Griechenland
     Peloponnes und Kreta
     Zum ersten Mal für längere Zeit solo unterwegs


Griechenland Frühjahr - Titelbild


Vorbemerkungen

Karte Gesamtübersicht

Für gut fünf Wochen reise ich im Winter bzw. Frühjahr 1994 nach Griechenland. Es wird die erste längere Radtour und zugleich die erste ernsthafte Erfahrung, was Solo-Touren angeht.
Ich werde feststellen, dass mir zu dieser Zeit das Alleinreisen nur bedingt zusagt - sehr oft fehlt mir doch jemand, mit dem ich mich austauschen und gemeinsame Erlebnisse teilen könnte. Dennoch wird mir auch schon klar, dass es positive Facetten gibt, die mir durchaus zusagen. Vor allem zu benennen ist da die völlige Unabhängigkeit in planerischer Hinsicht. Und ich stellefest, dass es mir als Alleinreisendem deutlich leichter fällt, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, als wenn ich als "Paar" oder "Gruppe" irgendwo auftauche.




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Donnerstag, 17.02.1994


Aufstehen um 02:00, mein WG-Mitbewohner Ralf bringt mich nach Hamburg zum Flughafen. 06:00 Abflug Hapag Lloyd via München, dort im neuen Edelflughafen Aufenthalt bis 09:15, mit Zwischenlandung in Thessaloniki geht's dann ab nach Athen. Mein geliebtes Fahrrad überlebt den Transport mit nur kleinen Blessuren gut, mitten im Flughafen montiere und belade ich es, errege dabei durchaus die Aufmerksamkeit anderer Reisender.
Die Luft ist angenehm, wenn auch Athen-typisch etwas miefig, 12°C - immerhin (in Saloniki lag noch Schnee). Sollte sich bald ändern... Hinter Bussen und sonstigen Stinkfahrzeugen ein wahrhaft abenteuerlicher Ritt ins Zentrum, wo ich mir in der peripheren Plaka ein kleines Hotel suche.
Ich erledige noch ein paar Fressalieneinkäufe, esse eine Kleinigkeit und liege um halb acht im Bett. Es folgen 14 Stunden Schlaf, habe ich offensichtlich Nachholbedarf!



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Freitag, 18.02.1994

Karte Tagesetappe


Dementsprechend spät komme ich los, um mich erneut ins Athener Verkehrschaos zu stürzen. Ein paar Mal verfahre ich mich erwartungsgemäß, bis nach gut dreißig Kilometern die Bebauung allmählich dünner wird und ich die Großstadt verlasse. Entdecke auf der Strecke viel unbekanntes Athen: Straßenbazare, Nobelvillen, ruhige grüne Straßenzüge...
Nach dem Stop'n'go - Kampf mit der Metropole beginnt der Kampf mit dem Relief, mit dem Wind und der Angst vor kläffenden Kötern. Bereits am Flughafen gestern habe ich die erste lästige aber glimpflich abgelaufene Hundeattacke erlebt, keine schöne Sache.

Griechenland, bei Athen

Mein eigentlicher Plan sieht vor, die Meteora-Klöster im Pindos-Gebirge anzusteuern. So verlasse ich Athen also in nördlicher Richtung.




Griechenland, in den Bergen nördlich von Athen

Über die Berge (mit einem knapp 600 Meter hohem Pass) geht es zunächst nach Skala Oropou, das Wetter ist kühl und unbeständig. Ich fahre dann weiter bis Thiva, wo ich beschließe, mich eher nach Süden zu orientieren - getragen von der Hoffnung, dort etwas Sonne und Wärme zu erhaschen...


Der - relativ kleine - Gebirgszug nördlich von Athen lässt mich ahnen, was noch auf mich zukommt - ich bin ja nichts gewohnt und so treibt mir der Anstieg die Schweißperlen auf die Stirn. Die Tageszeit ist weit vorangeschritten, als mich eine lange genüßliche Abfahrt für die Strapaze belohnt und ich schließlich bei Dunkelheit in den kleinen Küstenort Skala Oropou einfahre. Einige Runden drehe ich durch den Ort, finde aber zunächst kein Hotel. Erst auf Fragen an Einheimische fand ich eine passable Unterkunft, sogar mit heißer Dusche. Ein einsames Abendessen - klare Brühe mit trockenem Brot und etwas Feta - und dann wieder eine Nacht mit zwölf Stunden Schlaf.



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Samstag, 19.02.1994

Karte Tagesetappe


Ich fühle mich noch reichlich gerädert, als ich um halb neun aufstehe. Kurz noch etwas Obst für den Tag gekauft, Sachen gepackt. Um 10:00 bin ich auf der Piste, schwarze Wolken wechseln mit Sonnenschein, Gewitterdonner gummelt in der Ferne, starker Wind weht, natürlich von vorne. Nach zwanzig Kilometern eine Rast, dann ein Stück Autobahn und schließlich eine endlos lange Landstraße nach Thiva (Theben).

Griechenland, bei Athen

Auf dem Weg nach Thiva.


Eigentlich war Livadia mein Planziel, doch bin ich so unfit, dass ich beschliesß, in Thiva zu übernachten. Ein mittelgroßer Ort, umgeben von einigen schneebedeckten Gipfeln, insgesamt eher häßlich. Das billigste auffindbare Hotel ist für meine Verhältnisse immer noch teuer... und da sitze ich nun und schreibe ein wenig. Bis jetzt habe ich noch nicht den Eindruck, als könne ich dem Alleinreisen besonders viel abgewinnen, mal abwarten, wie's weitergeht...
Auch gut möglich, dass ich nicht zu den Meteora-Klöstern fahre, ist doch ein recht langer, weiter, beschwerlicher Weg. Mich zieht es momentan doch in behaglichere Gefilde; bis morgen früh muß die Entscheidung fallen, denn hier in Thiva gabeln sich die Wege...

Habe jetzt wohl eine Stunde über der Karte gebrütet und dabei den Meteora-Plan endgültig aufgegeben. Kreta ruft und ich denke, ich schaffe es, nächsten Samstag, also heute in einer Woche da zu sein. Ist noch früh, vielleicht 17:00, doch ich bin todmüde. Werde wohl noch duschen und dann morgen zeitig aufbrechen. Zwei oder drei knackige Anstiege liegen laut Karte vor mir.



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Sonntag, 20.02.1994

Karte Tagesetappe


8:30, zeitig los, dat wird nix. Ich brühe mir gerade einen netten "Kwai Flower Oolong", um ihn zu meinem bescheidenen Frühstück zu trinken. Der Blick nach draußen wirft die Frage auf, ob ich nicht lieber noch einen Tag hier bleiben sollte: graue Häuserfassaden, nahe Berge, welche in tiefliegenden Wolken verschwinden. Akustische Untermalung: Kirchenglocken und das beharrliche Trommeln recht starken Dauerregens... Wenig einladend.
Eine Stunde später hüllt dichter Nebel die Gegend ein, und, oh Wunder, es ist trocken! Ziemlich motivationslos packe ich, verstelle vor der Abfahrt noch meine Lenkergriffe, fette die Kette nach und versuche efolglos, eine Ursache für ein seit gestern im Tretrhythmus auftretendes Knacken zu finden.
Die Tagesetappe beginnt gleich mit einem Anstieg noch in der Stadt. Weiter geht's durch grüne Hügel, in Nebel gehüllt, mit vielen verwrackten Industrieanlagen. Der erste erwartete Anstieg lässt nicht lange auf sich warten. Wunderlicherweise hebt sich meine Stimmung zusehends, ich kann sogar dem monotonen Aufwärts-Schritt-Tempo etwas abgewinnen. Gestern war ich schon mental nicht so richtig gut drauf, muß mich wohl insgesamt erst einmal in die neue Lage einfinden, nicht zuletzt akklimatisieren. Das setzt sich heute fort.

Griechenland, Industrie- und Hafenanlagen westlich von Athen

Industrie- und Hafenanlagen prägen die Athen-nahe Küste am Golf von Elefsina.




Griechenland, Industrie- und Hafenanlagen westlich von Athen

Industrie- und Hafenanlagen prägen die Athen-nahe Küste am Golf von Elefsina.




Griechenland, Industrie- und Hafenanlagen westlich von Athen

Industrie- und Hafenanlagen prägen die Athen-nahe Küste am Golf von Elefsina.


Jener erste Anstieg ist der heftigste der drei heute, ab einem bestimmten Level fahre ich durch so dichte Wolken, dass die nächste Kurve nicht zu sehen ist, rechts und links viel Wald, Schneereste und am Straßenrand ohne Unterbrechung Müll, Müll, Müll. Die Hitze staut sich unter der Regenjacke, ich muss viel trinken, obwohl die Temperatur eigentlich nicht so hoch sind, ich schätze so zwischen 5 - 8°C... Auch wenn der Gedanke, diesmal nicht Meteora zu sehen zu bekommen kein guter ist, so ist es meiner gesamten Motivation doch sehr zuträglich, Kreta und damit wärmeren Gegenden entgegenzufahren.
Auf meiner letzten Abfahrt setzt dann heftiger Regen ein und da ich zu faul bin, die Regenhose anzuziehen, komme ich ziemlich durchnäßt in Elefsina (ca. 25 Kilometer westlich von Athen) an. Hässlicher Ort. Dank Hinweisschildern finde ich fix das angeblich einzige Hotel "Melissa", kann den Preis für die Übernachtung immerhin noch von 4000 auf 3500 runterhandeln. Das allerdings ist für meine bescheidenen Verhältnisse immer noch horrend viel, nämlich etwa 30,- DM. Wenn das so weitergeht, komme ich mit meinem Geld kaum über die Runden.
Nun sitze ich in diesem Hotel in einem recht netten Zimmer mit Blick auf einen Innenhof mit Orangenbäumen, meine Sachen trocknen auf der Heizung, meine Füße werden langsam auch wieder warm, mein Bauch ist voll von einer Tüte Linsensuppe, draußen scheint jetzt die Sonne und Vögel zwitschern.
Frohen Mutes sehe ich meiner morgigen Etappe (wahrscheinlich bis Korinth) entgegen und hoffe auf das Ausbleiben von Regen!



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Montag, 21.02.1994

Karte Tagesetappe


Tja, hat nichts genützt, mein Hoffen. Auf den letzten zehn der insgesamt 70 Kilometer gießt es in Strömen. Auch an landschaftlicher Schönheit hat die Etappe wenig zu bieten, etwa so attraktiv, wie die Strecke von Neuss nach Köln... Schnöde Raffinerien, Werften, Industrieanlagen, jede Menge wilde Müllhalden am Straßenrand, wo man von Autoteilen über Hundeleichen, Möbelstücken bis hin zu Bauschutt alles entdecken kann. Ich spüre, wie ich allmählich an Form gewinne, es ist zwar immer noch anstrengend, aber ich komme insgesamt doch besser zurecht. Kein Verglich indes zu den sonntäglichen Spazierfahrten in Kiel. Wenn ich daheim meine 35-Kilometer-Runde Richtung Preetz noch so locker abgerissen habe, so stelle ich nun fest, dass es etwas völlig anderes ist, mit schwerer Gepäckzuladung zu fahren. Außerdem weisen selbst Küstenstrecken noch genug Höhenunterschiede auf, so dass wenige Kilometer zu schweißtreibender Schwerstarbeit werden können. Diese ewigen Abgase und Staub- bzw. Schlammwolken überholender Lkw nerven.
Die Überfahrt des Kanals von Korinth ist übrigens sehr eindrucksvoll. Eine lange, in den tiefen Fels geschlagene Schlucht, welche den Golf von Korinth mit dem Saronischen Golf verbindet.



Griechenland, Fahrt nach Korinth

Die Fahrt nach Korinth ist regnerisch, meine Stimmung durchwachsen:
ich hadere noch mit dem Alleinreisen...




Griechenland, Kanal von Korinth

Der Kanal von Korinth.




Griechenland, Pension in Korinth

Mein kleines Chaos in der Pension in Korinth.




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Dienstag, 22.02.1994

Karte Tagesetappe


Die meisten Nächte schlafe ich sehr unruhig. So bin ich auch heute Morgen recht zerknautscht, als vor meinem Fenster der morgendliche Verkehrslärm anschwillt. Doch ein vager Blick durch die Rolladen zeigte blauen Himmel und die Straße in ein angenehmes Morgenlicht getaucht. Raus aus dem Bett!
Nun, es ist zwar trotzdem wolkig, aber mit reichlichen Sonnenintervallen. So werde ich denn heute auch tatsächlich mal ein Etappenziel trocken erreichen!

Griechenland, Hafen von Korinth

Am Hafen von Korinth.




Griechenland, in Korinth

Morgens in Korinth.


Vorher gibt's noch einiges zu erledigen: Post wegbringen, Geld tauschen und den Eltern daheim telefonisch mitteilen, dass es mir gut geht.
Anstrengend wird es gleich zu Beginn mit zwei satten Aufstiegen, doch die Verkehrsdichte bleibt relativ gering und die Landschaft genial. Sehr viel Grün ringsum, Orangen- und Zitronenplantagen, nahe Korinth fahre ich an einem großen Berg vorbei, auf welchem die alte Festung Akrokorinth thront. Kaum vorstellbar, dass dieses kleine Kaff in der Antike mal 300.000 Einwohner gehabt haben soll!
Wenn die Sonne scheint, wird es regelrecht heiß, lange Zeit erlauben es mir die Temperaturen, lediglich mit einem Pulli bekleidet zu radeln. Sobald aber Wolken aufziehen, wird es kühle. Hin und wieder rattert ein kleines Waggongespann auf den peloponnesischen Schmalspurgleisen vorbei, welche lange Zeit parallel zur Straße verlaufen. Nach dreißig Kilometern ist der letzte ernste Hügelzug erreicht und eine überwältigende Abfahrt von 20 Kilometern Länge schließt sich an, diese teils sogar mit Rückenwind. Großartig!

Griechenland, auf dem Peloponnes

Ich bin nun auf dem Peloponnes und orientiere mich nach Süden.




Griechenland

"Historische Cockpitansicht" mit analogem Navi.




Griechenland, Gleise der Thessalischen Schmalspurbahn

Hier kreuzen die Gleise der Thessalischen Schmalspurbahn, die es inzwischen schon lange nicht mehr gibt.


So lasse ich flugs Argos hinter mir und rolle mit energischem Tritt bis ans Wasser, Neo Kios. Dort will ich mich entscheiden, ob ich im nahen Nafplion bleibe oder weiterfahre bis Astros. Nun, es ist noch recht früh, also Kurs Astros. Eine Ahnung sagte mir, das wird der Arsch der Welt sein. Von einem Kiosk probiere ich also schon mal, das im Reiseführer erwähnte Hotel anzurufen. Dass keiner den Hörer abnimmt, hätte mich stutzig werden lassen sollen (hat es auch), aber ich fahre trotzdem. Eine "gelbe Straße", also schlechtere Asphaltqualität, zieht sich Hügel rauf, Hügel runter über 25 Kilometer, direkt an der Küste entlang. Gegenüber, auf der anderen Seite der Bucht, liegt Nafplion im Sonnenlicht, die alte Feste auf hohem Fels, wo ich vor sechs Jahren mit meinem Freund Andreas einmal war (mein Gott, ist das lange her...).

Griechenland, Peloponnes

Ich freue mich über freundlicheres Wetter.




Griechenland, Astros

Der Ort Astros.


Rechts von mir beginnt das Gebirge, im Hintergrund verschneite Massive von annähernd 2000 Metern Höhe, finstere Wolken ziehen vorbei, lassen aber keinen Regen fallen, und erzeugen eine furchtbar unheimliche Stimmung. Der Hafenort Astros, eigentlich Paralion Astros, ist eine fast vollständig ausgestorbene Touristensiedlung. Fertige und halbfertige Hotelbauten mit verschlossenen Jalousien überall. Eine Hauptgasse mit Imbiß-Ständen, Souvenirläden, Geschäften, Restaurants - alles eingemottet, keine Menschenseele auf der Straße. Kaum verwunderlich, dass in dem Hotel, welches ich anrief, niemand antwortete...
Ich rolle eine vier Kilometer lange, schnurgerade Straße zwischen Olivenbäumen hindurch bis ins eigentliche Astros. Kurz hinter dem Ortsschild ein Hinweis für ein Hotel - ein offenes! 2800 Drachmen, normal teuer, aber mit eigenem Klo, Dusche und Balkon.
Da hocke ich jetzt, schlürfe eine Tütensuppe, trinke noch ein Amstel und entspanne mich nach immerhin fast 100 Kilometern heute!
Morgen ist eine easy Etappe von etwa 50 Kilometern vorgesehen, Erholung von heute und Entspannung für übermorgen, da liegt ein harter Ritt vor mir.
Ich glaube, ich werde jetzt jeden Abend schreiben, dass es zwar ganz nett ist, alleine zu reisen, aber ich muss sagen, irgendwie fehlt mir schon ein Partner. Jemand, mit dem ich gemeinsam den Kampf mit dem Berg kämpfen oder nass werden kann. Oder zusammen die Sonne genießen, gemeinsam den "Feierabend" verbringen!
Aber es zeichnen sich auch Vorteile des Alleinreisens ab: ich kann meine Entscheidungen allein treffen, kann weiterradeln oder auch nicht, kann Pause machen, wann immer ich möchte… Mal sehen, wie es so weitergeht in den nächsten Wochen…



Griechenland, Küste am Argolischen Golf

Küste am Argolischen Golf.




Griechenland, in dem kleinen Ort Astros

In dem kleinen Ort Astros suche ich mir eine Unterkunft.




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Mittwoch, 23.02.1994

Karte Tagesetappe


Gleich halb neun, das Frühstück liegt fast hinter mir, die gestrige Etappe sitzt mir noch ein wenig in den Knochen. Muss für die nächste Tour unbedingt was am Lenker verändern. Schulter und Ellenbogen nehmen mir dieses Versäumnis übel... Den Knien geht's dafür inzwischen ziemlich gut, erfreulich. Draußen sehe ich über dem Meer die Sonne aufgehen, kaum zu glauben, nicht eine Wolke am Himmel! Mit steigender Sonne wird es jetzt zwar etwas dunstig, aber weiterhin SONNE!!!
Entsprechend gut gelaunt beginnt die Tour. Hochgefühle kommen erstmals auf, als ich bald kilometerlang durch eine vorfrühlinghafte Ebene rollte. Blühender Ginster, Obstbäume, Orangenbäume, Blumen, ein hellgrüner Kleeteppich zwischen silbrigen Olivenbäumen. Insgesamt genau das romantische Radreiseideal schlechthin, das, wovon ich immer geträumt habe.
Etwas garstig stellt sich dann der folgende Abschnitt der Küstenstraße dar: kilometerlange steile Anstiege mit unbefriedigenden Abfahrten. Die Asphaltdecke ist so löchrig, dass ich stets auf der Bremse hängen muss und mir kein rasantes Tempo erlauben kann.
However, ich lege öfter Pausen ein, habe ja alle Zeit der Welt, esse - wie meist unterwegs - Orangen, Bananen und Äpfel.
Und komme irgendwann am Zielort Leonidio an. Ein kleines Nest, umgeben von wahrlich gewaltigen roten Felsen in einer kleinen Ebene, welche zum Wasser hin ausläuft. Kurz hinter dem Ortsschild entdecke ich ein Schild: "rooms to let". Hm, denke ich ohne viel Hoffnung, dass man hier bereits geöffnete hat - doch probieren kann man es ja mal... Ein dicklicher kleiner Mann mit gebrochengebrochengebrochenem Englisch gibt mir ein sehr nettes Zimmer (Bad, Dusche, Balkon mit Felsenblick) für 2000 Drachmen, was sehr okay ist! Bei tierisch lauter Mucke ist er dabei, den Laden - eine Taverne gehört auch noch dazu - für die Saison klarzumachen.
Prall volle Zitronenbäume zieren den Innenhof. Mir gefällt dieser Fleck sehr und noch während ich mein Rad ablade, scheint alle Pein der Strecke vergessen, ein kleiner Garten Eden, Simply Red dröhnt aus den Lautsprechern... Ein kleiner Gang durch den Ort, die Leute grüßen mich freundlich, eine Erfahrung, die ich auch unterwegs immer wieder mache. Kaum Autos hier in diesem Nest, einfach herrlich. Leider sind alle Geschäfte geschlossen, und wie ich erfahre, machen sie auch erst morgen wieder auf, so dass aus meinem Salat mit Feta nichts wurde. Kann nur irgendwo Wasser und Bier kaufen, werde aus meinen Brot- und Käsereserven ein Abendessen bereiten.
Was mir weiterhin etwas Sorge bereitet, ist das schon erwähnte Knacken aus Richtung Tretlager, glaube zwar nicht, dass es lauter geworden ist, doch erinnert es mich bei jedem Pedaltritt daran, dass irgend etwas nicht okay ist. Vielleicht finde ich auf Kreta einen geeigneten Laden, wo ich das mal checken lassen kann.

Morgen wird ein harter Tag. Ziel ist Gythio, der Ort, von wo aus die Fähren fahren. Doch ein für meine aktuellen Begriffe gewaltiges Gebirge liegt dazwischen und es sind fast 90 Kilometer bis dort. Werde gleich noch duschen, zu Abend essen und schon mal den Reiseführer wälzen, wie ich die zwei Wochen auf Kreta wohl verbringen werde.



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Donnerstag, 24.02.1994

Karte Tagesetappe


Die bisher anstrengendste Radtour meines Lebens liegt vor mir. Bei recht gutem Wetter starte ich kurz nach zehn in Leonidio und befinde mich nach wenigen hundert Metern außerhalb der - heute morgen recht lebhaften - Ortschaft auf einer einsamen Asphaltpiste, welche ohne Unterlaß nach oben führt. Sie folgt einem rauschenden Schmelzwasserbach, welcher sich zwischen gewaltigen Bergen aus kargem, rot-grauen Fels seinen Weg bahnt. Kaum ein Auto begegnet mir, es ist tatsächlich Wildnis, habe mich gefragt, was wohl tun, wenn plötzlich ein dicker Grizzly den Weg versperrt..?!? Es ist so warm, dass ich versucht bin, nur im T-Shirt zu fahren und nach zwanzig Kilometern Aufstieg ist ein großer Teil meiner knapp drei Liter Getränke schon verbraucht, aber, noch zehn Kilometer und ich werde den kleinen Ort Kosmas erreichen, da gibt's schon Nachschub...
Eine Pause wird fällig, ich bin an der Grenze meiner Leistungsfähigkeit angelangt. Steiler und steiler wird die Piste, tief unter mir schlängelt sich das Straßenband, welches ich schon geschafft habe. Immer öfter Pausen lege ich Pausen ein, gebe meinem Pulsschlag die Chance, sich wieder zu normalisieren… Ich haushalte jetzt sorgsam mit dem letzen Rest Wasser. Nach jeder Kurve folgt eine weitere und es ist kein Ende der Steigung abzusehen. Das ist völlig ungewohnt für mich unerfahrenen Radler, der auf dem platten Land groß geworden ist. Das Fahrrad wird zum Folterinstrument.
Tannenwald rechts und links, ich erreiche die Schneegrenze, mehr und mehr Weiß findet sich am Straßenrand. Über mir kreist ein großer Greifvogel, schließlich bin ich hoch genug, dass ich eine geschlossene Schneedecke vorfinde. Es wird auch merklich kühler. Doch um nicht völlig zu überhitzen, verzichtete ich vorerst auf zusätzliche Kleidung.
Endlich sehe ich die Häuser von Kosmas, eisige Böen schlagen mir entgegen. Das Dorf ist so gut wie tot. Verschneit, an den Hang gebaute, kleine Steinhäuser mit verschlossenen Läden. Bis auf zwei Katzen begegnen mir keine Lebewesen. Aus der Traum davon, alle Schokoriegel des Dorfes zu kaufen. Mehr noch ärgert mich indes, dass ich auch kein Wasser bekomme! Ich sehe mich schon Schnee auf dem Kocher schmelzen...

Griechenland, Weiterreise über Leonidio

Weiterreise über Leonidio, es geht nun mal wieder in die Berge.




Griechenland, Bergwelt auf dem Peloponnes

Bergwelt auf dem Peloponnes.




Griechenland, Bergwelt auf dem Peloponnes

Lange windet sich die Straße bergan.
Ein leider nicht so seltenes Bild in Griechenland:
Müll am Straßenrand.




Griechenland, Bergwelt auf dem Peloponnes

Einem kleinen Flusslauf folgend windet sich die Straße höher und höher.




Griechenland, Bergwelt auf dem Peloponnes

Kurze Pause am Berg.




Griechenland, Bergwelt auf dem Peloponnes

Irgendwann bin ich hoch genug, dass noch Schneereste am Straßenrand liegen.




Griechenland, Bergwelt auf dem Peloponnes

Schnee in der Nähe des kleinen Ortes Kosmas.




Griechenland, Bergwelt auf dem Peloponnes

Nicht gerade das, was man spontan mit Griechenland assoziieren würde...




Griechenland, Bergwelt auf dem Peloponnes

In den Bergen Griechenlands. Der Pass liegt auf über 1200 Metern, die Gegend ist einsam, fast menschenleer.




Etappenprofil

Das Höhenprofil der Tagesetappe - etwa 1200 Meter erklimme ich heute.


Ich habe es nicht mehr geglaubt, doch nach 33 Kilometern ist vorbei mit den Anstiegen. Ich passiere den Berggrat, wo mir kalt und böig sturmartige Winde entgegenschlagen. Nun also doch mal Zeit für Daunenjacke, Handschuhe und Wollmütze. Über die nahen 1800 Meter hohen Berge presst der Wind Wolken, welche bizarre Wirbel schlagen, ein für mich Flachländer ungekanntes Naturschauspiel. Schwierig ist es, auf der rasenden Abfahrt das Fahrrad zu manövrieren, immer wieder schlägt der Wind in die Seite. Kalt, lausig kalt ist es. Dennoch ist es eine großartige Genugtuung, nach dem strapaziösen Anstieg diese 25 Kilometer lange Abfahrt ohne einen Pedaltritt zu erleben. Der starke Wind bleibt, so dass in flacheren Gefilden wieder Anstrengung von Nöten ist, um voran zu kommen. Schwarze Wolken ziehen über mich hinweg. Ich fürchte Regen, es bleibt aber erfreulicherweise trocken.

Griechenland, Bergwelt auf dem Peloponnes

Kurs Süd, Abfahrt in Richtung Skala.


In Skala, einem wenig sympathischen Ort über der Küstenebene, suche ich mir ein Hotel. Für weitere 19 Kilometer bis zum eigentlichen Zielort Gythio fehlt mir die Energie, habe ich also morgen einen Relax-Tag - wohlverdient!
Hotel teuer, aber sauber mit genialer heißer Dusche und ziemlich ätzendem "Boss".



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Freitag, 25.02.1994

Karte Tagesetappe


Ich verlasse Skala trotz gemächlichen Zusammenpackens meiner Sachen recht zeitig. Gemütlich rolle ich dann mit knackendem Tretlager durch weite Plantagen bis an die Küste. Von dort geht es noch etwa 10 Kilometer entlang einer mäßig hügeligen Küstenstraße bis nach Gythio.

Griechenland, Küste unweit der Ortschaft Gytheio

Küste unweit der Ortschaft Gytheio.


Ein lebhafter, an einem Berghang liegender, gemütlich anmutender Ort. Schon von der Küstenstraße aus sehe ich den Dampfer, welcher noch heute mit Kreta als Ziel in See stechen soll.
Ich tausche erst einmal Schecks ein, kurve etwas durch den Ort und frage am Hauptpostamt nach Korrespondenz für mich. Wegen meiner außerplanmäßig frühen Ankunft hier erwarte ich eigentlich nichts, doch der Beamte drückte mir einen großen, dicken Umschlag von meiner Schwester Birgit in die Hände, welche Freude!
Bis zum Ablegen der Fähre sind es noch drei Stunden und so begebe ich mich an der Ausfallstraße Richtung Areopolis in eine Taverne, ordere ein Bier und öffne den dicken Brief. Neben netten Zeilen aus dem fernen kalten Münster schickt sie mir edle Lindt-Schokolade und ein Buch des mir bis dahin unbekannten niederländischen Autors Cees Nooteboom. Wie sie schreibt, ist auch sie jetzt stolze Besitzerin eines Mountainbikes! Dann kann unser für den Sommer geplantes Radtour-Unternehmen ins Island ja losgehen!

Wie ich dann so da sitze und an einem Amstel nippend in der warmen Mittagssonne meine Situation überdenke, habe ich zusehends weniger Lust, heute Nacht auf Kreta anzukommen, zumal ich fahrradreparaturtechnisch am bevorstehenden Wochenende ohnehin nichts würde ausrichten können (ich will das Tretlagerproblem mal checken lassen, nicht dass mir auf einsamer Strecke ein böses Erwachen kommt).
Also beschließe ich, erst am kommenden Dienstag das Schiff zu nehmen. Noch zwei Kaffee trinke ich, dann schaue ich nach einem privaten Quartier. Schon wenige hundert Meter weiter werde ich fündig. Ein liebenswürdiges älteres Ehepaar bietet mir ein kleines Zimmer mit Terrasse und Blick aufs Meer an, direkt neben der Küche der Familie. Und da gerade Mittagszeit ist, wird gespeist. Noch ehe ich abgeladen habe, stellt die herzensgute Dame mir eine Riesenportion Reis, Brot, eine Bohnensuppe und ein köstliches Glas hiesigen Retsinas auf den Heizlüfter vor meinem Bett - türkische Verhältnisse lassen grüßen! Ich bin prompt in meinem Beschluss bestärkt, heute nicht weiter gereist zu sein.
Den Nachmittag verbringe ich damit, einen längeren Brief an Birgit zu schreiben, blicke dabei auf das jetzt so ferne Parnon-Gebirge, dessen Schneegipfel sich mit der sinkenden Sonne langsam rötlich färbten.
Es folgt später ein Spaziergang im Abendlicht zum Hafen und entlang der Uferpromenade, wo um diese Zeit schon wieder ein kühler Wind weht. Vielleicht, so hoffe ich, treffe ich ja doch noch mal jemanden für ein paar Worte beim Bier, doch nichts dessen. Also kaufe ich einen Stoß Postkarten und verkrümele mich in mein Zimmer, diese schreibend.
Manchmal überkommt mich eine sonderbare Unruhe, ich spüre mächtig meinen Herzschlag. Und auch wenn dessen Frequenz eher in Richtung Bradykardie tendiert, fühle mich rastlos und zittrig, gerade so, als würde ich ein unangenehmes Ereignis erwarten - was ja nicht der Fall ist. Vielleicht rührt es daher, dass ich, mal mehr, mal weniger bewusst die Nähe einer vertrauten Person vermisse...



Griechenland, Gytheio

Vier Tage verweile ich in dem Küstenort Gytheio.




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Samstag, 26.02.1994


Samstagmorgen, ich genieße eine heiße Dusche. Meine liebe Vermieterin bringt mir einen Milchkaffee und etwas Zwieback, welchen ich auf der kleinen Terrasse einnehme. Dann ist es Zeit, mich für das Wochenende mit ein paar Lebensmitteln einzudecken, also schlendere ich in den Ort zur Bäckerei, zum Supermarkt, zum Obst- und Gemüsehändler. Anschließend ein ausgiebiges, langes Frühstück. Joghurt, Milch, Obst, Brot, Käse, hinterher eine Zigarette.
Gegen Mittag machte ich mich auf den Weg nach Areopolis, 26 Kilometer westlich von hier gelegenes 800-Seelen-Nest in den Bergen. Gut zwei Stunden braucht es, bis ich trampender- und wandernderweise dort ankomme. Ich bin neugierig, ob ich wohl die Pension noch finde, in der ich 1988 mit Andreas übernachtete, möchte sehen, wie dieser Ort zu dieser Jahreszeit aussieht, war er doch beim letzten Mal voll von Urlaubern. Einst lernten wir dort die Neuseeländerinnen Jackie und Joan kennen, die uns auf deren Europa-Reise auch später noch in Voerde besuchten.

Griechenland, Peloponnes

Ausflug nach Areopolis.




Griechenland, Winter auf dem Peloponnes

Winter auf dem Peloponnes.


Bis auf einen gerade am Dorfplatz eingetroffenen Überlandbus ist der Ort wie ausgestorben. Ich schlendere etwas durch die Gassen, finde tatsächlich die Pension wieder und gönne mir dann später auf dem Dorfplatz ein einer Taverne ein Bier.
Zu Fuß verlasse ich den Ort, schnitze mir unterwegs einen Stock spitz zu, um gegen eventuelle Hundeattacken gewappnet zu sein, welche aber gottseidank ausbleiben. Habe immer noch nicht meine Furcht vor diesen scheußlichen Viechern verloren, welche einem doch des öfteren kläffend nachstellen.
Nach knapp drei Stunden Fußmarsch durch die südliche Mani habe ich genug vom Spazieren und während die Sonne inzwischen warmes Abendlicht auf Felsen und Olivenbäume warf, halte ich wieder den Daumen raus. Schnell hält ein Auto an und ich finde mich bald darauf ziemlich k.o. in Gythio wieder.

Griechenland, Kapelle vor Gytheio

Kapelle vor Gytheio.


Zum Abendessen reicht meine Wirtin mir Obst rein und ein Stück Spinatkuchen in Blätterteig. Vorm Schlafengehen unternehme ich noch einen kleinen Spaziergang durch den Ort.



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Sonntag, 27.02.1994


Keine Wolken, wenig Wind, glatt und friedlich zeigt sich am Morgen das Mittelmeer. Heute bringt die Wirtin mir neben dem Kaffee sogar ein paar Marmeladenbrote, zu nett! Und seit dem sitze ich da, schreibe ein wenig, rauche ab und zu eine Zigarette und weiß nicht so recht, wie ich diesen Tag verbringen werde.
Gerade als ich einen kleinen Bummel beginnen will, höre ich: "Mister, Mister, soupa?" und habe wenige Minuten später nicht nur eine Suppe (eine sehr leckere, mit Wein angemachte) sondern auch Fleisch und Brot vor mir auf dem Tisch stehen! In aller Ruhe genieße ich diese Mahlzeit, bevor ich mich dann doch aufmache, gemächlich schlendernd das sonntägliche Treiben zu beobachten.
Ein kleines Mittagsschläfchen, etwas Minimalkonversation mit einem Hausbewohner, später ein Anruf bei den Eltern, ein Souvlaki-Pita und vor ruhig wankenden Booten am Hafen ein Bier...



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Montag, 28.02.1994


...Im Süden nichts Neues. Auch wenn mir der Ort Gythio nach wie vor gefällt, so wird es doch Zeit, dass ich weiterkomme. Die Monotonie der Tage wird langsam anstrengend, verleitet zum Grübeln.
Essen, Einkaufen, Post wegbringen, Schlafen, Spazieren am Hafen, ein Bier...
Ich überlege, nochmals Areopolis zu besuchen, diesmal per Fahrrad. Doch das Tretlager lässt mir keine Ruhe, so dass ich nach wenigen Kilometern Kehrt mache.



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Dienstag, 01.03.1994


Bin heute schon um sieben auf, um im Morgenlicht ein paar Aufnahmen vom Ort und am Hafen zu schießen. Zum Frühstück gibt's Obst und Quark. Am Nachmittag soll der Dampfer ablegen, werde dann mitten in der Nacht auf Kreta ankommen, was kein sehr behaglicher Gedanke ist. Ich gehe nämlich nicht davon aus, um die Zeit eine Bleibe in Kastelli - so heißt der Hafenort - zu finden, womit es wohl auf eine Nachtfahrt nach Chania hinauslaufen wird. Gleich tapere ich noch mal im Zeitlupentempo zur Post, vielleicht gibt's ja noch was für mich...

Griechenland, Gytheio

Griechisches Licht.




Griechenland, Gytheio am Morgen

Gytheio am Morgen.




Griechenland, Gytheio am Morgen

Gytheio am Morgen.




Griechenland, Gytheio am Morgen

Gytheio am Morgen.


...alles kommt dann anders. Innerhalb kurzer Zeit ändert sich meine gesamte Stimmungslage deutlich zum Positiven.
Auf dem Postamt hat man keine Briefe für mich. Auf dem Rückweg dann gerate ich in eine Demo, für die es wohl schulfrei gab. Eine große Menge Schülerinnen und Schüler zieht durch die Straßen, trägt das hellenische Banner und zahllose Plakate: "I Makedonia inai elliniki", meint, "Makedonien ist griechisch!" (und soll es wohl auch bleiben...), dabei lautstark Parolen skandierend. Während der Zug sich durch den Ort bewegt, schließt sich so mancher Einwohner an, einschließlich der Geistlichkeit in schwarzen Kutten. Ein wahrhaftiges Großereignis für Gythio. Ich schieße ein paar Bilder.
Während ich später mit beladenem Radel am Hafen beim Bier auf den Dampfer warte, gesellt sich eine freundliche, junge Bayerin zu mir, ist neugierig, meine Geschichte zu hören, da sie auch radelnderweis unterwegs war - allerdings für ein Jahr. Hat die Alpen überquert, Italien durchfahren und in Gythio jobbenderweise überwintert. Nächstes Ziel: Nordkap via Balkan. Und das ganz alleine, Hut ab! Schön, sowas zu hören; und schön, überhaupt mal wieder etwas Konversation zu betreiben nach fast zweiwöchiger Kontaktabstinenz.
Kurze Zeit später auf dem Kutter, welcher etwas verspätet gegen vier am Nachmittag ablegt, lerne ich die Rucksackler Frank aus Leverkusen, Michael aus Irland und Ben aus Kanada kennen, erfreulich nette, angenehme Company, welche die etwa sieben Stunden an Bord sehr kurzweilig werden lassen. Es ist nicht das erste Mal ist, dass ich einen Mittelmeerdampfer reichlich betrunken verlasse…
Die Gesellschaft der drei gibt mir auch das angenehm sichere Gefühl, nicht alleine des späten Abends auf Kreta dazustehen, die anderen teilten diese Empfindung. Gegen elf, also deutlich früher, als erwartet legen wir an. Unter einem genialen Sternenhimmel stellen wir fest, dass der Ort Kastelli noch ein gutes Stück entfernt liegt und so ist schnell der Gedanke verworfen, noch nach einer Pension oder einem Hotel Ausschau zu halten. Stattdessen suchen wir entlang der Küstenstraße aufmerksam nach einer geeigneten Stelle für eine Übernachtung im Freien, welche wir natürlich auch fanden. Etwas abseits, neben einer alten Hausruine in unmittelbarer Strandnähe. Alles etwas feucht, aber sonst ideal. Ich bin froh, die Isomatte noch nicht weggeworfen zu haben, mit dem Gedanken spielte ich nämlich bisweilen. Ein richtiges kleines Abenteuer, im Schein unserer Taschenlampen durch die Wildnis zu stapfen. Umgeben von fremdartigen Tiergeräuschen finde ich rasch Schlaf, friere dank des genialen Schlafsacks nicht ein bisschen, muss eben jenen am kommenden Morgen aber fast zwei Stunden in der warmen Sonne trocknen lassen, ist pitschnass.



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Mittwoch, 02.03.1994

Karte Tagesetappe


Während die anderen noch eingerollt pennen, stehe ich um halb sieben auf, verfolge den Sonnenaufgang über den Bergen, immer wieder und immer wieder ein beeindruckender Vorgang, zu sehen, wie das Licht seine Farben verändert und mit ihm die Farben der Felsen, der Wolken und der Bäume...

Griechenland, Kreta

Von Gytheio bin ich mit der Fähre nach Kreta gereist, die Nacht verbringe ich unweit des Hafens unter freiem Himmel.


Nach zwei Orangen, viel Wasser und Käsebroten bessert sich bald meine allgemeine Konstitution, ich packe meinen Kram zusammen (auch der Schlafsack war inzwischen knochentrocken) und verabschiede mich bald von den Jungs, noch nicht ahnend, dass ich sie wenige Stunden später schon wieder treffen würde...
Anfangs führt mich die Fahrt durch genial ruhige Landstriche, die Natur in frühlinghaftem Aufbruch. Später muss ich die Hauptstraße nehmen, auch nicht besonders übel. Am frühen Nachmittag rolle ich in Chania ein, einer quirligen Stadt, die zweitgrößte auf Kreta. Ich gehe davon aus, dort einige Tage verweilen zu müssen, um meine zwei drückenden Probleme zu lösen: A) die bedrohlich sich andeutende Geldknappheit wegen der unerwartet hohen Übernachtungskosten und B) das knackende Tretlager.
In der Altstadt ist es nicht schwer, ein günstiges Zimmer zu finden. Ich checke ein und spaziere gleich darauf durch die verwinkelten Gassen, den Weg zum deutschen Konsulat mir suchend. Will erfahren, ob es auf Kreta oder vielleicht sogar in Chania einen tauglichen Geldautomaten gibt, an welchem ich mittels ec-Karte und Geheimnummer an Drachmen komme. Oder wie es mit einer telegrafischen Postanweisung von Statten geht. Alles kein Problem, die Dame im Konsulat ist supernett, ja, es gibt einen Automaten, National Bank, gleich um die Ecke. So habe ich binnen einer halben Stunde mein Problem A gelöst! Auf meinem Weg frage ich in einem Bike/Car-Rental-Office einen äußerst zuvorkommenden jungen Mann, ob er nicht ein gutes Fahrradgeschäft kenne, ich hätte da ein Problem mit meinem Reisevehikel. Und siehe da, es ist der Fall, er gibt mir eine Wegbeschreibung und nach etwas Sucherei im Norden Chanias habe ich bald den kleinen Laden gefunden. Nun, sicher würde es ein, zwei Tage dauern, denke ich. Aber der Freak, welcher gerade an einem hochwertigen Rad zugange ist (was mir absolutes Vertrauen zu dem Laden gibt), nimmt sich umgehend meines Problems an: "If you got fivteen minutes, I can fix it right now,...nice bike, nice bike...". Ich bin baff, traue meinen Ohren nicht. Und kurz darauf beobachte ich aufmerksam, wie er gekonnt des Tretlager öffnet. Das Lager ist allerdings einwandfrei, gut gefettet und sauber, es liegt an einer nicht ganz festgezogenen Schraube, welche den Lagerbereich schließt. Noch ein Pläuschchen, ich zahle 1500 Drachmen, etwa 12,- DM und fahre frohen Mutes zurück ins Zentrum, kann noch nicht ganz glauben, dass ich jetzt kein Problem A und kein Problem B mehr habe, eine ungeheure Erleichterung.

Griechenland, Kreta, Chania

Am Hafen von Chania.




Griechenland, Kreta, Chania

Am Hafen von Chania.


Auf meinem Altstadtbummel besorge ich mir eine mittelprächtige Landkarte von der Insel und beginne in einer hafennahen Taverne eine vage Routenplanung, als ich am Postkartenstand gegenüber bekannte Gesichter sehe! Die Jungs von der Fähre haben es also inzwischen auch nach Chania geschafft…
Ja, und so trinken wir ein Bier gemeinsam und verabreden uns für den Abend, um irgendwo etwas zu essen. Ich laufe noch einige Stunden durch die Stadt und bin später dann am verabredeten Ort.
Wir landen schließlich in einer etwas abseits gelegenen, durchweg griechisch bevölkerten Taverne mit traditioneller Live-Musik, offenem Wein und vorzüglichem Tintenfisch. Später noch hier und da ein Bier, schließlich ist es zwei Uhr nachts, als wir nach Adressentausch ein zweites Mal "tschüs" sagten.



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Donnerstag, 03.03.1994

Karte Tagesetappe


Ich schlafe wie ein Stein und bin morgens zeitig auf, wenn auch nicht ganz hundertprozentig fit. Gemächlich packe ich meine Sachen, habe mir doch auf meinem Weg in Richtung Südküste heute nur ein recht kleines Etappenziel gesteckt.
Landschaftlich ist es eine der bislang genialsten Strecken. Der Wind bläst ausnahmsweise mal von hinten, während ich bei brüllender Hitze im T-Shirt durch die Berge radele, den harzigen Duft der Tannenwälder in der Nase, Schweiß auf der Stirn, in den Ohren Vogelgezwitscher und das Heulen meiner Pneus.
Zeitig erreiche ich dann das Dorf Vrysses, wo es schwierig ist, eine Bleibe zu finden. Doch weiterfahren will ich nicht, da zwischen mir und der Südküste das knapp 2500 Meter hohe Lefka-Ori-Massiv liegt, und das wäre bei meiner heutigen Allgemeinverfassung doch zu viel des guten, auch wenn es bis dort nur etwa 40 Kilometer sind, so weiß ich vom Parnon-Gebirge, wie hart das sein kann...
Das Zimmer kostet mich zwar nur 2000 Drachmen, doch ist es eine kleine, muffige, verdreckte Unterkunft mit megasiffigem Klo im Hof ohne Waschbecken, naja, Hauptsache ein Dach über dem Kopf...
Am Nachmittag sitze ich dann fast drei Stunden in einem Café, während ich einige Tassen Kaffee genieße und in Ruhe meine Tagebuchnotizen aktualisiere. Inzwischen sind Wolken aufgezogen, es ist frischer geworden. Will zeitig und viel schlafen, um für den morgigen Bergritt in guter Form zu sein.



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Freitag, 04.03.1994

Karte Tagesetappe


Schon kurz nach acht bin ich auf der Piste, es ist ein kühler Morgen, doch das soll sich rasch ändern. Nach anfänglicher Formschwäche nehme ich den etwa 20 Kilometer langen Anstieg ohne größere Probleme, ziehe dann einen großen Bogen um eine grüne Hochebene, bevor ich die letzten ca. 15 Kilometer vor der Kulisse karger Berge und einer gewaltigen Schlucht eine atemberaubende Serpentinenstraße hinabstürze, pausenlos auf der Bremse hängend - auch das ein durchaus anstrengendes Unterfangen. Kurz nach zwölf rolle ich in dem kleinen, winzig kleinen Ort Sfakia ein, von dem ich eigentlich erwartete, er sei gefüllt mit Griechen und ersten Urlaubern bzw. hängengebliebenen Freaks. Nein, obwohl auf jedem der Häuser "rooms to let" stand, ist nichts zu machen. Gut, ich schlürfte einen Kaffee in der einzigen geöffneten Taverne, schaute dem Treiben der Arbeiter zu, denn der ganze Ort gleicht einer Baustelle. Auf Hochtouren scheint man alles für die näher rückende Saison aufpolieren zu wollen. Im Sommer ein touristisch bedeutsamer Ort, da die Samaria-Schlucht-Wanderer hier mit dem Boot ankommen und per Bus zurück in den Norden gekarrt werden, und so gibt es kaum ein Haus, an dem nicht gehämmert, gestrichen oder verputzt wurde.

Griechenland, Kreta

Nordkreta.




Griechenland, Kreta

Cockpitansicht.




Griechenland, Kreta

Es geht an den Berg.




Griechenland, Kreta, mein Ziel ist der Ort Sfakia

Ich halte auf die Südküste zu, mein Ziel ist der Ort Sfakia.




Griechenland, Kreta, Imbros-Schlucht

Knapp 2000 Höhenmeter bewältige ich auf meinem Weg an die Südküste, hier blicke ich in die Imbros-Schlucht.




Griechenland, Kreta, Küste bei Chora Sfakion

Küste bei Chora Sfakion.


Etwas unglücklich mit der Tatsache, noch keine Bleibe gefunden zu haben, verlasse ich den Ort - doch nicht, ohne an einige Türen zu klopfen. Bei einem der letzten Häuser vor dem Ortsschild habe ich doch noch Erfolg! Allerdings will man 4000 Drachmen haben, was mir entschieden zu viel ist. Als ich mich anschicke, weiterzufahren, sind es nur noch 3000, okay...! Und was für ein Palast! Was ich gestern entbehrte, bekomme ich heute doppelt und dreifach entschädigt: ein heller, großer, sauberer Raum, Balkon, Seeblick, Topbadezimmer - und sogar Herd, Spüle und Kühlschrank!
Oh, wie wohl tut die Dusche, ich war schon etwas verdreckt. Anschließend Wäschewaschen, Mittagsschläfchen, und am frühen Abend ein Gang in den Ort, hoffend, in einer Taverne einen Salat essen zu können. Aber auch zu dieser Uhrzeit Fehlanzeige.
Also bleibt mir nichts anderes übrig, als mir in meinem Zimmer eine Knorr-Tütensuppe anzurühren, dazu ein Tee. Den Rest des Abends verbringe ich mit einem kleinen Stapel Postkarten.



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Samstag, 05.03.1994

Karte Tagesetappe


Zeitig bin ich wieder auf der Piste. Dieser Tag soll mich um eine bedeutsame Erfahrung reicher machen, vielleicht eine vage Andeutung dessen, was mich auf Island im Sommer erwarten wird. Nicht nur, dass ich streckenweise, wenn auch nur auf relativ kurzen Abschnitten, Schotterpiste zu fahren habe und gelegentlich ein Bächlein den Straßenlauf kreuzte, nein, ich habe meine gesamtes bisheriges "Weltbild" Luftbewegungen betreffend in wenigen Stunden relativieren müssen.
Je weiter ich mich auf der steigungsreichen Piste in Richtung Osten bewege, umso größer wird die Macht und die Geschwindigkeit der Luftmassen, welche über die nördlichen Berge drücken. Es ist irgendwann nicht mehr nur lästig, sondern ein echtes Problem, voranzukommen bzw. das Fahrrad zu kontrollieren, einmal verliere ich sogar die Bodenhaftung: der Wind hebt mein Bike einfach vorne an. Hammer! Immer wieder wirft er mich aus der Spur, einmal kann ich nur um Haaresbreite noch verhindern, den Hang hinunter zu purzeln. Wahnsinn!
Wehender Sand nimmt bisweilen die Sicht, zwischenzeitig gesellt sich Regen hinzu. Die Schatten der Wolken ziehen mit rasanter Geschwindigkeit über die Berge, das Heulen ist ungeheuer laut. Ein Anstieg verbietet das Fahren, es ist nur mit allergrößter Mühe und dem Betätigen eines jeden Muskels meines Körpers möglich, beim Schieben nicht einfach umgeworfen zu werden. Mehr als einmal habe ich inbrünstig vulgärsprachliche Ausdrücke in den Orkan geworfen, der Verzweiflung nahe und ohne jeden Sinn für die überwältigende Landschaft.
Nach scheinbar endloser Quälere erreiche ich mal wieder so ein verschissenes Dorf, das einzige "Rooms to let" ist ausgestorben, hätte könnte spucken. Mit Mühe also das nächste Dorf - und durch einen Zufall, wie er besser nicht hätte kommen können, halte ich vor einem - geöffneten- Youth Hostel, welches unglaubliche 800 Drachmen kostet und zudem Company verheißt. Auch gibt es noch eine Einkaufsgelegenheit, so dass ich am nahenden Sonntag nicht verhungern werde.


Griechenland, Kreta, Südküste

An der Südküste Kretas.




Griechenland, Kreta, Mirthios Youth Hostel

Auf der Aussichtsterrasse des Mirthios Youth Hostel. Die Herberge scheint es in dieser Form heute (2014) nicht mehr zu geben, wie meine Internetrecherche ergab.


Da sitze ich nun, warm eingemümmelt, blicke ins gleißende Spätnachmittagslicht auf das bewegte Meer und eine weite Bucht, ringsum Berge, und kann mich sogar wieder freuen...
Das Hostel ist eher spartanisch, aber das ist ziemlich egal. Neben der schönen Veranda gibt es Gemeinschaftsküche und Aufenthaltsraum, neben wenigen Deutschen hauptsächlich Gäste aus dem angloamerikanischen Sprachraum, mein Zimmer, eigentlich vier Doppelbetten, teile ich mit einem Albaner und einem Engländer.
Den Abend verbringe ich plaudernd mit einem sehr netten Paar aus Jena, weitgereist und jetzt für drei Wochen zu Fuß auf Kreta unterwegs.



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Sonntag, 06.03.1994


Sweet lazy life... obwohl es ein kühler, wolkiger Tag ist, hänge ich doch den ganzen Tag auf der Veranda ab. Nach ausgiebigem Frühstück folgt ein ausgedehntes Lesestündchen, ich beende "Das Paradies ist nebenan", was Birgit mir zuschickte. Ihre Begeisterung, diese Lektüre betreffend kann ich nicht ganz teilen, auch wenn einige Passagen mir durchaus zusagen. Eine zu sonderliche Stimmung schwingt zwischen den Zeilen mit, vielleicht habe ich auch einfach die Message des Autors nicht ganz erfasst, wer weiß.
Der Nachmittag ist erfüllt mit Konversation, ich erfahre einiges über Kreta, wie es sich entwickelte im Laufe der Jahre bis hin zur jetzigen Tourismushochburg, höre von den Albanern, welche illegal zu Tausenden in das Land kommen, um zu sklavenartigen Stundenlöhnen Schwarzarbeit zu leisten - durchaus zum Missfallen vieler Griechen und erst recht der Regierung.
Meine einzige Aktivität des Tages besteht in einem Spaziergang in das synthetische Örtchen Plakias, eine jetzt wie tot daliegende Ansammlung weiß gekalkter Hotels, Restaurants und Autoverleihe. Ein steiler Schotterweg führt vom Hostel, etwas erhöht am Berg gelegen, hinab in die Bucht. Grund für meinen "Ausflug" ist der dort befindliche Supermarkt, welcher nicht nur mit einem deutlich reichhaltigerem Warenangebot aufwartet, sondern auch mit günstigeren Preisen, als der kleine Market hier in Mirthios. Mir gefällt es inzwischen so gut im Hostel, dass ich ein paar Tage zu bleiben gedenke, dementsprechend richte ich meine Einkäufe aus.

Griechenland, Kreta

Diese Katze lässt es sich auf der Veranda der Jugendherberge gut gehen.


Später sägte ich Holz für das wärmende Kaminfeuer am Abend, bei welchem ich lange und in Ruhe esse, an meinem Retsina nippe und neugierig bis begeistert den Erzählungen der Engländerin Sue lausche. Auch wenn ich zu Beginn nicht unerhebliche Schwierigkeiten habe, ihrem derben Slang zu folgen (selbst den Australierinnen ging das so), so gewöhne ich mich bald daran und erfahre viel über ihre seit einem Jahr andauernde Radreise. Auch sie ist über den Balkan gekommen, berichtet durchaus positiv über das sonst doch eher verrufene Rumänien. Ich habe allerhöchsten Respekt vor solchen Unternehmungen, ist es mir bisweilen schon alleine in einem fremden Haus etwas unheimlich, so schlafen diese Abenteurer meist draußen - alleine!
Mir ist schon klar, dies ist wohl der sicherste Weg des Nächtigens, ungesehen im abendlichen Dunkel abseits der Straße, doch subjektiv eine vielleicht mulmige Sache.
Allmählich komme ich an in meiner eigenen kleinen Reise, genieße es hier in Mirthios Menschen zu treffen, Konversation zu treiben. Mir fällt auf, dass dies als Alleinreisender deutlich schneller und leichter gelingt, als wenn ich mit Partnern unterwegs bin - ein weiterer Vorteil von Solofahrten, wie mir scheint. Ich werde insgesamt ruhiger, relaxter, zufriedener und lasse mich für ein paar entspannte Tage gleiten, habe auch nicht das geringste schlechte Gefühl, heute "nichts" getan zu haben.
Irgendwann ist das Feuer ausgebrannt, Müdigkeit überkommt mich und guter Schlaf - wenn auch mit etwas bizarren Träumen.



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Montag, 07.03.1994

Karte Tagesetappe


Ich stehe zeitig auf und finde einen wolkenlosen, blauen Himmel vor, klasse! Ich kaufe Joghurt und schnipsel mir allerlei Obst hinein, später koche ich Tee aus meinen immer noch ausreichenden Vorräten. Der Wind bläst weiterhin mit beachtlicher Kraft, dennoch wage ich einen Radausflug, was sich ohne Gepäck auch als unproblematisch erweist. In der Luft liegt der Duft der Oliven, hier unten beginnt die Ernte wesentlich früher, als im Norden, wie etwa auf den Ionischen Inseln (wo wir 1990 die Erntezeit im Mai erlebten!) und ich fühle mich an unsere Zeit dort erinnert.

Griechenland, Kreta

Ich verbringe fast eine Woche in Mirthios und unternehme Ausflüge in die nähere Umgebung: Fahrten in den griechischen Frühling!




Griechenland, Kreta

Die Olivenernte rückt näher: unter den Bäumen sind Netze ausgelegt, um die kleinen köstlichen Früchte aufzufangen.


Völlig stressfrei rolle ich über das hügelige Terrain, schieße hin und wieder ein Foto vom Frühling. Ziel ist das nahe der Küste gelegene Kloster Preveli, etwa 15 Kilometer vom Hostel entfernt. Ich fahre mit 59,4 km/h heute eine neue Rekordgeschwindigkeit; hinab zur bergigen Küste wird es karg, kaum Vegetation auf den weiten Erhebungen. Im Sommer auch ein Touristenmagnet, liegt das Kloster jetzt still und friedlich im Hang. Neben mir nur ein schreibender junger Mann auf den Treppen, später tauchen noch zwei ältere Leute auf. Ich schlendere etwas umher, betrachte die kleine Kirche, einen Brunnen und die kleinen Häuser, finde es dann etwas schade, nichts über den Ort zu wissen und frage also den Schreibenden "if he had some kind of guide book"?, "Which language?" fragt er, "Well, german, english, maybe french", "Oh, this one's dutch, aber ich kann's Dir übersetzen..." und so las er mir übersetzend die Seiten vor, welche die Geschichte des Klosters beschreiben. Erbaut im sechzehnten Jahrhundert, oft verwüstet und geplündert, dann wieder aufgebaut. Besonderheit: ein altes Kruzifix mit einem Holzsplitter aus dem Originalkreuz Jesu. Auch dieses, oft verschleppt, hat stets den Weg zurück ins Kloster gefunden, angeblich, weil eine Art Fluch auf ihm liegt. Zuletzt waren es die deutschen Besatzer, welche es stehlen wollten, doch das Flugzeug, welches das Kreuz außer Landes bringen sollte, hatte beim Start einen Defekt, also blieb es auf der Insel. Ähnliche Geschichten ranken sich aus älterer Zeit um das Heilige Stück.
Im zweiten Weltkrieg halfen die Mönche britischen Soldaten bei der Flucht vor den Deutschen, eine Gedenktafel erinnert heute daran. Inzwischen leben nur noch zwei Mönche dort und wegen fehlender Mittel für eine umfassende Restaurierung verfällt der Ort zusehends.
Ich bedanke mich für die Übersetzung und im weiteren Gespräch stellt er sich als deutscher Arzt heraus, just das Studium hinter sich und jetzt im AiP in Eindhoven/ Holland.

Griechenland, Kreta, Kato Moni Preveli

Ruinen des verlassenen "Unteren Preveli Klosters" (Kato Moni Preveli).




Griechenland, Kreta, Moni Preveli

Das Preveli Kloster (Moni Preveli).




Griechenland, Kreta, Moni Preveli

Das Preveli Kloster (Moni Preveli).


Ein Stück zurück entlang der Küstenstraße führt ein Pfad hinab zu einer - wie mir erzählt wurde - sehr sehenswerten Palmenbucht. Dort treffe ich den per Leihwagen fahrenden Arzt wieder und während wir den steilen Weg hinab spazieren, stößt noch eine Berliner Sozialarbeiterin zu uns. Dann passierte es: jedwedes Klinikleben sooo fern wähnend, stellt sich heraus, dass er in Kiel studierte, im Papenkamp wohnte und eine mir aus der Uni-Klinik gut bekannte Ärztin eine gute Freundin und Ex-Kommilitonin von ihm ist, er wird sie übernächstes Wochenende treffen! Shit, small world!!!
Schon von oben sehen wir das geniale Fleckchen Erde, durch eine Schlucht fndet ein Süßwasserfluss seinen Weg zum Meer, entlang des Ufers dichter Palmenbewuchs. Eine Handvoll Hippies, wie sie im Buche stehen, leben dort in Höhlen und Zelten, unterhalten ein kleines "Café", wo wir kurze Zeit einkehren. Ich erwarte eher eine gewisse Ablehnung von Seiten der Hippies uns Touris gegenüber, welche in "ihr" Idyll eindringen, doch sind sie superfreundlich.
Wir waten durch den Fluss und suchen uns ein windgeschütztes Fleckchen in der Sonne, quatschen etwas. Ich wage dann noch kurz den Sprung ins Meer, welches zu dieser Jahreszeit allerdings noch empfindlich kühl ist.

Griechenland, Kreta, Preveli Beach

Unweit des Klosters befindet sich "Preveli Beach", ein netter kleiner Palmenstrand, an welchem noch zum Zeitpunkt meines Besuchs einige Hippies leben.


Irgendwann haben wir genug, tapsen noch gemeinsam die Strecke zur Straße hoch und dann geht ein jeder seines Weges. Nicht einmal die Namen erfuhren wir voneinander (außer dass ich den meinen preisgab, auf dass er besagte Ärztin grüßen möge!).
Ich genieße die Rückfahrt im warmen Licht, machte mir später eine Riesenschüssel Salat mit Ei und Dosenfleisch, verbringe den Abend teils Karten spielend, teils redend bei einem Glas Retsina mit anderen Hostellern.
Wenn denn die Möglichkeit zu Kontakten gegeben ist, so glaube ich, ist es als Alleinreisender bedeutend einfacher, diese auch zu nutzen, eine wertvolle Erfahrung!



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Dienstag, 08.03.1994


Noch ein relaxter Tag des nun beinahe schon stereotypen Mithios-Musters. Zum Frühstück ein großer Topf - Apfel, Banane, Orange plus Müsli und frischem Joghurt. Zwei kleine Touren unternehme ich per Bike, eine nach Plakias zum Einkaufen, eine andere in das nahe Dorf Selia, durch welches ich schon bei meiner Anreise kam. Mit Rückenwind am Gefälle mache ich einen neuen Geschwindigkeitsrekord, welcher aber tags darauf schon wieder gebrochen werden sollte (63,2 km/h). Sue fuhr den ihren mit 73 km/h im Schwarzwald, hat aber auch bedeutend schmalere Bereifung.

Griechenland, Kreta, Plakias

Die Bucht oberhalb derer Mirthios liegt; der Ort unten am Strand ist Plakias.




Griechenland, Kreta, Sellia

In den Gassen von Sellia, dem Nachhbardorf.




Griechenland, Kreta, Regen in Mirthios

Regen in Mirthios.




Griechenland, Kreta, Sellia

Ein Regenbogen zeigt sich über dem westlich von Mirhtios gelegenen Ort Sellia.


Da mir heute Abend nicht schon wieder nach Kartenspielen zumute ist, schaue ich bei den auf einem Regal stehenden Büchern, wähle Jan Goodwins "Reise durch ein zerrissenes Land". Eine leichte, aber überaus interessante Lektüre: amerikanische Journalistin begleitet die Mudschahedin auf Unternehmungen ihres afghanischen Guerillakrieges. Spät am Abend bin ich noch kurz mit einer Finnin, einer US-Amerikanerin und zwei Australierinnen in einer nahen "Taverne", der sog. Raki-Bar. Da mich die Konversation aber nicht vom Hocker reißt, kehre ich bald zu meinem Buch zurück.
Naja, später plaudere ich noch bis nach zwei mit der Amerikanerin, bis auch unser Wein ausgetrunken ist und gehe dann schlafen...



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Mittwoch, 09.03.1994


Den ganzen Tag klebe ich an meinem Buch, unterbrochen bloß von einer Einkaufstour nach Plakias und den Mahlzeiten. Gegen Mitternacht gehe ich nach der letzten der fast 500 Seiten schlafen.



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Donnerstag, 10.03.1994


Meine für heute geplante Abreise nach Rethimno verwerfe ich bald. Schon vom Bett aus, noch warm in den Schlafsack gemümmelt, sehe ich die Gischtwirbel über dem Meer, ein eindeutiges Zeichen dafür, dass der Wind noch immer von Norden bläst und zwar mit Macht. Böen heulen, Verhältnisse, wie am Tag meiner Ankunft. Und da ich wenig Lust verspüre, ein solches Erlebnis zu wiederholen, bleibe ich. Ein Tagesausflug mit dem Rad kommt heute nicht in Frage, also mache ich mich auf eine dreistündige Wanderung. Aber selbst das ist bei dem Sturm kein besonderes Vergnügen, so fühle ich mich in meiner Entscheidung, zu verweilen, bestätigt. Ziemlich durchgefroren komme ich am frühen Nachmittag zur Herberge zurück.
Etwas k.o. und frierend lege ich mich für ein "Stündchen" hin, wache erst zum Abend wieder auf. Jemand hatte, das war schon am Morgen geplant, für ein Grillen eingekauft und so sitze ich bald da und zerschneide eine Lammkeule. Dazu gibt's Kartoffeln, später Bratäpfel - alles gegart am Kaminfeuer. Die Gästezahl ist im Laufe der Woche ständig gesunken, einige reisten weiter, keiner kam dazu, so dass es nur fünf Leute sind, die teilnehmen, zwei weitere halten sich fern. Für wenig Geld haben wir ein geniales Abendessen. Die Herberge hat eine Kapazität von 36 Betten und im Sommer ist dies auch meist voll ausgeschöpft - unvorstellbar! Dann wird auch gegen 18:00 das Herdgas abgestellt, um die Gäste dazu zu bewegen, in der dazugehörigen (jetzt noch geschlossenen) Taverne zu essen und zu trinken.



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Freitag, 11.03.1994


Beim Erwachen bot sich mir des morgens das gleiche wild schäumende Bild über dem Meer, an Weiterreise ist also auch heute nicht zu denken. Hatte ich doch immer die transportmittelmäßige Unabhängigkeit gepriesen, welche die Radreise mit sich bringt, so werde ich diesbezüglich hier in Mirthios eines besseren belehrt. Bin schon gespannt, welche Überraschungen Island bereithält...
Sue muntert mich etwas auf, als sie auf meine etwas zerknirschte Aussage "I didn't want to stay here for three weeks..." erwiderte: "If you have to stay somewhere for three weeks - this is a good place!". Da muss ich ihr beipflichten. In dem hiesigen Cassettenstapel finde ich ein Tape mit einigen Tom Waits-Songs, was auch sehr wohl tut. Ja, und da sitze ich nun also, etwas frierend im Gemeinschaftsraum, die beiden Katzen dösen selbstgefällig auf der Couch, die versoffene Stimme aus den Lautsprechern besingt den "cold, cold ground"; Claire, die australische Herbergsmutter fegt Staub und draußen wütet der Wind.
Sollten die Verhältnisse sich morgen nicht geändert haben, so werde ich wohl entweder per Bus oder per Taxi wenigstens mein Gepäck nach Rethimno befördern. Obwohl die knapp vierzig Kilometer durch die Berge bei frontalem Orkan sicher auch ohne Zuladung per Bike auch eine kleine Strapaze darstellen, so habe ich doch nicht die Absicht, hier tatsächlich drei Wochen zu verbringen. So nett es hier auch ist, in zwei Wochen lande ich in Hamburg, die Zeit bis dahin sollte genutzt werden...

Ansonsten nimmt der Tag seinen stereotypen, relaxten Verlauf, endet mit Kaminlagerfeuer. Nun, da ich nach einer Woche Aufenthalt schon zu den "Insidern" gehöre, ist es interessant, das Gruppenmiteinander zu beobachten, zu sehen, wie sich mit der Anwesenheit bestimmter Leute die Stimmungen verändern, das Kommen und Gehen neuer Gäste zu verfolgen.



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Samstag, 12.03.1994


Wie hätte es anders sein können, weiterhin heftige Winde, ja, was ich nicht für möglich hielt, noch gewaltiger, als an den Vortagen. Ich lasse das Fahrrad stehen und habe bei meinem Fußmarsch nach Plakias mehr als einmal ernstliche Probleme, wäre fast davongepustet worden. Naja, Talk hier, Talk da, längere Zeit habe ich mit Sue fahrradmäßig "gefachsimpelt", etwas Erfahrungsaustausch betrieben, ihr Werkzeug geliehen. Sehr interessant und sehr nett. Dann essen, dann mit den Katzen spielen. Später erreicht die Sonne die Terrasse und da es heute wolkenlos ist, gibt es im Windschatten Gelegenheit für ein Sonnenbad. Im Verlauf des späten Nachmittags nehmen die Gischtwirbel über dem Meer ab, von Windstille zu sprechen, wäre vermessen, doch es ist ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen. Befremdende Stille draußen, nach dem fortwährenden Geheule, als wir am Lagerfeuer sitzen.
Da überkommt mich doch glatt etwas Wehmut, als die Gewissheit wächst (und sich bis zur Endgültigkeit manifestiert), dass ich morgen dieses sehr nette Fleckchen verlassen soll. Auch wenn ich im Zielort Rehtimno ein Hostel weiss, so heißt es doch, das warme Nest zu verlassen, wieder alleine auf der Straße zu sein. Doch auch das hat seinen Reiz, es ist meine Entscheidung. Ich gewinne nun zusehends Freude an dem Zustand, alleine zu reisen, völlig unabhängig von anderen Ideen und Meinungen, ganz und gar mein eigener Herr. Mag sein, dass sich das ändert, sobald ich wieder in einer verlassenen Pension der einzige Gast bin und die Wände anstarre. Auch auf Wanderungen empfinde ich bisweilen Sehnsucht nach einem vertrauten Gesprächspartner, doch weist der Zustand des Alleinreisens signifikante Vorteile auf.



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Sonntag, 13.03.1994

Karte Tagesetappe


So ergibt es sich heute, dass aufgrund der gemäßigteren Windverhältnisse auch Sue radelnderweise nach Rethimno aufbrechen wird, ich aber den Vorschlag der "Hostma'" Claire : "you can cycle together!" ablehne in dem Wissen, dass ich am Berg meinen eigenen Rhythmus habe und diesen auch ohne Fremdeinflüsse zu fahren / zu pausieren gedenke. Auch weiß ich, dass die ersten Kilometer der Etappe einen satten Anstieg erwarten lassen - zudem mit nicht unerheblichem Gegenwind. So gerne ich auch Sues Gesellschaft hatte, das muss ich alleine machen.
Nun, es ist die einzige Straße nach Rethimno, also ist es fast abzusehen, dass wir uns früher oder später treffen. Nach den krassen ersten Meilen erschrecke ich zunächst, als plötzlich von hinten ein lachendes "Hi!" erschallt, klar, Sue. Mit einigen Foto-Stopps radeln wir ab dann gemeinsam und ich bin überwältigt, abseits der kargen Küstengegend einen derart satten, sonnigen Frühling zu sehen. Blumen, grüne Wiesen überall, teils dichte, schattige Passagen durch Nadelgehölz, in der Ferne, im Osten, hohe, schneeweiße Berge. Die Fahrt nach Rethimno verläuft kurzweilig wegen anhaltender Konversation, sehr oft Austausch radelmäßiger Erfahrungen, und schon rollen wir mit hoher Geschwindigkeit hinab in die Küstenstadt. Und da Sue über die Lokalisation des Hostels im Bilde ist, entfällt lästiges Suchen.

Griechenland, Kreta, Mirthios Youth Hostel

Der Zeitpunkt ist gekommen, um Abschied zu nehmen von dem heimeligen Ort, dem Hostel von Mirthios.




Griechenland, Kreta, Langzeitradlerin Sue

Einige Tage verbringe ich in der Gesellschaft von Sue, die zu diesem Zeitpunkt bereits ein gutes Jahr auf dem Rad unterwegs ist.




Griechenland, Kreta

Irgendwann ist es an der Zeit, Mirhtios zu verlassen. Ich radele gemeinsam mit einer britischen Langzeitreisenden wieder in den Norden Kretas. Unterwegs kommen wir durch diese kleine Schlucht.


Die dortige Hostmother Christa hält Siesta, also schließen wir die Räder an und begeben uns auf einen Spaziergang, essen Sandwiches und pausieren am Venezianischen Hafen, einer Kleinausgabe dessen in Chania. Ich bin nicht im Ansatz überrascht, dort den Kieler Doc Oliver (diesmal finde ich seinen Namen heraus) wiederzutreffen. Sue setzt sich dann ab, während Oliver und ich etwa zwei Stunden dem lokalen Großereignis, dem , einem waschechten Karnevalsumzug zuschauen. Mengen an Volk sind auf den Beinen, Jung und Alt, teils in Verkleidung. Der Umzug ist eher langweilig, da er mehr als schleppend verläuft. Auch die Gruppen machen einen überaus laienhaften Eindruck, ich schätze, ein rheinischer Karnevalist wäre schlichtweg kollabiert vor Entsetzen. Dennoch: für die Einheimischen offensichtlich das Ereignis schlechthin.
Später treffe ich Christa an, checke im Hostel ein, nehme eine Dusche, wurde mal wieder Zeit, flaniere erneut durch die Gassen, habe erneut ein Sandwich, verbringe erneut ein Weilchen am Hafen. Später am Abend etwas Bier, etwas Konversation mit einem Neuseeländer und das tagebuch- bzw. briefmäßige Aufarbeiten der vergangenen zwei Tage.
Eine unruhige Nacht folgt, da ein großer Teil der britisch - kanadisch - US-amerikanischen Hotelbelegschaft frühmorgens trunken vom Karneval in den Schlafsaal kleckert. Bin froh, dann meine Oropax einzustöpseln und Ruhe zu genießen.



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Montag, 14.03.1994

Karte Tagesetappe


Rethimno in Katerstimmung, bis auf für wenige Stunden geöffnete Lebensmittelläden eine ausgestorbene Stadt. Ich nutze die Gelegenheit für ausgiebige Obsteinkäufe, teile mein Frühstück mit einem abgebrannten weil drei Tage zuvor (angeblich?) ausgeraubten Berliner Langzeitreisenden, schlürfe diverse Milchkaffees, welche hier fatalerweise angeboten werden - eine gute Gelegenheit, sein Geld los zu werden. Nebenbei studiere ich meine Kreta-Karte und plane meinen Tagesausflug zum Kourna-See. Sue greift den Gedanken auf und so starten wir etwa zur gleichen Zeit, allerdings in entgegengesetzter Richtung. Es handelt sich um eine Art "Rundreise", 25 Kilometer ebene Küstenstraße und 40 Kilometer up and down durchs Vorgebirge. Ich startet über die Küstenstraße, Sue über die Bergstrecke. Etwas mehr als eine Stunde brauche ich zum Ziel, bin also richtig durchgekachelt. Überall entlang des Wegs halten griechische Familien Picknicks oder Barbeques, genießen ihren Feiertag im Freien. Auch die Tavernen am See sind gut gefüllt mit kleinen Gesellschaften. Ich verweile ein Stündchen, nippe an einer Coke und schaue auf das recht kleine Binnengewässer, wo einige Tretboote ihre Runden drehen. Kinder füttern die Enten, die Kellner haben gut zu tun. Mit einmaligem Verfahren mache ich meinen Ritt durch die Berge, treffe erwartungsgemäß irgendwann Sue auf ein kurzes Pläuschchen. Es folgen ein, zwei Orangen-Apfel-Schokoladen-Pausen und irgendwann rolle ich highspeed wieder in die Stadt hinab, gleiche Geschwindigkeit, wie der motorisierte Verkehr, das 50 km/h-Speedlimit brechend.

Griechenland, Kreta

Frühling auf Kreta.




Griechenland, Kreta

Frühling auf Kreta.




Griechenland, Kreta, Lefka Ori

Der Frühling kommt unaufhaltsam, doch in der Ferne sind noch immer die mächtigen, schneebedeckten Gipfel des Lefka Ori Gebirges erkennbar; immerhin fast 2500 Meter recken sie sich in den Himmel.




Griechenland, Kreta

Frühling auf Kreta. Ich habe mich inzwischen in Rethymnon einquartiert und unternehme von dort aus Tagestouren.


Bald lerne ich den Bremer Geographie-Studenten Uwe kennen, und wir ziehen des Abends durch die Stadt, nahmen hier und da ein Bier und treffen hier und da andere Hosteller. Nicht allzu spät endet der Abend; gut, dass der kleine Schlafsaal - mit neun Doppelbetten (!) vollgestopft - nicht ganz belegt ist. Nur ein kleines Fenster, der Mief lässt sich leicht erahnen... Heute Nacht vorsorglich gleich Oropax, einige Schnarcher können auch lästig sein...



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Dienstag, 15.03.1994

Karte Tagesetappe


Wie jeden Morgen beginnt der Tag mit einem Riesenpott Jogurt mit Obst, dazu einige Smalltalks am Hostel. Später hole ich Post ab und lese die Briefe von Muttern und von Birgit bei Milchkaffee in der Altstadt. Dann gibt es ein zweites Frühstück mit Käse und Dosenfleisch, gehe noch mal Schecks tauschen.
Nach zwei Uhr ist es, als ich mich eher lustlos aufraffe, an diesem eigentlich so genialen, fast windstillen und absolut wolkenlosen, sehr warmen Tag doch noch einen Tagesausflug mit dem Rad zu unternehmen.
Ich soll es nicht bereuen, ich glaube, es ist die absolut schönste Etappe der bisherigen Reise. Es beginnt mit einem vielleicht 15 Kilometer langen sachten Anstieg ins südliche Hinterland, in Gedanken spiele ich Reisevarianten für das nächste Jahr durch, schraube mich dabei höher und höher ins Vorgebirge, entlang eines langgezogenen, rauen Tals. Für meine Pausen suche ich mir meist Orte, oder besser gesagt: Plätze auf der Höhe von Hügeln / Bergen, also nicht vor einer anstehenden Steigung. So auch heute, doch selten hatte ich eine so gute Aussicht. Eine weite grüne Ebene, der schneeweiße Psiloritis-Berg in der Ferne, müßig der Versuch, das in Worte zu fassen, wo ich schon daran zweifle, ob es Sinn macht, Photos zu schießen. Kein Autoverkehr, nur Vogelgezwitscher und die überwältigende Weite der Natur, ich bin völlig von den Socken. Essen, Trinken, Rauchen, Genießen. Die folgende Strecke weiter westwärts ist auf andere Weise nicht weniger intensiv beeindruckend. Durch die fortgeschrittene Tageszeit bedingt radele ich bei meinem Lieblingssonnenlicht des späten Nachmittags entlang einer kurvigen, mäßig hügeligen Straße durch kleine, uralte Dörfer, waldartige Vegetation, endlose Olivenhaine, deren Blätter nicht wie üblich silbern, sondern golden glänzen. Angenehme Wärme umgibt mich und es fällt angesichts dieses intensiven Frühlings mit seinen endlosen satten Hellgrüntönen und Blumen schwer, sich vorzustellen, dass schon bald für Monate kein Tropfen Regen mehr fallen wird, die Temperaturen zwischen 35°C und 45°C klettern werden Tag für Tag - und zum Herbst hin nur noch verbrannte Erde übrigbleibt.

Griechenland, Kreta, Pause während einer Tour durch die Berge

Pause während einer Tour durch die Berge.




Griechenland, Kreta

Frühling in den Bergen Kretas.




Griechenland, Kreta

Noch ist es nicht zu heiß, so dass die Pflanzen gedeihen können - bald schon wird die Sommersonne einen Großteil der Vegetation vertrocknen...


Doch dieser Tage gleicht es dem Garten Eden, langsam fahre ich, sauge das Ambiente in mich auf, frage mich, wann ich zuletzt so intensiv dieses Frühlingserwachen empfand. Es ist, als führe ich durch ein Märchen, so fern und so nah wie frühe Kindertage sind die Eindrücke. Die Sonne sinkt, es wird kühler, als ich die "Hauptstraße" erreiche, welche mir eine rasante, fast 15 Kilometer lange Abfahrt nach Rethimno erlaubt.

Griechenland, Kreta, Blick über Rethymnon

Blick über Rethymnon.


Dort Brot, Käse etc., später mache ich mit Uwe einen riesigen Topf Salat, sehr köstlich, er reicht auch noch für Marie-Therese, Fremdsprachensekretärin aus Hamburg, Annette, VWL-Studentin aus Osnabrück und Christina, Psychologie-Studentin aus Aachen. Wir fünf verbringen sodenn auch den Abend gemeinsam, ziehen durch die Kneipen, haben am Hafen ein beinahe dekadentes Essen in einem Restaurant, versacken dann bis halb drei im "Underground", der Bar, wo sich die Hosteller treffen. Einer der teuren Tage, but, who cares?! It was fun!



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Mittwoch, 16.03.1994


Da ich es nicht übertrieben habe mit Bier und Raki, sitze ich bereits bei meinem Riesenobstsalat um acht auf der Veranda, als die anderen so nach und nach aus den Betten kommen. Ich schlürfe Unmengen Milchkaffee, während ich eine angenehmen Unterhaltung mit Christina führe, Thema Israel, ihr letztes Reiseziel.
Später bricht Sue auf, startet in ihr zweites Reisejahr. Mit aufkommendem Wind und ein paar Wolken verwerfe ich meinen Plan, ein nahes Kloster zu besuchen ( , mañana...) und lieber einen relaxten Nachmittag auf der Hostelveranda zu verbringen, dabei meine letzten Postkarten zu erledigen und diesen Tagebuchreport zu vervollständigen.
Am Abend kochen Marie-T., Annette, Uwe ich ein simples, aber sehr angenehmes Nudelgericht, picheln größere Mengen Retsina und spielen das "Blättchen-an-die-Stirn-kleb-und-rate-wer-ich-bin"-Spiel, meist auf englisch, da sich noch ein Australier hinzugesellt. Ist wie üblich ausgesprochen witzig. Als der Wein alle ist, verlegen wir unsere Gesellschaft vom Hostel ins "Underground", so dass es schließlich fast halb vier ist, als ich in meinen Schlafsack krieche.



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Donnerstag, 17.03.1994

Karte Tagesetappe


Weniger vom Wein als vielmehr vom kurzen Schlaf bin ich den ganzen Tag schlaff drauf, müde und irgendwie unspezifisch genervt. Um halb elf habe ich schon eingekauft, Geld getauscht, Post weggebracht - und leider keine Briefe poste restante erhalten. Die Mädels treffe ich nicht mehr an, hinterlege ihnen aber ein schriftliches Goodbye, bevor ich eine kleine Tagestour starte. Eher lustlos strampele ich die recht harmlose Steigung zum Arkadiou-Kloster hinauf, schaue mich kurz um und lasse mich wieder hinabrollen.

Griechenland, Kreta, Kloster Arkadiou

Das Kloster Arkadiou südöstlich von Rethymnon.




Griechenland, Kreta, Kloster Arkadiou

Im Innenhof des Klosters Arkadiou.




Griechenland, Kreta, Kloster Arkadiou

Kloster Arkadiou.


Kurzzeitig überkommt mich am Hostel ein Gefühl der Verlassenheit, nach der Abreise der drei. Ich wälze nach dem Genuss eines neuerlichen Nudelgerichtes Karten und Kretaführer. Noch vier oder fünf Tage bleiben mir, ich bin unschlüssig, ob ich morgen einen Gewaltritt in den Osten der Insel unternehmen soll oder die Reise ganz peacig und relaxt im Westen, z.B. Chania ausklingen lassen soll. Die endgültige Entscheidung wird morgen früh beim Frühstück fallen. Wenn nichts dazwischen kommt, werde ich heute mal früh schlafen gehen.



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Freitag, 18.03.1994


Am Morgen regnet es und bei solchem Wetter habe ich weder Lust in die eine, noch in die andere Richtung zu fahren, so wird mir die Entscheidung, wie es weitergeht, quasi abgenommen. Ein fauler, mehr oder weniger langweiliger Tag nimmt seinen Lauf, endet relativ früh in der Raki-Bar. Raki hat nichts mit dem türkischen Anisschnaps Raki zu tun, sondern ist eine lokale Spirituose, man sagt, auf Traubenbasis.



Griechenland, Kreta, Hafen von Rethymnon

Am Hafen von Rethymnon.




Griechenland, Kreta, in den Markthallen Rethymnons

In den Markthallen Rethymnons.




Griechenland, Kreta, in den Markthallen Rethymnons

In den Markthallen Rethymnons.




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Samstag, 19.03.1994


Auch heute viel Regen. Mit einem etwas prolligen Maurer und seinem Informatik studierenden Bruder fahre ich in deren Leihwagen noch mal mit zum Arkadiou-Kloster. Dort oben in den Bergen ist es fies nasskalt, aber immerhin habe ich es so auch noch mal von innen gesehen. Den Rest des Tages gammele ich ähnlich wie gestern auf der Terrasse ab, abends Raki-Bar und später eine kleine Disse mit ganz guter Musik. Ein sehr witziger Abend mit rein angloamerikanischer Company. Der sternklare Himmel lässt schon auf einen schönen Tag hoffen.



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Sonntag, 20.03.1994

Karte Tagesetappe


Nach den obligatorischen Milchkaffees (deren hohen Konsums wegen mich Christa schon fast für verrückt erklärt), ein paar Goodbyes und einer Verabredung mit einer Irin für die nächsten Tage in Athen, befinde ich mich wieder auf der Piste. Ziel: Chania. Der Osten verbietet sich inzwischen aus Zeitgründen, auch wenn ich es bedauere, nicht wenigstens die Lasithi-Ebene gesehen zu haben. Next time!
Die Hauptstraße ist wegen des Feiertags erträglich frequentiert, einige Motorradfahrer nutzen das schöne Wetter für Ausflüge und donnern mit annähernder Schallgeschwindigkeit an mir vorbei. Unglaubliches Blau des Himmels, viel, viel Grün, Meer und die stets beeindruckenden Schneegipfel in der Ferne. Mit dem nahenden Verlassen der Insel fällt mir mal wieder auf, wie sehr all das für mich zur Normalität geworden ist. Vielleicht auch ein Grund dafür, dass ich diesmal relativ wenig und oftmals ohne großen Enthusiasmus photographiert habe.
Beim Einrollen in Chania treffe ich den Franzosen Pascal (hier für eine Weile als Lehrer tätig) wieder, hatte in Mirthios seine Bekanntschaft gemacht. Wie klein ist doch die Insel, erfreut bin ich, ein bekanntes Gesicht zu sehen, ziehe dann auch in seine Pension am alten Hafen mit ein.
Die Stadt bietet ein recht verändertes Bild, verglichen mit meinem letzten Besuch vor zwei Wochen. Ich weiß nicht, ob der nahe US-Stützpunkt heute Ausgehtag hat oder ob die Massen englisch sprechender junger Menschen die erste Welle der Touristeninvasion sind. Wie auch immer, es übte keinen angenehmen Eindruck auf mich aus. Wie muss das bloß im Sommer sein, ich würde eine Krise nach der nächsten kriegen...
Vielleicht nicht schlecht so, sonst würde mir die Abreise nach Athen morgen nachher noch schwer fallen! Kurz nach sechs liege ich im Bett, in dem folgenden 14-Stunden-Schlaf manifestiert sich mein Nachholbedarf...



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Montag, 21.03.1994

Karte Tagesetappe


Ich treffe Pascal, schwätze ein Weilchen mit ihm, erfahre dabei, dass er nebst Frau und Baby sich endgültig dazu entschlossen hat, auf Kreta zu bleiben - for lifetime. In Bälde wird er ein Haus mieten, ich bin jederzeit herzlich eingeladen. Noch ein Grund mehr, nach Kreta zurückzukehren...
Ich nutze den brillanten Tag für eine Tour auf die Akrotiri-Halbinsel nordöstlich von Chania. Bis auf vereinzelte Touristensiedlungen, Fabriken und laute Kampfbomber recht schön. Hm, lassen wir mal die Ironie. Also im Norden der Halbinsel findet sich nichts dessen; weite Olivenhaine, kleine Klöster und einmal ein Mönch, der mich in seinem Pick-Up-Truck überholt. Auf einem abgelegenen Pfad nahe der Nordküste mache ich Obst- und Schokoladen-Picknick und erhole mich vom Anstieg in der Hitze, lasse dabei die Intensität der Farben auf mich wirken, blicke den Schmetterlingen nach und denke, dass ich nun für mindestens ein Jahr nicht wieder ans Mittelmeer komme. Hätte wenig Probleme, jetzt für Wochen weiterzuradeln... noch der kretische Osten, dann wäre es auch bald im Pindos warm genug, Meteora. Westküste, Ithaka, Zakynthos...
Nach zwei Souvlaki-Pitas hole ich mein Gepäck aus der Pension ab und rolle nach Souda, östlich von Chania, großer Fährhafen. "Routinemäßiges" Vertauen des Rades im Bootsrumpf. Während ich im Bauch der Fähre etwas orientierungslos umherirre, ist der eine oder andere Steward schon im Begriff, mich ans Deck zu scheuchen. Nun, vielleicht auch etwas ungewöhnlich, dass ein unrasierter, stinkender, versiffter Radtourist ein Kabinenticket hat. Ja, diesen (nur unwesentlich teureren) Luxus habe ich mir mal geleistet, etwa 43,- DM für die Überfahrt. Eigentlich wäre es eine Vier-Bett-Kabine, doch wegen der allgemeinen Unterbelegung des Dampfers (nur wenige Griechen, ein paar Trucker und ich als einziger Touri auf einem Schiff mit Kapazitäten für etwa 1500 Menschen) nächtigte ich alleine in einer Kabine mit Seeblick und Waschbecken, wie edel. Bei einem Bier verfolge ich das Ablegen des Schiffes, das Auslaufen im Dunkeln, während immer noch Düsenjäger über Akrotiri ihre Runden ziehen...
Kalt wird es und in Ermangelung von Gesellschaft lege ich mich bald schlafen.



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Dienstag, 22.03.1994


Um viertel nach fünf werde ich geweckt, draußen im Dunkel ziehen die Lichter von Piräus vorbei, ich habe genug Zeit, mein Fahrrad zu beladen. Eine geile Sache, mit dem Rad auf ein Schiff oder vom Schiff hinunter zu fahren, vorbei an den gierigen Taxifahrern und stinkenden Lastern. Die Orientierung fällt mir leicht und schnell bin ich auf der gigantischen Hauptstraße nach Athen. Weniger der Verkehr, als vielmehr einige Hunde machen mir das Leben schwer. Komme aber dennoch heil am "Thisseos Inn" an, dem Hostel, wo ich mich mit der Irin zu treffen gedenke. Sehr netter Laden nähe Syntagma, die Nacht bloß 1500 Drachmen, abgesehen von den Youth Hostels meine billigste Accomodation bis jetzt! Eine genüssliche heiße Dusche, Frühstück, Tee und dann ein mehrstündiger Gang durch die Stadt - auf der Suche nach unbekanntem Athen, was ich fraglos auch fand. Flohmarkt auf der Athinas-Straße, Besuch der Markthallen, wirres Treiben in den Straßen um Omonia; ruhige, San Francisco-artige Gassen am Fuße des Lycavitos-Hügels. Fahrt hinauf mit der Seilbahn durch einen dunklen Tunnel, oben ein Bier, während meine Blicke über die endlosen Dächer schweifen und über die größte Smogglocke des mir bekannten Europas...

Griechenland, Athen, Blick vom Likavitos-Hügel

Blick vom Likavitos-Hügel über das schier endlose Häusermeer dieser faszinierenden Stadt. Im Dunst erkennbar ist die Akropolis.




Griechenland, Athen, Smogwolke

Athen mit seiner typischen Smogwolke.


Schlendern durch den Nationalgarten, Fotografieren der Wachsoldaten am Syntagma-Regierungspalast und schließlich fast einstündiges Suchen eines Lebensmittelladens (mit dem Nebeneffekt, dass ich schon mal Kartons finde, um das Fahrrad für den Rückflug zu verpacken).
Hungrig falle ich über meine obligatorische Obstsalatschüssel her, trinke Tee und treffe überraschenderweise schon heute die Irin, hat sich in Heraklion ein Fahrrad gekauft! War so begeistert von einem Miet-MTB in Rethimno, etwas verrückt die Frau...
Ein Date mit ihr auf dem Filoupapou zum Sonnenuntergang scheitert leider, so sitze ich alleine auf meinem allerliebsten Hügel, genieße das Ambiente und die überraschend klare Sicht. Wenige Leute dort oben heute Abend, wie schön. So trinke ich ein Amstel, schieße ein paar Selbstauslöserfotos "I was here" und mache mich im Halbdunkel auf den Heimweg. Eine spannende Sache, by bike durch Athen. Mit der Geschwindigkeit des Autoverkehrs und einer Portion Wagemut durchaus ein gewisses Vergnügen. Bin froh, Licht an meinem Radel zu haben. Später noch ein Spaziergang nebst Abendessen durch die Plaka und noch später längerer Talk mit meinem kalifornischen (z.Zt. in Göttingen studierenden) Zimmernachbarn und der Irin, deren komischen Namen ich bislang immer noch nicht drauf habe.



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Mittwoch, 23.03.1994


Die Nacht ist unruhig, es ist warm und muffig, morgens früh lärmen andere Hostelgäste. Den ganzen Tag fühle ich mich schlapp und ausgepowert, beinahe so, als sei eine Grippe im Anmarsch.
Der Anruf bei Hapag Lloyd beschert mir die wenig erfreuliche Information, dass mein Flieger am Freitag nicht wie geplant um 11:20 a.m., sondern erst abends um 8:25 p.m. abheben wird. Entsprechend spät erreiche ich Hamburg, was wahrscheinlich meinen Plan zunichte machen wird, von Hamburg nach Kiel zu radeln, weiß nämlich nicht, wie motiviert ich für einen fünf bis sechsstündigen Nachtritt bin...
Meine Hauptaktivität besteht im Besuch des Kykladen-Museums in relativer Nähe zum Regierungspalast, doch finde ich nicht wie erhofft Darstellungen alten Lebens, etwa in Form von Stichen oder Gemälden, sondern lediglich alte Kunstschätze, Vasen, Figuren etc., was mich als doch eher wenig historisch Interessierten kaum ansprach. Einzig interessant war eine Bildserie, welche in einer Nebenausstellung die technischen Verfahren zum Bau der Akropolis beleuchtete. Vom Steinbruch in den fernen Bergen, dem Transport auf den Hügel über die Feinarbeit und die verwendeten Kräne, Hebel, Gerüste etc.
Den Nachmittag verbringe ich stundenlang bei Tee und Keksen über einer FAZ, welche ich mir heute mal geleistet habe, später kocheich Spagetti und breche dann wieder auf zum Filoupapou. Bin phasenweise alleine dort oben und es bläst ein kühler Wind, welcher wohl auch dafür sorgt, dass heute wieder relativ wenig Smog über der Stadt hängt.
Am Hostel treffe ich später Deirdre, die Irin. Wir quatschen lange, während ich ihren Vorderreifen flicke. Und als es schon fast halb zwölf ist, fragt sie, ob ich nicht mit auf einen kleinen Spaziergang käme. Mein Gegenvorschlag ist eine Radtour zur knapp drei Kilometer entfernten Plateia Exarchia, sie ist einverstanden. Mal wieder tappe ich auf Pfaden der Vergangenheit. Vor sechs Jahren nippte ich in dem gleichen Straßencafé an einem Gin Tonic, in der Gesellschaft von Schrat, Christa, Costas und ich glaube ein paar Franzosen, heute ist es Bier. Und wegen der nächtlichen Kühle ist längst nicht soviel los auf dem Platz voller Stühle und Tische, verglichen mit der damaligen Sommernacht. Allerlei grenzwertig skurrile Gestalten bestimmen das Straßenbild, schon damals wurde uns das Viertel als die Alternativgegend Athens vorgestellt.
Auch um eins herrscht am Omonia-Platz noch reger Verkehr, vergleichbar mit dem nie endenden Chaos am Arc de Triomphe in Paris; die großen Hauptstraßen sind jedoch insgesamt relativ wenig frequentiert und es ist ein großes Vergnügen, mit hoher Geschwindigkeit über den Odos Athinas in Richtung Monastiraki zu heizen, vorbei an Müll- und Straßenreinigungskolonnen und Obdachlosen, welche sich etwas abseits der Straße in finsteren Winkeln am Lagerfeuer wärmen und betrinken. Gelegentlich brausen Taxis oder unbehelmte Motorradmachos vorbei.
Es fällt mir schwer, zu beurteilen, ob von der nächtlichen Metropolis eine Gefahr ausgeht, gerade in den finsteren Gassen abseits des Tourismus'. Ich meine, in New York, Paris oder nicht einmal Berlin würde ich nachts um eins gerne durch bestimmte Viertel radeln. Doch in unserer (naiven?) Arglosigkeit war es einfach nur ein Riesenspaß. Natürlich passiert uns nichts und wir erreichen früh am Morgen putzmunter und quicklebendig das "Thisseos Inn".



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Donnerstag, 24.03.1994


Another lazy day in Athens. Tee, Kaffee, Konversation in der Küche, ein Lebensmitteleinkauf, das war's. Deirdre begleitet mich am Spätnachmittag auf den Filoupapou, wo wir ungewöhnlich lange bleiben; reden, schweigen, fotografieren und das gewaltige Panorama bei Operettenklängen aus ihrem Walkman wirken lassen.
Jeder auf seine Weise ist sich der Tatsache bewusst, dies wird der letzte Urlaubsabend, unsere beiden Flieger werden morgen Abend griechischen Boden verlassen...

Griechenland, Athen, Abendstimmung auf dem Filopappou-Hügel

Abendstimmung auf dem Filopappou-Hügel.




Griechenland, Athen, Abendstimmung auf dem Filopappou-Hügel

Gemeinsam mit meiner irischen Begleiterin erlebe ich wunderbare Sonnenuntergänge dort oben...




Griechenland, Athen, Abendstimmung auf dem Filopappou-Hügel

...unter uns nur das ewige Rauschen dieser Stadt.




Griechenland, Athen, Abendstimmung auf dem Filopappou-Hügel

Great company!




Griechenland, Athen, Abendstimmung auf dem Filopappou-Hügel

Auf dem Filopappou; im Hintergrund gut auszumachen:
die Akropolis und dahinter wiederum der Likavitos...


Für mich bedeutete das, für drei Monate in die Klinik zurückzukehren. Während der vergangenen fünf Wochen habe ich weitgehend Klarheit gewonnen, zum Ende des nächsten Quartals zu kündigen, also es für den geplanten Islandtrip nicht mit unbezahltem Urlaub zu probieren. Mit dieser Kündigung werde ich den Pflegejob mehr oder weniger endgültig an den Nagel hängen. Je weiter die Zeit meiner Radreise fortschritt, desto unbehaglicher wurde mir bei dem Gedanken an das Krankenhaus, ans frühe Aufstehen, die hierarchischen Strukturen, die Intrigenspiele.
Warum sich das Leben so schwer machen? Und dann hört man im Hostel die Pläne anderer, Israel, Indien nächste Woche, Reiseende offen.
Und ich, nächste Woche? Blutdruck, Puls, Blutungskontrollen, dumme Sprüche!



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Freitag, 25.03.1994


National Holiday. Mit ein paar hier wiedergetroffenen Leuten aus der Rethimnoer Raki-Bar-Clique halte ich mich am Syntagma-Platz auf. Wir verfolgen wir die endlose Parade von Panzern, Raketen, Froschmännern, Skiläufern, Heeressoldaten, Feuerwehr, Polizei, während in regelmäßigen Abständen Kampfbomberformationen über uns hinwegdröhnen.
Später sitzen wir eine Weile auf dem Akropolis-Berg, essen dann in der Plaka eine Kleinigkeit, bevor sich unsere Wege trennen. Um kurz nach vier verlasse ich mit Deirdre das "Thisseos Inn", sie begleitet mich auf ihrem neu erworbenen Gebrauchtfahrrad auf der langen Strecke entlang des Vouliagmenis zum Flughafen, wo wir unsere Gefährte kunstvoll in Pappe hüllen. Mit einer Mischung aus Verlegenheit und Traurigkeit und Fatalismus trennen sich unsere Wege, als der letzte Aufruf für ihren Flug ertönt.
Wenig später checke ich ein, hebe pünktlich ab und bin überpünktlich in Hamburg, erwische sogar noch den 23:30er Autokraft-Bus nach Kiel.
Bis zur Morgendämmerung Plausch mit meiner Freundin Connie bei Sekt und Salzstangen; während mit meiner Ankunft auch der Frühling eintrifft. Das Wochenende verläuft erstmals trocken, warm und (für hiesige Verhältnisse) sonnig; das gibt mir Gelegenheit, mich mit den Umständen des Ortswechsels von Athen nach Kiel abzufinden bzw. anzufreunden.



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