Nachteil erweist. Somit gibt es heute morgen eben kaltes Müsli, auch mal okay. Ich telefoniere dann mit der Fährgesellschaft, um meine Reservierung von Dienstag auf den heutigen Sonntag vorzuverlegen, was überhaupt kein Problem ist - frage mich sowieso, was das mit der Reservierung soll. Die freundliche Dame bittet mich darum, Bargeld zum Zahlen dabeizuhaben. Da der Kahn erst gegen vier Uhr ablegen soll, habe ich noch viel Zeit, die ich im Zelt verbringe. Es gibt Tee, ich lese im Reiseführer, aktualisiere meine Tagebuchnotizen, mache mir Gedanken über alles mögliche.
Am frühen Nachmittag hört es tatsächlich auf zu regnen! Ich koche mir eine Kanne Unterwegs-Tee - was ich mir auch hätte sparen können, wie sicher herausstellen wird… Packe dann ganz in Ruhe meinen Kram zusammen, trage die Taschen zur Straße und schließlich mein Rad. Für einen ganz kurzen Moment überlege ich, ob ich nicht doch nach Osten radeln soll. Nein, es bleibt dabei, les jeux sont faits, auf nach Reykjavík zum Chillen!
Nur wenige Minuten später bin ich wieder voll und ganz bestätigt in der Richtigkeit dieser Entscheidung: es weht ein ziemlich übler Wind aus Südosten, das Meer ist aufgewühlt, Schaumkronen und Gischtfahnen überall.
Abschiedszeit. Es sind die letzten paar Kilometer auf dem Rad, dann geht meine Westfjordunternehmung zu Ende! Etwa eine Dreiviertelstunde vor der zu erwartenden Abfahrtszeit der Fähre bin ich am "Ort" - also der "Ort", das sind zwei, drei Häuser - keine öffentliche Infrastruktur zu dieser Zeit des Jahres. Im Sommer kann man hier wohl auch Tickets erwerben und während der Wartezeit einer Portion Pommes vertilgen. Nicht so heute. Wie ausgestorben liegt der Fähranleger da, kalt pfeift der Wind übers Meer, kein Mensch weit und breit. Gestern hatte ich in Betracht gezogen, bis hier zu radeln, um hier mein Zelt aufzustellen - ich bin nun wirklich froh, dass ich das nicht getan habe. Da hatte ich es doch nett und windgeschützt in meinem kleinen Gestrüpp.
Raue See! Das Anlegemanöver der kleinen Fähre ist spektakulär.
Ich frage mich schon, ob der Kahn überhaupt kommen wird… Schließlich erblicke ich ihn dann doch in der Ferne am Horizont. Heftig peitschen die Wellen an den Betonanleger - wie soll man denn da anlegen? So werde ich dann, als das kleine Ausflugsboot eintrifft, Zeuge eines recht spektakulären Anlegemanövers, alter Schwede, was für ein Geschaukel! Nur wenige andere Gäste, vielleicht fünf oder sechs Personen, sind plötzlich auch da, nur vier Rucksacktouristen verlassen das Boot. Keine Zeit für Kontakte, ich pflücke meine Packtaschen vom Rad und wuppe sie über die schmale, schwankende Holzbrücke an Deck, zuletzt folgt mein Rad. Alles zusammen hätte ich mit einem Mal niemals hochbekommen. Kaum ist alles verstaut, da heißt es auch schon "Leinen los" und ab geht die Post. Mit voller Fahrt prescht der Kahn durch die Wellen, Gischt spritzt, so dass man draußen an Deck wirklich aufpassen muss, wo man sich hinstellt und wo lieber nicht… Dabei ist es ziemlich kalt.
Nach zehn Minuten folgt dann eine abrupte 180°-Kursänderung und kurze Zeit später finden wir uns am Anleger wieder - weitere Fahrgäste möchten mitgenommen werden… So etwas gibt es wohl auch nur in Island!
Eingangs fasziniert mich die wilde Überfahrt, doch hatte ich schon wieder vergessen, dass ich mittlerweile durchaus mit latenter Seekrankheit auf solche Umstände reagiere, so dass es bald vorbei ist mit dem Spaß. Ich muss mich zwar nicht übergeben, aber Wohlfühlen geht anders! Somit kann ich auch nur die erste Tasse Tee genießen, den Rest mag ich nicht mehr trinken.
Wir steuern die Insel Flatey an, wo noch mal etwa 15 Personen zusteigen, gut gelaunte Musiker, die während der ganzen Zeit vergnügt auf dem Oberdeck stehen in Gischt und Regen.
Mein Blick haftet auf dem Display des GPS-Geräts, auf welchem die Anzeige der verbleibenden Kilometer bis Stykkishólmur dahinschmilzt - ich ersehne die Ankunft…
Gegen 18:00 laufen wir in den kleinen Hafen ein, es gießt in Strömen. Schnell fasse ich den Beschluss, die kleine Jugendherberge im Ort aufzusuchen. Gar nicht mal so sehr wegen des Wetters sondern vielmehr, weil es mich reizt, an einen Ort aus meiner Vergangenheit zurückzukehren - vor 19 Jahren verbrachte ich mit Birgit eine Nacht in dem Gebäude, als wir Snæfellsnes umradelten.
Also kommt etwas Retro-Feeling auf, als ich das kleine Gebäude unweit des Hafens aufsuche. Ich stelle fest, dass es inzwischen gar keine "offizielle" Jugendherberge mehr ist, sondern nur noch ein privates Hostel - etwas Wiedererkennungseffekt ist dennoch gegeben. Ich komme zeitgleich mit zwei Mexikanerinnen an. Da derzeit kein Warden vor Ort ist, rufe ich eine angegebene Telefonnummer an und nehme die Anmeldung für mich und auch für die Lateinamerikanerinnen vor. Da ein Einzelzimmer kaum teurer - und dabei mit umgerechnet 26,- Euro immer noch ziemlich günstig - ist, als eine Sammelunterkunft, gönne ich mir diesen Luxus.
Beim Zubereiten meines Abendessens in der Gemeinschaftsküche lerne ich zwei Jungs aus Barcelona kennen, die just ihre einmonatige Islandreise begonnen haben und mit einem Leihwagen unterwegs sind. Eine ganze Weile sitzen wir beisammen und ich statte die beiden mit Tipps für ihre Tour aus.
Ein freies WLAN und elektrischer Strom geben mir später die Möglchkeit zum Nachrichtencheck auf Facebook und WhatsApp - und: es ist Sonntag, da freue ich mich, dass ich am Abend einen Tatort auf meinem Smartphone streamen kann! Und dazu noch einen Münsteraner mit dem Team Boerne und Thiel ("Mord ist die beste Medizin"). So lasse ich mir diesen isländischen Regenabend gefallen…
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Montag, 22.09.2014
Zwei Busverbindungen gibt es am heutigen Tag nach Reykjavík, eine um 08:30, eine weitere am Nachmittag um 16:51. Ich muss nicht lange überlegen, um mich für die zweitgenannte zu entscheiden. Ich möchte ausschlafen!
So sitze ich dann auch erst um zehn am Frühstückstisch. Draußen regnet es fast ununterbrochen und so verdaddel ich den Vormittag in der Herberge, quatsche noch eine ganze Weile mit den Mexikanerinnen und lerne die flauschige Katze des Hauses kennen…
"Local cat" in einem kleinen Hostel in Stykkishólmur.
Wie in vielen Ortschaften in Island, so findet sich auch in Stykkishólmur eine "Designer-kirche".
Am frühen Nachmittag drehe ich eine kleine Runde durch den Ort, checke schon mal, von wo der Bus abfährt (nämlich von der Tankstelle), schlage den Bogen über einige Felsen hin zur "Designer-Kirche" und dann weiter zum Hafen. Die Nordseite des Hafens wird von einer kleinen Insel geschützt, welche mit der Mole verbunden ist. Treppen führen hinauf, oben ist ein kleiner, recht schmuckloser Leuchtturm zu besichtigen. Auf meinem neuen GPS-Gerät sind bereits Geocaches vorinstalliert, so nutze ich diesen Umstand, und suche hier oben mal einen kleinen Schatz
(Link zum Cache)
- meine Geduld wird auf keine große Probe gestellt, bald werde ich fündig…
Um 16:00 breche ich am Hostel auf, filme und fotografiere meine Abreise. Wenn es wieder 19 Jahre dauert, bis ich hier herkomme, dann bin ich 65 - Oh mein Gott!
Aus nostalgischen Gründen quartiere ich mich in diesem Hostel ein. Das Schild lässt es noch erahnen: dies war einst eine Jugendherberge. Vor 19 Jahren verbrachte ich bereits einmal eine Nacht in diesem Gebäude, woran ich mich noch gut erinnere.
...eine Aufnahme an gleicher Stelle aus dem Jahr 1995 - wir bereiten uns auf die Tagesetappe vor.
In einem kleinen Bus geht es nach Borgarnes. Ich bin total begeistert von der Landschaft auf Snæfellsnes, großartige Berge und Farben - viel zu schnell saust der Bus durch die Gegend. Vielleicht sollte ich diese Halbinsel auch noch einmal bei besseren Sichtverhältnissen, als wir sie 1995 hatten, umrunden… Ach, es gibt noch so viel zu sehen!
Gegen 20:00 erreiche ich Mjödd und lege dann auf bekannten Wegen die fünf Kilometer nach Laugardalur zurück. Bevor ich auf den Campingplatz rolle, genehmige ich mir an der Bude vorm Schwimmbad mehrere Hotdogs, die hier ziemlich gut sind.
Auf dem Platz bietet sich ein trostloses Bild. Sanitäranlagen und Rezeptionsgebäude haben geschlossen, kaum noch Zelte stehen auf der Wiese. Der Checkin erfolgt in der Jugendherberge, dort kann ich auch die Sanitäreinrichtungen, Küchen und Aufenthaltsräume nutzen. Im Dunkeln stelle ich mein Zelt auf, wähle den gleichen Platz, wie vor zwei Wochen.
Mit Vanilleskyr, Apfel und Banane setze ich mich später in den Aufenthaltsraum, wo sie wieder alle mit ihren Smartphones, Tablets oder Laptops sitzen. Hochgradig genervt bin ich von einer älteren Frau, die meint, inmitten des Saals lautstark und in epischer Länge mit ihrem Partner in Deutschland skypen zu müssen - und was für einen Dünnsinn die erzählt… Irgendwann verlasse ich den Raum, die hört ja gar nicht mehr auf!
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Dienstag, 23.09.2014
Ich schlafe lange, habe ja auch heute nichts Großes vor. Das Frühstück bereite ich mir in der Küche, anschließend schreibe ich eine ganze Weile und plaudere noch mit einer jungen Dame aus Brasilien, die hier temporär in der Jugendherberge jobbt.
Ich hatte überlegt, ob ich vielleicht heute den Selfoss-Plan realisieren sollte, bin aber faul und verwerfe diese Idee. Stattdessen gehe ich ins Schwimmbad und absolviere in dem Riesenbecken (50x25m) eine kleine Trainingseinheit (3200m: 400m Einschwimmen, 8x100m Kraul auf 2 min, 10x200m auf 4 min) - ich bin erschrocken, wie langsam ich bin, mutmaße sogar, dass die Bahnen vielleicht nicht 25 sondern vielleicht 28 Meter lang sind - oder so… Nein, es ist wohl doch eher mein Trainingsdefizit… Dennoch tut es gut, mal wieder etwas anderes zu tun, als in die Pedale zu treten.
Anschließend regeneriere ich im Dampfbad und in den verschiedenen Hotpots, bis mein Kreislauf sagt, es reicht.
Der Rest des Nachmittags wird einfach so verdaddelt, ich lese, ich schreibe, ich verschwende Zeit mit meinem Smartphone.
Und ich denke über Island nach, genauer gesagt, über mein Erleben dieses Landes, meine Erinnerungen. Es tritt nämlich gerade ein, was ich bereits im letzten Jahr erwartete, alte Bilder verändern sich, verschwinden, werden überlagert. Neue Erinnerungen legen sich über die alten und doch: viele der früheren Eindrücke und Emotionen sind so nah, dass ich sie noch immer sehr intensiv empfinden kann.
Am Abend habe ich eine längere WhatsApp-Konverstation mit Claudia, während derer sie mich mittels verschiedener Links überredet, die Unternehmung "Heli-Flug zum Vulkan" zu forcieren. Ich hatte das ja schon fast wieder abgeschrieben, weil mir die 1600 Euro einfach zu viel Geld waren… Was wird der Tag morgen bringen?
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Mittwoch, 24.09.2014
Beim Frühstück im "Glaskasten", also einer der beiden Küchen, geht mir schon wieder die ältere Dame mit ihrer dumpfen Skyperei auf den Sender. Abermals ergreife ich die Flucht, da ich dieses Gequatsche nicht ertrage.
Später drehe ich eine Runde in die Stadt: bei Norðurflug fahre ich rum, um mein Interesse für einen Flug am morgigen Tag zu bekunden. Ich erfahre, dass es bislang nicht schlecht aussieht, man will mich am Abend noch einmal anrufen. Okay.
Weiter geht es in die City, möchte meinen Mädels noch Souvenirs aus Island mitbringen. Zunächst kaufe ich bei Bonus acht Packungen Hraun - je eine für Jan, Ingrid, Johanna, Antonia und Claudia und drei für mich als Reserve. Für Claudia lade ich noch Draumur ein, diesen typischen Schoko-Lakritz-Riegel sowie diverse Tafeln Schokolade. Da Toni sich nach wie vor für Taschen begeistert, erstehe ich eine "Island"-Tasche und Joe bekommt ein T-Shirt.
Ansicht der Konzerthalle Harpa aus einer anderen Perspektive.
Elemente der Skulptur Sólfar recken sich in den Himmel.
Einen Regenbogen gibt es in Island fast jeden Tag zu bestaunen, hier in Reykjavík sogar mit passender Fahne.
Auf dem Laugavegur, der Hauptmeile in Reykjavíks Innenstadt, ist deutlich zu merken, dass der Tourismus im Vergleich zur Zeit meinen frühen Reisen deutlich zugenommen hat. Souvenierläden finden sich an jeder Ecke...
Street Art Teil I.
Street Art Teil II: Single gloves speed dating.
Auf dem Laugavegur.
Seit 2011 bereichert das Konzerthaus Harpa die "Skyline" von Reykjavík und macht der Hallgrimskirche als architektonisches Wahrzeichen Konkurrenz.
Hallgrimskirche.
Die Uferstraße Reykjavíks in der Abenddämmerung. Zahlreiche Kräne deuten auf rege Bautätigkeit hin.
Wollgeschäft Woolcano - was für ein herrlich plattes Wortspiel!
Den Nachmittag verbringe ich lesend an der Herberge, bevor ich gegen Abend noch mal eine Runde in die City unternehme. Währenddessen erreicht mich der Anruf der Helikopter-Fluggesellschaft: es sieht weiterhin so aus, dass voraussichtlich morgen gestartet werden kann. Wenn, dann geht es zeitig los, man wird mich morgen früh wieder anrufen - ach, ist das aufregend!
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Donnerstag, 25.09.2014
Um viertel vor sieben klingelt mein Wecker, ich gehe duschen, koche mir Tee und bereite mir ein paar Scheiben Toast mit Honig. Gegen acht Uhr kommt der erwartete Anruf: um 08:45 soll ich am Flugplatz sein! Oha, es geht also wirklich los!
Schnell noch mal für kleine Königstiger und dann ab in die Regenpelle - gerade bricht nämlich mal wieder ein kräftiger Schauer nieder. Ich gebe ordentlich Gas, um rechtzeitig am Ziel zu sein, immerhin sind es fünf Kilometer bis zum Flugplatz.
Ich muss ein Formular ausfüllen und ein paar Angaben zu meiner Person machen, dann geht einmal die ec-Karte durch das Lesegerät und schwuppdiewupp ist mein Konto um 239.000 Kronen bzw. 1.600 Euro erleichtert. Autsch, das ist so unglaublich viel Geld… Okay, nun ist es so, genieße ich es!
Im kleinen Wartebereich des Büros finden sich die Passagiere ein: ein älteres US-amerikanisches Paar, eine etwas jüngere US-Amerikanerin, ein Paar aus Deutschland, etwa in meinem Alter, sowie eine alleinreisende Deutsche, die eigens der Eruption wegen nach Island kam. Ein chinesisches Pärchen kommt mit Verspätung - dann kann es losgehen. Wir vier Deutschen werden in einen Hubschrauber gesetzt, mit an Bord ist - neben dem Piloten - noch eine hübsche Isländerin, die offenbar irgendwie zum Bekanntenkreis des Piloten gehört, man scheint sich zu kennen.
Ich sitze zunächst auf der Rückbank im Heli, als wir um 09:30 abheben. Mit zwei Hubschraubern geht es nach Osten, unser Pilot ist ausgesprochen nett, erklärt die ganze Zeit, was da so unter uns liegt, erläutert das Prinzip geothermaler Energiegewinnung, weist auf diese und jene Leitungen hin, berichtet über die Wasserkraftwerke. Der zweite Hubschrauber wird von einem jungen Norweger geflogen, der eigentlich in seinem Heimatland Mannschaften auf die Ölfelder fliegt, nun aber einen Saisonjob in Grönland angenommen hat. Dann kam die Eruption und damit das erhöhte Fluggastaufkommen in Island, also fliegt er nun hier. Wir können über unsere Kopfhörer den Sprechfunk verfolgen und bekommen auf diese Weise mit, wie er mit dem jungen Kollegen in Kontakt ist, sich nach dem Befinden erkundigt oder auch schon mal Instruktionen erteilt.
Es regnet, die Landschaft ist grün, ab und zu fällt ein Sonnenstrahl durch die Wolkendecke. Trotz des hinteren Platzes habe ich relativ gute Sicht, weiß aber sehr wohl, dass sowohl das trübe Wetter wie auch die Position im Heli kein Fotografieren mit höherem Anspruch ermöglichen werden. Nun ja, der Ausflug wird dennoch ein Erlebnis der besonderen Art.
Nach etwa einer Dreiviertelstunde erreichen wir den Außenposten Hrauneyjar, wo wir landen. Ich bin jetzt schon total begeistert - Hubschrauberfliegen an sich ist ja schon grandios, dies über Island zu tun ist noch einmal etwas besonderes. Auch gefällt mir gut, im Verbund zu fliegen, allein der Anblick des zweiten Helikopters neben uns fasziniert und begeistert mich.
Wir haben vielleicht zwanzig Minuten Aufenthalt, können uns kurz die Beine vertreten, die Raucher schaffen drei Zigaretten und pinkeln ist auch möglich. Als ich Wochen später daheim am Computer sitze und diesen Bericht formuliere, stelle ich fest, dass ich bereits 1995 einmal hier war! Am 20. August verließen Birgit, Ingrid, Ulrike und ich bei trüben Verhältnissen Landmannalaugar und kehrten hier ein zu Pommes, Burgern und Pripps. Ob es dereinst schon "Hrauneyjar Guesthouse" hieß, kann ich nicht verifizieren.
Zweifelsohne DAS Highlight des diesjährigen Islandbesuchs: der Ausflug zum Vulkanausbruch am Holuhraun-Lavafeld.
Von Reykjavík aus fliege ich mit einem Zwischenstopp (s. Foto) in das Gebiet zwischen Askja-Massiv und Vatnajökull.
Mit zwei Eurocopter AS 350 Ecureuil knattern die Touristen über das Hochland...
Als es dann weiter geht, verteilt der Pilot die Plätze neu und setzt mich auf den Sitz vorne links - wenn das kein Glück ist! Ausgerechnet auf dem nun folgenden Abschnitt den mit Abstand besten Platz zu haben, wow!!!
Es geht jetzt ins Hochland, der Flug ist faszinierend - auch ohne Vulkan wäre das alles jetzt schon fast das Geld wert gewesen… In nicht allzu großer Höhe über dieses karge Land zu gleiten, das hat wirklich etwas von Science Fiction - und ich bin mitten drin - schwebe über einen fernen Planeten. Gänsehaut! Wasserläufe durchziehen das Land, der Þórisvatn erscheint unter uns, es ist der größte See Islands. Noch immer ist es trübe und regnerisch, der große Gletscher östlich von uns ist oft nur zu erahnen.
Dann allerdings, als wir immer näher an das Ausbruchsgebiet kommen, reißt die Wolkendecke auf, blauer Himmel ist überall, die Sicht grandios. Wir schweben über die westlichen Ausläufer des Vatnajökull, in der Ferne - unweit der Askja - ist die weiße Rauchsäule der Eruption auszumachen, auf die wir genau zuhalten. Ich bin überwältigt von dem Anblick, es treibt mir die Tränen in die Augen - welch eine Schönheit!
Unterwegs fällt über weite Strecken Regen, die Sicht ist entsprechend eingeschränkt. Doch mit Erreichen des Zielgebiets klart es auf, die Wolken verschwinden und schon von Weitem ist die Rauchsäule des Vulkans auszumachen. Ein bewegender Moment!
Der Wind treibt die Rauchsäule des Vulkans nach Norden in Richtung Askja.
Um 11:30 blicken wir in den Höllenschlund, müssen allerdings für einige Minuten eine Warteposition einnehmen, da ein anderer Heli von Norðurflug noch über dem Krater kreist, um Filmaufnahmen zu machen. Am Abend werde ich im Internet ein Video betrachten können, auf welchem "unsere" beide Hubschrauber zu sehen sind. "Just a few minutes, then your tour will start!" teilt uns der Pilot mit. Und was dann folgt, ist definitiv eines der großartigsten, beeindruckendsten, faszinierendsten Ereignisse meines ganzen Lebens.
Durch die Schwefelwolke erscheint die Sonne rot gefärbt.
Ein glücklicher Zufall will es, dass ich im Helikopter den besten Platz erwische: vorne neben dem Piloten - und ich kann und darf zum Fotografieren das Fenster öffnen. Bei Annäherung an die Eruption spüre ich die abgestrahlte Hitze des Vulkans.
Es bieten sich unbeschreibliche Ausblicke - im Krater kocht das flüssige Gestein. Ein Ambiente von surrealer Anmutung, großartig!
Wegen des hohen Preises hatte ich im Vorwege lange gezögert, ob ich den Flug überhaupt unternehmen soll.
Nun bin ich jedoch froh, mich dafür entschieden zu haben. Dies ist definitiv eines der ganz besonderen Ereignisse in meinem Leben!
In unterschiedlichen Höhen umkreist der Pilot den Höllenschlund, so dass ich den Anblick aus den verschiedenen Perspektiven genießen kann.
Zum Zeitpunkt meines Besuchs am Krater dauert die Eruption bereits seit drei Wochen an.
Nicht nur die Eruptionsspalte selbst bietet einen faszinierenden Anblick, auch beim Überflug der Lavafelder zeigen sich immer wieder sehr beeindruckende Bilder.
15-minütiges Video über den Flug zur Eruption.
Ich brauche nicht einmal zu fragen, der Pilot bietet mir von sich aus an, ich dürfe das Fenster öffnen, um zu fotografieren. Also: der beste Platz im Heli, das beste denkbare Wetter, unter mir ein aktiver Vulkan, ich kann mein Glück kaum fassen. Die Lava erinnert mich an die Schlammtöpfe, die wir vor vielen Jahren sahen - oder an einen Topf mit kochendem Griesbrei. Unglaubliche Naturgewalt! Die Wärmeabstrahlung ist enorm, ich kann sie spüren, wenn ich aus dem offenen Fenster sehe. Auch ist der Geruch nach Schwefel deutlich wahrnehmbar. Abwechselnd halte ich die GoPro und die Nikon auf das Geschehen, wechsele die Objektive und versuche dann aber auch noch, "einfach mal so" zu schauen, also nicht permanent dem optimalen Bild hinterher zu hecheln. In unterschiedlichen Höhen umkreisen wir die Eruptionsspalte, es ergeben sich Blicke fast senkrecht in das kochende Gestein, aber auch Perspektiven auf Bodenniveau. Es ist einfach fantastisch, ich berauscht und unendlich glücklich. Stundenlang könnte ich weiterkreisen…
Immerhin eine halbe Stunde sind wir am Vulkan, bevor der Rückflug beginnt. Es geht nun auf Südkurs, während unter uns ein Sandsturm tobt - auch im Heli sind die Turbulenzen zu spüren, was mir allerdings nichts ausmacht. Ich frage, ob es auch jetzt okay ist, wenn ich zwischenzeitig zum Fotografieren das Fenster öffne, ja, ist möglich.
Schillernde Wasserläufe fließen vom Vatnajökull fort; auch der Rückflug vermittelt eindrucksvolle Landschaften.
Auf dem Weg zurück nach Reykjavík...
Bald fliegen wir wieder in den Regen, abermals wird in Hrauneyjar ein Zwischenstopp eingelegt. Diesmal ist es auch erforderlich, dass die Hubschrauber mit Kerosin versorgt werden, wofür eigens ein Tanklaster vor Ort ist. Auf dem letzten Teilstück sitze ich wieder hinten - macht gar nichts - und dann kommt der Pilot noch auf die Idee, einen kleinen Abstecher zum Háifoss zu fliegen, einem spektakulären Wasserfall westlich der "Tankstelle", "a little special", wie er meint. Das ist dann auch noch mal total cool: der Heli fliegt über die Kante des Canyons und lässt sich dann quasi in die Tiefe fallen, um schließlich vor dem herabstürzenden Wasser in den Schwebezustand zu gehen… auch hier werden wieder einige Runden gedreht, es ist wirklich unglaublich. Wenn der zweite Hubschrauber unter uns fliegt, sieht er winzig klein aus, was mir die gewaltigen Dimensionen des Canyons verdeutlicht.
Der Anflug auf Reykjavík erfolgt über den Nordosten der Stadt, ich verspüre kindliche Freude, als ich mein kleines Zelt auf der Wiese hinter der Jugendherberge entdecke… ich muss an den Heli-Flug am Preikestolen denken, dereinst schwebten wir auch über unsere Zelte.
Flug über die Jugendherberge und den Campingplatz im Laugardalur. Mit kindlicher Freude fotografiere ich mein Zelt aus der Vogelperspektive - ziemlich verlassen ist es in der Bildmitte neben der Baumreihe auszumachen.
Um 14:15, nach fast fünf Stunden, landen wir wieder auf dem Inlandsflughafen in der Stadt. Ich glaube, ich habe noch Stunden später ein Dauergrinsen im Gesicht. Wir lassen uns auf der großen Islandkarte im Büro noch mal vom Piloten die Route zeigen, trinken Kaffee und tauschen Email-Adressen aus, dann geht ein jeder seines Weges.
Ich rolle in die Stadt, hole mir (diesmal leider schlechte) Hotdogs und setze mich dann ins Café Paris, wo ich mal wieder Kaffee und Karottenkuchen genieße. Nebenbei sichte ich meine digitalen Schätze, die ich vom heutigen Ausflug mitbringe: beinahe 500 Aufnahmen, die ich mit der Spiegelreflexkamera anfertigte sowie etwa 30 GB Videomaterial, welches mit der GoPro entstand. Schon jetzt erkenne ich, dass recht brauchbare Resultate vorliegen.
Erste kleine Foto- und Videofetzen poste ich per WhatsApp nach Kiel…
Im Café Paris. Bei köstlichem Karottenkuchen und bestem Kaffee lasse ich das Erlebte Revue passieren.
Abschließend und resümierend kann ich mit voller Überzeugung sagen, dass sich jeder einzelne der vielen Euros für das Flugticket gelohnt hat, ich bin so froh, dass ich mich dazu entschieden habe. Noch Wochen und Monate später werde ich immer wieder die Bilder und Filme betrachten und mit Gänsehaut an diesen Tag zurückdenken, an dem einfach alles stimmte.
Irgendwann mache ich mich auf den Weg zum Campingplatz, nehme innerlich Abschied von Reykjavík und frage mich dabei, wann ich wohl das nächste Mal hier sein werde. Ich habe eine Ahnung, dass es bereits im nächsten Jahr sein könnte.
Ich packe mein Rad in seinen Karton und bringe es in den Keller, räume mein Zelt auf, genieße einen großen Becher Vanilleskyr und setze mich später in die Küche, um noch etwas zu schreiben und um dabei einen Tee zu trinken. Ein junges Paar spricht mich an, ob ich "…der aus den Westfjorden sei, der mit dem gebogenen Lenker, der, den der Wind nicht stört". Ich muss schmunzeln und frage, wie sie denn darauf kommen. Sie berichten, dass sie mich wohl das eine oder andere Mal sahen, als sie mit ihrem Auto an mir vorüberfuhren. Und die Geschichte mit dem Wind? Es stellt sie heraus, dass sie mit dem Hallenser Pärchen befreundet sind, mit welchen ich in Laugarbakki gemeinsam frühstückte… Also: am Getratsche unter Touristen hat sich in den letzten zwanzig Jahren offensichtlich nichts geändert!
Ein wenig graut mir vor dem morgigen Tag, vor allem davor, dass dieser bereits um 03:15 beginnen wird, denn für 05:00 habe ich mich für eine Busfahrt nach Keflavík angemeldet. Kein besonders erquicklicher Gedanke…
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Freitag, 26.09.2014
Ja, besonders groß ist dann auch die Freude nicht, als um viertel nach drei in der Frühe der Wecker klingelt…
Zeltabbau im Licht der Stirnlampe, dann werden alle Ortliebs wieder in zwei übereinander gestülpte Ikeataschen gequetscht, das Rad aus dem Keller geholt und alles zur Bushaltestelle geschleppt. Etwas nervös werde ich, weil der Bus verspätet kommt, letztendlich wird aber pünktlich Keflavík erreicht.
Dort ist die Hölle los! Massen von Touristen bevölkern zu dieser unchristlichen Zeit den kleinen Flughafen und drängen an die Abfertigungsschalter. Das ist ja was für mich… Und dann auch noch mein wirklich sperriges Gepäck: der riesige Rad-Karton, das blaue Ikeataschenbündel, der "Handgepäck"-Rucksack, eine Plastiktüte voll mit Hraun-Schokolade…
Mit meinem überbreiten Wägelchen kann ich mich unmöglich in die lange Schlange einreihen, also schaue ich mal an einem der Check-In-Automaten, ob ich mir da nicht Tags ausdrucken kann. Ohne Brille kann ich aber leider kaum die Nummern auf meinem Ticket lesen, so dass ich echte Probleme habe. Eine gehetzt wirkende Flughafenmitarbeiterin rauscht vorbei - ich spreche sie an und bin erstaunt, dass sie sich ruhig, freundlich und geduldig meiner Sache annimmt, mir mit den Tags hilft und mich dann direkt zum Sperrgutschalter lotst. Vielen Dank!!!
Als ich dann schon mal mein Rad los bin, ist ja alles nur noch halb so schlimm. Beeindruckt bin ich auch, mit welch hoher Effizienz der Fluggastanddrang abgearbeitet wird - nur Minuten später ist die eben noch quirlige Flughafenhalle quasi menschenleer. Es kehrt wieder Ruhe ein, alles wird gut.
Das Ticket für das Fahrrad ist mit insgesamt gut 60 Euro recht teuer, da man mir sowohl für die Strecke KEF-CPH wie auch für CPH-HAM einen Betrag in Rechnung stellt, das habe ich so auch noch nie erlebt.
Als ich dann auch mein restliches Gepäck losgeworden bin, hole ich mir ein Käffchen und setze mich auf eine Bank, um mir noch Brote für unterwegs zu schmieren.
An der Sicherheitskontrolle wird die Tüte mit den Hraun-Schachteln kommentiert mit "Good choice!" und der Skyr wird, da er als Flüssigkeit gilt, einkassiert - schade! Ich glaube, es ist mir noch nie gelungen, eine Sicherheitskontrolle zu passieren, ohne dass nicht irgendetwas einbehalten wurde…
Dann nimmt alles seinen Gang. Pünktlicher Start, Flug entlang der Südküste, gute Sicht mit Blick auf den Jökulsárlón, planmäßige Ankunft in Kopenhagen und regelrechter Weiterflug nach Hamburg. Abholung durch Claudia, die wie verabredet in einem angrenzenden Wohngebiet einrollt, um mich und mein Gepäck in Empfang zu nehmen. Mein Rad hat es heute nicht bis Hamburg geschafft, das hängt wohl noch in Kopenhagen fest - es wird am Folgetag zuhause angeliefert.
Und so schließt sich der Kreis, mit einem Sack voller Erlebnisse, Eindrücke und Erinnerungen kehre ich heim!
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