Die erste Seekajakfahrt
Von Plön über Kiel nach Sonderborg
Vorbemerkungen
Nach einer Tour im Kanadier, die mich in Begleitung meiner dereinst hochschwangeren Frau im August 2000 vom Großen Eutiner See bis auf die Kieler Förde führte, bin ich neugierig geworden auf das Reisen in kleinen Booten. Doch richtet sich mein Blick bald auf den Kajak, vermag er doch Unabhängigkeit und Schnelligkeit verheißen. Mir war im Kanadier nie ganz geheuer, dass ich meinen Bewegungsablauf mit einem anderen Bootsinsassen koordinieren mußte. In einem Einer-Kajak gäbe es dieses Problem nicht.
Im Spätsommer des vergangenen Jahres sammele ich dann also auf dem Großen Plöner See meine ersten Erfahrungen im Kajak, probiere verschiedene Typen aus, bin allein oder in Begleitung von Tine unterwegs, stets stundenweise und meist im Licht des späten Nachmittags.
Ich bin begeistert von der buchstäblichen Nähe zum Wasser (wahrhaftig auf einem Niveau mit den Wellen), vom "Ausgeliefertsein" den Elementen gegenüber, von der Tatsache, mich mit eigener Körperkraft in der Natur fortzubewegen. Mir gefällt zudem, wie sehr diese Form der Fortbewegung dem Radfahren ähnelt und es dauert natürlich nicht lange, bis ich daran denke, auf diese Weise zu reisen.
Es entsteht die Idee, so bald wie möglich einmal die Seen zu verlassen und auf das Meer zu fahren. Die Lektüre diverser Bücher bestätigt mich, läßt es für mich machbar erscheinen, auch längere Strecken auf See zu bestehen. Im Kopf spiele ich bald erste Varianten durch.
Im Frühjahr 2001, wenn meine Frau noch im Erziehungsurlaub ist, könnte eine solche Tour Realität werden und ich ersinne den Plan, innerhalb einer guten Woche von Plön aus in Richtung Ostsee aufzubrechen und dann Nordkurs einzuschlagen, eventuell würde ich es ja bis Dänemark schaffen...
Meine Schwester, mit der ich immer gerne verreise, verfolgte indes das Ansinnen, im April mit einer Freundin eine Radtour in der Toscana zu unternehmen. Auch diese Tour kommt nicht zustande und so entschließt sie sich dann zu meiner außerordentlichen Freude, mich auf meiner "Seereise" zu begleiten. Schließlich gleichen wir unsere Kalender miteinander ab und es kommt ein Zeitraum von neun Tagen dabei heraus - am 17. April, dem Dienstag nach Ostern soll es losgehen.
Für mich hatte dieses Unternehmen eine sehr große Bedeutung schon bevor ich um meine nette Begleitung wußte - doch nun ist die Vorfreude um so größer. Seit der letzten Radreise in Island im Sommer 1997 gab es (mit Ausnahme der Radtour im Münsterland im Herbst 1998) keine gemeinsamen Reiseaktivitäten mehr mit ihr.
Doch auch die Erwartung, die ich in das Kajakfahren auf dem Meer setze ist sehr hoch. Ich konnte das Paddeln auf den Binnenseen immer dann am meisten genießen, wenn ein starker Wind wehte und die Wellen möglichst hoch waren - nun hoffe ich, auf dem offenen Wasser genug "wilden Seegang" vorzufinden. Der Aspekt des Verwegenen reizt mich; mit der Kraft meines Körpers in den Kampf mit den Elementen zu gehen, neugierig sehen, wie ich in diesem Kampf bestehen werde - Wind im Haar und Salz auf den Lippen. Draußen sein den ganzen Tag, am Strand schlafen, Morgennebel auf einer stillen See... Ein bisschen Abenteuer.
Notizen aus der Zeit vor der Tour
Donnerstag, 22. März 2001
Seit wenigen Tagen ist überhaupt erst klar, dass wir die gewünschten Boote in Plön bekommen werden. Ich war in Sorge, dass Mitte April vielleicht ein viel zu früh gewählter Zeitpunkt sein könnte und die Kajaks samt Zubehör noch winterfest eingemottet im Schuppen lagern. Doch es ist nicht an dem und so habe ich für das Datum unserer geplanten Abreise ein Necky Narpa (mein Lieblingsboot) und einen Necky Alsek (mit dem war Tine immer sehr zufrieden, etwas gutmütiger) reserviert! Somit kann eigentlich nichts mehr schief gehen. Selbst die für lange Zeit ungeklärte Frage des Rücktransports der Boote ist gelöst, da ich in diesen Tagen positiv über die Anschaffung eines Kleinbusses entschieden habe, welcher dann als erste Amtshandlung mit einem geeigneten Trägersystem ausgestattet wird. Meine Frau wird uns in Dänemark oder wo auch immer aufsammeln.
Samstag, 7. April 2001
Meine Schwester und ich sprechen über die Fahrt in der kommenden Woche und ich muß zugeben, ich bin etwas in Sorge, was speziell diese Unternehmung mit ihr angeht. So wie bei mir alle Alarmglocken läuten, wenn ich in der Beschreibung für eine Wanderung lese, es seien "festes Schuhwerk und Trittsicherheit" erforderlich (bedeutet für mich mittlerweile soviel wie: Heiko, laß die Finger davon, geht nur in die Hose...), so scheint es Birgit zu gehen, wenn sie von Windstärken jenseits der Marke von 2 Beaufort hört. Genährt ist ihr zunehmendes Unbehagen zum einen von der Literatur, in deren Besitz sie sich mittlerweile brachte, zum anderen von den Schilderungen ihrer neuen Mitbewohnerin, die einige Touren im Seekajak vor der mexikanischen Küste hinter sich hat und sich eher warnend äußerte. Von Birgit kommen schon Bemerkrungen wie "naja, mal gucken, wenn das Wetter zu schlecht ist, dann stelle ich mich vielleicht lieber in Hamburg an den Flughafen und suche mir einen Last-Minute Flug in die Sonne...". Soll sie tun, habe ich ihr gesagt, sie soll dann nur rechtzeitig bescheid sagen.
Bevor ich zu viele Kompromisse eingehen muß, ziehe ich das Ding lieber allein durch. Ich frage mich natürlich mittlerweile auch schon, ob ich nicht zu entspannt an die Sache (das Meer) herangehe, ob ich vielleicht das Risiko unterschätze und "blind in mein Verderben renne".
Aber andrerseits habe ich mich dereinst in das Boot gesetzt und mich vom ersten Moment an pudelwohl und sicher gefühlt - das Wasser machte mir zu keinem Zeitpunkt Angst, es faszinierte und begeisterte mich nur, ich wollte bloß mehr davon! Geht es vielleicht einem Menschen am Berg so, dem die Höhenangst fehlt? Vertrauen in das Terrain?
Das Meer bereitet mir keinerlei Unbehagen. Und dennoch habe ich hohen Respekt vor dem Element und bin weit davon entfernt, bewußt Risiken einzugehen. Ich denke mir einfach, ich kann das Spiel in den Wellen genießen, wenn ich dabei auch nur 50 oder 100 Meter vor der Küste paddele. Das Schlimmste, was passieren kann, ist doch, dass ich naß werde. Ein wirkliches - sprich existentielles - Risiko sehe ich da nicht. Es wird bestenfalls ungemütlich. Natürlich fesselt mich der Gedanke ungemein, eine etwas weitere Überfahrt zu unternehmen, vielleicht die Flensburger Förde nicht auszufahren, sondern über das offene Meer abzukürzen. Doch liegt es mir fern, dies bei Sturm zu tun oder bei sonstigen Verhältnissen, von denen ich annehme, ihnen auch nur eventuell nicht gewachsen zu sein.
Ich hoffe sehr, das dies nicht die erste Fahrt mit Schwesterherz wird, die gründlich in die Grütze geht.
Dienstag, 10. April 2001
Unablässig richte ich meine Blick auf das Meer, die kleine liebe Ostsee gibt sich ungestüm und grau - ich sehe sie heute mit anderen Augen. Ich stelle mir vor, wie es wohl sein mag, in etwa einer Woche, am Ostermontag oder am Dienstag, an diesem oder jenem Küstenabschnitt entlang zu paddeln. Der Wind pustet von Nordost bis Ost und ich komme nicht umhin zu konstatieren, dass das etwas anderes ist, als der Westensee bei Dezembersturm... Ich halte aber dennoch an der Machbarkeit meines Planes fest, auch wenn mir dieser Tag am Meer gezeigt hat, dass es -wenn es so bleibt- mit Sicherheit kein gemütlicher Spaziergang sein wird...
Oft stöbere ich in diesen Tagen auf den Internetseiten des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie oder denen des Kieler Instituts für Meereskunde. Für Ostern ist ein Tief angekündigt, welches Schnee mit sich bringen soll...
Und dennoch lockt mich das Verwegene - abends nach anstrengender Fahrt ein Tee mit Rum im Zelt, die Kerzenlaterne schaukelt im Wind, Wellengeräusche, ein fahler Mond, über den Wolkenfetzen reißen und der ein blasses Licht auf die Brandung wirft.
Donnerstag, 12. April 2001
Im heute journal am Abend war das miese Wetter Top-Thema - Schnee und Hagel stehen aus für das Osterwochenende anstelle von lauem Frühling. Darüber berichtet man also, bevor die Rede ist von Angriffen der israelischen Armee in Gaza, von 43 Menschen, die in einem südafrikanischen Stadion zu Tode getrampelt wurden, vor dem Dauerbrennerthema Maul- und Klauenseuche in Europa, den Rassenunruhen in Cincinnati/Ohio. Die allgemeinen Konjunkturprognosen wurden von Kanzler Schröder nach unten korrigiert, die Börse erholt sich nach einer wochenlangen Baisse nun angeblich wieder...
Die Wetterprognosen, die sich auf die Tage nach Ostern bezogen, sind auch alles andere als erbaulich. Und dennoch, ich kann nicht glauben, dass wir zehn Tage nur durch Mistwetter fahren werden... Irgendwann muß einfach die Trendwende kommen.
Morgen ist bereits Karfreitag, es folgt das Wochenende und dann fahren wir auch schon los. Somit habe ich mir Gedanken gemacht, was die Verpflegung angeht und heute einen recht großen Einkauf erledigt. Ein ganzer Wäschekorb und noch mehr steht nun in meinem Zimmer, das Proviant würde wohl für mindestens fünf Tage ausreichen, ohne dass wir (von Frischwasser einmal abgesehen) eines Zivilisationskontaktes bedürften... Reis, Nudeln, Fertiggerichte, Äpfel, Schokolade, Wein, Bier und Rum, Tee und Kaffee und so weiter. Der meterlange Einkaufsbon erinnert mich sofort an unsere Vorbereitungen vor Hochlandunternehmungen in Island. Das Material im Allgemeinen habe ich auch schon locker zurechtgelegt, relevante Telefonnummern in das Handy eingetippt.
Als ich heute noch einmal im Reiseshop war, um Gaskartuschen zu kaufen, habe ich auch gleich einen guten Ajungilak-Schlafsack für meine kleine Tochter mitgebracht. Eventuell wollen wir -d.h. meine Frau und ich mit den Kindern- nach meiner Kajakfahrt noch einige Tage mit dem neuen Bus los. Ich dachte da vielleicht an die dänische Nordseeküste. Mal sehen, was draus wird.
Freitag, 13. April 2001
Ich radele am späten Vormittag über Rönne, Honigsee und Löptin nach Plön. Die Sonne scheint, ab und zu erwischt mich ein "trockener" Schneeschauer, der Wind ist sehr kräftig, doch mit mir.
Plön gefällt mir sehr: die kleinen Gassen, das Schloß, der Blick über den weiten See. Das Sonnenlicht blitzt auf der Oberfläche, es ist kühl, ich kann dem Szenario viel abgewinnen.
Meine Absicht ist, mit dem Zug zurück nach Kiel zu fahren und so kehre ich bis zum Abfahrtszeitpunkt in einem Café ein, bestelle Mettbrötchen und ein Weizenbier, was ich zu mir nehme, während ich mit Birgit telefoniere und letzte Modalitäten für unsere Fahrt bespreche. Sie will am Sonntag Abend anreisen und morgen in Bremen noch einmal nach Neoprenhandschuhen schauen.
Ich bin indes sehr froh, dass wir die Möglichkeit haben, schon am Montag loszupaddeln. So werden wir, denke ich, am Montag noch bis in die Preetzer Gegend kommen und sind dann tatsächlich am Dienstag schon an der Kieler Förde. Bei Kaddel in ihrer Wellingdorfer Werft habe ich mich auch schon angemeldet, auf das wir uns dort einen Kaffee abholen... Ich hoffe, dass wir es bis nach Heikendorf auf den Campingplatz schaffen oder uns irgendwo in der Gegend an den Strand verfrachten - eventuell sogar auf dem Westufer? Nein, davon gehe ich eigentlich nicht aus, auch wenn es nicht schlecht wäre... Auf jeden Fall aber eröffnet die Tatsache, das wir nun einen Tag eher auf dem Wasser sind, die Perspektive, es insgesamt doch noch weiter zu schaffen, als ich es zwischenzeitig noch zu glauben wagte...
Samstag, 14. April 2001
Alles ist soweit gerichtet, Birgit hat heute noch ein Paar Handschuhe bekommen, ich habe von Sönke die Dachgepäckträgerhalterungen für die Boote abgeholt, die er mir freundlicherweise leihen kann und die letzten Einkäufe geregelt. In meinem Zimmer stapelt sich das Equipment. Draußen soll es demnächst anfangen zu schneien - von der Nordsee zieht heute Nacht ein warmes Tief über Europa, welches auf kühles kontinentales Klima trifft. Die Prognosen für den Wochenanfang gehen immerhin von einer Abmilderung der Temperaturen aus...
Ostersonntag, 15. April 2001
Familienfrühstück mit Ostereiersuchen für die Kinder bei den Schwiegereltern in Neumünster. Schnee fällt, bleibt aber nicht liegen. Dennoch nicht unbedingt einladend. Gegen Mittag erreicht mich ein Anruf von Birgit, in dem sie mir mitteilt, dass sie von einer Grippe heimgesucht wird und nicht wie geplant heute abend anreisen wird. Sie will sich morgen vormittag noch einmal melden, dann wollen wir neu beraten.
Mein Bedauern ist groß.
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Bericht von der Fahrt
Montag, 16. April 2001
Am späten Vormittag unternehme ich mit meinen Töchtern Joe und Toni einen kleinen Spaziergang in den Schrevenpark. Unterwegs telefoniere ich mit Birgit und es passt zum trostlosen, kühlen Grau der Landschaft, dass sie sich wegen anhaltend miserabler Gesundheit ganz von der Tour zurückzieht. Ich bin zunächst etwas ratlos und während Johanna Stöcker aufsammelt und über die Wiese flitzt, brüte ich darüber, was zu tun ist. Ich brauche nicht lange, um den Entschluß zu fassen, trotzdem noch heute alleine die Fahrt zu beginnen.
Wieder zu Hause nimmt es eine gute Stunde in Anspruch, das Gepäck neu zu ordnen und die Lebensmittelvorräte den veränderten Bedingungen anzupassen. Meine Frau bietet mir an, mich nach Plön zu fahren, so dass ich nicht mit Bahn und Taxi los muß. Ich begrüße diesen Vorschlag und gegen drei Uhr am Nachmittag erreichen wir die Segelschule von Familie Wiederich, wo ich den Narpa reserviert habe.
Kurz vor dem Start in Plön: meine ältere Tochter Johanna testet das Boot
Ich verstaue all die wasserdichten Säcke in dem Boot, was sich als schwieriger erweist, als zunächst angenommen, da die Luken deutlich kleiner sind, als ich es in Erinnerung hatte. Modifikationen bei der Verteilung des Gepäcks auf die Säcke sollten in den nächsten Tagen dieses Problem lösen. Heute ist es noch erforderlich, die Säcke zu öffnen und dann in die Stauräume zu stopfen, um sie erst dann wieder zu schließen. Das könnte an einem regnerischen Morgen zu unliebsamen Situationen führen...
Nichts desto trotz bringe ich alles unter (woran ich im ersten Moment, beim Anblick des Kajaks nicht recht glauben konnte), wenn es auch fast eine Stunde in Anspruch nimmt. Noch ein Abschiedsbild mit den Kindern, Joe setzt sich für ein Photo in das Boot und dann fahre ich hinaus auf den kühlen, grauen See - bin neugierig auf die kleinen Abenteuer, die da vor mir liegen.
Start in Plön
Die Gegend ist mir gut bekannt und schon nach wenigen hundert Metern kommt die erste Umtragestelle, die mich fast eine halbe Stunde aufhält. Dann schwenke ich ein in den Lauf der einsam daliegenden Schwentine - nein, ganz so einsam doch nicht, immerhin kommen mir drei andere Kajakfahrer entgegen. Ich gleite über das Wasser, noch in den engen Grenzen des Reviers, welches ich im Herbst mit Tine befahren habe.
Meine Stimmung ist euphorisch, trotz der Temperaturen von nur fünf Grad und einer ziemlich trostlosen Farbpalette, in der sich die Landschaft zeigt. Ich bin allein, frei, mein Boot und ich - und noch über eine Woche liegt vor mir, wann hatte ich so etwas zum letzten Mal?!? In diese friedlichen Gedanken eingelullt verwerfe ich schnell den Plan, den Campingplatz am Lanker See bei Preetz anzusteuern und beschließe, mir ein wildes Quartier zu suchen. Gut Wittmoldt gleitet vorbei, durch die kleinen Seen Kron- und Fuhlsee gelange ich schließlich auf den großen Lanker See, rechter Hand bestaune ich einmal mehr das wuchtige Gut Wahlstorf. Vor mir liegt ruhig das weite Wasser und inmitten desselben fällt eine kleine Insel auf, die mir als der ideale Übernachtungsort erscheint - sodenn sie meine drei Kriterien erfüllt, welche da wären: erstens müßte sie "unbewohnt" sein, zweitens müßte sie eine Möglichkeit zum Anlanden bieten und drittens müßte eine plane Fläche zum Aufbau des Zeltes vorhanden sein. Ich inspiziere sie von ihrer Westseite aus - auf der gegenüberliegenden Festlandseite stehen keine Häuser, so dass ich ggf. unbeobachtet auf dem Inselchen an Land gehen könnte. Die Bedingungen sind wie geschaffen für mein Ansinnen und kurz darauf mühe ich mich noch recht unbeholfen damit ab, das Boot voll beladen wie es ist, an Land zu holen. Mir wird beim Aussteigen gewahr, dass mein rechtes Hosenbein patschnaß ist und auch Wasser in die Ärmel der Jacke eingedrungen ist. Ich lasse die Kleidung dennoch an, in der Hoffnung, dass sie am Leibe schneller wieder trocknet, als auf der Leine bei 5°C und seebedingt hoher Luftfeuchtigkeit...
Es ist anzmerken, dass ich zum Zeitpunkt dieser Fahrt über keine spezielle Kajak-Kleidung verfügte, ich vielmehr mit Goretex-Jacke und Jeans unterwegs war...
Auf "meiner" Insel im Lanker See
Das Igluzelt alleine aufzubauen ist nicht unbedingt eine Freude, man muß das Material schon ein wenig strapazieren. Dieser Aspekt scheint mir der einzige zu sein, den ich als Argument für eine Tunnelkonstruktion ins Feld führen würde - wo ich ansonsten ein vehementer Verfechter der Kuppel bin.
Ich bin sehr zufrieden auf meiner Insel, ärgere mich ein wenig über den Müll, den andere "Gäste" vor mir hier hinterließen und bereite mir dann nach echter Robinson-Manier eine Dose Ravioli (...die schweren Proviantanteile sollen zuerst vertilgt werden...), dazu gibt es ein Bier.
Schon um 21:00 begebe ich mich zur Ruh, es wird dunkel und ich bin auch durchaus schon müde. Nur wenige Stunden später wache ich indes schweißgebadet auf; hatte es in meiner Sorge um die niedrigen Außentemperaturen wohl etwas übertrieben mit der Bekleidung bzw. hatte die Effizienz der Quallofill-Fasern des Ajungilak-Schlafsackes unterschätzt... Ich reduziere also drastisch meine Schlafgarderobe und verbringe dann noch eine sehr geruhsame Nacht.
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Dienstag, 17. April 2001
Um sechs am Morgen bin ich das erste Mal wach, um acht treibt mich dann der Lichtschein der Sonne aus dem Zelt, der durch das Dach fällt. Ich bin frohen Mutes, aber das Wetter ist dann doch nicht so umwerfend, wie ich zu hoffen gewagt hatte. Aber immerhin regnet es (noch) nicht. Robinson nimmt sein Frühstück ein und ist dann immerhin schon so schlau, das Boot unbeladen an das Gestade zu transportieren, was natürlich bedeutend einfacher vonstatten geht.
Um 9:40 geht die Fahrt durch die trostlose Landschaft des im Sommer so lieblichen und üppigen Schwentinetals los, bald setzt Regen ein, die Welt gehört nur mir und ein paar Graureihern, Kormoranen, Tauchern und Enten. Preetz lasse ich schnell hinter mir und erreiche nach zweistündiger Fahrt den Rosensee am Schwentinepark Raisdorf.
Die Schwentine ist zu dieser Jahreszeit etwas trostlos...
Ich komme an die Stelle, an der für fast zwei Kilometer umgetragen werden muß, für mich als Einzelperson zwar ein wenig beschwerlich, jedoch auch eine Lehrstunde darin, wie ich das Boot gut ausbalanciert auf dem Bootswagen zu fixieren habe...
Am Schwentinepark sind wegen der drohenden Gefahr des Ausbruchs der Maul- und Klauenseuche an allen Zugängen Desinfektionswannen angebracht, an denen man aufgefordert ist, sein Schuhwerk zu reinigen.
Schon während ich das Boot über den schlammigen Weg wuchte, denke ich, hoffentlich hat das kleine Ausflugslokal an der Oppendorfer Mühle geöffnet, dann könnte ich mir eine kleine Mittagsmahlzeit gönnen, bevor ich wieder in den Fluß einsetze... Mein Hoffen ist nicht vergeblich, ich kehre ein, nehme eine Gulaschsuppe. Ich komme mir albernerweise schon jetzt vor, wie der "zottelige Mann aus der Wildnis", der in der Zivilisation einkehrt (...obgleich ich noch nicht einmal 24 Stunden unterwegs bin...).
Der folgende Abschnitt der Schwentine ist für ihre Verhältnisse geradezu reißend, ich komme flott voran und bin schon nach einer Stunde in Wellingdorf. Ich weiß noch genau, wie mich im vergangenen Jahr zum Abschluss der Sommertour auf der Schwentine die große Betonbrücke schockiert hat, nach vier Tagen in der Natur. Heute ist der Kontrast nicht ganz so groß; zwar ist ohne Frage das menschgemachte lieblose Bauwerk an trostloser Häßlichkeit kaum noch zu übertreffen, doch gab sich auch der Lauf des Flusses bis hierhin nur in vergleichsweise monotoner Tristesse.
Ich hole das Boot an der Umtragestelle aus dem Wasser und rufe Kaddel an, die seit kurzem in einer kleinen, nahen Werft am Südufer der Schwentine eine Ausbildung zur Bootsbauerin macht, um mich auf ein Schwätzchen mit ihr zu verabreden. Kaum habe ich das Boot wieder im Wasser und bin ein paar Meter gepaddelt, da sehe ich sie auch schon linker Hand in ihrem "roten Blaumann" am Ufer stehen und winken. Ich fahre heran zu ihr, wir wechseln einige Worte, sie muß dann aber bald wieder an die Arbeit, so dass mir nun der mit latenter Spannung erwartete Teil "Ostsee" unmittelbar bevorsteht.
Es ist ziemlich windig an diesem Tag und ich erblicke eine sehr bewegte Kieler Förde, die im unnachgiebigen Grau noch umso abweisender wirkt. Diffuse Wellen, ich bin konzentriert und angespannt, dabei im Großen und Ganzen bemüht, mich ufernah zu halten.
Plötzlich überkommt mich eine gewisse Unruhe: ich könne mein Paddel verlieren, und, hatte ich nicht überall gelesen, dass man erstens sein Paddel sichern soll und zweitens ein Reservepaddel mitführen soll? Ich hatte weder das eine noch das andere... Ich Dilettant. Hätte mir denn das nahe Ufer Rettung bedeutet? Hohe Kaimauern, ein Kraftwerk, ein Frachter, der gerade beladen wird?
Ich beobachte ständig ganz genau, was sich noch so an Bootsverkehr von wo nach wo und mit welcher Geschwindigkeit auf der Förde bewegt. Von einem Fähranleger aus sucht ein Herr nach der besten Perspektive, um mich zu photografieren, von den Verkehrsdampfern aus werde ich mit Ferngläsern beäugt. Ich scheine ein echter Exot auf dem Wasser zu sein. Nun ja, es ist miesestes Sauwetter und es hat gerade mal 2°C...
Mein Bestreben, mich ufernah zu halten, bringt mich, das sage ich auch retrospektiv, in eine etwas mißliche, wenn nicht gar gefährliche, in jedem Fall aber in dem Moment als subjektiv sehr bedrohlich wahrgenommene Lage: Ich halte mich nah an einer Kaimauer. Der Wind steht genau auf diese Wand, was zur Folge hat, dass die Wellen reflektieren, sich potenzieren und eigentlich überhaupt nicht mehr berechenbar sind. Ja, hatte ich nicht davon gelesen - reflektierende See?! Ich sehe also zu, dass ich von der Wand wegkomme, bin ich im Tal, so überragt die Spitze der Welle die Höhe meines Hauptes... Es erscheint mir wirklich bedrohlich.
Im Ganzen jedoch, auch wenn ich mit deutlich erhöhtem Adrenalinspiegel fahre, nehme ich die Lage als klar beherrschbar wahr, wenn sie auch meine ganze Konzentration erfordert und es gelegentlich nötig ist, dass ich die Ratio gegen subjektive Gefühle der Angst stelle, um dieser Herr zu werden.
Nichts desto trotz bin ich sehr froh, als ich nach zwei Stunden auf dem "Meer" den angepeilten Campingplatz am Heikendorfer Strand erreiche. Ich lande an, während die Wellen genau von achtern nachlaufen und liefere sicher das peinlichste Manöver dieser Art in der Geschichte der Seekajakfahrt - Nun ja, es hat ja mit Sicherheit keiner gesehen...
Mit Vollgas setze ich das Boot schräg in den Sand, werde dann sogleich ständig überspült, bin nach dem Verlassen des Bootes wirklich patschnass. Nun möglichst keine Ruhe aufkommen lassen, um nicht anzufangen zu frieren. Das Raufschaffen des Kajaks durch den Sand indes ist eine arge Plackerei, die warm hält. Es folgt geschäftiges Aufbauen des Zeltes und erst dann gönne ich mir trockene Kleidung, bis dahin hatte ich aber auch noch nicht gefroren.
Ein Rentner aus dem benachbarten Wohnwagen bietet mir Kaffee an, ich lehne dankend ab, da ich bereits in meiner Apsis sitze und der Kocher schnauft, um mir die Freude eines heißen Tees zu bereiten.
Bald nach meiner Ankunft setzt erneut Regen ein, der auch die ganze Nacht und die meiste Zeit des folgenden Tages nicht aufhören wird. Somit bin ich froh, dass es in den Sanitärräumen einige Heizungen gibt, auf denen es mir gelingt, alle meine Sachen bis zum nächsten Tag wieder wirklich getrocknet zu bekommen. Diesen Umstand mache ich mir auch in den folgenden Tagen zu nutzen und er entwickelt sich zu einem der Leitfaktoren, überhaupt Campingplätze aufzusuchen.
Auf dem Campingplatz in Heikendorf bei Kiel
Ich verbringe den Abend im Zelt, telefoniere eine ganze Weile mit meiner Frau (…die noch zehn Jahre später gerne mal erzählt, wie verrückt sie es fand: Schietwetter und Heiko zeltet ein paar Hundert Meter Luftlinie von Zuhause…) und grübele, was ich wohl morgen tun werde, wenn das Wetter so mies bleibt...
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Mittwoch, 18. April 2001
Grau, grau, grau... Ich bin unsicher, wie es weitergehen soll, denke, dass ich eventuell nach Laboe wandern könnte, um nach vielen Jahren mal wieder das U-Boot zu besichtigen. Oder ich könnte mit dem Dampfer ans Westufer fahren, um meine Frau zu treffen, es steht nämlich noch immer meine Unterschrift unter den Versicherungsunterlagen für den Bus aus, der ja demnächst in unseren Besitz gehen wird.
Am Mittag verwerfe ich indes diese Varianten und beschließe, weiterzufahren. Zwar regnet es weiterhin, doch hat der Wind deutlich nachgelassen und kommt nun, wie günstig für mich, von Süd. Dies im Gegensatz zu den Prognosen des Amtes für Seeschifffahrt und Hydrographie, die mir meine Frau gestern abend noch aus dem Internet besorgt hatte. Da war von Winden um 6 bis 7 Beaufort die Rede, was mir einigermaßen unbehaglich vorkam und mich besorgt sein ließ.
So ist allerdings die Querung der Förde an ihrer schmalsten Stelle, sprich: beim Friedrichsorter Leuchtturm, kein Problem. Das Wasser ist relativ ruhig, kaum erfordert der Verkehr meine Aufmerksamkeit und in der Strander Bucht kann ich dann bei freundlichem Rückenwind und leichter Dünung flotte Fahrt machen. Ich nähere mich rasch "Bülki", fahre dann "um die Ecke", mein Kurs nun Nordwest. Bei anhaltendem Südwind paddele ich zunächst recht komfortabel im Windschatten der Küste, habe grandiose Sicht auf die weite, offene Ostsee, erblicke den Kieler Leuchtturm weit draußen und eine ganze Reihe großer Pötte am Horizont, die allerdings weit weg sind und für mich keinerlei Gefahr bedeuten können. Der Niederschlag indes macht keine Pause, zumeist fällt er in Form von Regen, gelegentlich sind es jedoch auch Schneeschauer, mein Thermometer weist Werte von ca. 3°C aus.
Es dauert dann allerdings nicht lange, da dreht der Wind auf West und nimmt erheblich an Intensität zu, zahlreiche Schaumkronen zeigen sich auf der See. Ein sicheres Indiz für wackelige Verhältnisse, vorbei ist es also mit der gemütlichen Fahrt, vielmehr nimmt das Unternehmen sehr anstrengende Formen an.
Nach einer Weile taucht am einsamen Strand eine kleine Ansammlung von Wohnwagen auf, ein Platz, der nicht auf meiner Karte verzeichnet ist. Ich freue mich, gehe pudelnaß an Land, laufe zu einem Restaurant in einigen hundert Metern Entfernung und erkundige mich unter den verblüfften Blicken der Gäste, wo ich denn einchecken kann. Die Antwort ist freundlich aber ernüchternd - es handelt sich um einen privaten Platz, man kann gar nicht einchecken. Und da ich hier auch keinerlei Möglichkeit wittere, meine Sachen irgendwie wieder trocken zu bekommen, wandere ich zurück zu meinem Kajak und manövriere mich wieder hinaus aufs Meer. Teilweise fahre ich recht weit vor der Küste, da sich in Ufernähe Sandbänke befinden, über denen die Wellen unangenehm brechen.
Der auf der Karte verzeichnete Campingplatz Surendorf erscheint. Wieder gehe ich an Land - nun noch nasser als zuvor, denn jedes Ein- und Aussteigen schafft Wasser auf die Hose - und erklimme die Steilküste, um dann durch ewige Reihen von Wohnwagen zu irren, in der Hoffnung, die Rezeption zu finden. Nach einer ganzen Weile gelingt mir das und ich stoße auf eine kleine Hütte mit der Aufschrift "Platzwart". Keine Reaktion auf Klopfen oder Klingeln, ich öffne dennoch die Tür und erblicke eine fette, unangenehme Person inmitten eines völlig verqualmten Kabuffs, die sich herrschaftlich in einen großen Sessel lümmelt. "Nein, sie können hier nicht zelten, die Plätze sind alle gesperrt". Arschloch. Ich bin so gepestet von diesem Individuum im Speziellen und dem Ort im Allgemeinen, dass ich gar nicht erst eine Diskussion beginne, sondern nur reichlich säuerlich die Tür zuwerfe und durch den Regen zu meinem Boot zurückstiefele und mich abermals in die Brandung werfe.
Noch ungefähr drei Kilometer habe ich zu paddeln, dann erreiche ich den Platz bei Grönwohld, wo ich überaus freundlich aufgenommen werde. Das entschädigt mich und bestätigt mich darin, Surendorf sofort wieder verlassen zu haben. Es gibt einen Wäschetrockner, dessen Nutzung man mir kostenfrei ermöglicht, ich zahle nur zwölf Mark an Übernachtungsgebühr. Der Platz liegt hinter einem kleinen Dünenwall direkt am Meer. Ich lasse das Boot am Strand und schaffe lediglich mein Zeug rüber ins Zelt.
Es ist das erste Mal am heutigen Tag, dass keinerlei Niederschlag fällt und ich werde sogar noch mit einem wundervollen Sonnenuntergang über der Eckernförder Bucht belohnt. Ich schraube mein Weinglas zusammen und genieße im eisigen Wind einen guten Tropfen (wenn der Rotwein auch nicht gerade seine beste Trinktemperatur hat...), während ich mit Birgit telefoniere und höre, dass es ihr zumindest dezent besser geht.
Am Strand bei Grönwohld
Ich brutzele mir in der Apsis ein mäßig schmackhaftes, aber warmes und sättigendes Nudel-Tütensuppen-Fertggericht, lese dann noch ein wenig im Kerzenschein im Zelt in Alexandra David-Néels "Mein Weg durch Himmel und Hölle". Es handelt sich um einen alten Reisebericht der Dame, die in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts als Bettelpilgerin getarnt in die verbotene Stadt Lhasa wandert. Sie ist in Begleitung ihres Adoptivsohnes, dem Lama Yongdeng unterwegs und hat allerlei Gefahren und Entbehrungen zu bestehen, bis sie schließlich ihr Ziel erreicht. Eine wunderbare Reiselektüre, auf die ich später noch einmal einzugehen gedenke.
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Donnerstag, 19. April 2001
Am frühen Morgen treibt es mich aus dem Zelt und ich wundere mich zunächst über den schwergängig funktionierenden Reißverschluß. Als ich dann die Plane des Zeltes zur Seite schwenke, fühlt diese sich sonderbar hart an. Aha, es hat also ordentlich gefroren in der Nacht!
Ich gehe es ganz gemütlich an, drehe mich noch das eine oder andere Mal um auf meiner bequemen Schlafmatte und stehe erst um halb elf auf. Wann komme ich auch sonst schon Mal zum Ausschlafen! Mein erster Gang führt mich dann auf den Dünenwall, ich will das Meer sehen und schauen, wie es aussieht. Es liegt relativ ruhig da, die Sonne scheint sogar zwischendurch ab und zu, nur gelegentlich entlädt sich ein Schauer.
Ich gönne mir Brötchen zum Frühstück, lasse mir Zeit mit allem und bin erst um 13:00 auf dem Wasser. Zum Greifen nahe sehe ich auf der anderen Seite der Förde die Küste, erkenne deutlich Campingplätze und erahne die scheußlichen Hochhäuser von Damp. Wüßte ich nicht um die Tatsache, dass die Bucht militärisches Sperrgebiet ist, dass eine Torpedoschießbahn in ihr verläuft, ich hätte vermutlich der Versuchung nicht widerstanden, direkt auf Nordkurs zu gehen, um das Gewässer auf kürzestem Wege zu queren. Später weiß ich, dass das vielleicht auch nicht unbedingt ratsam gewesen wäre. Der heutige Tag soll mir eine weitere Lehrstunde liefern, die mich erfahren läßt, dass das einzig berechenbare in dieser Jahreszeit die vollständige Unberechenbarkeit von Wetter- Wind- und somit Wasserverhältnissen ist.
So stampfe ich nun bei mäßigem West- sprich: Gegenwind entlang der Küste und komme dennoch recht ordentlich voran. Gelegentlich fegt ein Hagelschauer über mich hinweg, auf dem Deck sammeln sich dann in kürzester Zeit erdnußgroße Eiskörner. Ich bin bemüht, sie wegzufegen, bevor sie schmelzen, was jedoch nur eingeschränkt gelingt. Vor mir liegt Eckernförde, in der Bucht fährt die ganze Zeit ein ziemlich neumodisch anmutendes Marineschiff hin und her, scheint irgendwelche Maschinentests zu absolvieren. Linker Hand die Steilküste, und mitten drin in dieser bizarr dramatischen Szenerie ich kleiner Mensch, auf den die Hagelkörner fallen...
Zwischendurch scheint leuchtend die Sonne, das glasklare Wasser erlaubt mir dann, den Grund zu sehen, es schimmert türkis und erinnert eher an das lauwarme Mittelmeer im Sommer als an ein 6°C kaltes Gewässer in nördlichen Gefilden...
Ich passiere Kronsort, den kleinen Dünenstreifen, an dem sich ein Zeltplatz und ein ganz kleiner Hafen befindet, und halte genau auf eine Tonne zu, die eine Linie bildet mit dem Ausflugslokal "Kiekut", welches ich bereits ausmachen kann. Das Wettergeschehen zeigt eine auffallende Regelmäßigkeit: es scheint die Sonne, es folgt ein Hagelschauer, es scheint die Sonne, dann wieder Hagel und so weiter. Meine Beobachtung der Wolkenspiele über dem Festland läßt nicht erkennen, dass sich daran in nächster Zeit etwas ändern soll und so fasse ich den Entschluß, nun in die Bucht hinauszufahren, um sie zu überqueren. Sie ist an dieser Stelle ziemlich genau drei Kilometer breit und ich fahre, obschon gerade wieder ein wuchtiger Hagelschauer über mich hinweg fegt, in der sicheren Annahme, dass dieser bald vorbei sein würde und mich dann wieder die Sonne begleiten würde.
Nach einer halben Stunde ist es geschafft, ich habe das Nordufer erreicht. Der Wind pustet nun von hinten und ich fahre noch einige Kilometer weiter, bis ich dann am Campingplatz in Karlsminde auf der Leeseite einer Steinbuhne an Land gehe, da ich nicht mehr an eine deutliche Verbesserung der Verhältnisse am heutigen Tag glaube.
Es ist ein großer Campingplatz und ich bin nach der üblen Erfahrung von Surendorf auf alles gefaßt, lasse das Boot also erst einmal am Strand und kläre ab, ob ich überhaupt bleiben kann, was allerdings überhaupt kein Problem ist.
Ich lasse den Abend dann im Zelt ausklingen, lese noch eine Weile in meinem Buch und puste um 22:00 die Kerzen aus.
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Samstag, 20. April 2001
Wieder gibt es Frost in der Nacht, ich beobachte das Meer, es ist ruhig, kaum weht ein Wind. Am Mittag, frischt er etwas auf, die Sonne scheint intermittierend, eigentlich ein recht freundlicher Tag - wäre ich nicht mit dem Kajak unterwegs und somit dem Wind in so besonderer Weise ausgeliefert. Kurzzeitig erwäge ich im Angesicht der Schaumkronen auf dem Wasser, noch eine weitere Nacht hier zu verweilen, verwerfe aber schnell diese Idee und steche um 14:40 wieder in See. Wind Nordost, die Wellen laufen also steuerbordseitig auf das Boot. Es ist anstrengend, voranzukommen und mich stört ein wenig, dass ich mich immerfort konzentrieren muß. Kein gedankenverlorenes Dahinpaddeln, nein, nicht einmal ein kurzes Loslassen des Paddels, um etwa ein Stück Schokolade zu essen oder ein wenig Wasser zu trinken sind möglich. Ich erkenne, welche immense Bedeutung dem Paddel als stabilisierender Faktor im Kajak zufällt; es fungiert quasi als back- und steuerbordseitiger Ausleger, der das Kajak in seiner korrekten Position hält. Das allerdings erfordert (zumindest bei den gegebenen Windverhältnissen) meine ganze Aufmerksamkeit. Ich beherrsche die Situation zwar vollständig, nehme es eben nur als sehr anstrengend wahr. Von Angst keine Spur, zumal ich so gut wie immer den Grund direkt unter mir sehen kann. Eher dominiert noch die Sorge, dass meine Sachen mal wieder völlig durchnässen könnten und ich dann am Abend vor dem Problem stehe, sie bis zum nächsten Tag trocken bekommen zu müssen.
Noch ohne zu wissen, wo ich da an Land gehe, ergebe ich mich dann nach eineinhalb Stunden meiner Trägheit und steuere das Ufer an, als ich einen Campingplatz erblicke. Später finde ich heraus, dass es Waabs ist. Eine weitere gigantische Wohnwagenkolonie: adipöse prollige Männer in Trainingsanzügen und/oder schwarzen Lederwesten, auf Hochglanz polierte Limousinen vor den weißen Kastenheimen. Stereotype Kolonie deutscher Spießbürgerlichkeit.
Waabs
Dennoch werde ich an der Rezeption sehr freundlich aufgenommen. Sagenhafte fünfundzwanzig Mark habe ich zu zahlen (so manche Jugendherberge ist nicht so teuer...), dafür sind die Sanitäreinrichtungen aber auch nicht nur blitzblank und sauber (das sind sie eigentlich fast überall), sondern sogar mit Marmor getäfelt... Was man eben so braucht, als richtiger Camper...
Ich wuchte mein Boot auf den Strand und anschließend eine schräge Straße hinauf auf das Niveau der sehr schönen Steilküste. Es ist noch früh am Tag und ich kann sodenn noch gut zwei Stunden Sonne genießen (in welcher auch meine Sachen wieder trocknen). Ein ganz neuartiges Erlebnis! Zwar muß ich den Windschutz des Zeltes suchen, denn der Wind ist sehr frisch, doch hat die Sonne durchaus schon Kraft. Ich lese eine ganze Weile und bereite mir dann eine Gulaschsuppe mit Nudeln in meiner Apsis. Hier wie auch andernorts gibt es immer wieder Kommentare anderer Urlauber, ob das denn nicht viel zu kalt sei, so im Zelt zu dieser ungemütlichen Jahreszeit, was ich stets aufrichtig verneinen kann - dank meines hervorragenden Equipments. Ein kleiner Junge, der fünfjährige Frederik besucht mich an diesem späten Nachmittag wiederholt, stellt viele Fragen, läßt sich das Boot erklären und den Gaskocher, schaut ins Zelt und bemerkt, wie klein doch mein Handy ist... Aufgeweckter Knirps.
Später stehe ich auf der Klippe, blicke auf die herrliche See, telefoniere mit Johanna - das kann sie schon richtig gut, sie erzählt mir vom Jahrmarkt, vom Crêpes (=Pfannkuchen) -Essen, vom Karussellfahren.
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Samstag, 21. April 2001
Kaum mehr als 0°C sind es in der Nacht und am Morgen erblicke ich einen wolkenlosen, stahlblauen Himmel. Es ist zwar kalt und der Wind läßt die Fahnen am Platz ganz schön im Wind flattern, doch ist das Ambiente von wunderschöner Klarheit. Ich begebe mich in den gut sortierten Supermarkt und erstehe ein paar kleine "Köstlichkeiten", wie zum Beispiel eine Scheibe Kochschinken für mein Frühstück.
Ich bin wirklich nicht lange im Laden, doch als ich wieder vor die Tür trete, da traue ich kaum meinen Augen. Von der Sonne keine Spur mehr: urplötzlich ist Seenebel aufgezogen, der vom Wind über die Küste gedrückt wird und richtig kalt und ungemütlich ist. Ich stiefele etwas betrübt durch die "Suppe" zurück zu meinem Zelt, denke, dass der nächste Urlaub vielleicht doch mal wieder in den warmen Süden gehen muß, verkrieche mich dann unter Schlafsack und Fleecedecke, frühstücke und lese eine ganze Weile. Abermals verwerfe ich jedoch den Plan, auch den Rest des Tages mit meiner Lektüre zu verbringen, raffe mich am frühen Mittag vielmehr auf und packe meinen Kram zusammen.
Kleinere Probleme habe ich, eine Stelle zum Einsetzen zu finden - genau dort, wo ich gestern ankam, ist nun ein Bagger im Gange, am Strand rumzubuddeln. Etwas abseits werde ich aber fündig: eine relativ abschüssige betonierte Rampe, die wohl eigentlich zum Einlassen von kleineren Motorbooten gedacht ist. Ich bin nicht ganz sicher, ob das gut geht, aber mir bleibt nichts anderes übrig, als es auszuprobieren. Und siehe da, es ist kein Problem, ganz im Gegenteil, das Boot rutscht bereitwillig in die See. Auch die Wellen sind gar nicht so ungestüm, wie ich sie vorab von oben aus beurteilt hatte. Und als dann sogar noch die Sonne wieder durch den trüben, kalten Nebel bricht, da bin ich schon wieder versöhnt mit dem Tag.
Ja, eigentlich stellt die heutige Fahrt gewissermaßen eine Zäsur auf der Reise dar. Dies sowohl objektiv von den klimatischen Verhältnissen her, es wird immerhin ein paar Grad milder und ich sollte fortan keinen Nachtfrost mehr bekommen, wie auch unter dem psychologischen Aspekt. Ich bin mittlerweile weit weg von Kiel, habe sogar die noch relativ vertraute Eckernförder Bucht hinter mir gelassen mit ihren trostlosen graubraunen Steilküsten und bewege mich nun frohen Mutes auf zu wirklich neuen Ufern, halte es mittlerweile auch wieder für realistisch, dass ich doch noch mein Ziel - Sønderborg - erreichen kann und freue mich, dass ich nicht schon am zweiten Tag aufgegeben hatte. Sicher mag die erhebliche Zunahme der Sonnenscheinstunden einen gehörigen Anteil daran haben, dass ich es so wahrnehme.
Nun paddele ich also entlang einer Küste, die leuchtet, die Luft ist frisch und gut und riecht nach Meer, der Horizont hebt sich tiefblau vom wolkenlosen Himmel ab. Die Wellen sind überhaupt kein Problem und so geht mein kleiner Traum vom gedankenverlorenen Dahinpaddeln schon heute in Erfüllung! Ab und zu schaue ich nach hinten, blicke in die Sonne und das wundervolle Funkeln, welches sie auf das Meer zaubert und welches ich so sehr liebe.
Die grottenhäßlichen Hochhaustürme von Damp lasse ich bald hinter mir und steuere gut gelaunt auf die Schleimündung zu, die ich mit einer gewissen Neugierde erwarte. Ursprünglich hatte ich gedacht, dass ich wohl bis nach Schönhagen kommen werde, der letzten Übernachtungsmöglichkeit südlich der Schlei. Von dort aus sind es dann noch einmal gut zehn Kilometer, bis zum nächsten Campingplatz, eine ordentliche Strecke. Sprich: es will wohlüberlegt sein, diesen Ort hinter sich zu lassen. Die großartigen Verhältnisse und die Tatsache, dass es noch recht früh am Tage ist, machen mir die Entscheidung aber leicht: Weiterfahrt. Eine kleine Pause, die ich an Land abzuhalten gedachte scheitert, da mir das Anlanden mißlingt, ich mir nur einen nassen Ärmel einfange und daraufhin von weiteren Versuchen Abstand nehme.
An der Schleimündung fällt zunächst eine gewaltige, mehrere Hundert Meter lange graue Mauer auf, die weit in das Meer hinausragt. Dahinter liegt die Einfahrt in den Marinestützpunkt Olpenitz. Ich bin sehr aufmerksam, um nicht plötzlich irgendein schnelles Wasserfahrzeug vorm Bug zu haben, kann aber nichts erblicken und passiere unbeschadet die Hafeneinfahrt. Ich erinnere mich noch gut an die reflektierende See in der Kieler Förde und so halte ich stets gebührenden Abstand von der Mauer, erst recht von der nördlichen, da sie der Laufrichtung der Wellen entgegensteht. Eine kluge, vorausschauende Entscheidung, ich kann bei der Vorbeifahrt tatsächlich wieder ein solches Phänomen beobachten - dieses Mal aber aus sicherer Entfernung.
Ein bisschen ist es, als läge nun die Zivilisation hinter mir. Die Landschaft erstrahlt golden im Licht des fortgeschrittenen Nachmittags, zu meiner Linken beginnt, nachdem ich den Leuchtturm passiert habe, das Naturschutzgebiet Ohe-Schleimünde. Weite, weiße Kieselstrände mit zahllosen Vögeln, es ist herrlich. Nach fast fünf Stunden erreiche ich dann einen Deich, von dem ich annehme, dass sich dahinter der angepeilte Campingplatz befindet. Ich frage einen der an dieser Stelle recht zahlreich vertretenen Strandspaziergänger und finde meine Vermutung bestätigt. Beim Anlanden ist mir eine sehr freundliche Dame mittleren Alters behilflich, indem sie mich kräftig auf den Strand zieht, was die Sache doch erheblich erleichtert. Ja, erzählt sie kurz, sie hätte auch ein Boot, würde zwar meist nur auf der Schlei fahren und selten auf dem Meer, aber, sie kenne das nur zu gut... Wie sympathisch!
Ich winde mich aus dem Boot und sortiere erst einmal meine Knochen. Eine am Rande zu erwähnende Begleiterscheinung dieser Form des Reisens ist das Phänomen, dass mir jeden Abend und jede Nacht mein Gleichgewichtsorgan Streiche spielt, indem es mir vorgaukelt, ich befände mich noch immer auf dem schaukelnden Wasser...
Ich steige auf den Deich und muß zu meiner besonderen Freude feststellen, dass sich etwa fünfzig Meter weiter ein zweiter Deich befindet und erst dahinter der Campingplatz. Nun, ich laufe zur Rezeption, melde mich an und mühe mich dann mit dem Boot über beide Deiche. Zunächst bin ich froh, dass ich die Möglichkeit habe, direkt an der Stelle zu zelten, an der ich den Deich überquert habe. Ein ganz großer Nachteil dieses Standortes, das wird mir freilich erst gewahr, als das Zelt schon steht, ist eine Kolonie von drei Wohnwagen in unmittelbarer Nähe, eingefriedet durch einen gewaltigen Windschutz, bewohnt von einer Horde prolliger, furchtbar lauter, betrunkener Dauercamper - alles, was sich grölend ihrem Stimmorgan entwindet zeugt von unglaublicher Dummheit, man möchte fast einen kollektiven Gendefekt unterstellen...
Ich ärgere mich sehr über diese Bande, verziehe mich auf den Deich und schaue mir den wunderschönen Sonnenuntergang an, bis es zu kalt wird. An Lesen ist dann bei der Beschallung nicht zu denken, so stopfe ich meine Ohren zu und ergebe mich dem Schlaf. Die für meine Verhältnisse lange Fahrt des Tages hat mich immerhin ordentlich müde gemacht, so dass mir wenigstens das keine Schwierigkeiten macht.
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Sonntag, 22. April 2001
Der allererste Blick am Morgen gilt meist der Armbanduhr, um nach der Temperatur im Zelt zu schauen; heute morgen kann ich immerhin kuschelige 7°C ablesen! Ein gutes Zeichen. Weniger gut, dass auch die lauten Dumpfbacken von nebenan schon wieder auf den Beinen sind und mich auf diese Weise in meinem Wunsch sehr unterstützen, sobald wie möglich diesen Ort wieder zu verlassen.
In meinem Bestreben, Brötchen für das Frühstück zu kaufen muß ich bis zum nächsten Campingplatz wandern, eine gute Viertelstunde, wo ich dann fündig werde. Dort ertönt volle Lotte Schlagermusik aus den Lautsprechern und ein reizender Herr tanzt mit einem Glas Bier in seiner Hand in der Sonne, grölt den eingängigen Text mit. Ach ist das nett hier.
Trotz der Schaumkronen auf dem Meer kommt mir heute nicht einmal der Gedanke, noch länger hier zu bleiben, ich wuchte mein Boot über die zwei Deiche und bin um kurz nach elf auf dem Wasser. Die Sonne scheint, es wird ein ganz besonders schöner Tag heute, vielleicht der schönste der Tour.
Ich paddele nach Norden, erreiche bald das Naturschutzgebiet Geltinger Birk, welches einem Zipfel gleich in die östlichen Ausläufer der Flensburger Förde hineinragt und welches es für mich zu umfahren gilt.
Morgens am Strand bei Drecht
Man hätte an diesem Tag Werbeaufnahmen für Reiseprospekte anfertigen können: weißer Kieselstrand, auf dem tiefblauen Wasser die ersten Segler dieser Saison, erfrischende Natur. Der Wind läßt nach, weht nur noch leicht weiterhin aus nordöstlichen Richtungen, das flache Wasser gibt den Blick auf den Grund frei, unter mir gleitet der Schatten meines Bootes über welligen Sand, alles ist Licht! Ich schwelge in den Eindrücken. Und überhaupt, ich bin sehr zufrieden mit mir und der Welt auf dieser kleinen Reise, habe gar nicht das Gefühl, dass ich jemandem an meiner Seite vermisse, vielmehr genieße ich die völlige Unabhängigkeit. Kann mich in meinem Zelt nach eigenem Gusto ausbreiten, kann meine Tage selber einteilen, die Entscheidung über Etappenlänge- und ziel bleibt mir überlassen.
Sicher wäre die Gesellschaft meiner Schwester dennoch eine Bereicherung gewesen, doch bin ich mir eben auch nicht sicher, wie gut sie die "Schwierigkeiten der See" in den vergangenen Tagen verpackt hätte, wo sie doch im Vorfeld schon so besorgt war. An einem Tag wie heute allerdings, da bin ich mir sicher, hätte sie es auch voll und ganz genießen können. Oft habe ich heute an sie denken müssen, und erst recht, da nun Dänemark schon in Sichtweite liegt und ich mich der Geltinger Bucht nähere. Der Campingplatz von Wackerballig nimmt einen besonderen Stellenwert in unserer gemeinsamen Reisehistorie ein, war er doch der erste auf unserer ersten Reise 1994 nach Island. Mir geht die kleine Anekdote immer wieder durch den Kopf, wie dereinst ein Kajakfahrer vor seinem Zelt neben uns völlig k.o. von seiner Überfahrt immer wieder auf seiner Isomatte eingeschlafen ist und beim Erwachen feststellen mußte, dass sein Tee, den er sich bereitet hatte, schon wieder kalt geworden war - so ging das einige Male.
Ich passiere die flachen Sand- und Kieselbänke an der Nordspitze des Birks und blicke nun in die weite Bucht, die auf der Leeseite der Halbinsel liegt und somit fast spiegelglatt daliegt. Ich hatte vage überlegt, aus traditionellen Gründen noch einmal Wackerballig anzusteuern, doch liegt es mir dann fern, schon zu dieser Stunde an Land zu gehen, zu schön ist das Paddeln in diesem Revier zu diesen traumhaften Bedingungen. Ich fahre ins Gegenlicht, das Meer funkelt. Zwar wage ich es nicht, die Bucht an ihrer breitesten Stelle zu befahren, habe mittlerweile zuviel Mißtrauen in jedes vermeintlich stabile Wetter, halte mich also halbwegs ufernah (wobei ich schließlich aber doch zeitweise mindestens zwei Kilometer vor der Küste fahre). Es fehlen mir beinahe die Worte, die diese Schönheit zu beschreiben imstande wären. Es ist das perfekte Fahren.
Der ferne Steilküstenzipfel am westlichen Ende der Bucht rückt langsam näher, manchmal ist es, als käme ich kaum von der Stelle, doch irgendwann erreiche ich doch die Steilküste. Im flachen Wasser fahre ich ganz dicht am Land entlang, ein, zwei Angler stehen im Wasser, scheinen eher genervt von mir, erwidern nicht einmal meinen Gruß. Komisches Völkchen, diese olivgrün gekleideten Einsiedler, die da stundenlang mit Gummihosen im Wasser zubringen. Aber vielleicht denken sie ähnliches auch von mir...
Am späten Nachmittag erreiche ich nach fast fünfstündiger Fahrt den Campingplatz auf der kleinen Halbinsel Habernis. Vom Wasser aus schon kann ich erkennen, dass dort das sonntägliche Ausflugsleben tobt. Es sind die ersten wirklich wärmenden Sonnenstrahlen dieses Frühjahrs, zuhauf rollen Motorradfahrer und Cabriolets über die kleine Straße, das Lokal am Strand ist gerammelt voll mit Gästen, welche die Sonne genießen. Ein kleiner Steg erlaubt mir, ungewöhnlich komfortabel mein Boot zu verlassen, ich erkundige mich am Platz nach der Möglichkeit zur Übernachtung, kein Problem, und hole dann das Boot an Land. Ein gemütlicher, vergleichsweise wirklich sympathischer Campingplatz mit einem überaus netten Inhaber, der sogleich Verständinis für den Kajakfahrer hat und mir einen wassernahen Platz zuweist.
Ich baue mein Zelt auf, setze mich in die Sonne, genieße ein Bier und schaue mir auf der Karte an, welche Strecke ich heute zurücklegte. Auch stelle ich fest, dass die Stadt, die ich im Norden erblickte tatsächlich schon Sønderborg ist. Ich mutmaßte das zwar unterwegs schon, doch war ich mir alles andere als sicher, da ich mir bislang den Abschnitt der hiesigen Gewässer noch nicht so genau angesehen hatte. Nun aber bin ich voller Zuversicht, dass ich mein Ziel noch erreichen werde. Im Übermut und unter dem Einfluß der so unglaublich guten Verhältnisse halte ich es sogar für denkbar, schon morgen die Überfahrt zu wagen, schaue demnach, wie es mit Optionen aussieht, dann noch weiter in den Norden vorzudringen...
Erwartungsgemäß ebbt das Ausflugstreiben bald ab, ich kehre in dem Restaurant ein, bestelle mir Sauerfleisch mit Bratkartoffeln, zwar sehr lecker, aber leider fast nur aus Knochen bestehend und verbringe den Rest des Abends dann lesend im Zelt. Nun, da die Sonne nicht mehr scheint, wird es sofort wieder empfindlich kalt...
Ich verziehe mich in mein Zelt und setze meine Lektüre fort. Das Buch ist recht interessant; worum es geht habe ich ja schon kurz überrissen. Mich fasziniert im Besonderen, mit welcher Ausdauer und vor allem, unter welch primitiven Bedingungen die Protagonistin ihren Weg geht. Ohne Hightech-Ausrüstung, zumeist sogar ohne Zelt in den mehrtausend Meter hohen Bergen Tibets dem Wetter ausgeliefert, unter Zweigen schlafend, nächtelang auf den Beinen, Tagesrationen von oft kaum mehr als etwas Mehl und Tee, vielleicht noch ein bisschen Butter. Da erscheinen mir auch die ungemütlichsten Touren, die ich selbst in meinem Leben bislang unternahm wie harmlose Lachnummern. Es ist faszinierend, mit wie wenig an Komfort ein Mensch offenbar überleben, ja nicht nur überleben, sondern richtig gut leben kann.
Gelegentlich in den letzten Tagen, wenn ich im Boot saß und mir das eine oder andere mal wieder anstrengend oder unkomfortabel vorkam, dachte ich an diese Person und ihre entbehrungsreiche Wanderung und sogleich ging es mir leichter von der Hand, dachte ich, was ich hier mache ist rein gar nichts gegen eine monatelange Wanderung bei Schnee und Sturm mit einem armseligen Biwak. Muß nur die richtige Einstellung finden! Eigentlich auch keine wirklich neue Erkenntnis ("...im Radsattel wird der Berg in erster Linie mit dem Kopf genommen und erst in zweiter Linie mit Kraft und Kondition...").
Die Beschreibungen verschiedener Formen der Askese üben eine gewisse Faszination auf mich aus, frage mich, wie ich übersatter Zivilisationsmensch das wohl meistern würde. Monate oder Jahre der Einsiedelei. Nächtelang im Lotussitz halbnackt im Schneetreiben, eine Bettelpilgerfahrt...
Erwartungsgemäß wenig kann ich anfangen mit dem, was an Information über den Buddhismus durchschimmert. Zwar erscheinen mir einige Grundideen außerordentlich vernünftig, wie das Achten jedweden Lebens - aus welchem zum Beispiel ein weitverbreiteter Vegetarismus resultiert. Die lächelnde Freundlichkeit der Menschen... Doch wird nach meinem Dafürhalten schon bei dem Verhalten von A. Néel und ihrem Begleiter ebenso offenkund, wie scheinheilig und verlogen die Religionsausübung gehandhabt wird, wieviel Beschiß da im Spiel ist, wieviel Grausamkeit, wieviel Ausbeutung.
Mal ganz zu schweigen von Dämonen- und Reinkarnationsglauben, was ich ja für kompletten Unfug halte.
Wie auch immer, auch für einen überzeugten Atheisten ein passendes, spannendes Buch. Sie will nach Lhasa, ich nach Sønderborg, beide reisen wir draußen, beide sind wir auf einer Fahrt und sei sie von noch so unterschiedlichem Charakter.
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Montag, 23. April 2001
Es ist ein wolkiger Morgen und ich bringe als erstes die Wäsche wieder nach draußen, die am Vorabend nicht mehr ganz trocken wurde.
Kaum hängt sie jedoch an der Leine, da setzt Regen ein und ich bin gezwungen, sie wieder einzuholen. Ich nehme es aber gelassen, lümmele mich zum Lesen in meinen Schlafsack und schaue einfach mal, wie es so weitergeht. Der starke Wind macht auf jeden Fall schon mal meinen Plan zunichte, heute irgendwie nach Sønderborg zu fahren. Bald regnet es immerhin nicht mehr, der Tag bleibt dennoch eher trübe.
Sehr gemächlich packe ich zusammen, schwätze zwischenzeitig eine ganze Weile mit einem älteren Herren, ein Gespräch, welches sich über das Boot ergibt. Er scheint ein alter Segler zu sein und gibt ein paar Geschichten zum Besten, ein bisschen mag er ein Schnacker sein, doch habe ich im Moment gar nichts gegen dieses Gespräch.
Um halb eins schließlich geht meine heutige Etappe los, wegen der kabbeligen See ist mal wieder sehr konzentriertes Fahren angesagt - und kein Gedanke daran, am Ziel trocken anzukommen. Der Wind kommt stramm von West, so dass ich ihn zunächst von vorne habe. Bald jedoch nähere ich mich der Halbinsel Holnis, die einem Sperrriegel gleich vor dem Wind liegt und mir somit fortan ein recht komfortables Vorankommen möglich macht.
Nach drei Stunden Fahrt erreiche ich das Ufer bei Drei (...ja, so heißt der "Ort"!). Das Wasser ist extrem flach und nur nach einigem Hin und Hermanövrieren finde ich eine Zufahrt zum Sandstrand, wo es mir möglich ist, an Land zu gehen. Wieder einmal habe ich den Campingplatz ziemlich gut angepeilt nach meiner Karte, obwohl ich ihn von See aus nicht erkennen konnte. Kein großer, eher etwas schrummeliger Platz, daher jedoch für mich um so sympathischer.
Abermals ist es eine kleines Stück Arbeit, das Kajak vom Wasser bis zum Lagerplatz zu schaffen. Unter diesem Aspekt betrachtet bietet das Reisen mir dem Fahrrad doch erhebliche Vorteile. Ruckzuck ist man auf einen Campingplatz gerollt und sollte man versehentlich in Fuckin'-Surendorf gelandet sein und er ist "gesperrt", so ist man ebenso schnell wieder runter gerollt. Da ist so ein Boot durch seine plumpe Sperrigkeit an Land doch eher ein Klotz am Bein. Und überhaupt ist so manches vom Boot aus schon ein größerer Angang, als etwa vom Fahrrad. Mal eben Pinkeln, mal eben Pause, mal kurz anhalten und Tee kochen, das ist nicht immer so leicht möglich. Vieles allerdings kann ich sicher auch der Jahreszeit in die Schuhe schieben, im Sommer stehen die Dinge da ja auch noch mal etwas anders.
Den Aspekt des vergleichsweise kleinen Aktionsradius' will ich hier nicht als allgemeinen Nachteil ins Feld führen, das hat man beispielsweise beim Wandern auch und das bewerte ich ja durchaus als Vorteil.
Ich bin wie gesagt ziemlich naß geworden und da ich mein Zeug nicht am hellichten Tage in den Sanitäreinrichtungen aufhängen möchte, lasse ich sie einfach an, in der sicheren Annahme, sie würden irgendwann schon trocknen. Ich will nach Glücksburg wandern, mir das Schloß besehen, vielleicht ins Café und ins Kino gehen, danach wäre sicher alles wieder trocken.
Nach einer guten Stunde zu Fuß erreiche ich den Ort und bin ziemlich enttäuscht von der geballten Provinzialität. Café, Kino, hahaha. Ich kann wohl froh sein, wenn ich ein Restaurant finde. Nun, zunächst werfe ich allerdings planmäßig einen Blick auf das schmucke Schloß, bin allerdings insgesamt nicht unbedingt in Blicke-auf-Schlösser-werf-Laune und so gerät dies mehr zu einer obligatorischen Handlung, ich mache nicht einmal ein Photo von dem fraglos sehr schmucken Gebäude.
Es ist kühl, meine Kleidung feucht, ich habe Hunger und so finde ich mich bald in einem kleinen, bodenständigen Lokal wieder, dessen einziger Gast ich zu diesem Zeitpunkt bin. Ich bestelle Matjes mit Speckbohnen und bin begeistert, wie schon lange nicht mehr in einem Restaurant. Es ist außerordentlich schmackhaft und obendrein so ansprechend serviert, eine wahre Freude. Ich verputze die gigantische Portion, selbst die nette Kellnerin staunt, als sie abräumt, dass ich alles geschafft habe...
Ich wandere zufrieden und mittlerweile wieder so gut wie trocken (Strategie erfolgreich!) zurück nach Drei, hocke mich in einen Strandkorb und blicke nach Osten auf den Fjord. Grau gibt er sich und spiegelglatt, kein Lüftchen regt sich. Ich versuche, Kontakt mit Kaddel aufzunehmen, deren Geburtstag heute ist, was mir aber nicht gelingt - also quatsche ich meine Gratulation auf den Anrufbeantworter ihres Freundes Andy.
Später lese ich noch bis fast elf Uhr im Kerzenschein.
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Dienstag, 24. April 2001
Schon am Morgen ist es ungewöhnlich mild, ich frühstücke bei weit geöffnetem Zelt, die anfangs noch dichte Bewölkung bricht auf und die Sonne zeigt sich immer öfter. Ich fühle mich gut, auch wenn mich der Gedanke an das morgige Ende der Tour etwas betrübt machen kann. Hätte auch nichts dagegen, noch wochenlang weiterzufahren und irgendwann an die Nordspitze Dänemarks gelangen...
Um elf bin ich wieder auf dem Wasser, mittlerweile ist es richtig sonnig und auch richtig warm. Ich verzichte somit erstmals auf den Fleece-Pulli, trage nur das T-Shirt unter der Gore-Tex-Jacke. Die Verhältnisse geben sich so friedlich und idyllisch, dass ich sogar vom Tragen der Schwimmweste Abstand nehme, was ich später allerdings etwas bereuen werde.
Langsam gleite ich hinaus auf die Förde; so flach und glatt liegt das Wasser da, dass ich fast das Gefühl habe, mir wird schwindelig in Ermangelung visueller Reize, an die sich meine Augen haften können. Ich suche dann mit meinem Blick bewußt fixe Konturen an Land, um diesem Problem zu begegnen.
Das ist natürlich nicht wirklich ein Problem, vielmehr dominiert in meiner Wahrnehmung das Überwältigtsein vom Leuchten der Landschaft. Dank des ruhigen Wassers erlaube ich mir, inmitten der Förde zu paddeln, vorbei an Tonnen, welche das Fahrwasser markieren. Backbordseitig liegt Dänemark und irgendwie habe ich auch den Eindruck es sieht da schon ganz anders aus...!
Insgesamt hatte ich wesentlich mehr Verkehr auf der Flensburger Förde erwartet, doch bin ich - wie schon gestern - beinahe allein. Ein kleines Motorboot zieht seine Runden, stört die Ruhe, und ich denke zunächst, dass es vielleicht die Küstenwache ist, die hier die "grüne Grenze" kontrolliert und es ganz besonders auf heimlich in den Norden infiltrierende Kajakfahrer abgesehen hat... Dies ist natürlich nicht der Fall, irgendwann verschwindet der Störenfried und ich habe den leuchtenden Fjord wieder ganz für mich allein.
Von Norden ragt eine Halbinsel mit dem Namen Broager Land in die Förde. Diese muß ich, um Sønderborg zu erreichen, teilweise umfahren. Ich steuere also auf ihren südlichen Zipfel zu, auf dessen flachem Ausläufer zwei große Windkraftanlangen stehen. Eine leichte Kräuselung auf der Wasseroberfläche hatte es mir bereits verraten, es kommt stärkerer Wind auf. Und dass er auch seine Richtung um fast 180° dreht, bestätigt mir neben meiner eigenen, mittlerweile recht zuverlässigen Wahrnehmung die Tatsache, dass die Windräder nicht mehr rotieren. Dafür drehen sich nun aber ganz langsam und vollautomatisch um ihre eigene Achse, um sich wieder so zu positionieren, dass sie die Luftbewegung einfangen können. Ganz interessant, das mal so aus der Nähe zu beobachten.
Ich fahre "um die Ecke" der Halbinsel, gehe auf Nordkurs und bin zunächst etwas enttäuscht, dass ich mein Ziel Sønderborg noch nicht im Blickfeld habe, vielmehr zeigen sich weite Steilküsten, die die Sicht vorerst verstellen.
Auf der Flensburger Förde
Allmählich gerät das leichte Gekräusel auf dem vormals so stillen Wasser zu einer mäßig kabbeligen See. Diese braucht aber noch eine Weile, um sich zu ihrem höchsten Niveau aufzubauen. So habe ich noch die Möglichkeit, als dann endlich doch die Stadt zu sehen ist, wenigstens ein Bild zu machen. Dank der friedlichen See am Morgen hatte ich mich nämlich nicht nur verleiten lassen, (wie bereits gesagt...) meine Weste nicht zu tragen, sondern es auch erstmals auf dieser Tour gewagt, die kleine Voigtländer-Kamera (wenn auch doppelt in Plastiktütchen verpackt) "am Mann" zu tragen. Für die Zukunft möchte ich gerne eine kleine wasserdichte Kamera haben, die es möglich macht, öfter mal auch vom Boot aus zu photografieren.
Die Sonne scheint immer noch, die Wellen laufen von Südost heran, die Stadt liegt vor mir und gewinnt mit jedem Paddelschlag an Kontur, mich überkommt ein ausgesprochen gutes "I did it!"-Gefühl. Zwar wurmt mich ein wenig, dass ich nun bei den recht ordentlichen Wellen meine Weste nicht trage - aber es ist mir mittlerweile auch nicht mehr möglich, sie noch anzulegen, zu bewegt die See, ich kann das Paddel nicht mehr loslassen.
Dennoch, das Vertrauen in mein in den vergangenen Tagen erworbenes technisches Können gepaart mit meinem geschärften Sinn für Wind und Wellen lassen es mich wagen, die letzte Bucht, die mich noch von Sønderborg trennt, die Vemmingbund, nicht küstennah auszufahren, sondern auf direktem Wege zu queren. Es ist sicher das bewegteste Wasser, durch welches ich gefahren bin, doch mache ich angstlos und konzentriert meinen Weg. Hinzu kommt noch der psychologische Aspekt, dass nämlich, da die Sonne scheint, subjektiv der Eindruck entsteht, die See sei weniger bedrohlich, als wenn sie grau und finster daliegt. Dieses Phänomen war mir auch schon in den Tagen zuvor aufgefallen.
Am anderen Ufern angelangt, orientiere ich mich zunächst sehr küstennah, quere dann die Hafeneinfahrt, behalte dabei die beiden Fischerboote genau im Auge, die sich an den ausgebrachten Netzen zu schaffen machen. Fast bin ich ein wenig melancholisch, dass es nun quasi vorbei ist mit dieser Reise, als ich da so vor der Stadt durch die Wellen fahre. Das Meer funkelt, die Sonne leuchtet - kann es nicht noch eine Weile so weiter gehen?
Nun, ich muß eine Stelle zum Anlanden finden, muß vor allen Dingen halbwegs in der Nähe des Campingplatzes ankommen, um das Boot nicht "durch die halbe Stadt" fahren zu müssen. Ich mache einen Sporthafen aus, der nicht auf meiner Karte (für Radwanderer) verzeichnet ist, "berechne" aber, dass ziemlich genau da auch der Zeltplatz sein muß. Dieser ist auf verschiedenen Karten einigermaßen präzise an der gleichen Stelle markiert, also kann ich schon davon ausgehen, dass er sich da auch befindet. Bald fahre ich dann im Windschatten der weit ausladenden Mauer des kleinen Hafens, genieße entspannt das mit einem Mal sehr ruhige Wasser. Kurzzeitig denke ich, wo soll ich denn bloß an Land gehen - erblicke nämlich zunächst nur das promenadenartige Ufer mit einer ebenfalls einigermaßen hohen Mauer. Doch dann kommt ein kleiner Strand in mein Gesichtsfeld und schließlich erkenne ich, dass dort sogar einige Stege angebracht sind! Soll das mit dem Anlanden also kein Problem werden...
Ich lasse dann, nachdem ich mich aus dem Boot gewunden habe, selbiges kurz am Steg zurück und erkunde die Umgebung, um herauszufinden, wo wohl der Zeltplatz sein mag. Meine Navigation ist schon wieder gut gewesen, und so brauche ich das Kajak bestenfalls zwei- bis dreihundert Meter weit zu schieben. Kein Problem also.
Dänemark ist erreicht: ich gehe in Sonderborg an Land
Sofort werde ich freundlich begrüßt, der Campingplatzwart entschuldigt sich kurz, muß für eine unüberschaubare Kinderschar das Riesenhüpfkissen wieder flott machen und wendet sich wenig später mir und meinem Ansinnen zu, hier übernachten zu wollen.
Ich baue mein Zelt auf, nehme eine Dusche und ziehe saubere Sachen an, putze mich geradezu heraus für meinen Gang in die Stadt. Schon bei der Fahrt im Kajak kam mir alles noch sehr bekannt vor von meinem letzten Besuch hier im Herbst des vergangenen Jahres. Diesen Eindruck finde ich nun bestätigt, wandere zunächst am Ufer entlang und laufe dann einmal die Einkaufsstraße auf und ab, wobei ich a) einen obligatorischen Hotdog verspeise und b) einen kleinen Einkauf erledige, unter anderem erstehe ich einen Becher griechischen Fagé-Joghurt, den ich so sehr schätze und den ich später am Abend im Zelt beim Lesen verspeise. Von weiteren Besichtigungen sehe ich ab, wie gesagt, alles ist mir noch ziemlich vertraut, und so setze ich mich dann an der alten Festung an der Hafeneinfahrt auf eine Bank, trinke Bier, nage Tacochips und lese mein Buch. Zwar ist es ganz schön kalt, doch bleibe ich eine ganze Weile, unterbreche nur gelegentlich meine Lektüre, um einem Fischkutter hinterher zu schauen, der in den Hafen fährt...
Vor mir liegt die weite Bucht und ich bin begeistert, in Gedanken den Weg nachzufahren, den ich in den vergangenen Tagen gemacht habe - in der Ferne zeigen sich die Küsten... Ich rekapituliere die heutige Fahrt, denke an Habernis und frage mich, wo genau der kleine Ort wohl sein mag, denke zurück, wie ich durch die Geltinger Bucht fuhr und so weiter... Es ist so schön, eine Landschaft auf so langsame Weise zu durchmessen. Ich denke oft an das Wandern, wo man auch unter Umständen tagelang den selben Berg erblickt und doch vorankommt.
Irgendwann verscheucht mich leider doch der zu kalte Wind von meiner wunderschönen Bank und ich breche auf, um zum Zelt zu laufen. Unterwegs gehe ich noch an den Sporthafen und beobachte, wie sich genau an der Stelle, an der ich am Nachmittag einsam an Land ging nun eine Segelschule tummelt: eine ganze Schar von Kindern, die das Handwerk des Segelns erlernt. Reges Treiben, Boote rein, Boote raus, Kommandos auf dem Wasser, wundervolles Abendlicht, ehrgeizige Eltern, die ihre Sprößlinge im Auge haben und gelegentlich eingreifen...
Zu guterletzt grübele ich am Abend, wie ich wohl den morgigen, den letzten Tag verleben werde und entwerfe schließlich drei Varianten: erstens: bleiben und noch etwas im Ort umsehen. Zweitens: Ziel Åbanra, was allerdings fast vierzig Kilometer entfernt liegt, also ziemlich weit ist für meine Verhältnisse. Darüber hinaus führe ich nur sehr unzureichendes Kartenmaterial von der Gegend mit. Idee Nummer drei: Fahrt nach Flensburg, ebenfalls etwa vierzig Kilometer, doch habe ich da immerhin gute Karten zur Hand, so dass es nicht schwer fiele, ggf. auch unterwegs mit Claudia einen Abholpunkt zu vereinbaren. Ich halte diese drei Versionen erst einmal fest und beschließe, mich morgen früh ganz spontan zu entscheiden. Das Wetter spielt ja auch stets eine immense Rolle...
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Mittwoch, 25. April 2001
Wieder ist es nicht kalt, laut Thermometer sind es 8°C, das ist ja richtig kuschelig. Zwar ist der Himmel wolkenverhangen, doch regnet es nicht und so frühstücke ich wohlgelaunt in meiner Apsis, grübele, für welche der Optionen für den heutigen Tag ich mich entscheiden soll. Schließlich komme ich zu der Überzeugung, dass es das Schlauste sein wird, nach Flensburg oder zumindest in die Richtung zu fahren. Das mir zur Verfügung stehende Kartenmaterial hat den Ausschlag gegeben, eine Fahrt nach Åbenra wäre unter diesem Gesichtspunkt wohl zu gewagt gewesen.
Ich will am Mittag aufbrechen, gehe es also gelassen an und setze ich mich noch einige Stunden in den Aufenthaltsraum des Campingplatzes. Dort lese ich, lade nebenbei das Handy neu auf, damit es auf jeden Fall genug Saft hat, um später die Abholung durch meine Frau zu koordinieren. Sie hatte sich mit einer Bekannten in Flensburg verabredet und von dort aus wollte sie mich irgendwo (ursprünglich war Sønderborg vorgesehen) einsammeln. Noch ein Tee und noch einer und schließlich ist die Zeit zum Aufbruch gekommen. Ich hatte berechnet, dass ich etwa sechs Stunden brauchen würde, um bis nach Flensburg zu gelangen, vorausgesetzt, die Verhältnisse bleiben einigermaßen moderat. Noch nie auf dieser Tour war ich so lange und so weit gefahren, doch bin ich sicher, dass es möglich sein müßte.
Ein letztes Mal hole ich das Zelt ein, verlade - mittlerweile sehr routiniert - alle Säcke in meinem geschätzten Boot und bin schließlich um exakt zwölf Uhr mittags auf dem Wasser. Es regnet ein wenig, was mich aber nicht im geringsten stört. Der Wind ist harmlos und so gewinne ich zügig Abstand zur Stadt. Der Regen hört für kurze Zeit ganz auf, setzt aber bald wieder ein und gewinnt an Intensität, ja, es schüttet nun wie aus Eimern, ein satter Regen. Das soll sich auch den ganzen Tag nicht mehr ändern. Zu Beginn denke ich, das macht ja nichts, was soll es. Doch nach einer Weile wird klar, das meine Kleidung diesen Dauergüssen nicht gewachsen ist und ich nach zwei Stunden naß bis auf die Haut bin. Nun, es ist nicht besonders kalt, also kein Grund zur Sorge. Noch erkenne ich Struktur in den Wolken über mir, die die Hoffnung nährt, dass es irgendwann auch wieder aufhören wird zu regnen und ich vielleicht doch noch zu meiner Pause komme. Daraus soll nichts werden, vielmehr verdichtet sich das allumfassende Grau zu einem homogen trübseligen Bild. Ich gleite entlang der Südküste Dänemarks und finde mich mit der Erkenntnis ab, dass aus meiner Pause, wie ich sie mir vorgestellt hatte, nichts werden wird und ich den Rest des Tages wohl durch dieses trübe Naß paddeln werde.
Die "Landschaft" erscheint absolut surreal. Der Wind hat mittlerweile so gut wie völlig nachgelassen, das Meer liegt völlig glatt. Ab und zu nur erreicht mich von fern eine langläufige Dünung, die das Boot um sicher einen knappen Meter hebt und senkt, aber eingedenk ihrer Regelmäßigkeit absolut beherrschbar ist. Dazu dieses unfaßbar dominante Grau. Der Regen prasselt immerfort und die Tropfen schlagen in kleinen Kratern auf dem Wasser auf, das Licht ist gedämpft, die Sicht beträgt keine tausend Meter. Mir erscheint das Meer mit einem Mal wie eine riesige, schlammige Wiese, so, als sei die weite Fläche, auf welche ich da blicke von halbwegs fester Konsistenz, so, als könne man darüber laufen. Beinahe abwegig die Vorstellung, dass man bei dem Versuch natürlich sofort untergehen würde und in der nur 6°C kalten See nach kaum mehr als zehn Minuten sein Leben verlieren würde. Für die Sinnesorgane ist es offenbar eine Extremsituation, ich ertappe mich sogar bei kleinen Wahrnehmungstäuschungen; so meine ich beispielsweise gelegentlich Aufhellungen in der Wolkendecke zu erspähen, was sich beim zweiten Blick jedesmal als Irrtum herausstellt - das Grau ist strukturlos und geschlossen wie schon die ganze Zeit. Wo sind die Farben geblieben!?! Ich fühle mich bisweilen schwerelos durch dieses bizarre Raum-Zeit-Gefüge gleiten...
Ich staune über dieses Phänomen und muß zwangsläufig an unsere Langzeit-Intensivpatienten denken, bei denen die Ermangelung an Sinnesreizen bekanntermaßen beinahe zwangsläufig zu Halluzinationen und sonstwie verstellter Wahrnehmung führt. Auch wenn es in meinem Fall natürlich harmlos ist (...oder denken die das auch?!?), so bin ich verblüfft, wie wenig Zeit ausreicht, um die Sinne zumindest in erhebliche Verirrung zu lenken...
Ein ganz handfestes Problem, welches sich durch das Wetter ergibt, ist die deutlich eingeschränkte Sicht - schließlich muß ich ja heute irgendwie noch den Fjord überqueren. Ich peile daher die schmalste Stelle der Förde an, nämlich an der Ostseite der Halbinsel Holnis. Dort misst das Gewässer etwa zwei Kilometer in der Breite. Das Problem ist nur, dass ich das andere Ufer nicht sehen kann und mir nicht sicher bin, ob ich es unter diesen Umständen wagen kann, mein Boot in das konturlose Grau zu lenken. Noch sehr gut ist mir eine Kajakfahrt im Januar erinnerlich, als ich in Begleitung zweier Freunde auf dem Westensee in dichten Nebel gefahren bin und nach kürzester Zeit keiner von uns mehr auch nur einen Funken Orientierung aufbringen konnte. Auf einem relativ kleinen See ist das ja halb so wild, doch was ist, wenn ich mich auf der Förde verirre? Immerhin habe ich heute einen kleinen Wanderkompaß bei mir und so entschließe ich mich nach zähem Ringen mit mir selbst, auf strammen Westkurs zu gehen, um die gegenüberliegende Küste zu erreichen. Ich steuere zunächst eine Tonne an, während hinter mir die kleine dänische Ortschaft kaum noch zu erkennen ist und dann heißt es: rein ins Grau. Ich paddele fünfzig Schläge, peile dann mit dem Kompass, paddele fünfzig Schläge, richte abermals das Boot neu aus. So geht es einige Male, dann bin ich froh, im "Nebel" vor mir Konturen einer Küste auszumachen. Erst halte ich das wieder für eine Sinnestäuschung, doch schnell zeigt sich, dass ich tatsächlich "Land in Sicht" habe. Das beruhigt mich ziemlich. Ich habe nun die Hälfte meiner Tagesdistanz zurückgelegt, alle Gräten tun schon weh, die Blase ist randvoll und ich bedauere sehr, dass ich nun an dieser Stelle nicht wie geplant pausieren kann. Vielmehr folge ich dem Küstenverlauf noch ein Stück nordwärts, um dann die Halbinsel zu umrunden. An der Spitze angelangt sitze ich plötzlich fest, das Wasser ist mit einem Mal so flach, dass ich auf eine Sandbank fahre. Ich manövriere mich wieder frei und dann wiederholt sich das Spiel noch drei, vier Mal bis ich wieder in ausreichend tiefem Wasser bin.
Nach vierstündiger Fahrt nützt es alles nichts mehr, ich muß zumindest zum Zwecke der Blasenentleerung einmal kurz an Land, also setze ich das Boot auf einen kleinen Strand und steige in strömendem Regen aus. Es dauert bloß Sekunden, da ist der Sitz schon patschnaß geregnet, ich beeile mich also, springe schnell wieder in meine Luke und zurre die Spritzdecke zu. Keine Chance für Bewegung am Strand, um meine Knochen zu sortieren, nur ein Schokoriegel zur Stärkung.
Bevor ich dann weiterfahre, rufe ich Claudia an, was ziemlich schwierig ist, da die Verständigung mit dem Handy kaum möglich ist, wenn es in der wasserdichten Tasche steckt. Doch herausholen kann ich es unmöglich, dann hätte ich es auch gleich ins Wasser werfen können... Es gelingt aber immerhin, ihr mitzuteilen, dass ich es nach aller Voraussicht bis ca. 18:00 nach Flensburg schaffen werde, sie mich also dort und nicht irgendwo auf halber Strecke aufsammeln kann.
Auf dem grauen Fjord erblicke ich zwei andere Kajakfahrer, die ich aber vorüberziehen lasse, ohne den Kontakt zu suchen, der Sinn steht mir nicht nach Kommunikation. Ich gebe ihnen einen Vorsprung, sie verschwinden irgendwann im Grau und ich setze meine gleichförmige Fahrt fort.
Ich begegne der Monotonie, den verkrampften Beinen und dem schmerzenden Rücken mit dem Gedanken an Frau Néel in Tibet, denke, mein Gott, was sind da schon ein paar Stunden Paddeln! und habe überhaupt kein Problem, Schlag um Schlag meinen Weg fortzusetzen. Schließlich kommt die Peripherie der Stadt in Sicht, der Fjord verjüngt sich zusehends und abermals nehme ich die Realität als etwas überaus Surreales wahr. Am frühen Abend gleite ich vorbei an Industrieanlagen, Marineeinrichtungen, Sporthäfen und einer verregneten Stadtsilhouette, hinter der sich bedrohlich eine rabenschwarze Wolkenfront aufgetürmt hat. In einer Werft liegt ein gigantisches türkisches Frachtschiff, ich vermute zur Reparatur (oder im Endstadium seiner Fertigung?), davor paddele ich - ein winzig kleiner Mann in seinem grauen Kajak.
Selbst hier im Hafen ist kein Verkehr auf dem Wasser, so dass ich mich ziemlich entspannt auf die Suche nach einer geeigneten Stelle zum Anlanden machen kann, was sich aber als gar nicht so einfach herausstellen soll. Einige Stege, die bestens geeignet wären, gibt es zwar, doch versperrt an deren Ende stets ein Tor den Weg an Land. Ich werde aber nicht nervös, im "schlimmsten Fall" hätte ich eben eine Stunde zurückpaddeln müssen, irgendwo komme ich schon noch an das Ufer. Nun, ich bugsiere mich zwischen alten Segelkähnen hindurch, vorbei an zwei kleinen Minensuchbooten der Marine, auf deren Deck trotz des Wetters Matrosen angetreten sind, ich inspiziere jeden Winkel des Flensburger Innenhafens - nichts. Erst auf den allerletzten Metern, am Ostufer der hiesigen "Hörn" zeigt sich ein kleines Stück schlammiger Strand voller Entendreck. Ich beschleunige und wuchte den Kajak in den Schlamm. Geschafft.
Doch an Ausruhen und Erholung ist noch lange nicht zu denken, vielmehr dominiert in meinen Gedanken das Pragmatische. Nämlich muß ich das Boot an Land bringen, auf den Bootswagen schnüren und mich - pudelnaß wie ich bin im immer noch strömenden Regen - auf die Suche machen nach einem Standort, der gute Parkmöglichkeit bietet und dessen Lokalisation ich so gut zu beschreiben imstande bin, dass Claudia mich auch findet. Das gelingt dann erfreulich schnell und unproblematisch, so dass ich höchstens eine Viertelstunde nach meinem Anlanden Claudia verständigen kann.
Eine Dreiviertelstunde vergeht, bis ich den funkelnagelneuen Bus mit den getönten Scheiben erblicke. Ich habe in diesem Moment wenig Sinn für sentimentale Begrüßungszeremonien, will vielmehr so schnell wie möglich das Boot verstauen und mir dann endlich trockene Sachen anlegen. Die Montage des Dachgepäckträgers ist mühsam, der Bus ist viel höher, als ich mir das vorgestellt hatte und ich habe noch nicht die leiseste Ahnung, wie ich das Boot auch noch darauf bringen soll. Zu zweit heben wir es schließlich von hinten auf das Fahrzeug und dann benötige ich noch eine ordentliche Weile (was mich ziemlich nervt...), bis ich es mit den eigens vor der Fahrt noch gekauften Riemen so verzurrt habe, dass ich zufrieden bin - das Boot bietet immerhin ordentlich Angriffsfläche für den Fahrtwind und da bin ich nicht geneigt, ein Risiko einzugehen.
Endlich, es ist fast halb neun, komme ich dazu, einzusteigen. Endlich trockene Wäsche und endlich volle Lotte Heizung!
Nur ungern würde ich das Auto mit einem Kajak auf dem Dach mitten in Kiel stehen lassen, also rufe ich in Plön an, um zu checken, ob es okay wäre, wenn ich so spät am Abend noch vorbei käme, um es dort abzuliefern. Kein Problem und so sind wir gegen 22:00 wieder an der Segelschule... Der Kreis schließt sich.
22:30 Ankunft zu Hause, 23:00 Kinder im Bett und Auto ausgeladen und noch eine Pizza bestellt...
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