Island
Winterliche Solo-Radreise
in den windigen Norden des Landes
Vorbemerkungen
Ja, Island. Fast zwanzig Jahre ist es her, dass ich zum ersten Mal das Land bereiste. Drei ausgedehnte Radtouren im Sommer der Jahre 1994, 1995 und 1997 habe ich unternommen, 1997 besuchte ich das Land darüber hinaus auch schon im Februar, allerdings nicht per Rad. Für mich waren das prägende Fahrten, vieles war neu, ich war jung, alles hatte eine besondere Intensität. Gerade erst hatte ich das Radreisen für mich entdeckt, noch nie war ich wirklich in bergigem Terrain unterwegs gewesen, noch nie war ich in den Norden gereist.
In all den Jahren seitdem ist immer der Wunsch in mir gewesen, eines Tages wieder in den Nordatlantik zu reisen und erst jetzt, im Jahr 2013 soll das Realität werden.
Viele Fragen beschäftigen mich. Was wird mich erwarten, wie werde ich mit der Kälte zurechtkommen. Wie wird es sein, zwei Wochen alleine zu sein? Wie wird es sein, ohne meine Schwester Birgit im Land zu sein, mit der ich die damaligen Touren unternahm? Wie wird sich meine Wahrnehmung verändern? Wie werden sich meine Erinnerungen vermengen?
Viele spannende Fragen. Und eine große Vorfreude, denke ich daran, mal wieder ein Nordlicht zu sehen… Allein in einer weißen Wildnis! Habe bloß noch keine Ahnung, wie ich meine Füße warm halten soll…
Im Dezember 2012 buche ich für etwa 400,- Euro das Ticket - ein ganz seltsames Gefühl! Wie oft habe ich in den letzten Jahren nur so zum Spaß bei opodo.de oder flug.de mal HAM-KEF eingegeben, nur, um mal zu sehen, was die Flugscheine so kosten und um ein wenig zu träumen…
Unwirklich kommt es mir vor, als die Bestätigungsmail eintrifft. In gut zwei Monaten also soll ich wieder in Island sein! Ein sonderbares Gefühl. Wirklich realisieren werde ich das wohl erst, wenn ich in der Nacht auf den 23.02.2013 von Keflavik das Flughafengebäude verlasse, mir ein eisiger Wind entgegenweht und ich hinaus in die dunkle Nacht radele…
Sechzehn Jahre ist es dann her, dass ich mit meiner Frau im Februar in Island war - noch sehr gut erinnere ich mich an den Landeanflug, sehe noch genau die weiße Landschaft mit den blauen Positionsleuchten der Landebahn unter mir, am Himmel ein tanzendes Nordlicht.
Ich bin nun stolzer Besitzer eines Hilleberg Soulo - habe ich mir zu Weihnachten gegönnt und es dann gleich am Heiligen Abend im Garten aufgestellt und darin übernachtet. Im Zelt habe ich mich aber vom ersten Moment an sauwohl und Zuhause gefühlt… Habe aber auch schon mal daran gedacht, wie es sich wohl anfühlt, mutterseelenallein in einer abgeschiedenen Wildnis im Schneesturm zu hocken, der Wind lärmt und zerrt am Material… Ist sicher sehr speziell - ich bin sehr gespannt und voller Vorfreude.
Täglich beobachte ich die Temperaturen, Wetter- und Straßenverhältnisse im potenziellen Zielgebiet. Während heute in Kiel knackige Minusgrade zu messen sind, sehe ich in Island überall 5°C. In den letzten Wochen war es sogar schon mal bis 10°C warm. Es muss ja nicht unbedingt -14°C kalt werden, aber ein bisschen Winter fände ich ja schon ganz schön…
Mein Equipment vervollständigt sich auch allmählich. Zu Weihnachten habe ich mir noch eine Schneeschaufel schenken lassen, eine Gesichtsmaske für die ganz kalten Tage hatte ich auch schon bestellt und vor einigen Tagen erwarb ich eine Skibrille. Die konnte ich dann direkt ausprobieren, bin am Wochenende bei ordentlichem Schneetreiben mit meinem Fully in Richtung Westensee geballert - genial! War ich sonst bei Schnee immer von den Flocken genervt, die mir in die Augen flogen, so konnte ich nun ganz entspannt fahren. Klasse, war eine gute Idee.
Heute habe ich mir, reichlich dekadent, eine Packung Original-Schnee-Heringe von Hilleberg bestellt, immerhin 10 Euronen das Stück… Fünf Stück der billigeren Art habe ich noch, das sollte hinhauen, so verfüge ich nun über 11 Stück. Einen zweiten Hilleberg-Satz werde ich mir bei Gelegenheit noch mal zulegen, aber nicht alles auf einmal…
Unentschlossen bin ich noch, ob ich mich nach einem Benzinkocher umhören sollte, die Schuhheizung habe ich von der Anschaffungsliste vorerst gestrichen, wird schon irgendwie so gehen.
Was leider noch sein muss, ist eine neue Jacke; die teure Marmot-Goretex-Jacke ist massiv undicht, damit will ich nicht los. Werde nie wieder Goretex kaufen, war ja nicht der erste Griff ins Klo. Vielleicht finde ich etwas günstiges, was dann weniger atmungsaktiv, aber dafür dicht ist, ein paar Wochen habe ich ja noch.
Ansonsten muss ich sagen, dass sich schon jetzt mein Blick auf Island gewandelt hat, das ging in der Tat los, kaum dass ich das Ticket gebucht hatte. Ich kann gar nicht genau sagen, was sich verändert hat - aber irgendwie ist da ein Riss, es wird mir klar, wie lange die ersten Reisen schon her sind und wie viel sich seit dem in meinem Leben verändert hat. Ich bin neugierig, ob die kommende Fahrt sich im Sinne einer gewissen Kontinuität einreihen wird in die historische Abfolge meiner Besuche in Island oder ob doch in meiner Wahrnehmung ein komplett neues Kapitel beginnen wird. Diese Frage stellt sich mir natürlich im Besonderen, da auch die Art, auf welche ich nach dem Norden reisen werde, sich teilweise erheblich von den historischen Unternehmungen unterscheidet. Ich reise ohne Birgit, ich bin allein. Und es ist Winter!
Die Fahrt rückt näher. Es ist in meiner Wahrnehmung absolut surreal, dass ich in zehn Tagen wieder isländischen Boden betreten werde. Momente gibt es, da jubiliert es in mir, die Freude auf die Tage im Norden ist riesig, da kann ich es kaum erwarten! Und es beginnt ein neues Kapitel in meiner Island-Historie. Schon die Vorbereitung ist eine andere als früher; täglich klicke ich mich durch die Webcams, sehe Wetterdaten auf dem Smartphone, bin nicht mehr Mitte zwanzig, nein, ein halbes Leben ist vergangen seit meiner primären Begegnung mit dem Land im Norden.
Ich freue mich auf die Morgen, wenn ich das Zelt geöffnet habe, warm eingepackt in den Schlafsack, und hinaus blicke auf den wilden Nordatlantik oder verschneite Berge. Noch ein Sencha Uji Kyoto oder ein China Misty, bevor ich mich irgendwann überwinden muss, die warme Hülle zu verlassen und die vielleicht noch feuchte Radkleidung anzuziehen…
Vorbereiten von Müsliportionen
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Freitag, 22. Februar 2013
Nicht ganz ohne Nervosität verfolge ich seit Tagen in den Nachrichten, dass immer wieder das Sicherheitspersonal der deutschen Flughäfen streikt und in der Folge zahlreiche Flüge ausfallen. Noch Anfang dieser Woche war auch Hamburg davon betroffen. Das hätte mir gerade noch gefehlt.
Doch ich kann beruhigt sein: heute ist Köln dran. Werde ich also voraussichtlich am Abend in Island sein.
Um halb sieben stehe ich auf, frühstücke gemeinsam mit meinen Töchtern und kümmere mich dann um meine Ausrüstung. Das Hauptgepäckstück darf 23 kg nicht überschreiten - nachdem wir dereinst auf dem Flug nach Schottland so kräftig draufzahlen mussten, nehme ich dieses Limit ernst. Dies ist kaum ein Problem, eher habe ich damit zu kämpfen, die maximal zulässige Größe des Gepäckstücks nicht zu überschreiten. Mithilfe von Ikea-Taschen und den Spanngurten, mit denen ich sonst Kajaks auf Dachgepäckträgern fixiere verzurre und komprimiere ich die Radtaschen und Packsäcke zu einem Klumpen, der am Ende ziemlich genau 23 kg wiegt und auch dem vorgeschriebenen Maß entspricht.
Ein kleiner Tagesrucksack wird mit den zugelassenen 8 kg für das Handgepäck vollgestopft, zwei Jacken werde ich anziehen und am Fahrrad fixiere ich die Taschen mit Werkzeug und Ersatzteilen sowie meine Radkleidung (das Rad, welches als Sportgepäck mit 45,- pro Strecke zu Buche schlägt, darf maximal 23 kg wiegen, das muss ich doch ausnutzen!). So bekomme ich alles mit, was ich benötige. Am Ende wird das Rad nach altbekanntem Muster mit Pappen eingepackt und dann kann die Reise beginnen.
Um zwölf Uhr bin ich dann pünktlich wie verabredet bei meiner Kletterfreundin Sarah, die mich freundlicherweise nach Hamburg zum Flughafen bringt. Ohne Schwierigkeiten erreichen wir zeitgerecht den Terminal, mit einem herzlichen Dankeschön verabschiede ich mich.
Flott werde ich mein Gepäck los und habe dann noch ziemlich viel Zeit, bis es endlich losgeht. Mit einem Bus werden wir Fluggäste zu der Maschine gebracht, die gerade beladen wird.
Ich entdecke mein Rad auf dem Gepäckwagen und sehe nicht ganz ohne Entsetzen die kleine Luke, durch welche im Heckbereich des Flugzeugs Koffer und Taschen eingeladen werden. Da passt unmöglich ein Fahrrad hinein!
Ich steige dann in den Flieger ein und kann nicht weiter beobachten, was da draußen geschieht, bin mir aber fast sicher, dass ich bald ein Problem habe, wenn ich in Keflavík ohne Fahrrad stehe… Niemals kriegen die mein Rad in diese winzige Luke!
Banges Warten.
Erleichterung dann in Kopenhagen: ich entdecke mein Fahrrad (kopfüber stehend) auf dem Gepäckwagen. Wie auch immer die das nun hierher bekommen haben, egal, ich bin froh, dass es nicht noch in Hamburg steht…
Drei zähe Stunden muss ich auf meinen Anschlussflug nach Island warten, dann wird es langsam ernst!
Es geht an Bord, Eyafjallajökull heißt die Maschine, ach, wie das klingt! Und plötzlich bin ich umgeben von lauter Isländern, höre nach langer Zeit diese Sprache wieder, bin kurzzeitig etwas gerührt.
Besonders viel Platz habe ich auch in diesem Flugzeug nicht. Mahlzeiten oder Snacks bekommt man nur gegen Bezahlung. Ich denke mir, das war doch früher besser, da gab es immer irgendetwas. Lediglich Getränke werden ohne Aufpreis verteilt. Ich trinke mehrere Becher Kaffee, was aber nichts an meiner Müdigkeit ändert.
Pünktlich um 22:30 nach knapp drei Stunden landet der Flieger. Kein Nordlicht, keine verschneite Landschaft. Stattdessen prasselt kräftiger Regen an die Scheiben, der Kapitän vermeldet: "…local temperature 8°C…". Nicht überraschend für mich, das ist seit Tagen so, wie ich im Internet erfuhr.
Ich suche mir dann eine etwas abgelegene Ecke im Bereich der Eingangshalle, wo ich mein Rad montiere und mein Gepäck umpacke. Nach einer Weile kommt ein Wachmann um die Ecke und spricht mich an. Zunächst erwarte ich, er will mich vor das Gebäude schicken, schließlich weisen überall Schilder darauf hin, dass die Fahrradmontage untersagt ist. Doch er erkundigt sich nur nach meinen Plänen. Als ich ihm erzähle, dass ich gedenke, nach Reykjavík zu radeln ist er einigermaßen entsetzt, fragt mich, ob ich wirklich wisse, was ich da vorhabe, wie ich fahren muss und wie weit das ist. Ich versichere ihm ja, ist mir alles bekannt. Er warnt mich noch vor dem vielen Verkehr und zieht dann weiter.
00:15 ist es schließlich, als ich durch die Drehtür hinaustrete aus dem Flughafengebäude. Der Regen fliegt horizontal, Wind pustet mir mit Macht um die Ohren… Keine eisige Schneeluft, eher kühler, nasser Frühling. Also: hinein in die Regenkleidung, hinein ins Abenteuer!
Mein aktueller Plan sieht folgendes vor: heute Nacht radeln bis kurz vor die Tore der Stadt, vielleicht bis in die Gegend vom großen Aluminiumwerk, dort zelten, morgen früh raus, um dann um neun Uhr den Bus nach Blönduós zu bekommen. Mittags in Blönduós sein, losradeln. Nordküste bis Akureyri ausfahren, "94er-Geburtstagspass" auf der Ringstraße nehmen. In Blönduós wird sich der Kreis schließen, dann so weit es geht auf der "Eins" in Richtung Reykjavík, ggf. Keflavík.
Ich radele hinaus in die Nacht, stelle sehr schnell fest, dass es extrem windig ist, ja extrem. Es pustet aus Südost (natürlich) und ich habe ernsthaft Probleme mit dem Handling des Rades. Es ist außerordentlich anstrengend. Ich finde die Aussage des Wachmanns bestätigt, tatsächlich sind unerwartet viele Autos unterwegs. Was wollen die alle mitten in der Nacht?
Relativ schnell wird mir klar, dass ich es nicht schaffen werde, den angepeilten Bus zu erreichen.
Ich bin bald nass bis auf die Haut, hundemüde, kämpfe mit dem Wind, ringe der Straße mühsam Meter um Meter ab. Immer wieder werfen mich Böen aus der Spur, zum Glück ist der Randstreifen breit genug, so dass ich nicht auf die Fahrbahn gerate. Man hat seit meinem letzten Aufenthalt in Island die Piste hier kräftig ausgebaut; war es dereinst eine kleine Straße, so ist es nun ein breites, vierspuriges Asphaltband.
Während ich so monoton vor mich hinpedaliere, bemerke ich irgendwann, dass hinter mir ein Auto fährt, aber nicht überholt. Das geht eine ganze Weile so. Ich drehe mich gar nicht um, bin so in meinem Trott vertieft, in dieser bleiernen Mischung aus Müdigkeit und Anstrengung, dass ich dem keine Bedeutung beimesse. Irgendwann beschleunigt das Fahrzeug und fährt neben mir her, es ist ein kleiner Suzuki-Jeep. Im Fenster hängt ein Irrer und richtet eine silbern glänzende Pistole auf mich, zielt auf meinen Kopf und schreit unverständliches Zeug. Ich blicke nach links, schaue ihn an (in meinem Blick muss zu lesen gewesen sein: "hä, was bis du den für ein Spinner?!"), trete unvermindert weiter in die Pedale und frage mich, was das denn jetzt soll. Wohl eine halbe Minute geht das so, die ganze Zeit hält der Fahrer mein Tempo und der verrückte Beifahrer fuchtelt mit der Waffe herum und brüllt.
Interessanterweise nehme ich das zu keiner Zeit als Bedrohung wahr, denke eigentlich gar nicht viel, so hypnotisiert bin ich von meiner Regenfahrt und dem Windkampf. Irgendwann gibt er dann Gas (bin ich ihm wohl zu langweilig?) und fährt davon, biegt einige Hundert Meter weiter rechts ab und verschwindet.
Auch im Nachhinein kommt kein Adrenalinschub, eher nüchtern frage ich mich kopfschüttelnd, was das denn nun für ein Film gewesen ist. Hätten die mir ernsthaft was anhaben wollen, so hätten sie es vermutlich getan, es wäre ja ein leichtes gewesen, mich ins Lavafeld abzudrängen. So nehme ich an, die waren einfach nur betrunken und wollten sich mit dem bekloppten Touristen mal einen kleinen Scherz erlauben. Wenn es ihre Absicht war, mich zu erschrecken, so ist ihnen das nicht gelungen.
Ich radele weiter und weiter und inspiziere nebenbei die Randzonen neben der Straße im Lichtkegel meiner hellen Lampe, um einen Schlafplatz zu finden. Sieht eine ganze Weile nicht gut aus, doch irgendwann, um 02:30, nach lediglich 17 geradelten Kilometern finde ich eine potenziell geeignete Stelle. Inzwischen kommt auch kaum noch ein Auto vorbei.
Ich habe mein neues Hilleberg noch nie im Sturm aufgebaut, hatte mich aber im Vorfeld informiert, wie das funktioniert und so gelingt das Aufstellen bereits im ersten Anlauf souverän. Ich steige mit den nassen Sachen in den Schlafsack, denke, das ist die einzige Möglichkeit, sie bis zum Morgen wieder trocken zu bekommen. Leider funktioniert das nicht, nach einer Stunde ziehe ich die Hose (mit dem regengetränkten Sitzpolster) doch noch aus, es ist einfach zu unangenehm.
Ich finde unruhigen Schlaf und wache um viertel vor acht auf, während draußen ganz allmählich die Dämmerung einsetzt.
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Samstag, 23. Februar 2013
Ich bin todmüde, das gute Soulo wird vom Wind gepeitscht, Regen prasselt auf das Dach alles kommt mir absolut surreal vor. Ich öffne den Reißverschluss ein wenig, blicke hinaus in die trübe Landschaft, sehe die Straße mit ihrer Laternenreihe, die Autos, die Lavawelt, das Moos.
Ich schreibe eine SMS an meine Frau.
Dann drehe ich mich noch mal um und raffe mich erst um neun auf, das Zelt abzubauen. Immerhin ist es inzwischen trocken, ich "frühstücke" einen Mars-Schokoriegel und radele los, wieder hinein in den Wind. Ein Auto nach dem anderen brettert vorbei, ich bin genervt davon. War der Verkehr damals auch so ausgeprägt oder nehme ich das heute nur so wahr? Ich denke, Island empfängt mich nicht besonders nett. Nebenbei spüre ich, dass der Hinterreifen ganz langsam Druck verliert, immer mal wieder setzt dann doch leichter Regen ein. Leider streikt auch mein Garmin-GPS, so dass ich gezwungen bin, mich bei meiner Fahrt hinein nach Reykjavík an den großen Einfallstraßen zu orientieren, anstatt, wie ich es mir eigentlich dachte, kleine "Schleichwege" zu nehmen. Das macht wenig Spaß, aber schließlich erreiche ich das Stadtzentrum.
Ich bin etwas planlos, kann mich nicht so recht entscheiden, wie es weiter gehen soll. Heute noch in Richtung Norden radeln? Wegen des kräftigen Südwindes ist das eine Option, die ich durchdenke. Andrerseits sind noch einige Dinge zu erledigen: ich brauche noch Gaskartuschen (…auch das war früher besser, da durfte man die Dinger noch im Flieger transportieren), muss noch ein paar Lebensmittel kaufen und irgendwie meinen Hinterreifen reparieren.
Schließlich entscheide ich mich dafür, die Nacht in Reykjavík in der Jugendherberge zu verbringen (etwas widerwillig zwar, hätte lieber gezeltet, aber ist schon okay). Kaum dass ich diesen Entschluss gefasst habe, geht es mir besser. Es ist gut, einen Plan zu haben!
Auf dem Laugavegur gibt es inzwischen eine Reiseausrüster-Laden, so dass ich schnell zu meinen Kartuschen komme. Bei der Busgesellschaft informiere ich mich, wann und von wo denn morgen ein Bus nach Blönduós fährt und lasse mir versichern, dass die Radmitnahme möglich ist. Trotz Müdigkeit bin ich guter Dinge und radele zur Sólfar-Skulptur, mache einige Fotos von mir mit dem Ding mit Selbstauslöser.
Dann geht's zur Jugendherberge.
Mir wird für 2100 Kronen (etwa 12,35 Euro, also erstaunlich wenig) ein Bett in einem Sechsbettzimmer zugewiesen.
Ich genieße die Dusche, koche mir ein warmes Essen und eine Kanne Tee, kümmere mich dann auf der Holzterrasse im Hof um mein Fahrrad. Ich baue einen neuen Schlauch ein, der dann auch keine weiteren Zicken macht. Schließlich unternehme ich noch einen kleinen Spaziergang durch das Areal hinter der Herberge. Dann noch ein Gang zu dem kleinen Supermarkt - ob es den wohl noch gibt? Ja, es gibt ihn noch! Ich kaufe Hraun-Kekse und einen 500g-Becher Blaubeer-Skyr und freue mich darüber. Noch ein kurzer Gang zur nahen Küste und dann zurück zur Unterkunft.
Ich koche Tee, kaufe zwanzig Postkarten, die ich schon mal alle mit Adressen versehe, während ich nebenbei meinen Skyr vertilge.
Um 20:00 liege ich im Bett und obschon es unruhig ist und Nachbarn schnarchen, finde ich guten Schlaf, bis am nächsten Morgen um 07:10 der Wecker klingelt…
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Sonntag, 24. Februar 2013
Raus aus den "Federn", Tee kochen, letzte Sachen einpacken. Ich trödele dabei vielleicht ein wenig zu lange herum, komme erst um 08:15 los, noch eine gute halbe Stunde, bis der Bus von Mjódd abfährt. Und wo genau ist Mjódd? Mit einem funktionierenden Navigationsgerät wäre das alles einfacher. Eine Detailkarte von der Stadt habe ich nicht, hatte mir aber am Vorabend am Campingplatz den Stadtplan angesehen und versucht, mir so gut wie möglich die Strecke einzuprägen.
Sonntagmorgen herrscht noch wenig Verkehr, das ist gut. Ich gebe Gas, keuche im Regen die Hügel der Stadt hinauf, bin nass geschwitzt, glaube zwischenzeitig schon, ich schaffe es nicht rechtzeitig.
Wenige Minuten vor Abfahrt des Busses erreiche ich Mjódd, flott sind die Taschen vom Rad abgenommen und mit Hilfe des freundlichen Busfahrers verschwindet mein Rad und das ganze Gepäck hinter einer der Ladeklappen.
Im Bus besteht Anschnallpflicht. Es gießt in Strömen, als die Fahrt beginnt. Oft wird angehalten, im Stadtbereich werden viele Haltepunkte angefahren. Immer wieder grabe ich in meinen Erinnerungen, versuche, etwas wiederzuerkennen. Einst radelten wir von Thingvellir kommend hinein in die Stadt. Ich glaube, damals war das auch noch nicht so eine autobahnartige Riesenstraße.
Es kommt der "neue" Tunnel gefolgt von einiger Kurverei durch Akranes, bevor es weitergeht in den Norden. Mittlerweile hat es aufgehört zu regnen, die Landschaft zeigt sich karg und immer, wenn die Straße von einem Fluss begleitet wird, ist dieser voller teils wild verkanteter Eisschollen. Irgendwann sind die Westfjorde ausgeschildert und ich frage mich, wann wohl der Tag kommen wird, da ich an dieser Stelle abbiege und endlich mal diesen abgelegenen Winkel des Landes beradele.
An einer Tankstelle wird dann eine zwanzigminütige Rast eingelegt und gegen 13:00 trifft der Bus in Blönduós ein. Die Sonne scheint, Wolken ziehen vorüber, ein mächtiger Wind weht. Binnen kürzester Zeit ist mein Rad startklar und sofort fahre ich aus dem kleinen Ort hinaus, möchte von der relativ befahrenen Ringstraße fort und auf die ruhige 74. Schon auf diesen ersten Metern wird mir gewahr, dass ich es hier mit einem besonderen Wind zu tun habe; die Böen haben genug Kraft, mich aus der Spur zu werfen und mir das Leben schwer zu machen. Da es aber weiterhin vorwiegend aus Süden pustet, ist das nur für wenige hundert Meter von Belang. Abseits der Ringstraße hocke ich mich ins Gras und mache mir etwas zu essen, hatte ja noch nicht gefrühstückt. Das ist leichter gesagt, als getan, denn der Wind will mir immer wieder die Brotscheiben wegpusten. Außerdem setzt plötzlich kräftiger Regen ein, so dass ich mich veranlasst sehe, mich entsprechend umzukleiden.
Ist zum Glück nur ein kurzer Schauer. Nach der Stärkung und einer guten Tasse Tee geht die Fahrt nun richtig los. Der Rückenwind ist genial, die Landschaft auch: vor allem der Blick nach links über das Meer ist schön, im Hintergrund verschneite Berge. Ich mache viele Fotos, halte oft an und schaue, freue mich, hier zu sein. Ein bisschen bang ist mir hinsichtlich des Windes, denke ich an den morgigen Tag, wenn ich südwärts fahren werde und er mir von vorne begegnen wird. Zu viele Gedanken diesbezüglich mache ich mir aber nicht, denn wer weiß, vielleicht lässt er ja auch nach oder dreht. Und ändern kann ich es sowieso nicht.
Ich bin ohne GPS unterwegs - das Teil ließ sich auch heute nicht in Betrieb nehmen - und auch ohne Tacho, denn den muss ich irgendwo verlegt haben, konnte ihn heute Morgen nicht finden. Als ich den Nordzipfel der Halbinsel erreiche und allmählich auf Ostkurs gehe, halte ich Ausschau nach einem schönen Schlafplatz, den ich auch bald finde.
Schnell steht das Zelt und ich schwelge in höchsten Genüssen, was meinen Lagerplatz angeht. Blick auf das Meer, wunderbar leuchtendes Abendlicht, genial.
Ich stelle fest, dass der Akku meiner Nikon schon leer ist, was vermutlich an den diversen Videosequenzen liegt, die ich bereits aufnahm. Eigentlich war mein Plan, diese kleine Reise auch filmisch etwas ausführlicher zu dokumentieren und zwar mit der Nikon, die qualitativ gute Aufnahmen ermöglicht. Hatte mir im Vorfeld eigens noch mehrere GB Speicher zugelegt. Nun lasse ich es wohl doch lieber bleiben, denn wer weiß, wann ich mal wieder eine Steckdose sehe!
Ich zünde die Kerzenlaterne an, hänge sie in die geöffnete Apsis, koche mir Tee und eine warme Mahlzeit und freue mich über all dies. Das sind doch die Momente, die es ausmachen, dieses "wonderful life outdoors", in denen das Leben besonders lebenswert ist! Mit dem Wind geht es gerade so. Zum Nachtisch werden noch ein paar Hraun-Kekse gefuttert, bevor ich mich dann in meinen Schlafsack verziehe.
In der Nacht setzt wieder Regen ein und der Wind legt noch mal ordentlich zu.
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Montag, 25. Februar 2013
Ein Lärm ist das! Trotz Oropax höre ich, wie der Wind heult, das Material flattert, immer wieder schlagen Böen in die Zeltwand und ich bin ernsthaft in Sorge um mein gutes Soulo. Vom alten Vaude habe ich einst an der Askja auch geglaubt, es sei unzerstörbar - bis dann im nächtlichen Sturm die Stange brach. Doch das gute Hilleberg hält sich tapfer und trotzt den wilden Umständen.
Gegen neun hört es auf, zu regnen und ich koche mir Tee. Dies muss wetterbedingt im Zelt geschehen, was mir nicht ganz geheuer ist. Aber ohne Tee? Das geht nicht. Ich bereite mir ein Müsli, das heißt, ich erhitze einen halben Liter Wasser und gebe es zu einer meiner im Vorfeld der Tour vorbereiteten Mischungen (Basismüsli, Rosinen, Nüsse, Kokosflocken, Milchpulver), die ich mir mit meinem Vakuumverschweiß-Gerät angefertigt hatte.
Im Schlafsack sitzend nehme ich die Mahlzeit ein. Das ist mit dem dicken Ajungilak nicht ganz einfach, da dessen Reißverschluss nur relativ kurz ist - dies ist hinsichtlich der Wärmeerhaltung eine gute Sache, beim Nutzen des Schlafsacks "als wärmendes Kleidungsstück bei verschiedenen Verrichtungen" allerdings eher ein Nachteil. Allerdings perfektioniere ich von Tag zu Tag die Handhabe…
Gegen halb elf beginnt meine Fahrt, der Wind weht teils auch aus westlichen Richtungen, so dass er mich zunächst schiebt. Mit guten 25 km/h drückt er mich vor sich her, ohne dass ich Treten muss, selbst Hügel geht es flott hinauf. Völlig verrückt. Mich erinnert das daran, als ich im vergangenen Jahr mit Birgit nördlich der dänischen Insel Als paddelte und uns der Sturm vor sich hertrieb, ohne dass wir auch nur einen Paddelschlag machen mussten.
Zu meiner Linken sehe ich das Meer mit zahllosen weißen Schaumkronen und verwehter Gischt. Schaut man sich die Definitionen der Beaufort-Skala an, so müssen es Verhältnisse zwischen Stärke 7 und 9 sein.
Nach vielleicht zehn Kilometern erreiche ich das Gehöft Hraun (ein beliebter Name in diesem Land…). An dieser Stelle knickt der Verlauf der Straße nach Süden ab und da haut's mich fast vom Rad. An Fahren ist teilweise nicht zu denken und auch das Schieben des Rades ist eine Tortur: mit aller Kraft stemme ich mich gegen den Lenker und versuche, das Rad Stück für Stück voranzuschieben. Immer wieder rutsche ich dabei auf der Schotterstraße weg, komme nur langsam vorwärts. Diese Spitze der Landzunge ist in ihrer Exponiertheit besonders vom Wind heimgesucht, einige Kilometer weiter südlich geht es teilweise besser, da kann ich immerhin wieder fahren.
Landschaftlich ist die Strecke eine Freude: das wilde Meer ist nie weit, die Küste, sodenn sie einsehbar ist, zeigt sich steil und schroff.
Am frühen Nachmittag lege ich eine Pause ein, länger als zwanzig Minuten mag ich nicht in der Bewegungslosigkeit verharren, dann wird es mir ungemütlich kalt. Windmäßig geht es jetzt, immerhin muss ich keine unfreiwilligen Schiebepassagen mehr einbauen.
Gegen 17:00 suche ich mir einen Schlafplatz, die Wahl fällt auf eine steppenartige weite Fläche unterhalb der quasi unbefahrenen Straße, von deren Wall ich mir ein Minimum an Windschutz erhoffe. Schon wieder so ein fantastischer Fleck! Ich sitze im Zelt, blicke hinaus in die Weite, kann Pferde sehen vor der Bergkette, welche mein kleines Tal begrenzt. Toll.
Es gibt süßen Reis und Tee zum Abendessen, danach werden ein paar Postkarten geschrieben und dann gehe ich auch schon bald schlafen. Regen setzt ein.
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Dienstag, 26. Februar 2013
Regen, Regen, Regen. Es prasselt aufs Dach, ich mag gar nicht aufstehen, drehe mich immer wieder um und schlafe letztlich fast bis halb neun.
Dann aber doch mal hoch! Strategie Abwarten. Tee kochen und Müsli bereiten, wird schon aufhören, das Geprassel. Schließlich sind Topf und Tasse leer - und es regnet immer noch. Nützt also nichts, wenn ich auf meiner Weide nicht versauern will, dann muss ich jetzt hinaus in die Nässe. Gegen halb elf bin ich dann abfahrbereit und rolle los. Es geht, das war mir durchaus klar, direkt bergauf und zwar auf einer Länge von sieben Kilometern (mein Tacho ist inzwischen in den Tiefen meiner Taschen wieder aufgetaucht) bis auf eine Höhe von gut 200 Metern, zumindest, wenn ich den (nachträglich ermittelten) Werten von GoogleEarth glauben kann. Es regnet die ganze Zeit, allerdings bei weitem nicht so kräftig, wie auf meiner Nachtetappe nach der Ankunft in Keflavík, so dass ich nicht völlig durchnässt bin. Die Abfahrt nach Saudárkókur ist schön, ich kann mich fast die ganze Zeit rollen lassen. In dem etwas trostlos erscheinenden Ort fülle ich in einem kleinen Supermarkt die Vorräte auf: Brot, Wurst, Maryland Chocolate Chip Cookies und Ingwerkekse. Die "Ginger Snaps", die ich früher immer gegessen habe, gibt es nicht mehr; sie heißen jetzt anders, schmecken aber noch genau so, wie ich sie in Erinnerung hatte. Lecker.
Weiterhin fällt Regen, allerdings drehe ich allmählich besser in den Wind, verlasse den Ort nach Osten und fahre nun eine ganze Weile entlang der Küste des Skaga Fjords. Dann, plötzlich, öffnet sich die Wolkendecke und ich habe das Vergnügen, im leuchtenden Sonnenschein zu radeln. Und als ich schließlich auf die Straße Nr. 76 gelange und fortan nordwärts fahre, kommt noch ein grandioser Rückenwind hinzu.
Eine besondere Freude sind mir in diesen Tagen stets die großen Herden von Islandpferden, die auf weiten Koppeln viel Raum für Bewegung haben. Wenn ich herangefahren komme, stehen sie oft da, verfolgen mich mit ihren Blicken, um dann, einem mir nicht erkennbaren Impuls folgend synchron davonzulaufen. Plötzlich halten sie dann wieder inne, wenden alle gleichzeitig ihre Richtung. Wenn sie sich dicht genug an mir vorbeibewegen, dann höre ich das beeindruckende Trappeln der Hufe, herrlich. Es ist mir Sinnbild größter Freiheit.
Die Etappe ist grandios, ich fahre die ganze Zeit direkt an der Küste: wunderbare Landschaft, tolles Licht. Ich habe keine Probleme, einen Bach zu finden, aus dem ich meine Wasservorräte auffüllen kann. Im Skaga Fjord liegt die kleine Insel Málmey, welche eine schmale Verbindung zum Festland hat. Die Wasserflächen dazwischen sind vollständig vereist und glänzen im hellen Sonnenlicht. Welch ein berauschender Anblick.
Nicht ganz ohne Sorge denke ich allerdings schon die ganze Zeit daran, wie ich denn wohl bei diesem Sturm das Zelt sicher werde aufstellen können. Am späten Nachmittag halte ich Ausschau nach einem Schlafplatz und stelle fest, dass es in dieser vegetationsarmen Gegend quasi keinen Windschutz gibt. So entscheide ich mich für einen Platz unterhalb eines kleinen Dammes, auf dem einer der zahlreichen Webcam-Masten steht, und versuche mir einzureden, dass dieser dem Sturm wenigstens ein bisschen von seiner Gewalt nimmt. Weiß nicht, ob das nun etwas nützt oder nicht, das was an Luftbewegung ankommt, ist immer noch schlimm genug.
Der Boden ist zudem hinterhältig: er täuscht vor, ein ganz normal begehbarer Schottergrund zu sein, doch gibt es Stellen, auf die man besser nicht tritt: sie entpuppen sich nämlich als tiefer Schlamm. Also: immer auf die größeren Steine treten! Um den Heringen Halt zu geben, sichere ich sie mit großen Steinbrocken und hoffe dabei nur, dass sich an diesen nicht die Leinen durchreiben.
Der Lärm, das Geflatter, das Getose und die Rücksichtslosigkeit, mit der da an meinem schönen Soulo gezerrt wird - und damit verknüpft die ernste Sorge, dass das Material dem diesmal nicht standhält, nehmen mir die Lust, noch ein Abendessen zu kochen. So futtere ich zunächst nur jede Menge Maryland-Schokokekse und lege mich dann hin. Später koche ich mir doch immerhin noch mal einen Tee.
Mein Gepäck bleibt weitgehend in seinen Taschen, ich kalkuliere die Möglichkeit einer in der Nacht notwendigen Evakuierung ein und denke, wenn es dazu kommt, ist es umso einfacher, je weniger dann im zerstörten Zelt noch so herumfliegt. Vorm Schlafen noch ein Kontrollgang: alle Leinen gespannt, die Heringe in Position. Okay.
Dann werden die Oropax so tief in die Ohren gedrückt, wie nur möglich und ich verkrieche mich in meinen Schlafsack. Dennoch wird es eine unruhige, bange Nacht. Um zwei Uhr wiederhole ich meinen Kontrollgang - noch immer ist alles gut. Ich staune und freue mich.
Welch eine Naturgewalt!
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Mittwoch, 27. Februar 2013
Mit nicht unerheblicher Erleichterung nehme ich zur Kenntnis, dass das Zelt nach wie vor steht, wie eine Eins. Alle Leinen sind intakt und in Position, die Planen in Ordnung, die Stangen unversehrt.
Nach Tee und Müsli muss ich hinaus in das Getöse, welches unvermindert anhält. Es ist kaum möglich, gerade zu stehen, unglaublich. Zum Glück beobachtet niemand meinen Zeltabbau, denn dieser gerät zu einem sonderbaren Tanz: ich muss aufpassen, dass ich nicht umgeweht werde und gleichzeitig darauf achten, nicht in eines der tückischen Schlammlöcher zu treten (letzteres gelingt nur eingeschränkt…).
Dementsprechend problematisch ist dann auch mal wieder das Handling des Rades, wieder und wieder wirft es mich aus der Bahn, immer wieder sind Schiebepassagen unumgänglich.
Die Sonne scheint und zaubert ein herrliches Licht, die schneebedeckten Berge sind schön anzusehen und immer wieder erfreue ich mich an den zahlreichen Pferden.
Entspanntes Genuss-Radeln geht allerdings anders. Und auch wenn irgendwann der Wind etwas besser steht und mein Vorankommen nicht mehr ganz so konsequent konterkariert, so komme ich doch nach und nach zu der Erkenntnis, dass Island im Februar per Rad vielleicht eher eine suboptimale Idee ist. Zumindest, wenn man nur relativ wenig Zeit hat, wie es bei mir der Fall ist. So ein bisschen sitzt mir es schon immer im Nacken, dass ich in relativ naher Zukunft wieder in Keflavík sein muss. Wenn ich mir vorstelle, ich hätte einen Monat oder länger zur Verfügung, dann wäre das sicher entspannter.
Die Nordküste auf dem Weg nach Siglufjördur ist in ihrer dunkel-kargen Gestalt von wilder Schönheit und bietet mir sogar teilweise Rückenwindpassagen. Es ist ein beständiges auf und ab, wobei ich mich auf den Abfahrten zumeist zwinge, nicht zu schnell zu fahren - habe großen Respekt vor möglicherweise von der Seite einfallenden Windböen, die ohne weiteres das Zeug dazu hätten, mich den Abhang hinunterzupusten.
Einer der zahlreichen Masten am Straßenrand, an denen Webcams installiert sind. Diese lassen sich auf der Seite
Vegagerdin (ist hier verlinkt)
betrachten. Dort gibt es auch Straßenzustandsberichte und Wetterdaten fast in Echtzeit.
Leuchtturm Sauðanes im Norden Islands.
Ich komme in die kleine Stadt, durchfahre sie und entdecke am Ortsausgang ein verglastes Bushäuschen - ein genialer windgeschützter Platz für eine Brotzeit und eine gute Tasse Tee. Bald werde ich die Tunnel erreichen, die auf dem Weg nach Olafsfjördur zu durchfahren sind. Ich habe im Vorfeld bei meinen Recherchen daheim nicht herausfinden können, ob diese für die Nutzung durch Radfahrer zugelassen sind oder nicht. Sollte es ein entsprechendes Verbot geben, so müsste ich mir eine Alternative suchen. Vielleicht könnte ich dann einen Bus nehmen?
Ich gelange dann zum Tunneleingang und kann mit Freude feststellen, dass dieser konkret nur für Reiter und Fußgänger gesperrt ist. Steht einer Durchfahrung also nichts im Wege. Der erste der beiden Tunnel misst vier, der zweite dann sieben Kilometer. Beide sind breit, sehr gut beleuchtet, kaum befahren und alle paar hundert Metern mit Schildern ausgestattet, die Auskunft darüber geben, wie viel Strecke man schon zurückgelegt hat und wie viel noch verbleibt. Zu Beginn allerdings ist mir schon ein bisschen mulmig, mir kommt plötzlich der Gedanke, ich könnte infolge einer Kohlenmonoxid-Intoxikation das Bewusstsein verlieren und auch die Enge wirkt beklemmend auf mich. Ich ringe einen kurzen Anflug von Panik nieder, zwinge mich zu ruhiger Atmung und strammem Pedalieren. Immerhin bin ich tief im Berg vor dem Wind sicher! Ich komme gut voran und schon bald ist der erste Tunnel geschafft. Nun habe ich ein kurzes Wegstück Tageslicht und frische Luft, bevor der zweite, längere Weg in den Untergrund zu fahren ist.
Kurz vor Olafsfjördur spuckt mich der Berg wieder aus. Das wäre geschafft! Also wieder hinein in den Wind! Im Ort werfe ich ein paar fertige Postkarten ein, folge dann dem Verlauf der Straße entlang der Küste und habe schon bald den nächsten Tunnel vor der Nase, diesmal von drei Kilometern Länge und älterer Bauart. Das bedeutet, er ist schmal und schlecht beleuchtet. Alle paar hundert Meter gibt es Ausweichbuchten, die es ermöglichen, dem Gegenverkehr Platz zu machen. Da mein toller Nabendynamo bzw. das schöne SON-Licht seit geraumer Zeit seinen Dienst versagt, habe ich mir meine Stirnlampe aufgesetzt, um besser sichtbar zu sein. Mit viel Verkehr habe ich allerdings auch hier nicht zu tun.
Héðinsfjarðargöng
Flott kann ich auch diesen Abschnitt hinter mir lassen und gelange wieder ans Tageslicht. Ich nutze den Windschatten am Tunnelende, um mir noch mal eine Tasse Tee einzuschenken. Während ich diesen genieße, schaue ich mich um und entdecke, dass unmittelbar neben dem Ausgang der Röhre ein kleiner Parkplatz befindlich ist. Dieser ist nach hinten zur Windseite begrenzt durch die Betonwand des Tunnels und erlaubt nach vorne den Blick auf den Eyarfjördur. Vom Berg hinab fließt ein Bach mit frischem Wasser, kurzum: ein genialer Zeltplatz! Ich muss gar nicht lange überlegen, sondern entschließe mich schnell, hier zu übernachten. Gut sechzig Kilometer bin ich bereits gefahren, das ist auch okay.
Um den Windschatten optimal auszunutzen, stelle ich das Zelt so dicht an die Betonwand, wie es geht. Nur kurze Zeit später setzt Regen ein und ich muss mich fragen, ob der Stellplatz wirklich so clever gewählt war: denn über die Kante des Tunneldaches läuft das gesammelte Regenwasser direkt auf mein Zelt.
Na ja, ich denke, das wird es aushalten. Ich verkrieche mich in mein Nest, Schreibe Simsen und koche mir Nudeln. Inzwischen prasselt es auch nicht mehr auf das Dach, prima.
Wenig später erklärt sich auch, warum nicht: die Temperatur ist in der letzten Stunde drastisch gefallen, liegt aktuell bei minus drei Grad, was dazu führt, dass der Regen kein Regen mehr ist, sondern Schnee…
Windböen knallen mir trotz meines vergleichsweise geschützten Lagerplatzes noch in die Zeltwand, aber ich bin diesbezüglich relativ entspannt.
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Donnerstag, 28. Februar 2013
Es ist immer noch kalt, das Zelt, mein Rad und die draußen gelagerten Ortlieb-Taschen sind vereist und mit einer dünnen Schneeschicht bedeckt.
Ich habe schlecht geschlafen und viel blödes Zeug geträumt. Morgens um sieben kommt ein Räumfahrzeug auf den kleinen Parkplatz gefahren, ich wache von dem orangefarben blitzenden Warnlicht auf. Er scheint sich aber nicht um mich zu kümmern, sondern fährt nach kurzer Zeit wieder weiter.
Ich drehe mich noch mal um, stehe letztendlich erst um neun Uhr auf. Die Temperaturen liegen noch immer bei minus drei Grad. Kriege ich nun also doch noch etwas winterliche Verhältnisse! Das ist ja im Grunde das, was ich mir ursprünglich vorgestellt hatte, als ich diese Tour geplant habe. Und bislang hatte ich es eher mit milden drei bis acht Grad im positiven Bereich zu tun.
Die Aussicht ist toll, vor mir liegt der Fjord, die Sonne bricht immer wieder durch die Wolkendecke. Nach Tee und Müsli mache ich mich ans Einpacken und Abbauen des Zelts. Nein, vorher kontrolliere ich noch, ob das Fahrradschloss zugefroren ist, was mich nicht überrascht hätte. Mein Plan wäre gewesen, in diesem Fall den Schlüssel mittels Gaskocher zu erhitzen, um mein Rad freizukriegen… Zum Glück nicht nötig.
Eine weitere Besonderheit bei diesen Verhältnissen: die Segmente der Stangen sind zum Teil sehr fest zusammengefroren… Lauter kleine Widrigkeiten.
Ebenfalls kein Problem ist das Entfernen der Heringe. Auch hier hätte ich aufgrund der Konstellation "Erst Regen, dann Frost" durchaus erwartet, dass sie im Boden festgefroren wären. Das dies nicht passiert ist, ist sicher auch dem Umstand zu verdanken, dass ich auch hier alle Heringe zusätzlich mit Steinen gesichert hatte. Dies erweist sich heute als besonderer Vorteil: wenn ich die Steine wegnehme, sind die Heringe bestens einsehbar, nicht verschneit oder vereist - also auch gut zu finden - und somit leicht zu entfernen.
Das Erstaunlichste an diesem Morgen allerdings ist, dass es beinahe windstill ist! Es sind ungewöhnlich leise Momente. Was für ein Genuss! Am Bach fülle ich noch meine Flaschen auf, dann radele ich los in Richtung Süden, in Richtung Akureyri. Auch wenn es empfindlich kalt ist, so kann ich sagen, dass dies heute das erste Mal auf dieser Tour wirklich entspannte, gemütliche Verhältnisse zum Radfahren sind. Zwischendurch denke ich insgeheim, jetzt bloß kein Platten! Hätte keine Idee gehabt, wie ich bei der Kälte Reparaturen am Rad hätte durchführen sollen…
Winterliche Straßenverhältnisse am Eyarfjördur
Im Hafen von Dalvík
...ich bin ja extra vorsichtig gefahren - aber eine Entenfamilie habe ich der Eislandschaft nicht erblickt...
Ich folge dem Fjord und gelange bald in den kleinen Ort Dalvík, wo ich einen kleinen Einkauf erledige - mein Vorrat an Schoko-Keksen geht zur Neige… Und auch Gelegenheit, mal wieder eine Banane zu essen.
Je dichter ich an Akureyri herankomme, umso mehr Autoverkehr umgibt mich. Mich beschäftigt nun die Frage, ob ich wirklich in die Stadt hineinfahren soll, oder ob ich, wenn ich bald auf die Ringstraße stoße, rechts abbiege in Richtung Öxnadalsheiði. Die günstigen Wetterverhältnisse würden dazu einladen. Ich entscheide mich dennoch dafür, den Südkurs beizubehalten und in die Stadt zu fahren, habe Lust, ein bisschen auf den Pfaden der Vergangenheit zu wandeln.
Ich habe in Erinnerung, dass die Jugendherberge, in der ich einst mit Claudia auf unserer Wintertour übernachtete, im Norden der Stadt ist und hoffe, diese selbstständig wiederzufinden. Ich kurve durch die nördlichen Wohngebiete, kann das kleine Gebäude aber nicht finden.
So mache ich mich doch auf den Weg ins Zentrum, wo ich hoffe, die gewünschte Information zu bekommen. Am Hafen finde ich die Touristeninformation, einen riesigen, runden Bau, den es damals noch nicht gab. Ich erhalte einen Stadtplan und erfahre, wo ich hin muss - natürlich bin ich vorhin fast direkt dran vorbeigefahren…
Ich möchte erst einmal in der Herberge einchecken, daher mache ich mich direkt wieder auf den Weg dorthin, ohne mich weiter im Zentrum Akureyris aufzuhalten.
Ich finde das Gebäude geschlossen vor, kann mich aber über eine Sprechanlage anmelden. Eine freundliche Frauenstimme teilt mir mit, wo ich die Schlüssel finde und welches Zimmer ich beziehen kann, dann wird per Summer geöffnet. Später am Abend wird die nette Dame dann vorbeischauen und ich werde Gelegenheit finden, meine Rechnung zu begleichen. Ich wohne als zurzeit einziger Gast in einem Fünfbettzimmer, kann mich also ordentlich ausbreiten. Als Schnee und Eis von meinen Taschen schmelzen, muss ich erst einmal den Boden wischen…
Ich genieße die Dusche und mache mich dann bald auf einen kleinen Spaziergang in die Stadt - gut eineinhalb Kilometer sind es bis zur Akureyrarkirkja im Zentrum der kleinen Stadt. Ich möchte ein bisschen in meiner Vergangenheit stöbern und Wege gehen, die ich vor langer Zeit schon einmal ging oder fuhr - und dabei versuchen, Erinnerungsbilder mit der aktuellen Realität in Einklang zu bringen.
Im Hafen von Akureyri
So stiefele ich zum Hafen, zur Kirche und schließlich die steile Straße hinauf zum Schwimmbad. Dort ist auch der Campingplatz, der jetzt natürlich geschlossen hat (sonst würde ich ja auch dort übernachten). Ich umrunde das Areal und bin erstaunt, wie wenig Wiedererkennungseffekt hier gegeben ist. Auch als ich später durch die Einkaufsstraße allmählich wieder zurück zur Herberge gehe, kommt mir das alles ziemlich fremd vor.
Es herrscht reger und lauter Autoverkehr, viel Staub wird aufgewirbelt, oft riecht es nach Abgasen. Nervig.
Wieder am Hostel stelle ich erfreut fest, dass ich immer noch alleine in meinem Zimmer bin (das wird heute auch so bleiben). Ich koche mir Tee und esse Brot mit Lachssalat und zum Nachtisch einen Jogurt von der Sorte, wie es ihr damals auch schon gab. Ich nutze die Gelegenheit, dass es hier Elektrizität und ein offenes WLAN gibt, um ausgiebig im Internet unterwegs zu sein. Unter anderem schaue ich mir natürlich die Wettervorhersage an, was mich nicht froh stimmt: Regen und wieder deutlich mehr Wind, wobei es tendenziell zum Nachmittag mehr werden soll. Ich plane daher, zeitig aufzustehen, um früh unterwegs zu sein.
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Freitag, 01. März 2013
In der Nacht bin ich oft wach und höre dann, wie der Wind lautstark um das Haus heult. Ich nehme das schließlich zum Anlass, mich gegen eine Weiterfahrt zu entscheiden, so dass ich den Wecker ausschalte und dann lange ausschlafe.
Ich frühstücke ausgiebig mit einer Kanne Tee in meinem Zimmer und schaue mir nebenbei Spiegel-TV-Videos auf meinem Smartphone an.
Die freundliche Angestellte taucht irgendwann wieder auf, ich bezahle für eine weitere Nacht und bekomme auf Nachfrage die Erlaubnis, in einer ungenutzten Dusche mein pitschnasses Zelt zum Trocknen aufzuhängen. Später koche ich eine weitere Kanne Tee, lese alle interessanten Artikel im Buch zur Nikon D90, welches ich im Gepäck habe.
Von draußen höre weiterhin den Wind heulen und immer wieder regnet es. Der Wind kommt aus exakt der Richtung, in welche ich weiterfahren soll, möchte ich meinen Kreis in Blönduós schließen. Mich macht das nicht froh und ich ziehe in Betracht, morgen mit dem Bus nach Reykjavík zu reisen und dann dort noch ein paar nette Tage zu verbringen, vielleicht noch einmal zu Blauen Lagune fahren, mal schauen.
Ich bin allerdings mit der Situation recht unglücklich. Nun hocke ich in einem Zimmer, schaue Videos, surfe im Internet und spiele mit dem Gedanken an eine Busfahrt. Dafür hätte ich eigentlich nicht die Reise nach Island unternehmen müssen.
Etwas lustlos raffe ich mich dann trotz leichtem Regen auf, noch mal einen kleinen Gang in die Stadt zu unternehmen. Will schon mal herausfinden, von wo denn der Bus abfahren würde, wenn es denn so kommen sollte.
Am Abend koche ich mir in der netten Küche Nudeln, bin der einzige Gast. Später habe ich eine ganze Weile Facebook-Kontakt mit meinen Töchtern.
Lärm, Staub und Abgase in Akureyri
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Samstag, 02. März 2013
Irgendwann in der Nacht rumpelt es kurz, als mein Mitbewohner einzieht. Ich schlafe aber schnell wieder ein und lerne ihn dann erst am Morgen kurz kennen, Simon, ein junger Fotograf aus Slowenien.
Als ich später aufwache, staune ich beim Blick aus dem Fenster nicht schlecht: die Sonne scheint, kaum eine Wolke ist am Himmel zu sehen und die Fahne am Gebäude gegenüber hängt träge am Mast - Hummeln im Mors, raus!!!
Ich hatte mich ja schon fast darauf eingestellt, dass diese kleine Reise ein etwas unrühmliches Ende finden könnte, sah mich schon im Bus nach Reykjavík sitzen. Und nun das, herrlich. Ich kann es kaum erwarten, auf mein Rad zu kommen.
Die Jugendherberge von Akureyri
Sonniger Start in den Tag
Noch ein kleiner Einkauf im Supermarkt gegenüber und dann rolle ich nordwärts aus der Stadt. Es ist noch relativ früh und es ist Wochenende, da sind noch nicht viele Autos unterwegs, überaus angenehm. Ich genieße die Fahrt. Nach etwa zehn Kilometern bin ich wieder dort, wo ich vorgestern schon einmal war, nämlich am Abzweig nach Dalvík. Ich folge allerdings weiterhin der Ringstraße und begebe mich nun auf Südwestkurs. Inzwischen weht natürlich doch auch wieder ein kräftiger Wind - und natürlich kommt der genau von vorne… Fahren ist aber problemlos möglich. Mal wieder komme ich nicht umhin, an 1994 zu denken, als ich an meinem Geburtstag genau diese Etappe schon einmal geradelt bin, damals allerdings im Sommer und in der Begleitung von Birgit. Während sich der Himmel nun allmählich zuzieht und es dabei empfindlich kalt wird, gewinne ich ganz gemächlich an Höhe. Ich muss sagen, ich kann mich an nicht viel wirklich konkret erinnern. Ich weiß noch, dass ich auch dereinst den sanften Höhengewinn als angenehm wahrgenommen habe und ich erinnere mich, dass wir in einem Gebäude auf einen Kaffee einkehrten. Ich nehme an, das wird Engimýri gewesen sein, etwas anderes kam entlang der ganzen Strecke nicht. Und natürlich sind mir die charakteristischen, gezackten Felsen des Hraundrangar noch gut im Gedächtnis. Damals fuhren wir erst am späten Nachmittag aus Akureyri los, fuhren auf die Passhöhe, um dort meine Geburtstag mir teurem Bier und Wein im Zelt zu begehen.
Das war vor fast zwanzig Jahren: Geburtstagsfeier auf der Passhöhe!
Die charakteristischen, gezackten Felsen des Hraundrangar
Es ist faszinierend zu sehen, wie auf dem kleinen Fluss neben der Straße die Eisschollen treiben und sich an manchen Stellen schroff verkanten und auftürmen.
Viele Autos kommen nicht vorbei und wenn, dann macht einer der Insassen meistens ein Foto von mir. Es scheint, ich bin wirklich ein Exot hier und jetzt und mit meinem Fahrrad! Das Tal ist wunderschön und lang. Da mein GPS ja dauerhaft ausgefallen ist, nutze ich meine alte Casio-Uhr mit ihrem Barometer zur Höhenbestimmung. Praktischerweise zeigt sie auch eine Temperatur an. Ich habe mir das Instrument an den Lenker geklettet, so dass ich die Daten immer im Blick habe.
Von der Sonne ist schon lange nichts mehr zu sehen und als ich in etwa die 300 hm-Marke erreiche, setzt Schneefall ein. Zunächst nur wenig, dann mit deutlich zunehmender Intensität.
Eine gute Gelegenheit, die Skibrille aus dem Gepäck zu kramen, die ich mir vor der Tour eigens für solche Fälle gekauft hatte. Habe ich sie wenigstens nicht vergebens eingepackt und ich muss sagen, nun bin ich ausgesprochen froh, dass ich sie habe! Auch der Wind nimmt zu, bewegt sich aber in einem Rahmen, da er das Fahren nicht ernsthaft behindert. Auf den letzten paar hundert Metern vor dem Erreichen der Passhöhe wird die Straße noch mal etwas steiler. Ich könnte von der Kondition her problemlos durchfahren, halte aber dennoch in regelmäßigen Abständen kurz an, um meinem Körper die Möglichkeit der "kleinen Regeneration" zu geben. Die Intention dabei: ich möchte so wenig schwitzen, wie möglich. Bald erreiche ich den höchsten Punkt (540m) der Straße und lege am Öxnadalsheiði-Webcam-Mast eine Tee- und Fotopause ein. Der Wind treibt losen Schnee über die Straße, es sieht aus, als würde da eine Flüssigkeit horizontal fließen, beeindruckend. Sieht allerdings auch auf den Fotos wilder aus, als es sich angefühlt hat.
Während ich also guter Dinge und frohen Mutes meinen Tee schlürfe, kommt der Linienbus Akureyri - Reykjavík (Linie 57) den Berg hinaufgefahren. Der Fahrer stoppt sein Vehikel. Schon vorher hatten einzelne PKW angehalten bzw. die Fahrt verlangsamt und geschaut, ob bei mir alles o.k. ist. So wie bei denen, so winke ich nun auch dem Bus zu, will signalisieren, dass es kein Problem gibt, deute an, er kann beruhigt weiterfahren. Doch so leicht gibt er nicht auf, irgendwann kommt der Fahrer mit einem Mädel als Dolmetscherin hinaus zu mir in den Schnee und bietet mir an, im Bus mitzufahren, das Wetter würde noch einige Tage so bleiben. Ich muss ein wenig Überzeugungsarbeit leisten, denn er ist ziemlich hartnäckig, kann sich scheinbar so überhaupt nicht vorstellen, wieso da jetzt jemand mit dem Rad durch die Gegend fahren möchte, wo es doch auch anders ginge (vermutlich hält er mich am Ende für total bekloppt).
Ein paar Kilometer fahre ich noch. Dabei versuche ich natürlich, die Stelle auszumachen, an welcher wir vor 19 Jahren lagerten, was mir aber nicht gelingt. Bin mir nicht einmal sicher, ob nicht sogar der Verlauf der Straße auch in der Zwischenzeit geändert wurde, denn manchmal entdecke ich Rudimente einer alten Trasse abseits der heutigen, breiten und gut ausgebauten Piste. Ich freue mich auf den letzten Kilometern auf den Moment, da das Zelt steht, alles eingerichtet ist, ich im warmen Schlafsack liege und ich einen warmen Tee in der Hand halte. Das hat dann immer so etwas Heimeliges.
Es ist kein Problem, einen geeigneten Platz zu finden: ein kleines Stück abseits der Straße, hinter einem Graben entdecke ich einen Flecken mit Grasbewuchs. In mehreren Fuhren verfrachte ich mein Gepäck dorthin, bald steht auch das Zelt. Wieder sichere ich die Heringe mit großen Steinen. Speziell hier, in dem hohen Gras, bietet mir das zudem die Sicherheit, dass ich sie morgen früh auch wiederfinde.
Als ich mit allem fertig bin und der Kocher damit kämpft, das Wasser für das Abendessen zu erhitzen (dauert gerne eine halbe Stunde und länger), stelle ich fest, dass ich ganz schön erschöpft bin. Wie schön, dass ich mich nun bald hinlegen kann. Ein herrliches Gefühl, am Ende eines aktiven Tages draußen sich fallen zu lassen in den Schlaf.
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Sonntag, 03. März 2013
Gegen zehn ist mein Zelt eingeholt, das Rad beladen und durch den Graben zur Straße verfrachtet. Abfahrt bei minus drei Grad mit garstigem Gegenwind.
Nach vielleicht einer halben Stunde kann ich beobachten, wie eine finstere Wolkenwand auf mich zuzieht, wirklich beeindruckend! Kaum, dass sie mich erreicht, bin ich in heftiges Schneetreiben gehüllt und freue mich einmal mehr über meine Skibrille. Das Vorankommen ist etwas beschwerlich, aber problemlos möglich. Ich habe während der Tour übrigens dauerhaft meine Regengamaschen an. Das trägt zur Isolation bei und verhindert natürlich auch das Eindringen von Schnee bzw. Regen in die Schuhe. Außerdem sorgt es dafür, dass ich bis zum letzten Tag der Tour saubere Schuhe habe.
Die Wolkenwand kommt auf mich zu und wird Schnee bringen
Kurz vor Varmahlið
Bedingt durch den Wind und ein weiteres Abfallen der Temperaturen auf minus sechs Grad fühlt es sich empfindlich kalt an und eine Pause, die ich auf einem Parkplatz kurz vor Varmahlið einlege gerät ziemlich ungemütlich. Lange kann man es nicht aushalten, ohne sich zu bewegen. Als ich in den Ort gelange, hört das Schneetreiben wieder auf. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wo der Campingplatz war, auf dem wir damals zelteten. Außerdem hatte ich Varmahlið viel kleiner im Gedächtnis und mir war nicht gewahr, dass es am Hang einer Hügelkette gebaut ist. In meiner Erinnerung lag es in der Ebene und bestand aus kaum mehr, als einer Tankstelle. Na ja, ist eben fast ein halbes Leben her!
Die Straße windet sich nun nach oben und als ich nach einigen Kilometern den höchsten Punkt erreiche, zeigt meine Uhr knapp 500 hm an, GoogleEarth sagt, es sind gut 400 hm. Das Thermometer fällt auf minus neun Grad, da ist dann ein warmer Tee eine besondere Freude und auch hier mag ich mich nicht allzu lange bewegungslos aufhalten. Für ein kurzes Stück hält die Straße das Höhenniveau, dann geht es steil hinab. Vor allem die Randzonen sind teilweise stark vereist, so dass ich permanent auf der Bremse hängen muss - kein genussvolles Hinabsausen mit sechzig km/h… Das ist nicht nur anstrengend, sondern führt auch zu kalten Fingern und Füßen (die Großzehen werden noch zwei Wochen nach der Tour leichte Parästhesien aufweisen). Ich bin froh, als ich weiter unten wieder "normale" Straßenverhältnisse vorfinde und kräftig in die Pedale treten kann.
Es kommt dann irgendwann der Abzweig der Kjölur-Route, das heißt, nun fahre ich wieder auf neuer, unbekannter Strecke. Allmählich wird es Zeit, sich nach einem Schlafplatz umzusehen, was nicht ganz einfach ist, da in dieser Gegend schon wieder relativ viele Gehöfte stehen und damit viele Zäune. Mein Plan sieht vor, wenige Kilometer vor Blönduós zu lagern, um morgen früh nur noch ein kleines Stück zurückzulegen zu haben, damit ich auf jeden Fall genug Zeit habe, den Bus nach Reykjavík zu erreichen - notfalls zu Fuß. Ich nehme zu dieser Zeit irrtümlicherweise noch an, dieser würde bereits um 10:00 fahren. Nachher stelle ich erfreut fest, dass er erst um 13:00 Blönduós verlassen soll - kann ich also ausschlafen, hurra!
Der Wind ist weiterhin relativ kräftig und kommt mehr oder weniger von vorne. Es ist unter diesem Aspekt also egal, ob ich auf der rechten oder linken Seite der Straße mein Lager errichten werde. Schließlich finde ich eine kleine Grasfläche unterhalb der Straße mit Blick in ein weites Flusstal. Während ich mein Rad hinunterwuchte, reißt die Wolkendecke auf und die Sonne kommt heraus, es ist mit minus neun Grad weiterhin sehr kalt. Tolles Licht, traumhaftes Winterszenario!
Lagerplatz am Rande der Ringstraße, -9°C
Da der Boden vor allem aus gefrorenem Gras besteht, nutze ich heute erstmals die Schneeheringe, um dem Zelt mehr Halt zu geben, eine sehr gute Entscheidung, wie sich noch zeigen sollte.
Mir ist bitterkalt und ich zittere, als ich im Zelteingang hocke und versuche, den Gaskocher in Betrieb zu nehmen. Dem ist es aber heute auch zu kalt, er mag nicht so recht. So muss ich ihn bestimmt zehn Mal wieder entzünden, bis das Wasser für eine Tasse Tee endlich kocht. Das Wasser in meinen Trinkflaschen, welches ich erst vor kurzer Zeit einfüllte, ist auch schon zu einem beachtlichen Teil gefroren. Unter diesen Umständen koche ich mir dann keine warme Mahlzeit mehr, sondern esse Brote und Kekse.
Bin froh, als ich satt bin, denn nun kann ich mich in meinen warmen Schlafsack verkriechen. Ich ziehe mir von vornherein etwas mehr an, als in den vergangenen Nächten und ich nutze auch erstmals die Fuß-Wärmepads, die Birgit mir zu Weihnachten geschenkt hat. Eigentlich sind diese dafür gedacht, sie in den Schuhen unter die Socken zu kleben, doch sie funktionieren auch im Schlafsack super. Einmal aufgerissen produzieren sie effektiv Wärme. Auf diese Weise habe ich rasch wieder warme Füße und auch ansonsten friere ich in der Nacht zu keinem Zeitpunkt.
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Montag, 04. März 2013
Es ist sehr stürmisch in der Nacht, oft wache ich auf und schlafe wieder ein. Irgendwann spüre ich, dass es von der linken Seite her an meinen Schlafsack drückt. Es ist noch stockfinster, aber ich denke, ich muss der Sache mal auf den Grund gehen.
Die Kontrolle ergibt, dass die Apsis bis ganz oben unters Dach komplett mit Schnee zugeweht ist. Was da also an meiner Flanke drückte, das war Schnee. Mich überkommt ein kurzer Anflug von Nervosität, der sich allerdings schnell wieder legt, als ich feststelle, dass das Zelt nach außen hin frei ist, ich also nicht verschüttet oder zugeweht bin. Der Wind indes ist extrem, es schneit sehr stark, binnen Sekunden fliegen nicht unerhebliche Mengen in einen nur kurz geöffneten Zeltreißverschluss.
Keine Gefahr zwar, dennoch gelange ich zu der Überzeugung, ist es vielleicht besser, jetzt mal das Zelt einzuholen. Ich denke, das wichtigste ist nun, ruhig und konzentriert vorzugehen, Schritt für Schritt die "Evakuierung" vorzunehmen. Wie spät ist es eigentlich? Ich weiß, dass meine Uhr draußen an einer Packtasche unter dem Schnee fixiert ist, also nutze ich zunächst die Kamera, um herauszufinden, wie spät es eigentlich ist: Foto machen und dann über die Exif-Daten die Uhrzeit ermitteln. Aha, halb sechs, das geht ja. Also ohnehin bald Zeit, aufzustehen. Drei Uhr hätte mich etwas geärgert.
Da ich heute Nacht nicht auf einen plötzlichen Aufbruch vorbereitet bin, fliegt mein ganzes Zeug wild im Zelt herum. Küchensachen, ein Teil der Lebensmittel, mein Schreibzeug, der Kulturbeutel, Kleidungsstücke, mit denen ich unter der Isomatte Bodenunebenheiten ausgeglichen habe, Schlafsack, Isomatte. Ziemlich viel also. Nach und nach sammele ich alles zusammen und packe ein. Mit den Händen beseitige ich dann den Schnee aus der Apsis. Was für ein Glück, in dieser Nacht hatte ich zum ersten Mal die Gamaschen an den Schuhen gelassen und diese so über die Stiefel gefaltet, dass kein Schnee eindringen kann. Hätte mir noch gefehlt, jetzt in verschneite Schuhe zu steigen! Ich klebe mir wieder Thermopads unter die Socken, so dass ich die ganze Zeit warme Füße behalte.
Es ist wärmer geworden über Nacht, "nur noch" minus sechs Grad zeigt mein frisch ausgebuddeltes Thermometer an. Mit der Stirnlampe ausgerüstet steige ich schließlich aus dem Zelt - was für ein Inferno! Im orkanartigen Wind fliegen die Schneemassen horizontal, ich kann erstmals meine geniale Schneeschaufel zum Einsatz bringen, um das Zelt freizulegen Beim Aufräumen und Abbauen merke mir immer ganz genau, wo ich etwas ablege. Die Taschen verbinde ich zum Teil miteinander, um sie gegen Verlust durch Zu- oder Wegwehen zu sichern. Es dauert immer nur wenige Minuten, bis ein abgelegter Gegenstand unter der weißen Masse bedeckt ist. Ich komme langsam voran, gehe sehr konzentriert vor, ein Wahnsinn.
Von meinem Fahrrad ist nicht mehr viel zu sehen...
Dunkelheit, dichtes Schneetreiben, Orkan, -9°C.
Zeltabbau für Fortgeschrittene...
Die Stangensegmente des Soulo sind wieder einmal zusammengefroren, nach und nach löse ich die einzelnen Teile. Mit einer beträchtlichen Ladung Schnee verstaue ich das flatternde Zelt in seinem Sack. Irgendwann habe ich alles erledigt und verfrachte die Gepäckstücke und mein Rad in drei Fuhren hinauf zur Straße. An Fahren ist überhaupt nicht zu denken, der Wind hat Orkanstärke, ich kann mich kaum auf den Füßen halten, das Schieben des Rades ist kaum noch möglich, immer wieder bricht es mir aus und nur mit Mühe kann ich es halten. Die Sicht beträgt nur wenige Meter, dunkel ist es noch immer. Ich bin dennoch einigermaßen frohen Mutes, weiß ich doch, dass es nur noch knapp sieben Kilometer sind bis Blönduós. Leider habe ich den Mars-Riegel nicht wiedergefunden, den ich eigentlich frühstücken wollte, so dass ich mich dieser körperlichen Strapaze ohne Frühstück stellen muss. Bei diesen Verhältnissen in den Taschen kramen grenzt an ein Ding der Unmöglichkeit.
Ein Aspekt der mich ganz froh stimmt, ist jener, dass um diese Zeit noch nicht so viel Verkehr unterwegs ist, das bedeutet weniger Gefahr. Nur zwei PKW überholen mich im Schritttempo, beide schauen nach mir, ich winke sie durch, habe ich doch den Ehrgeiz, es aus eigener Kraft bis zum nächsten Ort zu schaffen, um so den Kreis meiner kleinen Reise zu schließen. Immer wieder wirft mich der Wind, der von Nordosten, also für mich von rechts heranweht, auf die Straße. Würde in dem Moment ein Auto kommen, das wäre ungünstig.
Es ist ein beschwerliches Vorankommen. Wenn ich kurz innehalte und auf einem vereisten Stück stehe, dann schiebt es mich nebst Fahrrad einfach beiseite. Eine unglaubliche Naturgewalt. Der Schnee fließt wieder horizontal über die Straße, langsam setzt die Dämmerung ein. Leider hatte ich es bei meiner Evakuierungsaktion versäumt, die Skibrille aufzusetzen, sie hing um meinen Hals. Natürlich ist sie hoffnungslos vereist, so dass ich sie nun nicht mehr nutzen kann. An den Wimpern sammeln sich Eisklumpen, am Kragen meiner Jacke hat sich durch die Ausatemluft ein hühnereigroßer Klumpen gebildet. Meter um Meter ringe ich dem Terrain ab. Leider habe ich meinen Tacho nicht angebracht, daher bin nicht orientiert, wie weit ich es noch habe. Mit meiner ganzen Kraft stemme ich mich in den Lenker, um das Rad zu halten und es Stück für Stück voranzuschieben.
Dann passiert es. Auf einem dammartigen, besonders exponierten Abschnitt verliere ich die Kontrolle. Wieder einmal wirft mich eine Böe nach links auf die Fahrbahn, ich betätige beide Bremsen, kriege diesmal das Rad aber nicht mehr gehalten. Es wird vom Wind angehoben und im hohen Bogen durch die Luft geschleudert, um dann auf der windabgewandten Straßenseite eine etwa zehn Meter tiefe steile Böschung hinabzupoltern - einfach unglaublich. Da liegt es nun im Schnee, die vorderen Taschen sind abgeflogen, befinden sich aber nicht allzu weit verstreut.
So, denke ich. Habe ich nun doch ein Problem? Ich klettere hinab, was etwas beschwerlich, aber machbar ist, zumal ich etwas Windschatten genieße. Tasche für Tasche trage ich hoch zur Kante der Fahrbahn, wo ich die einzelnen Stücke abermals miteinander verbinde, um sie gegen Wegwehen zu sichern. Auf der Kante kann ich kaum Stehen, es ist unglaublich. Das Rad sieht soweit in Ordnung aus, eine Trinkflasche ist zerstört, das vordere Schutzblech teilweise abgerissen, sonst kann ich keinen Schaden ausmachen. Später fällt mir auf, dass vom Vorbau ein Stück Metall abgesplittert ist und dass der linke Bremshebel verbogen ist.
Ich frage mich an dieser Stelle jedoch ernsthaft, ob ich es unter diesen Umständen schaffen kann, Blönduós zu erreichen.
Während ich zum vierten oder fünften Mal die Böschung hinaufkraxele, taucht oben aus dem Schneesturm ein riesiger Geländewagen der "Lögrelan", also der Polizei auf. Prima, die kommen ja wie gerufen. Ob die nun gezielt meinetwegen kamen, weil ein anderer Autofahrer von mir berichtete oder ob sie auf Patrouille waren, da, wie ich später erfahre, die Strecke nach Varmahlið gesperrt ist, das werde ich nie erfahren.
Aber ich glaube, es ist okay, wenn ich mir an diesem Punkt helfen lasse - vermutlich hätten sie sich ohnehin auf keine Diskussion eingelassen.
Ich warte also, bis das Auto sich an der oberen Kante positioniert hat, um den Windschutz zu nutzen, klettere dann ganz hinauf und schildere kurz die Lage. Viele Worte sind nicht nötig, es ist irgendwie klar, was los ist und was zu tun ist. Also hilft mir einer der freundlichen Männer beim Hochholen meines Rades, alles findet problemlos Platz in dem riesigen Auto und dann geht die Fahrt im Schritttempo in Richtung der kleinen Stadt. Die Sichtweite beträgt vielleicht fünf Meter und die beiden Männer kleben mit den Köpfen an der Windschutzscheibe. Es geht zickzack über die Fahrbahn, immer wieder muss die Richtung korrigiert werden. Ich erfahre, dass voraussichtlich heute kein Bus mehr nach Reykjavík fahren wird, was mich nicht unbedingt erfreut.
Um 08:30 erreichen wir die Tankstelle, an der vor einer guten Woche meine Fahrt begann. Die Beamten begleiten mich hinein, helfen beim Gepäck. Einer lässt sich noch von mir meinen Namen notieren, dann fahren sie davon. Ich nehme nicht an, dass sie noch weitere Radler retten müssen…
Unter den neugierigen Blicken der anderen Gäste im Cafeteria-Bereich der Tankstelle sortiere ich meine Taschen und suche mir einen Sitzplatz. "Ich schmelze", also vielmehr das Eis an mir schmilzt, so dass ich leider kleinere Pfützen verursache. Ich gönne mir einen Kaffee und einen Riesenschokokeks, später ein belegtes Brötchen. Ich finde die Information bestätigt, dass heute voraussichtlich kein Bus mehr fährt und frage mich, ob das noch ein Problem werden könnte. Einen Tag Puffer habe ich ja noch, aber spätestens übermorgen muss ich in Keflavík sein, wenn ich meinen Flieger erwischen möchte - und einen Tag später habe ich einen dienstlichen Pflichttermin in Malente. Ich lege mir schon die Worte zurecht, mit denen ich meiner Chefin erkläre, warum das nicht möglich ist…
Die Damen vom Service sind sehr nett, die haben schnell spitz gekriegt, in welcher Lage ich mich befinde und kurzerhand in Varmahlið angerufen, ob denn eventuell noch ein LKW von dort aufbricht in Richtung der Hauptstadt. Doch leider Fehlanzeige, wenn sich doch noch etwas ergeben sollte, so wird man sich melden.
Draußen tobt unvermindert der Schneesturm. Ich nehme noch einen Kaffee und noch einen, aktualisiere meine Tagebuchnotizen und surfe im Internet, da es ein offenes WLAN gibt. Die Wettervorhersagen lassen nichts Gutes erahnen…
Und sonst: Spiegel online, Facebook, das übliche. Ich gebe die Hoffnung zwar nicht auf, vielleicht doch noch wegzukommen, es sieht aber nicht gut aus. Und überhaupt, es ist kaum ein Fahrzeug unterwegs, höchstens Leute aus dem Ort in fetten Geländewagen.
Den ganzen Tag verbringe ich wartend in der Cafeteria der Tankstelle in Blönduós. Ich hoffe bis zuletzt, dass sich noch eine Möglichkeit ergibt, nach Reykjavík zu gelangen.
Je weiter der Tag voranschreitet, umso wahrscheinlicher wird es, dass ich hier werde übernachten müssen. Meine diesbezügliche Recherche ergibt wenige Möglichkeiten, so dass ich letztendlich, als ich mich am späten Nachmittag dazu entscheide, die Tankstelle zu verlassen, beim Campingplatz schräg gegenüber wiederfinde, der auch Hütten vermietet.
Der Inhaber war schon heute Morgen so clever, seine Visitenkarten an die "Gestrandeten" in der Cafeteria zu verteilen.
Laut seiner Homepage sollte die Hütte 10.000 Kronen kosten, er verlangt aber nur 6000, was ungefähr 35 Euro entspricht und somit unerwartet günstig ist. Eine kleine Herausforderung ist es dann allerdings, zu der Hütte zu gelangen, da die Wege nicht geräumt sind… Aber das kriege ich dann auch noch hin.
Die Hütte ist geheizt, ich komme also direkt in einen warmen Raum, wie angenehm. Ausgelegt ist sie für vier Personen, ein winziges Bad mit Dusche, zwei Kammern mit je einem Doppelstockbett und ein bescheidener Hauptraum mit Bank, Tisch, Stühlen und Küchenzeile. Vom Hygienestandard her eher grenzwertig, aber in Ausnahmefällen bin ich da ja nicht so anspruchsvoll. Ich bin allerdings schon froh, dass ich einen eigenen Schlafsack habe und nicht gezwungen bin, die ranzigen Decken zu benutzen.
Ich nutze den Platz und die Wärme, um meine komplette Ausrüstung über die Hütte zu verteilen, um sie so trocken wie möglich zu bekommen, bevor ich mir Tee und ein Abendessen bereite.
Um halb zehn geht's zu Bett. Es ist erwartungsgemäß viel zu warm im dicken Schlafsack, aber die Fenster kann ich bei dem Schneesturm unmöglich öffnen, so bleibt mir nichts anderes übrig, als das auszuhalten. Immer wenn ich nachts wach werde, schaue ich aus dem Fenster, um zu sehen, wie sich die Lage entwickelt. Erfreut nehme ich zur Kenntnis, dass irgendwann etwas weiter entfernte Lichter des Ortes zu erkennen sind! Das lässt doch hoffen.
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Dienstag, 05. März 2013
Um acht stehe ich auf, baue in der kleinen Hütte das gut abgetropfte Zelt auf, um es auch innen zu trocknen. Dabei entdecke ich im Innenzelt ein kleines Loch. Wie das wohl entstanden ist?!
Draußen schneit es wieder, sieht aber nicht mehr so extrem aus, wie am Vortag. Dennoch bin ich mir nicht sicher, ob die Busse wieder fahren werden. Bin gespannt. Mein Fahrrad, welches ich vor der Tür unter dem Vordach abgestellt habe, hat sich über Nacht in eine wunderschöne Skulptur verwandelt - völlig mit Schnee betupft.
Gerade als ich mit dem Frühstück fertig bin, sehe ich den Hüttenverwalter, einen kräftigen, etwas schmierigen Typ, vor meinem Fenster auftauchen. Ich öffne die Tür, denke, er will sich vielleicht nach meinem Befinden erkundigen. Sein Englisch ist sehr schlecht und so brauche ich eine kleine Weile, um dahinter zu kommen, was möchte: nämlich fragen, ob ich bereit wäre, mit einer TV-Redakteurin aus Akureyri zu telefonieren. Ich bejahe amüsiert, woraufhin er eine Nummer in seinem Handy wählt und mir das Telefon herüberreicht. Die Dame ist freundlich und macht einen interessierten Eindruck. Fast eine Viertelstunde lang erkundigt sie sich nach meiner Reise und nach meinen Motiven, es ist nett, mit ihr zu plaudern. Sie ist darüber hinaus so freundlich, während des Gesprächs zu recherchieren, ob die Linie 57 wieder fährt - zu meiner Freude ist das der Fall.
Schließlich möchte sie wissen, ob ich bereit wäre, für ein Fernsehinterview zur Verfügung zu stehen, sie würde dann mit der Zentrale des Senders in Reykjavík telefonieren, auf dass die zur entsprechenden Zeit ein Team zum Busbahnhof schicken würden. Ich bin einverstanden, könnte ja vielleicht ganz lustig werden (…und: sollen sich die Isländer doch ruhig auf Kosten eines durchgeknallten Touristen aus dem Süden mal amüsieren). Ich gebe ihr meine Mobilnummer und erhalte die Information, dass man mich während der Busfahrt noch einmal kontaktieren wird.
Der Hüttenmann bekommt sein Telefon zurück und ich mache mich daran, mein Zeug zusammenzuräumen. Es ist so gut wie alles trocken, einschließlich Zelt. Prima, gut für das Material, gut für das Gewicht.
Gegen zwölf bin ich an der Tanke, esse einen Mars und warte auf den Bus, den ich auf meinem Smartphone schon auf dem "Radar" habe: die Webseite der Busgesellschaft bietet ein Live-Tracking an, so dass man in Echtzeit auf einer zoombaren Karte die Position der gewünschten Linie verfolgen kann. Toll!
Mein Tischnachbar spricht mich an: "…nice bike…" und so weiter und im Gespräch stellt sich heraus, dass er schon von mir gehört hatte. Einer der Polizeibeamten von gestern hatte wohl in den lokalen Medien in einem Interview über mich berichtet. Ist schon amüsant!
Die Fahrt nach Reykjavík ist sehr schön, die Landschaft kommt mir vor, wie im Winterschlaf. Ich sehe eingefrorene Wasserfälle, schneebedeckte Berge, Eisschollen in den Flüssen. Alles vorübergehend ausgeschaltet, wird erst wieder zum Leben erweckt, wenn in einigen Wochen die Frühlingssonne ihr Werk vollbringt, das Eis zu schmelzen…
Während ich Schokokekse futtere, ruft wie angekündigt der Redakteur aus Reykjavík an, der sich noch einmal versichern lässt, dass ich für das Interview zur Verfügung stehe. Na denn.
Bei Ankunft in Mjödd ist allerdings dann niemand da. Komisch, denke ich, habe aber bei scharfem Wind und aktuell minus sieben Grad wenig Lust, zu warten, so dass ich losradele. Nach wenigen hundert Metern, ich stehe an einer großen Kreuzung, klingelt mein Handy, es sind die Jungs vom Fernsehen. Und während wir telefonieren, taucht deren Geländewagen auf der Kreuzung auf. Also doch noch.
Kurze Absprache über den Inhalt, ein paar Einstellungen auf mein Rad, dann geht's los. Der Kameramann ist älter, vielleicht Mitte fünfzig, hat ein freundliches, schmales Gesicht mit Vollbart und wirkt wie ein Naturbursche. Er macht auf mich einen aufrichtig interessierten Eindruck. Der zweite, jener, der das Interview führt, ist deutlich jünger, höchstens dreißig. Wirkt auf mich, als wäre er eher so der sensationsgeile, reißerische Typ. Egal was ist, Hauptsache Kamera druff! Bin mir außerdem ziemlich sicher, dass er mich für einen totalen Spinner hält, zumindest lese ich das aus seinen Zügen.
Es dauert alles nicht lange. Ich lasse den Jungs dann meine Visitenkarte da und nehme ihnen das Versprechen ab, mir eine Kopie des Beitrags zu schicken (was leider nicht passieren wird). Ich biete noch an, wenn sie denn einen PC mit SD-Kartenslot im Auto haben, könnte ich ihnen noch Fotos für den Beitrag zur Verfügung stellen. Haben sie nicht, woraufhin der ältere auf die Idee kommt, er könne von zu Hause seinen Privatlaptop holen, er würde ganz in der Nähe der Jugendherberge wohnen und dann dort vorbeikommen. Okay.
Unsere Wege trennen sich, ich radele los, verfahre mich zunächst und brauche eine Weile, bis ich die korrekte Richtung gefunden habe. Da ich keine Lust habe, auf der vierspurigen Hauptstraße zu fahren, suche ich mir kleine Nebenstrecken. Umso überraschter bin ich, als plötzlich hundert Meter vor mir wieder das TV-Auto steht, der Kameramann herausspringt, hektisch sein Gerät fertig macht und auf mich richtet. Ich gönne ihm seine Bilder und fahre extra langsam. Sie sind wohl der Meinung, als Ergänzung zum Interview noch ein paar bewegte Bilder haben zu wollen. Sie regen an, in der Nähe der Sportanlagen bei der Herberge auf einem neuen Radweg noch mal gezielt Fahr-Szenen zu drehen. Einverstanden, wir verabreden uns dort.
Er fährt dann vor mir her, Heckklappe offen, drin sitzt der Kameramann.
Ja, und wenig später, kaum dass ich in der Jugendherberge eingecheckt habe, tauchen die beiden auch schon wieder auf, diesmal mit Laptop. Sie wollen natürlich möglichst spektakuläre Bilder und in gewisser Weise kann ich ihnen die ja auch bieten… Bin sehr neugierig, was sie daraus schneiden werden.
Als ich mein Zimmer beziehe, staune ich nicht schlecht, ich teile es wieder mit Simon, dem Slowenen, dessen flüchtige Bekanntschaft ich bereits in Akureyri machte.
Das wichtigste für mich ist nun, Kartons aufzutreiben, um mein Rad einzupacken. Das habe ich übrigens im Keller im Gepäckraum untergestellt, da es gerade sauber und trocken ist. Das wird sich als gute Idee erweisen, morgen früh wäre es eingeschneit gewesen. Das hätte beim Einpacken nur unnötig Schweinkram verursacht und die Pappen aufgeweicht.
Ich frage den netten jungen Schweizer an der Rezeption, aber er kann mir in der Kartonfrage nicht helfen, wenngleich er sich sehr bemüht zeigt. Der Altpapiercontainer neben dem Schwimmbad ist abgeschlossen. Schließlich werde ich im kleinen Supermarkt fündig. Dort kaufe ich auch jede Menge Hraun-Kekse und Draumur als Mitbringsel.
Am Schwimmbad gönne ich mir einen Hotdog und dann kümmere ich mich um das Verzurren und Verpacken meiner Taschen. Alles wieder fliegerfertig.
In der Zwischenzeit erfahre ich über Facebook, dass der TV-Bericht auf der Webseite des Fernsehsenders abrufbar ist. Auf meinem Android-Phone klappt das leider nicht, so bitte ich Simon, es mal auf seinem IPad zu versuchen. Das funktioniert, ich amüsiere mich köstlich (er auch).
Dann mache ich mir in der Küche etwas zu essen und sitze später noch bis elf im Aufenthaltsraum, trinke Tee und surfe im Internet.
Zu blöd, dass ich meine Oropax schon eingepackt habe, denn Simon schnarcht furchtbar laut, so dass ich ewig nicht einschlafen kann. Es wird eine schreckliche Nacht, denn schon um vier muss er aufstehen, um seinen Flieger zu bekommen. Auch wenn er merklich bemüht ist, sich leise zu verhalten, werde ich wach. Dementsprechend gerädert werde ich morgen früh sein.
Im übrigen habe ich heute noch einmal sehr bedauert, dass mir der eigentlich geplante Tag für Reykjavík fehlt, hätte gerne noch mal in Ruhe einen "Retro-Tag" gemacht, hätte erinnerungsträchtige Straßen und Orte in der Stadt aufgesucht. Ein Besuch im Schwimmbad, ein Gang um den Tjörninn, einen Kaffee im Café Paris, ein Spaziergang in Ruhe über den Laugavegur… Schade. Na ja, nächstes Mal!
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Mittwoch, 06. März 2013
Reichlich zerknautscht stehe ich nach viel zu wenig Schlaf auf, mache mir Frühstück und hole dann mein Rad aus dem Keller in mein Zimmer, um es einzupacken. Wie gesagt, gut, dass ich es nicht draußen stehen ließ, dort herrscht schon wieder heftiges Schneetreiben.
Am gestrigen Abend habe ich mich an der Rezeption in eine Liste für den Flughafen-Zubringerbus eingetragen. Zwei Gesellschaften bedienen in etwa stündlichem Rhythmus die Strecke Reykjavík - Keflavík, wobei sie verschiedene Hotels in der Stadt und eben auch die Jugendherberge anfahren. Mein Wunsch ist die Abholung um 10:00.
Ich bin gut im Zeitplan, stehe bereits eine halbe Stunde vorher mit meinem voluminösen Gepäck im Foyer. Gelegenheit, noch einmal den Blick schweifen zu lassen über die riesig dimensionierte Islandkarte an der Wand - mein Blick wandert über bereits gefahrene Straßen und findet Gebiete, die noch entdeckt werden wollen.
Pünktlich erscheint der Fahrer und ist mir mit meinem Gepäck behilflich. Alles wird in den Mercedes Sprinter geladen und dann beginnt die Schlitterei. Ich bin der einzige Fahrgast und setze mich ganz nach vorne, so dass ich mit dem Fahrer ins Gespräch komme. Er erzählt von seiner Schwester, die in Bayern lebt und ich bin erstaunt, wie gut er sich in Deutschland auskennt. Als ich erzähle, dass ich an der Ostsee wohne, fragt er gleich, ob ich aus der ehemaligen DDR bin. Ich verneine das, woraufhin er sofort weiß, dass ich dann ja aus Schleswig-Holstein kommen muss. Während der Fahrt in die Innenstadt bekommt er über Funk die Mitteilung, dass der Flug nach Keflavík - Oslo wegen des Wetters gestrichen wurde. Wie gut, dass ich nach Kopenhagen möchte. Langsam geht es bei dem vielen Schnee voran und als wir dann an einem anderen Hotel noch Gäste eingesammelt haben, fährt sich der Bus fest. Einige Minuten dauert es, bis der Fahrer ihn wieder freibekommt. Wir sind nun schon fast eine Stunde unterwegs und ich frage mich ganz allmählich, ob es doch noch knapp werden kann mit dem Erreichen des Fliegers.
Es beruhigt mich ein wenig, als wir an der Zentrale der Busgesellschaft in einen Allrad-Gelände-Bus umgeladen werden. Der kommt dann problemlos durch die Schneemassen, allerdings bin ich noch immer nervös, denn wir sind ja nicht die einzigen im Straßenverkehr und kommen somit alles andere als flott voran. Auf einem Abschnitt der Hauptstraße herrscht Stau, dem der Fahrer durch die Nutzung kleiner Nebenstrecken ausweicht.
Es sind fast nur noch Geländewagen unterwegs, normale PKW liegen wie aussortiert in regelmäßigen Abständen am Straßenrand.
Im Schneetreiben unterwegs in Reykjavík - werde ich pünktlich meinen Flieger erreichen?
Wo ich doch bislang immer dachte, die Isländer spinnen ein bisschen mit ihrem Geländewagenwahn, so denke ich seit heute, dass die Wertschätzung dieser Vehikel und deren massenhafte Verbreitung vor allem im Pragmatismus der Isländer begründet liegt. Es ist einfach eine Notwendigkeit, um sich mit dem rauen Klima zu arrangieren, um handlungsfähig zu bleiben.
Auch kommt auf der Fahrt Wehmut auf, ein kleiner Hauch von Abschiedsschmerz gekoppelt an die Frage: wann werde ich das nächste Mal wieder hier sein? Ich bin mir jedenfalls sicher, dass es nicht wieder sechzehn Jahre dauern wird.
Ich komme mir ein bisschen vor, wie in einem amerikanischen Katastrophenfilm. "Flüssig" wird der Verkehr erst, als wir den Ballungsraum Reykjavík verlassen und auf die lange Gerade in Richtung Keflavík rollen. Ich rechne unterwegs immer wieder die km/h hoch, auch wenn wir nur dreißig Stundenkilometer fahren, so müssten wir es rechtzeitig schaffen. Sieht nicht schlecht aus.
Und ja, irgendwann taucht dann das Flughafengebäude aus dem Schneegestöber auf. Sehr gut. Schnell und problemlos werde ich mein Gepäck los. Nun wird ja alles gut!
Ich gönne mir ein zweites Frühstück, hatte mir heute Morgen noch ein wenig Proviant und natürlich eine Kanne Tee vorbereitet.
Vorm Abflug werden die Tragflächen enteist.
Der Rest ist dann Routine und es dauert nicht lange, da liegt das verschneite Keflavík unter mir und der Flieger schiebt sich durch die Wolkendecke in Richtung des blauen Himmels. In der Lehne vor mir befindet sich ein kleiner Bildschirm, auf dem ich durch verschiedene Ansichten schalten kann, Flugdaten und Visualisierungen der Flugroute. Minus 59 Grad Außentemperatur, ganz schön frisch! Während unter mir die ganze Zeit eine geschlossene Wolkendecke zu sehen ist, verrät mir mein Monitor immer, wo sich das Flugzeug gerade befindet.
Gelegenheit auch, ein paar resümierende Gedanken zu dieser aktuellen Tour anzustellen. Es ist zu bemerken, dass ein Teil meiner Erwartungen sich nur bedingt erfüllte. Die Realität der Radtour im Februar stellte sich als wesentlich "unromantischer" dar, als ich mir das ausgemalt hatte. Keine langen Abende in der Apsis im Schein der Kerzenlaterne mit einem Tee in der Hand und dem Blick in eine weite Landschaft. Kein einziges Nordlicht. Wenig ganz entspanntes "Genuss-Radeln" und oft dieser böse Wind. Ich musste zu der Einsicht gelangen, dass ich bei einer derartigen Unternehmung noch wesentlich mehr von den klimatischen und infrastrukturbezogenen Rahmenbedingungen abhängig bin, als es beispielsweise im Sommer der Fall ist. Hier spielt sicher auch der Aspekt der Zeit eine Rolle. Der relativ kurze Zeitraum, der mir zur Verfügung stand, setzte mich phasenweise etwas unter Druck. Ein Tag Pause bei nicht radl-tauglichem Wetter spielt keine Rolle, wenn man sechs Wochen hat, bei einer Zehntagetour indes schon.
Hinzu kommt, dass ich mir eher vorgestellt hatte, möglicherweise Probleme mit Schnee und Kälte zu bekommen, den Faktor Wind hatte ich in meinen Gedanken im Vorfeld quasi ausgeblendet (obwohl ich davon gelesen hatte und ja selbst im Sommer in Island bereits viel mir Wind zu tun hatte). Und wenn, dann hatte ich angenommen, er könnte das Radeln erschweren und unkomfortabel werden lassen. Dass er es unmöglich machen könnte, das kam mir irgendwie nicht in den Sinn.
Es war somit auch eine lehrreiche Fahrt. Ich bin sicher ein Mensch, der der Macht der Natur schon immer Respekt und bisweilen Ehrfurcht entgegengebracht hat. Diese Tage zeigten mir das noch einmal auf besonders eindringliche Weise, das Wort "Naturgewalt" bekam einen ganz anderen Klang in meinen Ohren. Niemals hatte ich einen echten Schneesturm erlebt, niemals war ich einem Wind ausgesetzt gewesen, der genug Macht hat, ein fast 50 kg schweres, beladenes Fahrrad einfach in die Luft zu heben. Wie klein ist doch ein einzelner Mensch!
Irgendwann liegen die Färöer Inseln unter mir, dann bald die Shetlands - nur wenige Monate, dann werde ich im Rahmen der siebten Etappe auf dem Nordseeküstenradweg dort unterwegs sein, klasse, freue mich drauf.
Während die ganze Zeit eine dichte Wolkendecke die Sicht nimmt, so reißt diese auf, als wir uns Südnorwegen nähern. Ganz genau kann ich Stavanger erkennen, kann den kleinen Ort Tau sehen, zu dem wir im vergangenen Jahr mit der Fähre fuhren, kann den Lysefjord mit seinen schneebedeckten Bergen ausmachen und erahnen, wo der Preikestolen ist - genial! Was für ein unglaubliches Glück. Und kaum, dass wir darüber hinweg geflogen sind, schließt sich auch schon wieder die Wolkendecke und öffnet sich auch bis Kopenhagen nicht wieder.
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