Deutschland
Winterliche Solo-Wanderung auf dem Harzer Hexenstieg
Freitag, 17. Februar 2012
Für das Jahr 2012 habe ich mir vorgenommen, meine Winterwanderung von vornherein alleine zu planen. Fünf Tage kalkuliere ich für die gut neunzig Kilometer, falls die Verhältnisse widrig sein sollten und möglicherweise längere Schneeschuhpassagen zu gehen sein würden (…dazu würde es ja nicht kommen…).
Kurz überlege ich dann zwar doch, ob ich mir nicht noch einen Partner suche, entscheide mich aber dagegen. Wenn ich mit mir alleine bin, da weiß ich, mit wem ich es zu tun habe und bin unabhängig in meinen Entscheidungen.
Das ist in meinen Augen speziell bei solch einer Tour relevant, bei der eventuell besondere physische und mentale Anforderungen entstehen; es ist hier kein Sommerspaziergang mit Tagesgepäck geplant, sondern eine durchaus anstrengende Unternehmung bei möglicherweise rauen Bedingungen. Und gerade in Momenten der Erschöpfung in unkomfortablen Situationen können zwischenmenschliche Reibereien leichter zu Tage treten und die Lage unnötig anstrengend machen.
Nachdem wir zwei extrem lange, kalte Winter hinter uns hatten, konnten wir heuer bereits Ende Dezember die ersten grünen Triebe im Garten entdecken, es war durchweg mild. Erst im Januar kam noch etwas Winter, es wurde ungewöhnlich kalt und blieb - zumindest in Schleswig-Holstein - schneearm. Bis vor einer Woche hatten wir noch Temperaturwerte von dauerhaft unter -10°C, im Harz waren es oft unter -20°C, so dass ich dann schon fast ein wenig in Sorge war, ob denn mein Schlafsack diesen Verhältnissen würde gewachsen sein…
Nun lauten die aktuellen Prognosen für Thale: 7°C (plus!) und Regen. So habe ich mir das dann auch wieder nicht vorgestellt… Kein Grund jedoch, nun die Reise nicht anzutreten. Allerdings entscheide ich mich im letzten Moment, die Schneeschuhe, die ich für die Tage gemietet habe, nicht mitzunehmen. Es war eine gute Entscheidung, ich hätte sie zu keinem Zeitpunkt wirklich nutzen können und der Rucksack ist ohnehin schwer genug - bei Abfahrt bringe ich (ohne Stiefel) 103kg auf die Waage - ich alleine wiege derzeit 70kg. Rucksack plus Kleidung also 33kg, das ist doch mal was!
So verlasse ich am Freitag um 15:21 Kiel, um mit der Bahn nach Thale zu gelangen. Nach ewiger Juckelei treffe ich um kurz vor 22:00 an meinem Ziel ein. Meine einzige ernsthaft gehegte Sorge stellt sich zum Glück als unbegründet heraus: weder hier noch auf den vorangegangenen ostdeutschen Provinzbahnhöfen oder in den Zügen musste ich mich vor Horden trunkener Skinheads fürchten. Ich stehe allein auf dem Bahnsteig und auch die Straßen sind verlassen.
Es ist in der Tat mild, regnet aber nicht. Dank GPS-Track und dem Bild, welches ich mir vorab mittels GoogleEarth verschaffte, finde ich leicht den Einstieg in den dunklen Wald, in den Hexenstieg. Nun gibt es keine Laternen mehr, ich verlasse mich auf meine LED-Stirnlampe, welche wirklich gute Dienste leistet. Ich hätte erwartet, dass es mir doch ein wenig mulmig wird, nachts in den dunklen Wald zu stiefeln, doch kann ich wirklich sagen, dass dies nicht der Fall ist - ganz im Gegenteil, ich empfinde Spaß bei der exotischen Aktion. Ich schlüpfe durch halboffene Absperrgitter, die den Einstieg verschließen sollen. Schilder weisen darauf hin, dass dieser Wegabschnitt erst ab April wieder geöffnet ist. Ich ignoriere das, habe im Moment ja auch nicht wirklich eine Wahl. Der Weg führt in eine Schlucht, links im Schwarz unter mir rauscht ein Fluss, oben demarkieren sich die finsteren Gipfel der Berge gegen den Nachthimmel. Ein Geländer sichert den Weg. Ich bin neugierig, wo ich wohl schlafen werde…
Je weiter ich in die Schlucht, also in das Bodetal eindringe, umso öfter muss ich vereiste Steine überwinden. Ein paar Stellen kommen, die ich wirklich schon als heikel wahrnehme, aber gut passieren kann. Rechts die steile Felswand, vor mir ein leicht abfallender Weg voller Eis, links ein undurchdringliches Schwarz, aus dessen Tiefe es rauscht und gurgelt…
Ich erreiche eine schmierige Brücke, die den Namen Teufelsbrücke trägt und dann einen Wegabschnitt, der nach oben zieht - und über mehrere Meter komplett mit einer spiegelglatten Eisschicht überzogen ist. Keine Chance, kein Weiterkommen.
Ich muss in Ermangelung von Alternativen gar nicht lange überlegen, was ich tun soll. Schlafplatz suchen, Zelt aufstellen, schlafen, früh aufstehen, Inspektion der Verhältnisse bei Tageslicht, ggf. Alternativroute für den Bodetalabschnitt wählen.
Genau so mache ich es dann auch. Bei den milden Verhältnissen bin ich fast versucht, ohne Zelt zu schlafen, was ich dann aber doch nicht wage… So stelle ich das kleine Zelt so gut es geht hinter einen Felsen - hoffe insgeheim, dass nicht von oben schneeschmelzebedingt irgendetwas den Steilhang hinabrutscht und mich mitsamt Zelt in die Schlucht schubst…
Ich liege nur mit T-Shirt und kurzer Hose im Schlafsack und es ist fast noch zu warm. Ich schlafe dennoch gut.
Die erste Nacht verbringe ich hinter einem Felsen in der Bodetal-Schlucht,
da ich auf dem völlig vereisten Weg nicht weiterkomme.
Ein paar Anmerkungen zum Gepäck und zur Ausstattung
Auf diesen paar Kilometern ist die Last des Rucksacks noch kein Problem gewesen, auch wenn das Aufsetzen an sich jedes Mal ein echter Akt ist… Ich habe für meine Verhältnisse wirklich mit Material geknausert und doch ist dieses bereits erwähnte Gewicht zustande gekommen. 2900g der Schlafsack. 2000g das Zelt. Drei Kartuschen 600g. Der Rucksack selbst 2950g. Die Isomatte 1100g. 2000g Wasser. Sind schon knapp 12 Kilogramm.
Dazu 5 Schneeheringe, ein Theramarest-Sitzkissen, die Thermoskanne (615g), eine 1l-Siggflasche (135g). An Wechselwäsche habe ich lediglich ein T-Shirt, zwei Unterhosen und ein Paar Socken mit dabei. Die Technik wiegt sicher noch einiges: Kamera, GPS, Handy; dazu Ladekabel und Batterien sowie Ersatzakkus.
Und nicht unwesentlich: Nahrung für fünf Tage. Mein Plan sah vor: Morgens Müsli und eine Kanne Tee, dann über den Tag 5 Schnitten Brot und Riegel, am Abend des ersten Tages Ravioli, an dem Folgeabenden Globetrotter Lunch und zum Nachtisch "Süßer Moment".
Rückblickend kann ich sagen: wirklich gut daran war, dass ich unabhängig war und nicht ein einziges Mal auf einen Einkauf angewiesen war. Das nimmt Stress. Allerdings hatte ich unterwegs wesentlich weniger Hunger, als gedacht, so dass ein beachtlicher Teil der Lebensmittel (gute 2kg) wieder mit heimgebracht wurden.
Warum ich so wenig gegessen habe, ist mir auch nicht ganz klar. Ein Faktor könnte sein, dass das kleine Zelt kein wirkliches Essen und Trinken - geschweige denn Kochen - bei halbwegs gemütlichen Verhältnissen im Innenraum oder der Apsis erlaubt. Und der Schlafsack, dessen Reißverschluss nur bis etwa auf Hüfthöhe geht, kann nicht als Decke benutzt werden. Das macht es unkomfortabel. Unterwegs ist es auch oft zu kühl oder zu zugig, als dass ich für längere Zeit hätte pausieren mögen.
In der Realität sah ein Tag dann so aus, dass ich morgens, während der Kocher eine gute halbe Stunde benötigte, um das Wasser für den Tee zu kochen (trotz des nicht unerheblichen Gewichts bin ich froh, dass ich die Thermoskanne dabei hatte) einen oder zwei Riegel verzehrte und nebenbei das Zelt einholte und den Rucksack packte. Als alles soweit war, war auch der Tee fertig, dann gab es eine Tasse, der Rest wurde aufbewahrt für später und das war echt toll - unterwegs noch zwei Tassen warmen Tee zu haben!
Beim Gehen gibt es dann immer mal wieder einen Riegel. Mittags am ersten Tag Ravioli, am zweiten Blätterteig-Hack, am dritten und vierten je zwei Scheiben Brot mit Cabanossi. Nachtisch: Mars oder Snickers. Abends das Müsli, aufgegossen mit einem guten halben Liter heißem Wasser - köstlich! Nachtisch: Mars oder Snickers und eine Tasse Pfefferminztee.
Das Proviant:
5 Müslipacks, selbst zusammengestellt: Müslibasismischung, Milchpulver, Nussmischung à 175 g (macht 875g)
3 Globetrotter Lunch
ca. 12 Riegel (Mars und Snickers) 720g
4x Süßer Moment
ca. 12 Allos Riegel ca. 500g
eine Portion Spinat-Hack-in-Blätterteig
Dose Ravioli 800g
Selbstgebackenes Brot 500g
Dose Fisch
Cabanossi ca. 300g
Pfefferminztee ca. 10 Btl.
5 Tee-Packs (einzeln Vakuum-verschweißter grüner Tee)
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Samstag, 18. Februar 2012
Mein Lagerplatz bei Tageslicht
Um halb sieben meldet sich der Wecker, denn ich möchte ungern von einem frühen Hundespaziergänger hier hinter meinem Stein überrascht werden...
Eine Stunde später verlasse ich meinen Lagerplatz und gehe noch einmal über die Teufelsbrücke zu dem vereisten Wegabschnitt. Dieser stellt sich für mich allerdings auch bei Tageslicht als unpassierbar heraus, so dass ich nicht lange zögere und den Rückzug aus der Schlucht antrete. Eine Alternativroute zur Umgehung des Bodetals hatte ich mir gestern Abend auf der Karte schon angesehen, das sollte ganz gut gehen.
Die vereiste Passage, welche mich zum Rückzug aus dem Bodetal zwingt
Die Schlucht ist toll und ich bedauere ein wenig, dass ich sie nun nicht hindurchgehen werde, nehme mir das aber für einen späteren Zeitpunkt vor. Vielleicht wandere ich den Hexenstieg eines Tages ja auch noch mal im Sommer oder Herbst, wenn er nicht "in schwarz-weiß" daher kommt, sondern farbenfroh und waldig-duftend… Ein paar Sonnenstrahlen begleiten meinen Weg nach Thale. Der Ort kommt mir auch heute Morgen wie ausgestorben vor, kaum ein Mensch ist zu sehen auf den Straßen, kaum sind Autos unterwegs. Ich suche mir eine Bäckerei, schlecht sortiert, kaufe ein überteuertes, mittelprächtiges Muffin, lasse meine Flasche auffüllen (ein Liter in die Sigg-Flasche) und stelle mich dann in die Sonne, um kurz ein, zwei SMS zu schreiben. Im Tal gestern Abend gab es keinen Empfang, so dass ich auch der Frau daheim keine Alles-ist-gut-Nachricht mehr zukommen lassen konnte. Das hole ich nun nach.
In Thale
Gegen neun mache ich mich auf den Weg. Ich folge einer wenig frequentierten Asphaltstraße aus dem Ort (der auf knapp 200m liegt). Bald geht es hinauf, schnell wird mir warm. Nach etwa fünf Kilometern kann ich die Straße verlassen und meine Tour auf einem schlammigen Forstweg fortsetzen. Vorher pausiere ich auf gut 400m kurz in einer Wanderhütte, esse einen Riegel, trinke einen Tee. Die Waldarbeiter, die am Weg Holz verladen, sind neben zwei lautstark in ostdeutschem Akzent palavernden Spaziergängern, welche mich später überholen, die einzigen Menschen, die ich heute im Wald treffe.
Trostlosigkeit dominiert das Landschaftsbild, die Sonne lässt sich auch nicht mehr blicken, es ist ungemütlich. Der Rucksack drückt auf die Schultern, kein kontemplatives Schreiten in der Natur, keine Leichtigkeit im Wald. Eher kommt mir immer mal wieder die Frage in den Sinn, die man im Vorfeld schon mal an mich richtete: "Warum machst du das?". Ich war dann kurz etwas überrumpelt und hatte, was mich selbst überraschte, spontan keine ganz schlüssige Antwort parat. Ruhe in der Natur, Einsamkeit im positiven Sinne, Nähe zur Natur, Zeit für ein wenig innere Einkehr. Das sind Punkte, die mir in den Sinn kamen.
Nun, da ich hier und jetzt im kühlen Wald bin, erscheint die Frage in einem etwas anderen, in einem nicht so theoretischem Licht und ich werde sie für mich in den nächsten Tagen mit den folgenden zwei Kernaussagen beantworten: Erstens finde ich Nähe zur Natur, auch wenn diese sich aktuell eher widrig zeigt und zweitens folge ich einem sportlichen Ehrgeiz, wenn ich diesen Weg zu dieser Jahreszeit bei diesen bisweilen beschwerlichen Bedingungen (Wegbeschaffenheit, kühle Temperaturen, schwere Last) gehe.
Diesen Aspekten opfere ich die Leichtigkeit, die mir auch leichtere Gedanken ermöglichen würde.
Eindrücke von den Wegverhältnissen unterhalb der Schneegrenze
Ich steige hinab nach Altenbrak und treffe nun wieder auf den "offiziellen" Hexenstieg. Hier gabelt er sich zum ersten Mal, ich wähle wie geplant die nördliche Route.
Als ich eine Wanderhütte erreiche, lege ich eine Pause ein und bereite mir die Dose mit den Ravioli zu, freue mich dann, wieder 800g weniger mit mir herum zu tragen… Lange aufhalten mag ich mich nach der warmen Mahlzeit aber nicht, schnell wird es kühl, wenn ich nicht in Bewegung bin.
Ich erreiche die Talsperre Wendefurth, folge dann einer vorbildlich ausgeschilderten Wanderweg-Umleitung, da die offizielle Route wegen Forstarbeiten zurzeit nicht begehbar ist. Ich muss daran denken, dass ich damals auf dem E1 im Schwarzwald schon erfreut und erstaunt war, dass es scheinbar wirklich Menschen gibt, die sich um so etwas kümmern. Und das zu dieser Jahreszeit!
Meine Wasservorräte sind schon dezimiert, so dass ich die inzwischen leere Thermoskanne mit Schnee voll stopfe, den ich später schmelzen werde.
Gegen 16:00 sagen mir meine Schultern, dass es reicht für heute und ich schaue mich nach einem geeigneten Lagerplatz um, was überhaupt kein Problem ist. Zum einen bietet mir die Landschaft Gelegenheiten zuhauf, zum anderen ist der Umstand günstig, dass scheinbar außer mir kein anderer Mensch in diesem großen Wald unterwegs ist…
Ich bin etwas erschöpft und hungrig und spüre meine Schultern von der Last des Rucksacks. Zunächst zögere ich, das Zelt jetzt schon aufzustellen, da ich ja beim wilden Campieren stets dem Grundsatz folge, möglichst unsichtbar zu bleiben - und die Dunkelheit wird mir erst in etwa zwei Stunden Schutz gewähren. Doch eingedenk der friedlichen Gesamtlage lasse ich mich dazu verleiten, mein kleines Nest doch schon bei Tageslicht zu errichten. Ich schmelze dann den Schnee auf dem Gaskocher, bereite mir einen Tee und setze ein Müsli mit dem heißen Wasser an. Klingt etwas unappetitlich - ich gebe es ja zu - doch schmeckt es mir ausgezeichnet, vor allem auch, weil es etwas Warmes ist.
Noch vor 18:00 bin ich fertig mit allem. Das Geschirr ist wieder sauber, die Zähne sind geputzt und dunkel wird es nun auch, so dass ich in meinen Schlafsack krieche und sofort einschlafe. Mit nur ganz wenigen kurzen Unterbrechungen (manchmal wache ich auf, weil ziemlich heftiger Wind am Zelt zerrt und Schneeregen auf die Plane prasselt) schlafe ich wunderbar bis zum nächsten Morgen um neun Uhr!
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Sonntag, 19. Februar 2012
Nach fast fünfzehn Stunden Schlaf bin ich ausgeruht und guter Dinge. Ich hatte bewusst keinen Wecker gestellt, da ich heute nicht so früh auf den Beinen sein möchte. Wenn ich erst um zehn loswandere, so habe ich acht Stunden bis zum Einsetzen der Dunkelheit; das reicht vollkommen aus, zumal längere Pausen ja nicht vorgesehen sind. Dieses Kalkül sollte sich als gut erweisen.
Vielleicht war das, was ich in der Nacht als Schneeregen wahrgenommen habe doch eher nur Graupel oder Hagel, auf jeden Fall ist von außen alles trocken, nur ein ganz wenig Niederschlag hat sich auf dem Laubboden ringsum angesammelt. Im Zelt indes ist es ziemlich nass und zwischen der Außen- und der Innenwand hat sich reichlich Kondenswasser angesammelt. Auch der Schlafsack ist feucht, als ich ihn in den Kompressionssack stopfe - ich muss das tun, denn trocken würde ich ihn ohnehin nicht bekommen…
Ich mache es wie gestern: noch während der Kocher mit dem Teewasser kämpft, futtere ich ein, zwei Riegel und packe nebenbei meine sieben Sachen. Bevor ich dann den Rucksack auf die Schultern hieve, gibt es noch eine Tasse Tee.
Um zehn gehe ich bester Dinge in den Tag: die Sonne scheint, es ist recht mild, die Vögel zwitschern, ich bin allein, das Gehen fällt noch leicht - eine Stunde der Leichtigkeit, die mir Hochgefühle verschafft! Frühlingsgefühle vermengen sich mit Erinnerungen an meine Etappen auf dem Fernwanderweg E1 vor gut zehn Jahren, die zum Teil auch im laublosen Frühjahr gegangen wurden. Ich fühle mich kräftig, denke, ich könnte wochenlang so weiter wandern, atme tief durch, genieße. Schon lange nicht mehr habe ich einen derart euphorischen Schub wahrgenommen! Allein diese Stunde an diesem Tag ist es wert gewesen, die Gesamtstrapaze auf mich zu nehmen.
Malerisch führt der Weg in das Dorf Neuwerk
Ich erreiche den kleinen Ort Neuwerk, verschachtelte kleine Häuser, rauchende Kamine, kaum Menschen in den Gassen. Es folgt ein ruppiger Anstieg und nach zwei Stunden des Gehens erreiche ich den ersten kleinen "Gipfel", eine bei etwa 500 m gelegene Anhöhe westlich des Strahlbergs. Es hat sich inzwischen zugezogen, ein kühler Wind weht, es ist nasskalt und ich freue mich, dass ich dort oben eine hölzerne Pausenhütte vorfinde. Zeit für eine Mahlzeit und einen Tee.
Obschon Sonntag ist, bin ich auch heute alleine im Wald. Erst als ich mich später dem Ort Königshütte nähere, begegne ich einigen Ausflüglern. Dort finde ich an einem Wasserfall dann auch die Gelegenheit, meine Trinkflaschen aufzufüllen.
In Königshütte lege ich eine Pause ein und befülle
meine Flaschen an diesem kleinen Wasserfall
Mich begleitet schon jetzt das aus der Ferne vernehmbare Tuten der Brockenbahn, als ich wieder in den Wald gehe. Nach Königshütte lasse ich die zweite Hexenstieg-Gabelung links liegen, nämlich jene, die auf einer südlich geführten Route den Brockengipfel umgeht. Am späten Nachmittag erreiche ich Drei Annen Hohne: kleiner Bahnhof, großer Parkplatz - "Basislager" vieler Touristen und Tagesgäste, die von hier auf den Brocken fahren oder gehen und die mir nun bei einsetzender Dämmerung im Wald entgegenkommen.
Mein Plan ist, mindestens die 700hm-Marke zu erreichen, um es morgen früh etwas entspannter zu haben. Es setzt dann Schneefall ein; den ganzen Tag über gab es immer mal wieder kurze Phasen, während derer mir die Flocken um die Ohren sausten, hörte aber stets schnell wieder auf. Nun sieht es nicht danach aus, im Gegenteil, der Niederschlag nimmt an Intensität zu und da die Temperaturen sich gerade mal um den Gefrierpunkt bewegen, ist der Schnee von matschigem Charakter. Um nicht zu durchnässen, verlasse ich den Weg und stelle zügig das Zelt auf. Erstmals benutze ich die Schneeheringe, die ich vor einiger Zeit mal angeschafft hatte. Das wäre bei dem wenigen Schnee zwar nicht zwingend nötig, doch da ich sie nun einmal dabei habe, will ich sie auch mal nutzen. Und ich muss sagen, das klappt toll!
Noch schnell ein Handyfoto gemacht, um es nachher bei facebook zu posten und dann ab unter die schützende Plane.
Tee kochen, Müsli essen, Zähneputzen, ab in die Falle.
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Montag, 20. Februar 2012
Viel Schnee fällt nicht mehr in der Nacht und als ich gegen halb neun einen Blick aus dem Zelt wage, fällt helles Sonnenlicht zwischen die Nadelbäume - ein wunderbarer Morgen!
Ein wunderbar sonniger Morgen - Genuss-Momente!
Wieder kämpfe ich meinen Kampf mit dem Kondenswasser, die Zeltinnenwand ist platschnass, mein Schlafsack hat auch wieder ordentlich Feuchtigkeit gezogen. Ich frage mich schon jetzt, wie Leute das wohl anstellen, die wochenlang in kalten Gefilden unterwegs sind. Auch wenn meine Kunstfaser ja in feuchtem Zustand noch wärmt, so dürfte dennoch irgendwann ein Punkt erreicht sein, da dieser Effekt nicht mehr eintritt oder der Schlafsack bei ausreichenden Minusgraden sogar einfriert. Es ist mir ein Rätsel. Vielleicht ist in meinem speziellen Fall der Schlafsack auch einfach zu dick; ich glaube, kälter als minus drei, vier Grad ist es in diesen Nächten nicht gewesen. In der Apsis registriere ich nächtliche Tiefstwerte von 0°C, da braucht es eigentlich keinen Schlafsack, der mit einem Komfortbereich bis -12°C daher kommt, es hätte wohl auch mein Dreijahreszeitenschlafsack ausgereicht…
Der Versuch, den Schlafsack in Sonne ein wenig zu trocknen scheitert kläglich, auch heute wandert er wieder nass in den Kompressionssack.
Das Osprey-30-kg-Biest
Ich husche aus meinem Waldversteck in den noch einsamen Wald und freue mich über das grandiose Wetter. Nach kurzer Gehstrecke erreiche ich den Trudenstein, eine kleine Felsformation, die mittels Eisenleitern und Geländern begehbar gemacht wurde, klettere hinauf, lasse den Blick ins weite Tal schweifen und setze dann meine Wanderung in Richtung Brocken fort. Inzwischen bin ich hoch genug, so dass ich durch eine herrliche Winterlandschaft mit üppigem Schnee bewege.
Der Weg ist scheinbar mit einer etwa dreißig Zentimeter breiten Walze gespurt und somit bestens begehbar. Versuche, abseits einen Tritt zu setzen, führen dazu, dass ich knietief einsinke. So bin ich froh, dass man auch zu dieser Jahreszeit an die Wanderer denkt und sich um deren Wege kümmert… Westlich des Brockens sollte ich noch andere Erfahrungen machen.
Der Brocken in Sicht!
Etwa drei, vier Kilometer vor dem Gipfel treffe ich auf eine Straße, auf der zwar kein Auto unterwegs ist, nun aber zunehmend Menschen, die zu Fuß auf dem Weg nach oben sind. Ein vereinzelter Mountainbiker ist mir tatsächlich auch begegnet, ein älterer Herr, der den Anschein machte, dass er sich dabei etwas viel zumutete…
Oft nehme ich die Blicke der Menschen wahr, die sich scheinbar über mich mit meinem Rucksack wundern oder auch hinter meinem Rücken tuscheln. Vereinzelt werde ich angesprochen: "Entschuldigung, darf ich sie mal was fragen…" und erteile dann gerne Auskunft.
Mit jedem Meter wird der Fußgängerverkehr dichter, es gesellen sich Skifahrer dazu und alle wollen sie auf den Brocken. Der Weg ist nun gesäumt von Tannenbäumchen, die als bizarre Eisskulpturen darauf warten, dass der Frühling sie von ihrem schweren Eispanzer befreit. Sieht immer wieder schön aus!
Oben angekommen drehe ich eine Runde durch den kalten Wind, erfreue mich der Fernsicht, die ja wirklich Seltenheitswert hat hier oben und verziehe mich dann in eine steinerne Schutzhütte (der Eingang ist fast zugeschneit, man muss förmlich hineinklettern), da ich nicht geneigt bin, heute viel Geld für einen Restaurantbesuch auszugeben - zumal meine Vorräte ja noch so üppig sind. Es gibt selbstgebackenes Brot mit Wurst, dazu Tee. Und während ich da auf meinem Thermarest-Kissen hocke, komme ich mit einem jüngeren Paar ins Gespräch, die hier auch ihre Pause abhalten und sich auch für meine Unternehmung interessieren. Sie bekunden, dass sie das ja ganz toll finden, es aber wohl doch eher zu einer milderen Jahreszeit machen würden… Das sagen viele.
Meine Trinkflaschen will ich im Sanitärgebäude auffüllen, eine große Anlage, die man erst betreten kann, nachdem man sage und schreibe einen Euro in den Automaten geworfen hat. Ich ärgere mich über diesen Wucher. Schön, dass ich dann an den Waschbecken ein Schild vorfinde "Kein Trinkwasser"… Allerdings ignoriere ich das, befülle die Siggflasche und die Thermoskanne (…trage auch keinen Schaden davon…) und mache mich auf bekannten Wegen auf den Abstieg nach Westen. Bis Torfhaus ist noch erwartungsgemäß viel Betrieb, doch als ich kurz danach jenseits der Hauptstraße wieder in den Wald gehe, bin ich wieder alleine.
Der Weg hat dann für einen guten Kilometer einen abenteuerlichen Charakter, es ist die so genannte
Steile Wand des Magdeburger Weges. Und die ist wirklich steil! Der Weg ist nicht gewalzt, sondern holprig, jedoch fest gefroren. Immer mal wieder versperren herabgestürzte Bäume oder Schneelawinen den Weg und machen etwas Kletterei erforderlich. Zwischenzeitig frage ich mich, ob ich hier das Richtige tue. Campieren wäre hier unmöglich gewesen, links geht es steil hoch, rechts steil runter - also muss ich weiter. Schließlich bessern sich die Verhältnisse und ich gehe wieder auf "normalen" Wegen.
Meine Karte sagt, dass es nun noch etwa dreißig Kilometer bis Osterode sind. Ich wandere noch ein Stück, frage mich, was es wohl soll, dass ich einen Anflug von Halsschmerzen wahrnehme und suche mir dann in der Dämmerung ein nettes Plätzchen in einem Nadelwald östlich von Altenau.
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Dienstag, 21. Februar 2012
Die Nacht ist nervtötend: die Halsschmerzen nehmen zu, der Kopf ist dicht, die Nase läuft, ich schwitze und fühle mich fröstelnd - an Schlaf ist über weite Teile der Nacht nicht zu denken. In Gedanken schleppe ich mich schon nach Altenau, um von dort morgen früh die Heimreise anzutreten.
Eigentlich wollte ich heute früh aufstehen, um ausreichend Zeit zu haben, bis Osterode zu gehen, stelle mir also den Wecker auf sechs Uhr. Am Morgen bin ich allerdings derart gerädert, dass ich ihn ausschalte und mich noch einmal umdrehe. Ich schlafe bis halb neun, was wirklich gut tut, mir geht es etwas besser, so dass ich mir vornehme, zunächst ein paar Kilometer zu gehen, um dann die Lage neu zu bewerten.
Es ist suboptimal, aber es geht, wie sich herausstellt. Ich passiere Altenau, werfe einen Blick auf die kleine Stadt, wo ich vor einigen Jahren mal Quartier bezog, um von dort aus Mountainbike-Touren (
Link: MTB-Park Harz) zu unternehmen. Dereinst erlebte ich einen farbenprächtigen leuchtenden Herbst, heute dominiert trostloses Grau, die Wege sind beschwerlich zu gehen, da sie weder geräumt noch gespurt sind. Es geht vorwiegend bergab, nur gelegentlich ist eine kleine Rampe zu nehmen. Phasenweise fällt ziemlich viel Schnee, der auch heute wieder recht nass ist. Kurz erwäge ich, meine Gamaschen anzulegen, was sich letztlich aber doch nicht als notwendig erweist, nur selten sinke ich mit den Stiefeln wirklich in den Schnee ein. Sehr froh bin ich aber immer wieder über meine Wanderstöcke, die mir Halt geben und mich immer wieder davor bewahren, in den Schnee zu fallen oder mir die Knöchel zu verletzen…
Nach zwei Stunden Gehzeit war in den letzten drei Tagen immer der Punkt erreicht, an dem ich den Rucksack abnehmen und pausieren musste. Heute nehme ich das Gewicht als nicht ganz so störend wahr, es scheint eine gewisse Gewöhnung zu erfolgen. Mein Weg führt mich über lange Zeit auf Dammgräben durch den Wald und als ich dann doch mal an eine Pause denke, kommt und kommt keine Hütte. Schließlich vergehen vier Stunden, in denen ich etwa sechzehn Kilometer zurücklege, bis ich am Bärenbrucher Teich einen Unterstand finde, der mich vor Wind und Schneetreiben schützt, während ich Tee, Brot und Wurst genieße und zum Nachtisch einen Schokoriegel. Meine Form hält sich, bin zwar nicht topfit, aber es geht.
Die kleine Hexe begleitet den Wanderer - die Beschilderung ist exzellent, man könnte den Weg wohl auch ohne Karte und GPS gehen... Während des Gehens allerdings kommt mir die Theorie in den Sinn, dass es vielleicht nur für jeden Wanderer eine einzige Hexe gibt, die dann, wenn man einen Baum passiert hat, flugs hinten herum an den übernächsten Baum saust...
Nach zwanzig Minuten wird es auch in der Hütte ungemütlich und ich setze meinen Weg fort, gehe in die zweite Etappe des Tages, die letzten gut zwölf Kilometer bewältige ich in etwas mehr als zweieinhalb Stunden. Der Hexenstieg ist nun über weite Strecken auf breiten, zum Teil aber sehr glatten Fahrwegen geführt und geht erwartungsgemäß vorwiegend bergab.
Verlassen des Waldes kurz vor dem Erreichen von Osterode
Um sechzehn Uhr erreiche ich Osterode, bin eigentlich noch ganz gut in Form, hätte durchaus noch weiter gehen können, allerdings sitzt mir ein dicker Schnupfen im Kopf…
Ich suche und finde den "Bahnhof", wo ich gehofft hatte, persönliche Beratung beim Kauf einer möglichst günstigen Rückfahrkarte zu bekommen, was sich aber als vergebliche Hoffnung herausstellt: es gibt ein Gleis, einen Bahnsteig und einen Kartenautomaten. Servicewüste.
Teekochen für die Heimfahrt
Das Ticket nach Kiel ist mit 72 Euronen teuer, allerdings habe ich eine gute, flotte Verbindung und vorher noch genug Zeit für einen kleinen Obsteinkauf und das Kochen einer Kanne Tee für die Fahrt.
Gegen elf erreiche ich die schleswig-holsteinische Hauptstadt und bin um eine eindrucksvolle Erfahrung reicher.
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