Zum dritten Mal unterwegs auf der rauen Insel im Nordatlantik



Island - Titelbild


Die Anreise

Karte Gesamtübersicht

Auch bei der dritten Radfahrt nach Island wählen wir die Fähre als Transportmittel zur Anreise. In drei Tagen bewältigen wir die Strecke von Kiel nach Esbjerg, von wo aus die Reederei Smyril Line mit der alten Norröna eine Verbindung nach Island unterhält. Auch in diesem Jahr ist wieder ein Zwischenaufenthalt auf den Färöer Inseln vorgesehen.


Donnerstag, 24. Juli 1997

Seit einigen Tagen bereits muss ich nicht mehr arbeiten, habe mich um die letzten Besorgungen kümmern können, wie sie stets vor einer solchen Fahrt anstehen. Traveller-Schecks wollen gekauft sein, die Tickets müssen abgeholt werden, Instant-Reis und Tütensuppen dürfen ebensowenig fehlen, wie Gaskartuschen, Ersatzhäringe und Fahrradteile. Auch auf dieser Fahrt wird mich wieder meine Schwester Birgit begleiten, sie ist bereits einige Tage vor der eigentlichen Abreise in Kiel und heute soll es dann also losgehen!
Meine Freundin kommt morgens aus dem Nachtdienst von der Intensivstation, bringt uns Brötchen mit und wir frühstücken. Dies ein wenig hektisch, da nebenbei noch Tee gekocht wird für unterwegs und natürlich auch noch allerletzte Taschen gepackt werden müssen. Die Brötchen, die wir uns zum Mitnehmen schmieren, vergessen wir später in der Küche...
Und mein Rad ist noch immer in der Werkstatt, da es mir selber nicht gelang, die Schaltung einwandfrei zu justieren. Ab zehn kann ich es abholen -so geschieht- und dann soll es losgehen. Die Massen an Gepäck, welche wir die Treppen hinunter tragen, erwecken mal wieder den Eindruck, eine ganze Horde ginge auf Reisen, doch es sind nur Birgit und ich. Alles findet schließlich auch seinen Platz an den beiden wüstengetesteten Mountis.
Es ist schwül, ziemlich warm und ein wenig dunstig, als wir recht unbeholfen die Eckernförder Straße nordwärts aus Kiel hinaustaumeln. Es soll einige Kilometer brauchen, bis wir wieder dazu im Stande sind, unsere schweren Räder sicher zu handeln. Ich kann mir kaum vorstellen, dass ich mich überhaupt mit diesem schwerfälligen Ungetüm jemals souverän bewegt haben soll... doch lange dauert es nicht, da ist es wieder soweit.
Eine erste kurze Pause machen wir auf der Levensauer Hochbrücke, wir essen einen Apfel, tragen Sonnencreme auf, schauen auf den Nord-Ostsee-Kanal. Ich bin unfit, habe die letzten Nächte zu wenig geschlafen. So bin ich reichlich erschlagen, als wir nach etwa zwei Stunden verabredetermaßen bei einer Freundin in Eckernförde eintreffen, um ihr noch mal einen Besuch abzustatten.
Nachdem wir die Räder in den sicheren Keller gehievt haben, nehmen wir in der Küche ihrer schnuckeligen Wohnung Platz, bekommen Schokoriegel und eine üppige Lasagne aufgetischt, wozu wir literweise Wasser trinken.
Außerordentlich nett ist es bei der guten Connie, so dass wir erst um vier wieder auf der Straße sind und unseren Weg in Richtung Schleswig fortsetzen. Dort pausieren wir länger, bevor wir dann das Gelände von Schloß Gottorf durchqueren und uns in hügeligem Terrain beharrlich auf Flensburg zubewegen. Die Pause bei Connie hat mir gut getan, ich bin lange Zeit recht fit seit dem, was sich allerdings in den Abendstunden wieder legt, so dass wir - Birgit auch - recht froh sind, schließlich den kleinen Campingplatz von Süderholz zu erreichen. "Wie üblich" erst einmal Zeltaufbau und lecker Essen kochen, Tütensuppe, Reis plus "Special" von Birgit, einer kleinen Dose Fleischklößchen! Und Birgit hatte noch einen kleinen Schneebesen besorgt, welchen sie aus dem kleinen roten Säckchen für Besteck zaubert, just als ich feststelle "oh, wir haben diesmal ja gar keinen..." . Klasse!
Im Schein des Northern Light trinken wir noch ein Bier, bevor wir beide in einen schlechten, unruhigen Schlaf sinken, wohl, weil man sich erst einmal wieder an das eingeschränkte Raumangebot im Zelt zu gewöhnen hat... Regen fällt auf das Dach...

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Freitag, 25. Juli 1997

Nicht ungewöhnlich ist es, dass wir am Vormittag die letzten sind, welche den kleinen Campingplatz verlassen, erstes Etappenziel ist Flensburg.
Schon nach kurzer Zeit setzt Regen ein. Lange hält der Niederschlag jedoch nicht an, bereits in Flensburg scheint wieder die Sonne, so dass wir in unserem "Stammfrühstückscafé" draußen sitzen können. Das Frühstück fällt dann ein wenig deftiger aus als geplant, Birgit verspeist Eier mit Speck, ich gönne mir einen Teller Sauerfleisch mit Bratkartoffeln... Später füllen wir im Supermarkt unsere Vorräte auf, bevor wir zügig in Richtung Kruså rollen, dem mittlerweile kontrollfreien Grenzübergang nach Dänemark.
Kaffeepause in Tinglev, Regen wechselt mit Sonne und ich beobachte mit Sorge, dass nicht nur meine Knie mir ernstliche Probleme zu bereiten beginnen, sondern auch meine rechte Ferse wieder zu zicken beginnt. Noch geht es aber und ich hoffe, dass sich das nicht zu einem echten Problem entpuppen wird, was es letztlich auch nicht tat.
Eigentlich planen wir, in Skærbæk zu campieren, was wir jedoch in Anbetracht eines sich vor unseren Augen zusammenbrauenden Gewitters verwerfen. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt, um trocken noch den nächstgelegenen Zeltplatz zu erreichen - wir gewinnen und schaffen es bis Døstrup. Kaum haben wir das Rezeptionsgebäude des angegliederten Motels betreten, da bricht der große Regen los.
Bei einem Getränk in der Lobby warten wir das Unwetter ab und lernen dabei einen älteren, bärtigen Herren kennen, Stefan, seines Zeichens ebenfalls Radler mit dem Ziel Island. Ein leiser Geselle mit ausgeprägter Neigung zu Zynismus, trockenem Humor und trockenem Weißwein. Von Art und Erscheinung her der typische, frustrierte Alt-68er-Lehrer.
Dieses Vorurteil, welches Birgit und ich gemeinsam hegen, findet sich dann im Gespräch sogar bestätigt - zumindest, was seinen Beruf betraf... Auf der Fähre und in Tórshavn sollen wir ihn noch öfters wiedertreffen, ebenso seine Lebensgefährtin Simone, welche unabhängig von ihm anreist... Doch dazu zu gegebener Zeit noch ein Wort.
Der Regen lässt nach, es war dampfig, aber lange nicht mehr so schwül, wie am Tage, Nebel hängt in der Luft, als wir das Zelt aufstellten und uns dann noch eine große Portion Pommes mit Hamburgern gönnen.

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Samstag, 26. Juli 1997

Nach nur wenigen Kilometern setzt wieder Regen ein. Wir passieren Skærbæk auf einer Landstraße, auf welcher ein endloser Konvoi deutscher Urlauber nordwärts rollt, es ist laut, stinkt nach Abgasen, man hat Schwierigkeiten, am rechten Fahrbahnrand seine Fahrspur zu halten. Birgit fährt ein ganzes Stück vor mir durch den Regen, als mit einem Mal mein Hinterrad schlagartig Luft verliert. Ich habe zum Glück das Werkzeug in meinen Packtaschen, lade sofort ab und mache mich auf dem schmalen Randstreifen im nassen Gras daran, den Fehler zu beheben, wobei ich aber feststellen muß, dass das halbe Ventil aus dem Schlauch gerissen ist! Auch nicht weiter schlimm, denke ich, dann kommt eben der Ersatzschlauch zum Einsatz. Nicht kalkuliert ist, dass man Birgit in Kiel im Radladen leider einen 28er angedreht hatte... Dumm gelaufen. Von Birgit ist indes immer noch nichts zu sehen, erst zwanzig Minuten später kommt sie wieder an, war sich nicht sicher gewesen, ob ich nun vor oder hinter ihr radelte...
Ich nehme dann ihr Bike, düse zurück nach Skærbæk, um einen passenden Schlauch und eine Luftpumpe zu besorgen, um mich dann erfolgreich an die Reparatur zu machen... Mit deutlicher Verzögerung können wir schließlich unseren Weg fortsetzen.
In Ribe pausieren wir ausgiebig bei Sonnenschein, essen Fischkonserven und Softeis und haben fortan einen kräftigen Wind zu unserem Feind, welcher konsequent von vorne bläst. Ein kleiner Bruder der isländischen Winde, mit denen wir es noch zu tun kriegen sollen...
In Støre Darum ist deshalb noch mal eine längere Pause nötig. Wir okkupieren eine Bushaltestelle in dem kleinen Dorf, Birgit macht ein Nickerchen, nachdem wir Tee und Kaffee tranken. Im Windschatten kann es richtig heiß werden!

Esbjerg

Wie schon in den Jahren zuvor beginnen wir die Fahrt in Kiel und radeln
bis ins dänische Esbjerg. Hier entsteht das fast schon
traditionelle Ankunftsfoto mit "Klelch", dem kleinen Elch.
(...der sitzt auf dem Schild...)


Am späten Nachmittag rollen wir in das häßliche Esbjerg ein, kaufen im kleinen Supermarkt Vorräte für die Schiffsreise und erreichen dann um etwa 18 Uhr den Hafen.
Viele Radler sind noch nicht in Sicht, wir essen Brot und Joghurt und Äpfel, trinken Bier und freuen uns der Sonne, die scheint. Die Zeit vergeht sehr schnell, bald können wir einchecken und dann erste vage Kontakte zu den anderen Radlern knüpfen; man lässt uns nämlich ewig lange warten vor dem geöffneten Maul der Norröna, während alle Autos und Wohnmobile Vorrang genießen. An dieser Stelle erwähnenswert ist ein Konvoi von annähernd 30 italienischen Wohnmobilen, die Spedizione. Ein Gruselphänomen der besonderen Art, welches uns noch begegnen sollte. Horden laut plappernder Italiener, Menschen, welche sicher liebenswert sind, doch in größerer Zahl auftretend in gewisser Weise, na, formuliere ich es mal vorsichtig, sehr anstrengend sein können. Dies im besonderen, wenn man dem Pulk an Orten begegnet, an denen man Stille und Natur erwartet...

Norröna in Esbjerg

Am Hafen liegt die alte Norröna bereit, welche uns über den Atlantik bringen wird.




Norröna in Esbjerg

Ein ganzer Pulk Radler wartet darauf, an Bord gelassen zu werden.


Nun, da stehen also all die Radler, erwartungsgemäß ziemlich viele, man begutachtet die Räder, die Lowrider, tauscht Routenpläne aus und wir haben uns anzuhören, dass wir ja am Gepäck offensichtlich nicht gespart hätten... Es formieren sich erste Grüppchen in diesem heiteren Kreis. Schließlich lässt man auch uns Radler auf das Boot. Wir hatten diesmal schlauerweise das Gepäck sortiert und nehmen nur das nötigste mit an Deck, legen es direkt in den Kabinen ab, welche wir auf Anhieb finden und verfolgen dann das Ablegen des Dampfers an der frischen Luft.

Das Abenteuer beinnt, Form anzunehmen! Ein frischer Wind weht uns um die Nase, langsam verschwinden die Lichter von Esbjerg und der vorgelagerten Insel Fanø hinter uns - und wir steueren hinaus auf den finsteren, weiten Atlantik, dem Eisland entgegen!

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Sonntag, 27. Juli 1997

Ein windiger, sonniger Tag auf See, an dem eigentlich nichts geschieht. Die Fähre stampft über den Ozean, wir sitzen in der Sonne, lesen, trinken Bier, sehen zahllose Bohrinseln in der Ferne, norwegische und britische, nehmen teil an der Aktivität "Besichtigung der Brücke" und lassen uns dabei die Navigations- und die vielfältigen Sicherheitssysteme unseres "unsinkbaren" Dampfers erläutern, passieren am Abend schließlich die Shetland-Inseln und verbringen die Zeit vorm Schlafengehen in der Gesellschaft der anderen Radfahrer bei diversen Six-Packs färingischen Bieres auf dem Sonnendeck.

An Bord der Norröna

Tasskaff am ersten Morgen an Deck.




Norönna, Smyril Line

Das Logo der Reederei Smyril Line ziert den Schornstein der Norönna.


Gelegenheit, an dieser Stelle mal einige unserer Mitreisenden vorzustellen. Stefan fand bereits Erwähnung. Mittlerweile haben wir auch seine Freundin Simone kennengelernt, ebenfalls eine Alt-68erin in fortgeschrittenem Alter, welche noch vor kurzem auf Kuba in einer Brigade Lianen hackte und im Zivilleben als Sonderpädagogin ihre Brötchen verdient. Eine aufgeschlossene, sehr nette Dame voller Ideen und von positivem Denken. Unschwer zu bemerken ist, dass die beiden ihren Urlaub in die Phase des Endes ihrer Beziehung legen, zuviel Differenz wird in ihrem Miteinander deutlich, zu viele bitterböse Kommentare fallen von seiner Seite, zu destruktiv erscheint seine Art und Weise, an diese Fahrt heranzugehen ("eigentlich reise ich ja gar nicht gerne"). Viel später erfahren wir von anderen Radlern, dass sie sich schon kurz nach Egilstaðir auf unterschiedliche Routen begaben, er in den Süden, sie in den Norden und dass er diese Reise als, ich zitiere "eine der landschaftlich schönsten Trennungen seines Lebens" betrachtete... Das spricht für sich.
Dann gibt es da noch Steffen, ein Endzwanziger-Lebemann aus dem Süden der Republik, welcher keine Party auszulassen scheint, stets als letzter die Lokale zu verlassen pflegt. Er hatte gerade eine Ausbildung als Augenoptiker abgeschlossen, ist nun mit seinem Mountainbike auf dem Weg nach Island, um zunächst in der Mývatn-Gegend Freunde zum Lachs-Angeln zu treffen und dann später in Reykjavík in einem Optikergeschäft ein Praktikum zu absolvieren. Viel später hören wir von ihm, dass er dort auch schon bestens integriert dieser Tätigkeit nachgeht und in den Nächten auf allen Festen zu sehen ist...
Helmut ist Meeresbiologe aus Hamburg, gebeutelt von bösen Knieproblemen, welche bereits auf den Färöern manifest werden. Ihm steht eine mehrwöchige Forschungsfahrt zur Erkundung des Kohlendioxidaustausches an der Meeresoberfläche bevor und vorab gedenkt er, zwei Wochen in Island herumzuradeln, was aber letztlich, auch das erfahren wir später, an besagtem Knieproblem scheitert.
Sehr nett sind auch Lutz, Informatiker in eigenem Geschäft, spezialisiert auf Software für Juweliere und seine Freundin Friederike, junge Architektin. Haben ein herrliches, neues, leuchtend orangefarbenes und vor allem großes Zelt, welches so neu ist, dass man noch die Nähte abzudichten hat. Dies wird den beiden aber auch erst in Tórshavn bei einem kräftigen, nächtlichen Regen gewahr...
Thomas, bärtiger Mittdreißiger Physiklehrer und Nordlandliebender ist alleine unterwegs, der einzige Nichtradler im Radlerpulk. Habe nie zuvor jemanden erlebt, der derart laut zu schnarchen im Stande ist... Dessen Reise wird auch keinen ganz so glücklichen Verlauf nehmen. Nicht nur, dass man auf seinem Grönland-Ausflug bei Ankunft in Kulusuk nicht weiß, dass er einen Campingflug gebucht hat und somit auch niemand sich um einen Zeltplatz für ihn kümmerte (vor lauter Steinen konnte man wohl dort nirgends campieren), man auf dem Rückflug sein Gepäck nicht mitschickte, nein, später auf einer Wanderung in der Þorsmörk springt ihm seine Kniescheibe heraus, als er unglücklich stolpert, was einige Tage strenges Liegen und einige Wochen Humpeln zur Folge haben wird...
Der nach unserem Dafürhalten netteste unter den Radlern ist Winfried, der Veteran unter uns, der bereits zum fünften Mal das gelobte Land im Norden mit dem Rad zu bereisen gedenkt. Wohl auch so Mitte dreißig, Versicherungskaufmann (im Innendienst und somit alles andere als der klassische Nat Ryerson [in Anspielung an eine Figur aus der Komödie "Und täglich grüßt das Murmeltier"]...), mit hervorragenden Kenntnissen um die Technik des Fahrrades im Allgemeinen (was auch uns noch zu gute kommen sollte). Man muss ihn für einen Kämpfer halten, für ein Tier, wie es im Buche steht, auch wenn er dies stets abstreitet. Der äußeren Erscheinung nach eher ein Klaus Kinski-Typ mit herben Zügen, welche zunächst nicht auf sein warmherziges Gemüt schließen lassen. Ein Mann, der weiß, worauf er sich mit Island einlässt, der weiß, wie man Island zu nehmen und zu lieben hat...

Auf der Brücke der Norröna

Auf der Brücke der Norröna. Vor uns liegt der weite Atlantik


In diesem Kreis verbringen wir einen sehr langen Abend und genießen es -unter anderem der Kontakte wegen- einmal mehr, die Fähre als das Transportmittel zur Anreise gewählt zu haben. Den sanften Weg, sich unserem Ziel zu nähern...

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Montag, 28. Juli 1997

Um acht stehen wir auf, frühstücken an Deck, ärgern uns kurz darüber, dass die Milch sauer ist und verfolgen das Einlaufen der Fähre in den Hafen. Wolken umhüllen die urzeitliche Landschaft, ein bisschen ist es ja schon Routine für uns. Flott geht es aus dem Bauch Fähre hinaus und ohne noch abzusteigen rollen wir zum Campingplatz, stellen unser Zelt auf - zu dicht an jenes von Thomas, aber zu diesem Zeitpunkt wissen wir ja noch nicht um sein Schnarchen...
Auf der sich anschließenden Fahrt zurück nach Tórshavn wird Birgit von einem abbiegendem Pkw geschnitten. Ihre Vollbremsung läßt sie vorne über den Lenker stürzen. Sie bleibt zum Glück unverletzt, allerdings bricht ein Hörnchen ab und der UV-Filter ihrer Kamera, die sich in der Lenkertasche befindet zersplittert. Die Autofahrerin hielt es nicht einmal für nötig, anzuhalten... Ziemlich ärgerliche Sache, doch Hauptsache, Birgits Knochen sind intakt geblieben...
Der Einkauf im Supermarkt gerät zum Erlebnis der besonderen Art, da ab heute mittag die färingischen Nationalfeiertage beginnen. So ist der kleine Laden dermaßen voll mit Menschen, dass er eigentlich nur noch aus Schlange besteht und man quasi, während man für die Kasse ansteht, an den Regalen vorbeikommt und sich so seinen Wagen füllen kann. Wir sind aber ganz entspannt, amüsieren uns eher darüber, als dass wir uns aufregen, wie viele andere...
Wieder am Zeltplatz schließt sich ein zweites Frühstück mit den Nachbarn an, welches sich bis in den Mittag hinzieht, begleitet von strahlendem, beinahe wolkenlosen Himmel. Da sitzen wir wieder an den Holzbänken, auf dem Tisch Aluminiumtassen, Plastikdosen, Salz in Filmpatronen, dicke Taschenmesser, Milchpulver, Müsli...
Nach und nach dann leert sich der Platz, man bricht auf in den Ort, um sich die Events des Stadtfestes anzusehen. Irgendwann machen auch wir uns mit Winfried, Thomas und Steffen auf den Weg nach Tórshavn. Das Treiben am Hafen und in den Gassen erinnert mich an die Kieler Woche, allerdings fallen hier die vielen Menschen auf, die in ihrer Nationaltracht daherkommen. Und schon in dieser Stunde des frühen Nachmittages trifft man auf bemerkenswert viele bemerkenswert betrunkenene junge Leute, die bisweilen besinnungslos am Straßenrand liegen...
Wir sehen uns zunächst das Bootsrennen an: in traditionellen Holzbooten wird vom gegenüberliegenden Ufer aus zum Hafenbecken herüber gepaddelt, jeweils mehrere Mannschaften gleichzeitig um die Wette. Menschenmassen säumen die Kais, lautstark wird angefeuert, als die Boote näher kommen und schließlich ihr Ziel erreichen. Die Gerüche von Bratwurst und Popcorn werden vom Wind herbeigetrieben, mischen sich mit dem herben Duft des Meeres - echte Volksfeststimmung...
Wir lassen den Hafen für eine Weile hinter uns, streifen durch die Gassen, entdecken in einem Hinterhof eine kleine Konzertbühne, auf der ein pubertierender Nachwuchsrocker eine ganz köstliche Rock´n´roll-Show bietet, so cool, wie Kurt Cobain, Mick Jagger und Jon Bon Jovi zusammen fegt er daher. Das ganze gipfelt schließlich darin, dass er sich unter dem Gejohle der Mädchen (und der Norröna-Touristen...) mit satanischem Antlitz ein Tetrapack zerreißt und sich einen Liter Milch über die langen Haare kippt, der dann über seinem nackten Oberkörper zerfließt...

Eine ganze Weile sitzen wir später auf einer feuchten Wiese am Rande der Hauptstraße, verfolgen das Treiben, richten unsere Teleobjektive in die Menge, erhaschen dabei die eine oder andere Familie in ihrer schmucken Tracht. Dabei plaudern wir nett oder genießen einfach nur die wärmende Sonne...

Gegen Abend ziehen Wolken auf, die ganze Mannschaft trifft sich wieder auf dem Campingplatz, jeder kocht sich sein Süppchen und eine lange Weile stehen wir in großem Kreis auf der Wiese, scherzen, reden, blödeln.

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Dienstag, 29. Juli 1997

Grau und zum Teil verregnet kommt dieser Tag daher. Heute, so hatte ich gehört, soll im Rahmen der Feiertage ein Pferderennen stattfinden, was mich sehr interessiert.
Birgit hingegen spricht das weniger an, sie setzt nach dem ausgiebigen Frühstück lieber auf ihr Rad und rollt nach Kirkjubøur, einem kleinen Ort auf der Westseite der Insel Streymoy, auf der wir uns befinden. Bei unserem letzten Besuch hier hatten wir diese Tour schon mal gemacht, so dass ich nicht darum bangen muß, etwas zu verpassen...
Wie sie später erzählt, geriet es aufgrund des Windes zu einem außerordentlich anstrengenden Unterfangen...
Ich finde heraus, wo das Pferderennen stattfinden soll, nämlich am Hotel Føroyar, jenem großen Komplex, welcher mit grasbewachsenem Dach hoch über der Stadt thront. Ein paar Kilometer außerhalb, am Hange eines Berges. So habe auch ich meine heutige Dosis Sport...
Am Ort des Geschehens angekommen, treffe ich Steffen und Winfried, die, von einer Ausflugsfahrt zurück kommend, nun auch das Rennen betrachten und photografieren wollen. Habe ich also nette Company! Das Rennen ist allerdings bedeutend weniger spektakulär, als ich erwartet und erhofft hatte; eine vielleicht drei- oder vierhundert Meter lange Gerade, ein Feldweg am Berghang wurde abgesteckt und stets paarweise sprinten die Ponys mit ihren bisweilen sehr jungen Reiterinnen und Reitern diesen entlang. Feucht erscheint die Umgebung, Nebelschwaden werden vom Wind über den Berg getrieben, ab und zu geben tief hängende Wolken den Blick frei auf die Stadt und den Hafen, weit unter uns.
Ein paar Läufe schauen wir uns an, bevor wir uns mit bald sechzig Sachen die Asphaltpiste hinabstürzen, zurück ins "Basislager"...

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Mittwoch, 30. Juli 1997

Da ich am Vorabend früh schlafen ging, stehe ich zeitig auf, noch vor sieben. Ich mache mich per Rad auf den Weg nach Tórshavn, der beschaulichen Hauptstadt der Inselgruppe, um Brötchen zu holen. Ich drehe eine kurze Runde durch den Ort, vorbei an den Scharen volltrunkener Menschen, die noch von den Feierlichkeiten übriggeblieben sind, finde schnell eine Bäckerei (man kennt sich ja aus...) und düse zurück zum Zeltplatz.
Nach und nach pellen sich auch die anderen Radler aus ihrem Quallofill und es schließt sich bei wolkigem aber trockenem Wetter ein geselliges Frühstück an. Wir versuchen noch, einen Helikopter-Rundflug zu ergattern. Das klappt leider nicht, da in diesen Tagen zu viele Färinger die Rundflug-Hubschrauber als Verkehrsmittel nutzen und diese somit völlig ausgebucht sind. Schade!!!
Also brechen wir unser Zelt ab und rollen zum Liegeplatz der Fähre am Hafen. Unterwegs dringt ein scheußliches Geräusch in mein Ohr, ein Knirschen und Knacken bei jedem Treten. Am Hafen angekommen, nehme ich das sofort unter die Lupe und gemeinsam mit Winfried erhebe ich den Befund eines defekten vorderen Achslagers. Na klasse.
Doch immerhin kann ich mir eines großen Maßes an Solidarität durch die anderen Radler gewiß sein, das gibt mir trotz allem ein gutes Gefühl.

Wie schon auf dem ersten Teil der Seereise teile ich meine Kabine mit Steffen, doch werde ich viel zu wenig Zeit dort verbringen...
Das Auslaufen aus dem Hafen, die Fahrt durch die einzigartige Inselwelt mit all den grünen Inseln - immer wieder aufs Neue eine faszinierende Angelegenheit. Oft bricht Sonnenlicht durch die Wolken, zaubert ein märchenhaftes Glitzern auf die See...
Beim Verlassen des Fjordes Djúpini zwischen den Inseln Kalsoy und Eysturoy empfängt uns nach etwa zweistündiger, beschaulicher Fahrt der Atlantik. Rau und ungestüm gibt er sich, Gischt wird aufgewirbelt, wir schmecken das Salz, während in der Ferne, im gleißenden Dunst die Felsen Kellingin und Risin erscheinen.

Färöer Inseln, Kellingin und Risin

Färöer Inseln, die "versteinerten Trolle Kellingin und Risin"


Und wieder macht deren sagenhafte Geschichte die Runde, man erzählt sich, bei ihnen handele es sich um steingewordene Trolle: Diese träumten sich einst ebenfalls -wie wir heute- in die Ferne, wollten aber ihre Heimat trotzdem nicht verlassen. So schleppten sie also einige ihrer Heimatinseln hinaus aufs weite Meer, kämpften sich mit ihrer schweren Last durch die stürmischen Wogen des Atlantiks, um Island, das Ziel ihrer Träume zu erreichen. Doch auf halbem Wege kamen sie in Nebel. Wer die dortige Gegend kennt, weiß, dass der dortige Nebel so dick sein kann, dass man die eigene Hand nicht mehr vor Augen sehen kann. Und genau so war es. Kellingin und Risin verirrten sich hoffnungslos. Stundenlang zogen sie ihre Inseln im Kreis herum und bemerkten in ihrer Verzweiflung den herannahenden Morgen nicht. Von Osten begann die fahle Dämmerung...
Gerade, als sie sicher waren, die richtige Richtung wieder eingeschlagen zu haben, riß die Nebeldecke auf, ein frischer Nordwind fuhr ihnen ins Gesicht. Erschrocken schauten sie zum Himmel auf und wurden vom klaren Sonnenlicht jäh versteinert...
Das war das Ende ihrer Träume. Nie sollten sie Island zu Gesicht bekommen und auch den alten Island-Troll, einen ihrer Vorfahren nie kennenlernen.
So blieben von Kellingin und Risin nur zwei steile Felsen, seit Ewigkeiten den Wellen des Meeres trotzend, den Blick noch immer voll Fernweh nach Norden gerichtet und im Rücken ihre Insel - die Färöer, aber die sind meist sowieso von tiefem, dicken Nebel verhangen...

Färöer Inseln

Färöer Inseln.


Uns hingegen ist es auch in diesem Jahr gegönnt, unser Ziel zu erreichen. Beharrlich stampft die Norröna durch den Ozean, macht unbeirrbar ihren Weg, keinen Passagier haben wir am Morgen versteinert vorgefunden.


Auf dem Atlantik

Es geht westwärts dem Sonnenuntergang entgegen.


In heiterer Runde klingt der Nachmittag auf dem Sonnendeck aus, so manche Flasche Wein wird geleert und sehr spät, als es endgültig zu kalt wird, findet der Abend im Viking Club, jener legendären Bar des Dampfers, sein Ende bei schauriger Musik...

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Donnerstag, 31. Juli 1997

Karte Tagesetappe

Dichter Nebel im ostisländischen Fjord, als die Norröna sich Seyðisfjördur nähert. Auf dem feuchten Deck finden sich nach und nach übermüdete Gestalten ein, warm verpackt, kamerabewaffnet und mit einem Becher Kaffee in der Hand. Hier und da ist dann doch der Blick auf einen schmalen Streifen des gelobten Landes möglich, es tut gut, wieder hier zu sein.
Der Nebel gibt mir das Gefühl, es sei noch früher am Morgen, als es tatsächlich der Fall ist, der Ort erscheint bei unserer Ankunft trostlos.
Die Radler sind die ersten, die von Bord dürfen (das ist ja mal was!!!), ich bin wiederum einer der ersten Radler, die hinausrollen und somit treffe ich auch als erster auf das Fernseh-Team, welches mich direkt zu einem Interview abfischt. Zu meiner allgemeinen Nervosität gesellt sich ein Kater, so dass erst die zweite Aufzeichnung gelingt... Hinter mir, sich amüsierend, meine "Kollegen"...
An der erstbesten "Kaffitanke" im Ort treffen wir uns alle, Winfried spendiert eine Runde Kaffee, er hatte von seiner 96er Tour noch Kronen in der Tasche. Und dann beugen sich lauter fachkundige Radler über mein ausgebautes Vorderrad, auf dass sich der Fehler vielleicht doch beheben lassen könnte und mir die Option eines Totalschadens am Berg erspart bleibt. Leider bleibt dies erfolglos, da keiner über das passende Werkzeug zur Lagereinstellung verfügt und auch die Leute von der Tankstelle nicht mit so etwas dienen können. Es bleibt nur die Möglichkeit, ordentlich Öl in den Lagerspalt zu kippen, um die Belastung der Kugeln so gering wie möglich zu halten. Der Plan sollte aufgehen, ich würde am Nachmittag unversehrt Egil erreichen...
Nachdem diese Aktion beendet ist, zerstreut sich das Feld schnell am Berg und wir treffen später nur noch wenige aus der Crew wieder, da die meisten Egilstaðir direkt hinter sich lassen. Wir gehen es natürlich wie üblich am langsamsten an, kriechen die sechshundert Höhenmeter hinauf, machen viele Pausen. Ich muß meinen Rhythmus erst noch finden, bin ziemlich erledigt am heutigen Tage. Zudem ist es ganz schön warm, fast schwül.

Island

Island ist erreicht, im Nebel beginnen wir die Fahrt.




Island

Auf dem Weg von Seydisfjördur nach Egilstadir.


Die Strecke ist mittlerweile durchgehend asphaltiert, das ist neu für uns. Die Abfahrt mit Blick auf den Zielort gerät rasant - eigentlich zu rasant, dafür dass mein Lager defekt ist...
Es geht aber gut und so treffen wir am frühen Nachmittag am Campingplatz ein, wo wir uns nach dem Aufbau des Zeltes umgehend dem Problem meines Vorderrades widmen. Uns ist bekannt, dass am Ort ein Fahrradgeschäft ansässig ist, ohne Probleme machen wir dieses ausfindig und nach einer knappen Stunde ist mein Rad wieder fit für die Abenteuer der Wüstenfahrten. Etwa 25 Mark kostet die Reparatur und wir laden auch gleich noch neue Hörnchen für Birgit ein, die ja bei dem Sturz auf den Färöern dran glauben mußten. Gut, dass mir der Lagerschaden zu diesem Zeitpunkt und an diesem Ort passiert ist... (eine Aussage, die so ähnlich in anderen Fällen noch öfter Gültigkeit bekommen sollte...).

Sporadisch fällt Nieselregen, wir sitzen im Aufenthaltsraum des Campingplatzes, schreiben Postkarten und Briefe, bevor wir am Abend ein Gericht mit frischem Fisch zubereiten. Wir nutzen es aus, dass wir hier noch die Möglichkeit haben, frische Zutaten zu erstehen. Auf Wochen hinaus soll das nicht mehr immer möglich sein.

An dieser Stelle einige Worte zur Routenplanung. Vor einigen Wochen im Kieler Schrevenpark, umringt von Enten und Gänsen auf einer Wolldecke sitzend, Tee nippend und Kuchen futternd - in diesem Rahmen nahm unser sogenannter Plan A konkrete Form an. Er war zeitlich und logistisch schon recht detailreich, unterschied sich somit von allerersten Visionen, die einer solchen Fahrt stets voraus gehen.
Plan A sah vor, dass wir schon in Ostisland bei Brú in das Hochland vorstoßen sollten, von dort via Kverkfjöll zur Askja fahren würden. Dann sollte sich der problematischste Teil anschließen, nämlich die Etappe auf der extrem sandigen und trinkwasserarmen F910, über welche wir ungefähr hundert Kilometer weiter westlich auf die legendäre Sprengisandur-Route stoßen würden. Hier sollten wir auf Südkurs gehen, Landmannalaugar besuchen und letztendlich die Südküste erreichen, von wo aus es nach Reykjavík ginge, wo die Fahrt ihr Ende finden würde.
Verschiedene Umstände führen letztendlich zu diversen Abweichungen. Das Wetter setzt uns arg zu, vor allem der Wind macht uns das Leben schwer, wie selten zuvor. Auch von Seiten unseres Materials kommt es zu nicht unerheblichen Problemen... Doch dazu später im Text mehr.

Island, Lagarfljót

Abendstimmung am Lagarfljót bei Egilstadir.


Birgit ist müde, zieht sich früh ins Zelt zurück, während ich den Abend mit einem kleinen Spaziergang auf einen nahen Hügel ausklingen lasse. Recht lange sitze ich dann dort oben, blicke auf den schmalen See Lagarfljót, verfolge den Einbruch der Dunkelheit, schaue zu, wie die Lichter des Ortes zu leuchten beginnen, wie auf der Ringstraße am Fuße "meines" Hügels sporadisch ein Geländewagen vorbeirollt. Ein frischer Wind weht von den Bergen. Bevor es ganz dunkel wird, verlasse ich meine geschützte Steinmulde, suche mir meinen Weg hinab durch das Gras, zurück zum Zelt.

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Freitag, 01. August 1997

Karte Tagesetappe

Das Wetter will nicht so richtig nett sein zu uns, wir müssen unser Frühstück zum Teil in das Zelt verlagern, da es immer wieder regnet und das nicht zu wenig.

Island, Campingplatz von Egilstadir

Auf dem Campingplatz von Egilstadir sortieren wir unsere Proviant-Einkäufe.


Eine Einkaufsliste haben wir schon erstellt, schließlich würde uns unser Plan A für gute drei Wochen an nicht einer einzigen Einkaufsmöglichkeit vorbeiführen. Und da es sich verbietet, auf den ohnehin schon gut beladenen Rädern für einen solchen Zeitraum Proviant zu transportieren, haben wir vor, zu den Hütten in Askja und Landmannalaugar jeweils ein Paket mit Vorräten zu schicken. Der Einkauf kostet uns über 500,-DM, genau 20.492 Isländische Kronen und ich versuche an dieser Stelle, den Einkaufszettel bestmöglich zu übersetzen:

12 Instantgerichte 3 Gläser Marmelade
Kartoffelpüree 3 Becher Rjömskyr
3 Pk. Reis 2 Becher Dickmilch
2 Pk. Nudeln 3 Pk. Müsli
7 Pk. Knäckebrot 2 Gläser Instant-Kaffee
3 Pk. Schwarzbrot Instant-Kakaopulver
6 Flatkökur 15 Äpfel
4 Pk. Butter 10 Pk. Kekse
5 Pk. Gouda 45 Schokoriegel
3 Pk. Lachssalat Erdnüsse
5 Pk. Salami bzw. Pepperoni 3 Pk. Rosinen
3 Pk. Camembert 2 Pk. Tempo-Taschentücher


All das wird schließlich in drei großen, schweren Paketen verstaut und zur Post gebracht. Und dort scheinen die Probleme zu beginnen, sorgenvoll müssen wir befürchten, dass wir unsere Vorräte gar nicht auf die Reise schicken können - denn auch nach diversen Telefonaten gelingt es der bemühten Beamtin nicht, eine Postanschrift der Wanderhütten im Hochland zu ermitteln. Sollten wir nun etwa auf zig Kilo Waren sitzen und nicht wissen, wohin damit? Die Gute gibt uns den Tipp, wir könnten ja mal bei den Busgesellschaften anfragen, welche ins Hochland fahren. So tüten wir die Pakete wieder in Müllsäcke ein, schließlich gießt es noch immer, und machen uns auf den Weg zur Touristen-Information, welche wiederum in der Rezeption des Campingplatzes untergebracht ist. Und -oh Wunder- mit einem Mal ist alles ganz einfach, ja, natürlich lassen sich die Pakete beim Busfahrer aufgeben und zwar genau hier an der Rezeption! Der Preis wird pi mal Daumen ermittelt und fällt unglaublich günstig aus, wir sind glücklich, denn was hätten wir bloß mit all den Lebensmitteln anfangen sollen...!
Auch das Wetter vollzieht einen Wandel, die Sonne beginnt zu scheinen, es wird erstaunlich warm. Und bevor wir aufbrechen in die heutige Etappe, gibt es noch einmal eine große Portion Pommes, Hotdogs und Pripps in der Cafeteria der Tankstelle. Und nun soll das Abenteuer also richtig beginnen. Alles ist bestens geplant und vorbereitet, wir sind erstklassig ausgestattet mit Proviant, Werkzeug, einer Reiseapotheke, die selbst kleine operative Eingriffe im Hochland möglich machen könnte, Gas, Wasser, Schnaps...

Island, bei Egilstadir

Wir verlassen Egilstadir in nördlicher Richtung...
...und genießen das wunderbare Licht!


Vor ziemlich genau drei Jahren haben wir schon einmal nordwärts Egilstaðir verlassen, dereinst war es unsere erste Begegnung mit Island. Vor diesem Hintergrund ist es spannend, diese Kilometer noch mal zu fahren. Sehr nah erscheinen mir auch heute die Eindrücke und Gefühle von damals, ich erinnere genau das unglaublich intensive Erleben speziell dieser ersten Abschnitte der Ringstraße. Alles war neu, so viel gab es zu entdecken! Heute hat das Erleben natürlich eine etwas anders gelagerte Qualität, schließlich ist es mein vierter Besuch im Land und vielem begegne ich daher etwas abgeklärter. Was nicht heißt, dass das Land keine Überraschungen mehr bereithält, ganz bestimmt nicht...
Eine kleine Überraschung ist zum Beispiel, dass kurz nach Verlassen Egilstaðirs eine kilometerlange Baustelle die Straße zerfurcht und sie übler erscheinen läßt, als so manche Hochlandroute. Island nimmt uns von Anfang an hart ran in diesem Sommer!

Island, Reiserad

An Gepäck mangelt es nie! Für den Fall, dass wir noch mal wandern möchten, habe ich sogar einen großen Rucksack dabei.


Am Abend um neun erreichen wir unser Ziel Skjöldolfstaðir, jenes ländliche Internat, welches sommertags zur Herberge umfunktioniert ist - auch ein bekannter Ort für uns. Wir freuen uns, dass wir neben Stefan und Simone vor allem auch Winfried hier treffen. Für ein Bad im Pool ist es leider schon zu spät, so dass wir uns nach dem Zeltaufbau im Regen lediglich eine heiße Dusche gönnen, um dann aber erfrischt und hungrig im Aufenthaltsraum das Essen zuzubereiten. Winfried und Simone sind ebenfalls zugegen und so wird es ein geselliger Abend. Dies ist das letzte Mal, dass wir Winfried treffen, obschon er auch die Eishöhlen des Kverkfjöll zum Ziel hat. Gern hätten wir irgendwann von seinen Erfahrungen gehört...

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Samstag, 02. August 1997

Karte Tagesetappe

Wind, Wolken, Sonne - so begrüßt uns der Tag. Auf der Wiese vor unseren Zelten nehmen wir mit den anderen gemeinsam unser Frühstück ein, plaudern dabei über unsere Routenideen und Pläne. Birgit und ich sind von Anfang an schlau genug, nur sehr, sehr vorsichtig von unserem Plan A zu berichten. Vor allem dreht sich die Unterhaltung um unser Ansinnen, die F910 komplett zu fahren. Von vergangenen Touren wissen wir, dass sich derartige Pläne nur zu oft ändern und in diesem Fall ist durch Terrain und Wetterlage im besonderen mit möglichen Abweichungen zu rechnen. Ein wenig wird unser Vorhaben belächelt bzw. wir für ein bisschen verrückt erklärt... Aber wie ernst muß ich es nehmen, von einem Winfried für verrückt erklärt zu werden, der selber schon viele Kilometer im Hochland zurückgelegt hat?
Der Text im Radreiseführer verbreitet indes auch nicht gerade Zuversicht, während des Frühstücks zitieren wir die Passagen, die ich an dieser Stelle auch einmal einfügen werde:
"Auf der Landkarte erscheint eine Weiterfahrt nach Westen über die F98 auf den ersten Blick als attraktive Alternative. Verständlich, stellt doch der Ausflug zur Askja ansonsten eine Sackgasse dar. Wohlgemerkt auf den ersten Blick.
Meist nimmt die Natur Ihnen die Entscheidung ohnehin ab, da die Gæsavatnaleið den größten Teil des Jahres gesperrt ist. 1993 z.B. wurde die Piste überhaupt nicht für den Verkehr freigegeben, 1994 erst Anfang August.
Der Track ist aber, auch wenn er freigegeben wird, für den Fahrradfahrer eher eine Tortur. Wem macht es schon Spaß, stundenlang seinen Drahtesel zu schieben. Sollten Sie dennoch vorhaben, die Piste in Angriff zu nehmen, fahren Sie diese Etappe nie allein. Während auf den sonstigen üblichen Hochlandetappen immer mit ein paar Autos zu rechnen ist, kann es Ihnen auf der Gæsavatnaleið ganz leicht passieren, dass die Piste, während Sie sie befahren, wegen Unwetter, wie starken Regen- oder Schneefällen gesperrt wird und Sie auf einmal völlig auf sich gestellt sind, während das Unwetter natürlich nicht an der Absperrung zurückbleibt. Rechnen Sie mit mindestens vier Tagen (bei sehr guten Witterungsbedingungen), bei einer Tagesleistung von 30 Kilometern in 12 Stunden. An Fahren auf dieser Etappe ist oft nicht zu denken, zu tief der Sand, zu hoch die Steine. Natürlich kommt man schiebend fast überall durch, doch viel passieren darf Ihnen in den vier Tagen nicht. Nehmen Sie unbedingt genügend Trinkwasser und Proviant für mindestens die doppelte Anzahl der Tage mit. Sie müssen in dieser Region nördlich des Vatnajökull mit ständigem Wetterwechsel rechnen. Stürme, vor allem Sandstürme, sind keine Seltenheit in dieser Gegend. Seien Sie auf diese Widrigkeiten vorbereitet.
Die Piste ist bis auf wenige kurze Passagen eine Schiebepiste. Die Route teilt sich nach 33 Kilometern in zwei verschiedene Fahrwege. Die südliche Route führt nahe am Dyngjujökull entlang durch Schwemmland, in dem die Gefahr, in Morast einzusinken, extrem groß ist. Die Beschreibung folgt der nördlichen Route. Sie müssen neben den sehr sandigen Passagen mit einigen Furten rechnen (mindestens sechs), die nicht immer ohne Probleme durchquert werden können. Die wüstenähnlichen Zustände mit tiefen Sandverwehungen lassen sogar das Schieben zu einer schweißtreibenden Angelegenheit werden. Sandpassagen wechseln sich immer wieder mit längeren Lavafeldern ab. Die Bimsteinwüste, die Sie anfangs nahe der Askja durchqueren und die noch ein schnelles Fahren ermöglicht, wird bereits nach wenigen Kilometern durch schwarzen tiefen Aschesand abgelöst. (...)
Die Piste verläuft sowohl bei km 104 als auch bei km 106 teilweise im steinigen Flußbett. 8 Kilometer weiter liegt die tiefste Furt, die Mitte der achtziger Jahre traurige Berühmtheit erlangte, als vier japanische Touristen in ihrem Jeep vom Fluß mitgerissen wurden. Die Furt kann unter Umständen nicht passierbar sein. Rechnen Sie auf alle Fälle mit einer tiefe, in der sie bis über die Gürtellinie im Wasser stehen..."

[Anmerkung: die im o.g. Text erwähnte F98 ist mittlerweile umbenannt in F910, letztere Bezeichnung findet im fortlaufenden Text Erwähnung]

Um elf Uhr sind die Mountis bepackt, wir verabschieden uns von Stefan, Simone und Winfried und rollen dann für vielleicht drei Kilometer auf der Ringstraße entlang. Bald taucht linker Hand der Abzweig auf, der Abenteuer verheißt, die Straße 923. Wir freuen uns auf die Wüste, auf das Hochland, auf die Eishöhlen am Kverkfjöll - und dieser Pfad sollte uns dem ein Stück näher bringen!

Island, Autofriedhof bei Brú

Wir bleiben nicht lange auf der Ringstraße, sondern verlassen diese,
um auf der 923 nach Brú zu gelangen.
Am Wegesrand entdecken wir einen kleinen Autofriedhof.


In ihrem Verlauf folgt die Straße dem Gletscherfluß Jökulsá á dal, welcher sich von Süden her durch ein grünes, sanftes Tal schlängelt. Es wird eine harte Etappe, der heftige Wind, ebenfalls von Süden kommend, setzt uns ordentlich zu. Hinzu kommt, dass es eigentlich kontinuierlich bergauf und bergab geht. Und da mein linkes Knie mir heute erhebliche Probleme bereitet, bin ich oftmals gezwungen, aus dem Sattel zu gehen und mein Rad die Steigungen hinauf zu schieben.

Island, auf dem Weg nach Brú

Auf dem Weg nach Brú.


Am späten Nachmittag erreichen wir nach gut 30 Kilometern den kleinen Ort Brú. Birgit und ich sind beide schon recht k.o., hatten uns auch beide in Gedanken ein anderes Bild gemacht von dieser kleinen Ansiedlung, erhofften uns doch ein wenig Grimstaðir-Flair. Hier allerdings scheint Trostlosigkeit zu regieren. Zwei, drei schmucklose Gehöfte, eine kleine Tankstelle mit einem Minimal-Warenangebot und ein ausgedienter Lkw, welcher am Straßenrand seine letzte Ruhestätte fand. In dessen Windschutz kauern wir uns in dieser ungemütlichen Stunde, stärken uns mit Brot, Keksen und Tee. Wolken ziehen schnell über uns hinweg, der Wind pfeift, es zieht in unsere Jacken...
So kommen wir dennoch wieder etwas zu Kräften - und die benötigen wir auch, denn nun beginnt, nach Westen schwenkend, die F910. Die ersten drei Kilometer geht es bei anhaltend schwierigen Windverhältnissen konsequent bergauf. Meine Motivation allerdings ist relativ hoch, spüre ich doch die Nähe der Highlands, sehe, wie die Landschaft auf diesen Metern ihr Gesicht verändert. Vorbei ist es mit den saftigen Wiesen; fortan dominieren Fels, Staub, Sand und Steine das Bild, welches sich uns darbietet. Nur blaß zeichnen Moose und Flechten bisweilen einen Hauch von Grün in die karge Landschaft.

Island, Hochland

Bald verändert sich die Landschaft, karg und beinahe vegetationslos zeigt sie sich. Wir haben das Hochland erreicht!




Island, im Hochland westlich von Brú

Pause im Hochland westlich von Brú. Dramatisches Wolkenspiel.


Ungefähr zehn Kilometer legen wir nach dem Verlassen von Brú noch zurück, dann schauen wir uns nach einem Lagerplatz um. Dieser findet sich dann am Fuße eines Berges, den wir am Folgetag zu erklettern haben werden. Auch wenn das normalerweise nicht unsere Art ist, denn lieber campieren wir auf Paßhöhen, um nicht am Morgen als erstes eine Plackerei zu haben...
Wir sind aber zu müde, es ist schon sieben Uhr, leichter Regen setzt immer wieder ein und so bleiben wir. Der Boden entpuppt sich als schwierig: fieser, ganz, ganz feiner Staub, der sich binnen kürzester Zeit überall hin verteilt. Birgit ist davon ein bisschen genervt, wir stellen das Zelt kurze Zeit später ein paar Meter weiter noch einmal auf, es ist etwas besser. Im Schutze der Apsis bereiten wir ein leckeres Essen, genießen dazu ein Glas Wein. Ein kleines Überraschungs-Special, welches Birgit aus ihren unergründlichen Ortliebs zaubert.
Beim Abladen meines Rades muss ich feststellen, dass meine heiß geliebte 1,5l-Sigg-Flasche sich -wohl auf einer holprigen Abfahrt- auf den letzten Kilometern verabschiedet hatte. Ich überlege kurz, ob ich mich noch mal auf den Weg machen sollte, um sie zu suchen, sehe dann aber doch davon ab, ergebe mich der Trauer...

Island, Zeltromantik

Abends am Zelt. Was könnte es schöneres geben!




Island, Hochland

Nach dem Essen wird das Geschirr am nahen Flusslauf abgespült.




Island, Hochland

Der kleine Hügel wartet noch auf uns, da soll es morgen früh hinauf gehen...




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Sonntag, 03. August 1997

Karte Tagesetappe

Etwas über dreißig Kilometer sollen heute vor uns liegen. Von unserer wilden Lagerstätte am Flusse Múli machen wir unseren beschwerlichen Weg bis zur Kreppa, einem vom Brúarjökull kommenden Gletscherfluß, welcher sich weiter im Norden mit der Jökulsa á fjöllum vereinigt.
Am Morgen fällt noch etwas Regen, ansonsten haben wir ziemlich viel Sonne. Der Wind stellt auch heute wieder den ärgsten Feind dar, zum ersten Mal bekommen wir zudem zu spüren, wie es sich anfühlt, wenn er feinen Sand mit sich trägt...
Der vor uns liegende Bergrücken ist aufgrund des Windes im wesentlichen nur schiebend zu bewältigen. Wir beneiden ein Päärchen, welches uns, vom Wind getrieben, mit hoher Geschwindigkeit entgegen gerollt kommt.

Island, Hochland

Wir haben es am Morgen mit ausgesprochen kräftigem Gegenwind zu tun, welcher uns mit Sandladungen beschießt... Teilweise bleibt uns nicht anderes übrig, als unsere Räder zu schieben.


Im Landschaftsbild dominiert Grau, wir sind endgültig in der Wüste. Kleinere, bedeutungslose Furten kreuzen unsere Piste, sie sind kaum der Erwähnung wert. Über Hügelkuppen weht uns oft eine satte Ladung Staub ins Gesicht, Zähne knirschen, in den Augenwinkeln und Ohren sammelt er sich an, beim Naseputzen werden die Taschentücher schwarz.
Am Nachmittag erreichen wir jene Stelle, an welcher von Norden heran führend die Straße F905 auf unsere Piste trifft. Wir drehen hier für einige Kilometer nach Südwest, haben den Wind eher von der Seite aber auch nicht so richtig... Dafür bleibt es eine ganze Weile relativ eben. Wir passieren zwei Furten, die auf der Karte verzeichnet sind und Frischwasser führen, ärgern uns später, dass wir unsere Flaschen nicht auffüllten. Die Landkarte lässt uns nämlich davon ausgehen, dass wir auf den kommenden Kilometern noch mindestens drei weitere Flüsse würden queren müssen, also denken wir uns, hat das ja noch Zeit.
Die Flüsse führen indes jedoch kein Wasser, kaum lassen sich ihre Betten erahnen und somit zeichnet sich bei uns ein kleines Problem ab. Nun ja, das Problem heißt wohl eher Luxus-Verzicht als denn existentielle Bedrohung. Heute Abend mal keinen Espresso nach dem Essen und morgen zum Frühstück vielleicht keine zweite und dritte Tasse Tee...

Island, Hochland

Pause im Hochland.




Island, Furten im Hochland

Der eine oder andere kleine Wasserlauf muss gefurtet werden.




Island, Hochland

Die Verkehrsdichte auf diesem Foto ist nicht repräsentativ. In aller Regel hat man seine Ruhe.


Die Landschaft verändert sich, sie bietet sich nun nicht mehr als weite steinige Wüste dar, sondern als verschachteltes Lavafeld, durch welches sich die Straße windet. Wir freuen uns innig, dass wir seit geraumer Zeit immer wieder einen Blick auf den schon recht nahen Herðubreið erhaschen können. Schließlich erreichen wir um halb neun den tosenden Gletscherstrom Kreppa. Ihn noch zu queren verbietet sich, da auf seinem Westufer bereits das Naturreservat beginnt, und wir uns an die Regel halten, nicht in einem solchen wild zu campieren. Die Suche nach einem geeigneten Schlafplatz gestaltet sich ähnlich schwierig wie gestern und auch heute haben wir das Zelt schon in Flußnähe aufgebaut, als es binnen Minuten völlig versandet. Wieder ist es Birgits Initiative zu verdanken, dass wir uns noch mal umsehen. Einige hundert Meter zurück am Straßenrand erinnere ich eine tiefe Senke am Rande einer Felswand. Wir inspizieren den Ort und befinden ihn für bedeutend geeigneter. In der Mulde ist sogar der Boden feucht, so dass der Flugsand sich in Grenzen hält. Da wir auf dem Weg von unserer ersten Lagerstätte bis hier das Gepäck nur provisorisch verstauten, müssen wir hier den Verlust des Zeltsackes beklagen, er wurde auf den wenigen Metern vom Wind irgendwohin getragen. Bedeutend ärgerlicher allerdings ist, dass ich auf der Fahrt zuvor meine teuren Teva-Sandalen vom Gepäckträger verlor. Wenn das mit den Ausrüstungsverlusten so weitergeht, dann werden wir Reykjavík am Ende der Reise mit leeren Rädern erreichen...

Island, Hochland unweit der Askja

Traumhafter Lagerplatz östlich der Askja


In einer Felsspalte suchen wir Windschutz, um uns ein Essen zu bereiten, welches wir auch dort einnehmen. Anschließend lassen wir auf der Kuppe des gegenüberliegenden Lavaturmes den Abend ausklingen. Heutige Überraschung aus Birgits Packtaschen: ein Flachmann mit Brennivin! Diesen genießen wir, während wir im goldenen Licht der fortgeschrittenen Stunde beobachten, wie gigantische Sandwolken um den Herðubreið tanzen, sich einer Nebelwolke gleich um seinen majestätischen Gipfel legen.
Ganz einsam sind wir nicht an diesem Fleck, was wohl daran liegt, dass wir uns wie gesagt genau am Rande des Naturschutzgebietes befinden und auch andere Reisende sich an besagten die Spielregeln halten. So entdecken wir in der einen oder anderen Felsmulde in der nahen Umgebung noch einige andere Radfahrer und einen Club von Mofafahrern.
Wir haben unterdessen jeden Tag größere Mühe, die Reißverschlüsse unseres Zelts zu schließen, der feine Sand tut in diesen Tagen das seine dazu. Betroffen sind sowohl die äußeren, wie auch die des Innenzeltes. Wir bedauern, dass wir uns dieses Problems nicht vor Reiseantritt angenommen hatten, es war absehbar. Nun liegen noch Wochen in der Wüste vor uns, nicht auszudenken, wenn die Zipper ganz ihren Dienst versagen und Regen einsetzt...

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Montag, 04. August 1997

Karte Tagesetappe

Ein weiterer Tag im Kampf mit dem Wind liegt vor uns. Mit zwei Radfahrern aus der übernächsten Mulde haben wir nach dem Frühstück noch eine lange Weile Konversation. Aufhänger dessen war das Abhandenkommen meiner Sandalen am Tag zuvor. Ich bat die Jungs darum, dass -wenn sie sie denn auf ihrer Weiterfahrt finden würden- anderen Reisenden mitgeben mögen und ich sie somit an der Askja wieder in Empfang nehmen könnte. Diese Rechnung ging allerdings nicht auf, ich sollte meine Schuhe niemals wieder sehen...
Um zwölf schließlich befinden wir uns wieder auf der Piste, queren sehr bald die Kreppa, deren Verlauf wir mehr oder weniger in südlicher Richtung folgen. Wir haben nun kaum noch Wasser, so dass wir uns eine kleine Reserve aus der Kreppa schöpfen, um nicht ganz ohne dazustehen. Nie zuvor waren wir genötigt, auf Gletscherwasser zurückzugreifen, welches mit seinem hohen Sedimentanteil in dem Ruf steht, gastrointestinale Turbulenzen auszulösen. Nun, besser das, als zu verdursten...

Island, rumpeliger Radweg im Hochland

Ja ja, auf dem Donauradweg sind wir hier nicht...
Oftmals ist das Vorankommen nur langsam möglich.


Ein paar absonderliche Wasser kreuzen unseren Weg, seltsame Furten sind zu nehmen, führen über Areale mit großen Steinen, über die wir die Räder schieben müssen. Ein wenig beschwerlich, jedoch nicht ernsthaft problematisch. Die Piste ist staubig und über weite Strecken waschbrettartig, so schaukeln wir also voran, mein Knie macht heute etwas besser mit, als in den letzten Tagen...

Island, Hochland

Unendliche Weiten - das isländische Hochland...


Nach ungefähr zehn Kilometer beginnt der Fahrweg immer mehr zu versanden. Zunächst sind es stets nur wenige Meter, auf denen wir gezwungen sind, aus dem Sattel zu gehen und die Vehikel in schweißtreibender Arbeit durch den feinen Sand zu schieben. Wir beneiden eine Horde Reiter, welche plötzlich aus dem Nichts auftaucht und hinter uns im Grau der Wüste verschwindet, die ohne Schwierigkeiten diese Passagen zu nehmen vermag...

Island, Reiter im Hochland

Die Reiter sind auf den sandigen Pisten eindeutig im Vorteil!


Bald schließt sich ein Abschnitt an, welcher uns über eine Distanz von drei Kilometern zum Schieben zwingt und den ich nicht so schnell vergessen werde.... Schieben an sich ist ja kein Problem, so denn es auf Asphalt oder befestigtem Terrain zu geschehen hat. Hier aber liegt Staub herum, in welchem das 30 oder 40 Kilogramm schwere Bike einsinkt. Es ist eine echte Plackerei und in kurzen Momenten frage ich mich ernsthaft, warum ich das hier eigentlich mache…

Island, im Hochland müssen wir manchmal die Räder schieben

Unsereins ist so manches Mal gezwungen, die Räder zu schieben.


Aber natürlich findet auch dieser Pistenzustand sein Ende und es läßt sich wieder kraftvoll in die Pedale treten. An dem Abzweig zur 903, einem der beiden Wege, die zum Kverkfjöll weiter südlich führen, legen wir eine ausgedehnte Pause ein, suchen uns ein einer Senke einen halbwegs windgeschütztes Flecken. Tee, Schokolade, Brot und vor allem die Ruhe geben mir Kraft und Motivation wieder, lassen mich wieder an Island glauben, lassen mich mit Freude an die kommenden Kilometer denken, die uns zur Askja führen sollen. Von der 903 kommend erblicken wir ein Unimog-Wohnmobil, welches sich langsam nähert. Birgit läuft geschwind hin, stoppt das Fahrzeug und fragt die Insassen, ob sie dazu in der Lage sind, uns ein wenig Trinkwasser abzugeben. Das ist kein Problem, eine Minute später wird ein Dusch-Schlauch aus dem Fenster gehalten und eine Flasche gefüllt... Also können wir wieder (wie luxuriös!!!) knirschfreien Tee und Kaffee genießen! Birgit kehrt zurück, der Laster fährt an und über einen Lautsprecher auf dem Dach des Fahrzeuges wünscht man uns noch "Gute Weiterfahrt!" - wäre unser eigenes Handeln nicht auch ein wenig bekloppt, so stünde es uns zu, zu fragen, was sind das wohl für Spinner, die mit einem technisch so aufgemotzten Teil durch die Wüste tingeln...
Später auf der Sprengisandur am Camp Laugafell sollten wir die beiden, ein gar nicht mal so altes Päärchen aus Heidelberg noch einmal wiedertreffen und ein Viertelstündchen mit ihnen plauschen und dabei erfahren, dass sie auch schon zum wiederholten Male Island bereisen, er auch schon mal mit einem Freund zusammen die Sprengi durchwandert hat. Wir schauen uns das Fahrzeug mal aus der Nähe und auch von innen an, es bietet sich unerwartet eng dar und ich bin im besonderen erstaunt darüber, dass der Wagen bloß um die 60 PS hat, seine Robustheit und Geländegängigkeit also weniger auf schierer Kraft sondern vielmehr auf günstigen Übersetzungen beruht. Funk und Mobiltelefon dürfen bei der Ausstattung natürlich ebenso fehlen, wie das GPS zur satellitengestützen Navigation.

Lange haben wir überlegt, ob wir trotz unserer ausgedünnten Wasservorräte, vor allem aber mit Blick auf die Sandstürme, die unentwegt in der Ferne toben, nun wie eigentlich laut Plan A vorgesehen auf Südkurs zum Gletscher gehen sollen. Wir entscheiden uns dagegen, halten uns aber die Möglichkeit offen, von der Askja aus noch einmal zu jener Eiszunge zu radeln...
Bald nach dem Fortsetzen unserer Fahrt überqueren wir die gute alte "Gletschersau", wie wir die Jökulsá á fjöllum in scherzhafter Anspielung auf die isländische Aussprache (Jökull =Gletscher; á heißt Fluß und wird ausgesprochen wie au) gerne nennen und lassen, während wir von der Brücke hinab in das tosende Gewässer schauen, für eine Weile die Gedanken mit etwas Melancholie behaftet in die Vergangenheit schweifen, denken an unser allererstes Wüstenabenteuer im Jahre 1994, als wir von Norden der Jökulsá folgten und schließlich auch das Dyngjufjöll-Massiv erreichten.
Der sich nun anschließende Streckenabschnitt bis zur F88 ist verglichen mit dem, was wir heute mittag erlebten absolut harmlos. Die Straße ist im wesentlichen gut befahrbar, nur stets kurze Passagen sind so sandig, dass wir entweder schieben, oder aber dass wir das Durchfahren als Herausforderung betrachten, ordentlich Anlauf nehmen und dann mitten hindurch schlingern, was dann durchaus Spaß machen kann. Meine Konstitution in jeder Hinsicht deutlich besser, die Knochen spielen mit, die Kondition, vor allem aber die mentale Verfassung, an der ja letzten Endes alles hängt.
Als hätte der tagelange Wind meinen Kopf frei gepustet, überkommen mich zum ersten Mal auf dieser Fahrt für einige, flüchtige Momente glückselige Gefühle. Es gelingt mir, alle Sorgen, welche mich daheim plagen, kurzzeitig völlig zu vergessen und alle meine Sinne der Wüste zu öffnen. Die Blicke schweifen weit in die Ferne, Herðubreið und Kverkfjöll sind nun ständige Begleiter und stellen einen wundervollen Anblick dar, ich fühle Kraft ist in meinem Körper, greife voller Energie meinen Lenker, trete in die Pedale. Hin und wieder treibt der Wind Staub in unsere Gesichter, die Sonne bricht durch die Wolken und wärmt die Haut, zu hören gibt es nichts außer dem Rauschen des Windes und dem Knirschen und Klacken unserer Räder. Ich schmecke Staub und das Salz auf meiner Haut - genieße!
Am Abend erreichen wir die F88, die sich auf ihrem südlichsten Abschnitt durch beigefarbene Bimstein-Wüste schlängelt, uns ist ihr Gesicht noch sehr gut im Gedächtnis, wir freuen uns darüber, wieder da zu sein. Noch etwa zehn Kilometer haben wir bis zu unserem Ziel, der Hütte Dreki, zurückzulegen, eine Strecke, für welche wir sehr viel Zeit benötigen. Grund dafür sind die abendlichen Lichtverhältnisse, welche den Gletscher in der Ferne gestochen klar und leuchtend erstrahlt erscheinen lassen, während sich der Himmel ansonsten pechschwarz und finster gibt. Der Wind läßt nach und wir kommen nicht umhin, alle paar Meter anzuhalten, um uns an diesem Naturschauspiel zu ergötzen, es ist einfach wundervoll!

Island, an der Askja

Bald werden wir unser heutige Ziel erreicht haben: die Hütte an der Askja.




Island, an der Askja

Was für ein Licht!




Island, Gletscher im Hochland

Die Sicht ist gut, wir erfreuen uns an der Schönheit der großen Gletscher.


Wir gedenken an dieser Stelle und auch in den kommenden Tagen noch des öfteren der Expedition der Herren Knebel und Rudloff, welche hier im Jahre 1907 mit einer Pferde-Karawane anreisten in der Absicht, das Dyngjufjöll-Massiv und im besonderen den Öskjuvatn wissenschaftlicher Betrachtung zu unterziehen. Bekanntermaßen endete jenes Unterfangen für beide tödlich, sie kehrten von einer Fahrt auf den See hinaus nicht zurück.
Uns fasziniert vor allem die Vorstellung, dass man dereinst ja nicht auf einer F88 reiten konnte, sondern sich in der Ödnis zu orientieren hatte, sich seinen Weg durch Staub und Lava suchen mußte. Es gab keine Kommunikationsmittel, keine Straße, keine Karten, keine Beschreibung des Terrains... Großer Respekt gebührt solchen Entdeckern.

Island, Hütte Dreki an der Askja

Die Hütte Dreki an der Askja ist erreicht.


Um halb zehn, nach endloser Trödelei kommen wir schließlich doch noch an und sind erst einmal entsetzt, denn was wir vorfinden ist die Spedizione...
Nun ja, es ist nicht zu ändern und so koche ich im Windschatten der Hütte ein Nudelgericht, während ich einen Tee mit Rum genieße - umgeben bin ich dabei von Scharen laut plappernder Italiener.
Beim Anmelden bei den jungen Wardens nehmen wir erfreut unser Proviant-Paket in Empfang. Hat es also geklappt mit dem Bus-Transport!!!
Bald nach dem Essen ziehen wir uns in unseren Iglu zurück, trinken Tee, blicken hinaus in die Odáðahraun. Unsere Kerzenlaterne spendet warmes Licht, das Lärmen ringsum ebbt allmählich ab, es ist nicht besonders kalt und vor allem fast windstill - die Friedfertigkeit des Ambientes läßt nicht ansatzweise erahnen, welch raue Überraschung der vor uns liegende Tag bereit halten soll...

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Dienstag, 05. August 1997

In der Annahme, dass es windstill und warm bleiben würde, haben wir in der Nacht den Reißverschluß des Innenzeltes geöffnet gelassen. Am frühen Morgen des heutigen Tages wird uns klar, dass das ein Fehler war: Geweckt werden wir durch eine Mischung aus Staub, Sand und Bimsteinbrocken, welche unter der Zeltplane hindurch gepustet kommt. Unsere Behausung bebt, es prasselt auf unser Dach, tosende und knirschende Geräusche dringen in unsere Ohren. Sturm hat eingesetzt und treibt gewaltige Mengen des leichten Bimssteins durch die Luft, drückt mit Macht das Zeltdach nieder. Mit Schwierigkeiten gelingt es uns, den kränkelnden Reißverschluß zu schließen, so haben wir Ruhe vor dem Sandsturm und können unseren Nachtschlaf noch ein, zwei Stündchen fortsetzen. Wir scherzen sogar noch, dass das Zelt einbrechen könnte, glauben dies aber zu keinem Zeitpunkt ernsthaft; dafür hat unser gutes Vaude uns schon zu oft sicher durch stürmische -auch isländische- Nächte gebracht. Unser Material genießt unser volles Vertrauen.
Dies sollte sich als fataler Irrtum erweisen. Nach dem Aufstehen und der erfreulichen Feststellung, dass die Spedizione Dreki bereits verlassen hat, begeben wir uns im Laufschritt in die Hütte, um dort unser Frühstück einzunehmen. Draußen tobt ein Unwetter, wie ich es noch niemals zuvor erlebte. Wir packen auf den Holztischen unsere Lowrider-Taschen aus, holen unsere vielfältigen Vorräte hervor, die ja gerade erst üppig aufgestockt wurden, ernten bei den anderen Anwesenden überraschte Blicke, wieso wir wohl mit frischen Äpfeln, Marmelade, Honig und Milchpulver aufwarten können...
Das Hochland-Frühstück soll seinen Abschluß finden bei einer Zigarette auf der hölzernen Veranda vor der Hütte. Daraus wird nichts - schon vom Vorraum der Hütte aus sehen wir entsetzt, dass unser Iglu gepeinigt am Boden liegt, im Sturm flattert und insgesamt überhaupt keine gute Figur macht. Es steht die sofortige Evakuierung auf dem Plan. Die gestaltet sich so, dass ich die hundert Meter von der Hütte zum Zelt renne und in das Zeltinnere vordringe. Hier muß gesagt sein, dass es bei Birgit und mir keine Frage von Tagen sondern von Stunden, wenn nicht Minuten ist, bis wir unser Zelt in ein heilloses Durcheinander verwandelt haben. Dieses Chaos soll ich nun in kürzester Zeit verstauen, um es nach draußen zu befördern - liegend am Boden, während der Orkan die Zeltplane auf mich hinabdrückt. Birgit bringt die Taschen, Beutel und Säcke nach und nach zur Hütte. Schließlich ist das Zelt leer und wir können es einholen. Dabei gehen uns drei Motorradfahrer zur Hand, die ihre Helme tragen zum Schutz vor dem Sand.
Wir stellen fest, dass eine der beiden tragenden Aluminiumstangen des Zeltes gebrochen ist und infolgedessen den Stangenkanal perforiert hat. Ein Schaden, welcher sich beheben lassen wird...
Als wir fertig sind, machen wir uns an die Zelte der Motorradfahrer und schließlich an jene von vier Wanderern (von denen ich später noch erzählen werde). Sie alle zeigen sich schockiert von unserem Bruch und wollen -obwohl ebenfalls eigentlich gut ausgerüstet- nun auch auf Nummer sicher gehen. Von Seiten der Wardens wird uns zugesagt, wir alle können in Anbetracht des Unwetters die Nacht zum Zelttarif in der Hütte verbringen, ein sehr feiner Zug!
Es ist schon ein in höchstem Maße bemerkenswertes Ereignis, solch ein Sandsturm. Es haftet dem dann etwas Surreales an, stellt man sich Bilder vor, wie lederbekleidete Männer mit Motorradhelmen vor der Kulisse eines mächtigen Berges im wirbelnden Gestein flatternde Zelte einholen... Kleinen Windhosen gleich tanzen überall die Sandteufel durch die Wüste, es ist unglaublich...
Die Menschen, mit denen wir dieses Erlebnis teilen, passen nur zu gut ins Bild. Am normalsten sind vermutlich noch die Motorradfahrer. Auch wenn das Tragen der Helme im Sturm ein wenig infantil anmuten mag, so liegt diesem Handeln doch reiner Pragmatismus zu Grunde. Und dass Motorradfahrer auf die Idee kommen, an diesen fernen Flecken Erde zu reisen, dürfte nur als bedingt verrückt eingestuft werden.
In die Kategorie "bedingt verrückt" mag ich nicht mehr so recht zwei Franzosen einordnen, ein Mann von vielleicht dreißig Jahren und seine gut zehn Jahre ältere Begleiterin. Die beiden bereisen Island auf eine wirklich unglaubliche Art: sie radelt mit ihrem Mountainbike, er rennt nebenher, trägt dabei auch noch den Großteil seines Gepäcks auf dem Rücken inklusive Wasservorräten. Die beiden kommen von Westen, haben also den wilden Abschnitt der F910 auf diese Weise hinter sich gebracht. Eine lange Weile plaudern wir mit ihnen, mittels eines stark französisch intonierten Englisch ist das kein Problem, und lauschen mit einer Mischung von Fassungslosigkeit und Bewunderung ihrer Geschichte. Schmunzeln müssen wir nur, als er sein Unverständnis ausdrückt für Leute ("ils sont fous, they are crazy!!!"), von denen er hörte, die ein sehr ähnlich anmutende Joggerei im Himalaya-Massiv betrieben haben. Wieder einmal zeigt sich die Relativität des Begriffes verrückt...
Die vier Wanderer, Herren so in den späten Dreißigern oder auch schon Vierzigern, hatten sich auch etwas ganz besonderes ausgedacht. Für ihr transisländisches Hochlandabenteuer haben sie zum Transport ihres Gepäcks Sackkarren umgebaut und mit Schulter- und Hüftriemen versehen, so dass sie ihre ursprüngliche Zuladung von gut sechzig Kilogramm pro Mann durch den Wüstensand hinter sich herzogen. Zu Beginn ihres Unternehmens hatten sie sogar noch zwecks Flußquerungen Boote mitgeführt. Das hat sich dann aber wohl doch als zu wenig praktikabel erwiesen, so dass sie diese irgendwo hinterließen...
Die vier freuen sich wie verrückt, als wir ihnen Butter und Kekse schenken, und ihnen von unserer Marmelade etwas abgeben. Seit Tagen oder Wochen hatten sie wohl nur ihr High-Tech-Futter aus ihren großen, wasserdichten Tonnen gegessen... Sie revanchieren sich bei uns, indem sie uns soliden Zwirn zur Verfügung stellen, mit dem Birgit den Stangenkanal näht, nachdem der lange Riß zuvor mit Spezialkleber und Flicken (von den Franzosen) zusammengekleistert wurde. Für die gebrochene Stange haben wir eine Reparaturhülse dabei, so dass unser Zelt für die übernächste Nacht wieder einsetzbar ist.

An der Wettersituation ändert sich nichts, wir beschließen trotzdem, uns zu Fuß auf den Weg zu machen zum Öskjuvatn. Gut eingepackt stapfen wir die acht Kilometer hinauf. Auch die beiden Franzosen hatten diese Idee, sie überholen uns, er rennend, sie auf ihrem Rad...
Oben angekommen verschlechtert sich die Sandsturmlage erheblich, von Süden treibt der Wind Sandwolken über die Berge, so dass es kaum noch möglich ist, die Augen geöffnet zu halten. Wir kapitulieren vor der Naturgewalt und kehren um, vielleicht ist es ja morgen besser...
Gut gelaunt erreichen wir am späten Nachmittag wieder Dreki, die Wanderer gehen gerade das Wagnis ein, eines ihrer Zelte wieder aufzustellen. Wir brüten dann über der Landkarte, machen uns Gedanken, wie es wohl weiter gehen soll mit unserer Route. Plan A hat keine Chance mehr, nach den eigenen Erlebnissen der letzten Tage und den Schilderungen der Franzosen verabschieden wir uns nun endgültig von dieser Variante. Hinzu kommt, dass wir uns ernstlich sorgen um den Zustand unserer Reißverschlüsse. Dies im besonderen zwingt uns in die Zivilisation zurück. Die Frage, die sich jetzt stellt ist in erster Linie die, ob wir noch zum Kverkfjöll reisen oder direkt auf Nordkurs (F88) gehen. Wir wollen das morgige Wetter abwarten, sehen, ob der Sandsturm abklingt oder nicht...

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Mittwoch, 06. August 1997

Karte Tagesetappe

Die Nacht ist nicht besonders angenehm, zwischen Scharen von anderen Gästen liegen wir auf dem Dachoden der Hütte. Es ist miefig, eng, Leute schnarchen. Dafür haben wir es trocken und sind vor dem Sturm sicher, der nun am Morgen noch immer über der Wüste tobt.
Nach dem Frühstück in der Hütte machen wir uns auf zu einer kleinen Erkundungstour in die unmittelbare Nähe des Zeltplatzes. Wir wollen entdecken, was uns bei unserem ersten Besuch hier entgangen ist, dazu zählt vor allen Dingen die kleine Schlucht Drekagil, welche direkt hinter der Hütte beginnt. Ein Pfad ist markiert und führt uns über einen Geröllweg einige Hundert Meter in den Berg hinein. Zu Beginn klaffen die Wände noch recht weit auseinander, je weiter wir wandern, umso mehr verjüngt sich die Schlucht und wirkt somit tatsächlich wie eine solche. Am Ende des Weges angelangt finden wir einen kleinen, aber wunderschönen Wasserfall vor. Wir pausieren, photografieren, genießen die Sonnenstrahlen, welche bis in dieses kleine Tal vordringen und die sprühende Gischt glänzen lassen, klettern hinab bis zu dem kleinen Bassin, in welchem sich das hinabstürzende Wasser sammelt.
Wie so oft sind es die kleinen, unscheinbaren Natursehenswürdigkeiten abseits der großen Berühmtheiten, welchen ein besonderer Charme, eine besondere Schönheit anhaftet...
Später wenden wir uns dann aber nichts desto trotz noch einmal "den Großen" zu: Wir ergattern in einem alten klapprigen Lada von zwei Franzosen einen Lift hinauf zur Askja. Der Wind hat bedeutend nachgelassen, so dass wir heute den Gang vom Parkplatz bis an den See wagen können, ohne dabei von allzuviel Sand behelligt zu werden. So richtig gemütlich ist es aber dennoch nicht, bald kehren wir Öskjuvatn und Vìti den Rücken zu und machen uns an den Abstieg, diesmal will uns keiner der wenigen Autofahrer mitnehmen.

Am späten Nachmittag fällt die Entscheidung, dass wir unsere Fahrt auf direktem Nordkurs fortsetzen.
Insbesondere Birgit blutet das Herz beim Gedanken daran, in diesem Jahr den so heiß ersehnten Kverkfjöll nicht zu Gesicht zu bekommen. Doch bietet sich dieser in der Ferne von dichten gelben Schleiern verhangen dar - das heißt Sandsturm - und so lassen wir uns einmal mehr von der Naturgewalt zurückschlagen, brechen in den frühen Abendstunden bei bestem Rückenwind auf in Richtung Herðubreið. Rasant geht es hinab in die staubige Ebene, bald taucht linker Hand der Gebirgszug Herðubreiðartögl auf. Wir genießen diese Fahrt in vollen Zügen, hatten wir es doch in den letzten Tagen wirklich nicht leicht, was den Wind betrifft...

Island, Herdubreid

Ein Sandsturm verschleiert den Blick auf den Herdubreid.
Wir fahren nach Norden, verlassen das Askja-Gebiet.


Birgit entrinnt später nur knapp einem schweren Sturz, als sich eine ihrer vorderen Packtaschen löst, erst noch festhakt und schließlich vom Rad fällt.. Da ich zu diesem Zeitpunkt weit vorweg fahre, bekomme ich davon zunächst überhaupt nichts mit. Irgendwann bemerke ich, dass Birgit nicht mehr hinter mir ist, halte an, denke mir, dass sie vielleicht photographiert oder ein Bagatellproblem behebt. Ich warte eine Weile, bis es mir irgendwann aber doch unheimlich wird und mache Kehrt; drehe wieder in den Wind, um nach ihr zu suchen - genau in dem Moment kommt sie um eine langgestreckte Kurve gerollt, am Lenker baumelt ihre Tasche...

Island, Herdubreidarlindir

Herdubreidarlindir, grüne Oase inmitten der grauen Ödnis.


Nachdem wir diese provisorisch wieder fixiert haben, können wir unsere Fahrt fortsetzen und erreichen gegen neun unser Ziel, die Oase am Fuße des Berges. Erwartungsgemäß treffen wir dort die vier Wanderer wieder, die am Morgen bereits zeitig aufbrachen. Die Jungs sind ziemlich erschöpft und zum Teil auch mit den Nerven am Ende, haben sie doch nach eigenen Angaben ihre bisher härteste Etappe hinter sich gebracht. Ihr Hauptproblem war der Sandsturm, der am Morgen noch mit besonderer Heftigkeit in der Ebene regierte und das Fortkommen zur Tortur geraten ließ. Wir sind froh, dass wir erst so spät abgefahren sind...
Einzig bedauerlich an diesem Abend, dass die Dusche, auf die wir uns schon während der ganzen Fahrt gefreut hatten, ihren Dienst versagt. Genauer betrachtet versagt eigentlich nur der Boiler seinen Dienst, doch von einem kalten Duschbad wollen wir dann doch lieber Abstand nehmen und uns noch gedulden, bis wir den Mývatn erreichen würden...

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Donnerstag, 07. August 1997

Karte Tagesetappe

Der Morgen ist ungewöhnlich kalt, es mögen um die fünf Grad Celsius herrschen, als wir unseren Tag beginnen. Es ist bedeckt, aber trocken und der Blick auf die isländische Flagge an der Hütte verrät uns: Wir haben weiterhin günstige Windverhältnisse!
Das sorgt von Anbeginn für eine gute Stimmung, das Frühstück vor dem Zelt schmeckt uns, hoch motiviert gehen wir in den Tag.
Wie so oft ist es fast Mittag, als wir unsere Etappe beginnen und uns weiter nordwärts auf bekannte Pfade begeben. Herðubreiðarlindir liegt nun hinter uns, oft zeigt sich tosend die "Gletschersau", im Süden ist - fast zu schön - der Vatnajökull zu erkennen und wir befinden uns wieder im endlos wirkenden Grau der Missetäterwüste, der Ódáðahraun. Einmal mehr bin ich erstaunt, an wie viele Details des Streckenabschnitts ich mich gut erinnern kann, obgleich es bereits drei Jahre her ist, da wir diese Etappe fuhren. Ich kann die schroffe, karge Landschaft so sehr genießen, sie ist in ihrer Einfachheit so ursprünglich, hat sich in ihrer Physiognomie unauslöschlich in meine Erinnerung gebrannt. Die Weite tut so gut, hilft sie doch, den Kopf frei zu bekommen, Abstand zu gewinnen von allem daheim. Nicht einmal der zwischenzeitig immer wieder einsetzende Regen stört mich; hält uns nicht davon ab, am Straßenrand ein recht ausgiebiges Picknick abzuhalten

Die Furten indes geraten in Ermangelung meiner Teva-Sandalen ein wenig beschwerlich und beinahe hätten wir auch noch den Verlust von Birgits Stoffschuhen beklagen müssen, welche sie zum Zwecke der Flußquerung mit sich trägt. An am ersten kreuzenden Gewässer, der Lindaá, hat sie sie vergessen. Ein hinter uns radelndes junges Päärchen erkannte die Schuhe von einer vorherigen Begegnung als die unseren und war so nett, sie uns hinterher zu tragen und bei einem Treffen wiederzugeben. Eine Bonaqua-Plastikflasche, welche wir auch auf dem Abschnitt verloren haben, hatten sie zwar gesehen, aber nicht uns zugeordnet und somit liegengelassen - wirklich schlimm, was wir dieses Jahr alles verlieren. Und wo wir gerade mal beim Thema "Pleiten, Pech und Pannen" sind, ist zu erwähnen, dass auf dieser Etappe offenkund wird, dass Birgits Wachsjacke dem Regen nicht im Ansatz gewachsen ist, obgleich sie vor Reiseantritt eine frische Imprägnierung erhalten hatte... In der Wüste wird man zum Improvisationstalent: Wir schneiden in einen großen, blauen Müllsack ein Loch für den Kopf und seitlich zwei für die Arme, sichern die Ränder mit Pflaster gegen weiteres Einreißen, stülpen das Ganze über Birgit, ziehen die Wachsjacke darüber - und fertig! Jede ihrer Bewegungen macht jetzt raschelnde Geräusche, sie ist fortan die Knister-Sister!
Im Gegensatz zu Birgit bin ich den ganzen Tag über in einer glänzenden Verfassung, jage geschwind über die holprige, steinige Piste, lasse mich tragen vom Wind und der Kraft, die in mir ist. Mein Blick schweift nach Osten, jenseits der Jökulsá á fjöllum. Dort erscheint am Abend eine sanfte Hügelkette, der Lambafjöll. Auch das ist wieder wohltuende Erinnerung: In der Nähe jener Erhebung hatten wir dereinst am Rande der Nationalstraße 1 das allererste Mal in Island wild gezeltet, es war unsere "legendäre" Wildnis I!
Gedankenverloren und zufrieden trete ich in die Pedale, es setzt wieder Regen ein. Ich weiß um Birgits mäßige Konstitution, sie ist mittlerweile weit zurückgefallen, beschließe daher, zu stoppen. Um ihr eine Freude zu bereiten, koche ich Kaffee, mit dem ich sie begrüße, als sie schließlich ankommt.

Wir fahren heute nicht mehr weiter, sind wir doch auch schon bis fast an die Ringstraße vorgestoßen, haben den Hrossaborg bereits auf Sichtweite, welcher uns signalisiert: Wir verlassen bald das Hochland und nähern uns der bescheidenen Zivilisation.
Im Zelt lassen wir den Abend sehr gemütlich ausklingen, genießen Tee und Kaffee mit Rum und reden noch recht lange, während es sich draußen offensichtlich einregnet und - das bemerken wir aber erst am nächsten Morgen - der Wind bedauerlicherweise auf West dreht...

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Freitag, 08. August 1997

Karte Tagesetappe

Heute gibt sich die Knister-Sister in Bestform, während ich scheinbar kaum von der Stelle kommt und dem Terrain nur mit größter Mühe Meter um Meter abzuringen vermag... Wie sehr sich doch die jeweilige Tagesform unterscheiden kann!
Recht schnell bringen wir die letzten Hochlandkilometer hinter uns und rollen dann auf der Ringstraße westwärts in Richtung Mückensee. Ungewohnt häufig werden wir von Autos überholt, sie sind uns ein Signal, dass uns die Zivilisation wieder hat...
Ein kräftiger Wind pustet uns entgegen, treibt uns die Regentropfen ins Gesicht. Ich bin entsetzt über meine miserable Verfassung, es ist ein einziger, elendiger Kampf. Und doch erreichen wir am frühen Mittag Námaskarð, jene geothermal aktive Hügelkette nur wenige Kilometer vom Mývatn entfernt. Ich taumele in meiner durchnäßten Regenkluft vom Rad, muß mir erst einmal einen Schokoriegel gönnen, um mir wieder ein wenig Kraft einzuhauchen.
Mir fällt sofort auf, dass man einen neuen, befestigten Parkplatz gebaut hat - und auch das gute alte Hinweisschild ist verschwunden, auf welchem in geradezu niedlichem Deutsch vor der Hitze der Quellen gewarnt wurde ("es haben sich schon viele Leute gebrannt..."). Es ist nicht zu übersehen: In Island keimt ein immer kräftiger werdender Tourismus heran. Auch wenn sich dieser noch recht bescheiden ausmacht, er gewinnt beharrlich an Intensität.
Wir nehmen uns trotz des Nieselregens Zeit und spazieren über die Wege, teilen mit einer Schar von Motorradfahrern, Radlern, Wohnmobilistas und Bustouristen das immer wieder aufs Neue faszinierende Naturspektakel der Schlammtöpfe, Fumarolen und des zersetzten, giftig wirkenden Gesteins.
Ich komme schon wieder nicht umhin, meine Gedanken in die Vergangenheit schweifen zu lassen: Gerade ist es ein halbes Jahr her, da ich mich an genau diesem Ort befand. Im eisigen Februar waren wir weit und breit die einzigen Menschen, es fegte ein bitterkalter Wind über verschneite Weiten, dunkle Flecken in der Schneedecke ließen erahnen, wo der Grund besonders warm ist... Es regierte absolute Einsamkeit und Stille.
Das kann man heute nicht behaupten. Gleiches soll gelten für den kleinen Ort Reykjalið. Nach unserer Besichtigungspause nehmen wir den Paß, hinter welchem sich uns der Mývatn präsentiert. Meiner Konstitution tat diese Ruhepause sehr gut, der kleine Berg ist mit Leichtigkeit zu befahren und die Abfahrt hinab zum See gerät zu einem flotten Unterfangen, welches wir sehr genießen können.

Island, Reykjahlid am Mývatn

In Reykjahlid am Mývatn.


Vertrautes Terrain erwartet uns, schnurstracks rollen wir auf den Zeltplatz am Hause Bjarg, errichten unser Zelt mit Seeblick, gönnen unseren Körpern eine Dusche - die erste seit mittlerweile einer Woche. Wohlriechend, geputzt und in sauberer Kleidung gibt es dann Pommes und Hamburger im "Hverinn", jenem Schnellrestaurant an der Hauptstraße, von uns der Farbe des Holzhauses wegen von uns immer nur der "Blaue Salon" genannt.

Island, Reykjahlid am Mývatn

Das "Hverinn" in Reykjahlid am Mývatn,
von uns immer nur "der blaue Salon" genannt.


Wir schreiben Postkarten, schlürfen Kaffee und machen uns Gedanken über den Fortgang unserer Fahrt, im besonderen unter dem Aspekt, dass etwas mit unserem Zeltreißverschluß passieren muß, bevor wir uns in die Sprengisandur wagen. Später in der Touristeninformation schildern wir unser Problem und erkundigen uns nach Möglichkeiten, dieses zu beheben. Erwartungsgemäß ist hier am Ort an eine Reparatur nicht zu denken, doch sei es kein Problem, mit einem Reykjavíker Zelt-Verleiher in Kontakt zu treten und das Zelt von dort einfliegen zu lassen, da müßte man morgen mal telefonieren... Wir sind mal wieder erstaunt, nein, das eigentlich nicht, eher angetan von dem Pragmatismus, dem Organisationstalent der Menschen hier - und natürlich erfreut über die sofortige Hilfsbereitschaft, welche uns an dieser Stelle nicht zum ersten Mal begegnet.
Eine weitere Option steht für uns im Raum, der Plan D sozusagen, nämlich eine Weiterreise nach Akureyri, um dort eventuell eine Schneiderei zu finden, die uns neue Reißverschlüsse einnähen kann.
Wir entscheiden uns letztendlich für diese Variante, hoffen wir doch, dass es die kostengünstigste sein würde. Dafür nehmen wir in Kauf, nicht wie eigentlich vorgesehen, von Anfang an auf der F26 die Sprengisandur zu queren, sondern dann von Akureyri aus südwärts zu radeln.

Island, Krater Hverfell am Mývatn

Der Krater Hverfell am Mývatn, im Hintergrund schneebedeckte Berge.




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Samstag, 09. August 1997

Karte Tagesetappe

Es ist ein ungemütlicher Morgen, die Temperaturen liegen nur wenig über dem Gefrierpunkt, der Wind treibt immer wieder Regen über den See. Wir wollen abwarten, wie sich die Lage entwickelt, setzen uns nach unserem Frühstück also in den wohlig beheizten "Blauen Salon" und schreiben mal wieder ein paar Postkarten.
Am Nachmittag läßt der Regen dann tatsächlich nach, der Himmel reißt allmählich auf und so rollen wir zunächst nordwärts aus dem kleinen Ort hinaus. Es bleibt kalt; auf den nahen Bergen ringsherum hat sich die Luftfeuchtigkeit in Form von Schnee und Reif niedergeschlagen, sie werden geziert von einer zarten weißen Haube. Es tut gut, die klare Luft tief einzuatmen, den Blick über den See schweifen zu lassen. Alle Konturen der Landschaft sind gestochen scharf gezeichnet, die Farben im Sonnenlicht von besonderer Intensität. Ich fühle mal wieder Kraft und Lebensfreude in mir, locker geht es voran durch eine saftige, grüne Gegend, vereinzelt findet sich ein Gehöft abseits der Straße, Schafe sind allgegenwärtig. Selten nur fallen ein paar Tropfen Regen aus einer verirrten Wolke, die mich allerdings überhaupt nicht stören.

Island, am Mývatn

Am Mývatn.


Wir lassen bald den See hinter uns, stoßen dann wieder auf die Ringstraße, der wir bis zum Goðafoss folgen. Unterwegs pausieren wir eine ganze Weile in einer kleinen Tankstelle, sammeln uns bei Kaffi und Kuchen für den nahenden Paß über die Fljötsheiði, der uns noch etwas ungemütlich in Erinnerung ist. Als wir ihn 1994 fuhren, regnete es und wir waren in einer insgesamt leicht demoraliserten Grundverfassung.
Ihn heute bei blendendem Wetter zu überqueren erweist sich jedoch als harmlose Angelegenheit, zügig erreichen wir die Höhe der Erhebung, weit unten im Tal auf der anderen Seite erkennen wir bereits den berühmten Wasserfall. Wir halten gar nicht lange an, sondern stürzen uns direkt den Berg hinab, sausen geschwind die hügelige Abfahrt hinunter. Es ist bald acht Uhr, als wir eintreffen und das goldene Licht des Abends zaubert eine wundervolle Stimmung. Wir trauen jedoch unseren Augen kaum, als wir eine gewaltige Armada von Wohnmobilen in Reih und Glied erblicken, welche den Zeltplatz okkupiert - Hilfe, schon wieder die Spedizione!
Wir ignorieren das zunächst, lassen den Zeltplatz Zeltplatz sein und suchen uns ein schönes Fleckchen am Wasserfall, wo es erst einmal Kaffee, Tee und Kekse gibt, wir das Licht und das tosende Wasser genießen, während wir beraten, was zu tun ist. Meine Motivation, die Nacht inmitten einer italienischen Wagenburg zu verbringen, ist mehr als nur gering. Birgit allerdings zeigt sich zunächst von meinem Bestreben nicht sehr angetan, ausgerechnet hier - in unmittelbarer Nähe eines Campingplatzes - wild zu übernachten...

Island, am Godafoss

Am Godafoss.




Island, meine Schwester Birgit und ich am Godafoss

Meine Schwester Birgit und ich am Godafoss.


Wir inspizieren dennoch das Terrain und letzten Endes muß ich gar nicht mehr viel Überzeugungsarbeit leisten: in den Fluß mündet unweit des Goðafoss ein kleiner Bach, an dessen Ufer wir einen unwiderstehlichen Platz ausmachen. Eine ideale Lagerstatt; weicher Boden, nicht gefährdet, von eventuell plötzlich anschwellendem Wasser schnell zu überfluten, in absolutem Sichtschutz und mit Frischwasserversorgung...

Island, Abendlicht am Godafoss

Abendlicht am Godafoss.




Island, Abendlicht am Godafoss

Am Godafoss.


Noch lange sitzen wir an diesem Abend draußen, reden und lauschen dem Plätschern des Baches, dem Rauschen der Fälle, dem Blöken der Schafe - man wähnt sich im Hochland. Lausig kalt wird es, die Temperaturen erreichen den Gefrierpunkt und wir schlürfen im Tee unsere letzten Rumvorräte, während eine sternenklare Nacht hereinbricht.
Um Mißverständnissen vorzubeugen, soll ich an dieser Stelle vielleicht noch einmal gezielt darauf hinweisen, dass ich natürlich nichts gegen Italiener im allgemeinen habe oder gegen sonstige Planetenmitbewohner jedweder Nationalität. Lediglich sind mir derartige Rudelbildungen generell suspekt...




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Sonntag, 10. August 1997

Karte Tagesetappe

Keine einzige Wolke ist zu erblicken, es ist ein klarer, kalter Morgen, der mein Herz höher schlagen lässt, schenkt er mir doch so viel von dem, was ich an diesem Land so sehr liebe. Namentlich ist dies die Natur, die sich hier einmal mehr so intensiv darbietet. Die Klarheit einer jeden Kontur, die Kraft der Farben, die kristallene Reflexion des Lichts im sprudelnden Bach, das Leuchten im Gras, der saubere Schnee auf den Gipfeln in der Ferne - tief atme ich die klare Luft ein und genieße einfach nur.
Nach dem ausgiebigen Frühstück kommen wir am späteren Vormitttag auf die Straße, treten frohen Mutes auf Westkurs in die Pedale, das Ziel Akureyri vor Augen.
Vom Fjord Eyjarfjörður, an dem die Hauptstadt des Nordlandes gelegen ist, trennt uns der kleine Gebirgszug Vaðlaheiði. Wind und Wetter meinen es aber weiterhin gut mit uns, so dass der Paß nicht zu einem Problem gerät, wir ihn vielmehr mit Leichtigkeit überwinden.
Auf der Höhe finden sich feuchte Wiesen, auf denen Wollgras in üppiger Pracht gedeiht. Wir pausieren und pflücken uns etwas, um es zu trocknen und mit nach Hause zu nehmen. Es gibt Schokoriegel und Tee.

Island, Eyjarfjörður

Wir steuern auf Akureyri zu, hier blicken wir auf den Fjord Eyjarfjörður.


Hat man die Bergkuppe überwunden, offenbart sich eine prächtige Aussicht auf das Wasser und die Stadt. Doch, wie so oft an einem Fjord: die Nähe des Ziels täuscht und noch so mancher Kilometer auf der leicht hügeligen Küstenstraße will überwunden sein, bis wir schließlich gegen vier Uhr am Nachmittag den Campingplatz in Akureyri erreichen.
Wir beschließen, den Rest des Tages zu faulenzen, packen die Isomatten aus und legen uns vor unser Zelt. Es steht noch ein Einkauf im nahen Supermarkt an, wir versorgen uns mit allerlei kleinen Köstlichkeiten und mit Fisch, den wir am Gaskocher zubereiten. Als Nachtisch nagen wir an einer Tüte Schokorosinen. Und wir nutzen das Vorhandensein echter Zivilisation aus, um unsere Wäsche zu waschen, die anschließend in Wind und Sonne schnell trocknen kann.

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Montag 11. August 1997

Karte Tagesetappe

Ein sonniger, wolkenloser und für isländische Verhältnisse außergewöhnlich heißer Tag liegt vor uns. Wir nutzen ihn, um allerlei Besorgungen zu tätigen und um uns dem Hauptproblem zu widmen, nämlich unserem defekten Zelt. Von der wieder einmal überaus hilfsbereiten Dame am Zeltplatz bekommen wir die Adresse einer kleinen Schneiderei in der Altstadt genannt, die wir später problemlos finden. Eine ältere Dame betrachtet sich unser Zelt, erkennt auch schnell, worum es geht, sieht sich allerdings außer Stande, die Reißverschlüsse komplett auszutauschen. Vielmehr kramt sie in ihrem kleinen, dunklen Laden nach einer flachen Zange, mit welcher sie an den betroffenen Teilen des Zeltes manipuliert. Darüber hinaus wachst sie die Reißverschlüsse mit einer ordinären Haushaltskerze ein. Der Effekt ist, dass binnen Minuten das Problem behoben zu sein scheint. Sie kassiert einen satten Betrag und wir verlassen den Laden mit gemischten Gefühlen, haben irgendwie den Eindruck, die Gute hat uns mächtig über den Tisch gezogen. Nun, wir werden sehen, von welcher Dauer ihre Maßnahmen sein werden...
Später machen wir uns auf die Suche nach einer Reparaturhülse für unser Aluminiumgestänge. Die einzige, in deren Besitz wir waren, schient ja nun den Defekt, den wir an der Askja erlitten. Um uns für den Fall zu wappnen, dass ähnliches sich in der Sprengisandur-Wüste wiederholen könnte, wollen wir Ersatz parat haben. Leider bleibt unsere Suche jedoch ohne Erfolg, wir müssen das Risiko eingehen, ohne entsprechendes Material unsere Reise fortzusetzen.
Den warmen, sonnigen Nachmittag nutzen wir, um unsere Räder einer Generalüberholung zu unterziehen und um sie ein wenig zu reinigen. Wir packen alles zusammen, lassen die Räder am Campingplatz abreisebereit stehen und besuchen noch einmal das hiesige Schwimmbad, welches uns noch vom letzten Besuch hier in guter Erinnerung ist.
Schließlich ist es acht Uhr am Abend, als wir aufbrechen und schwerbeladen hinaus rollen in die laue Sommernacht (...die mit dem Absinken der Sonne dann allerdings doch nicht mehr ganz so lau ist...), Kurs Süd, in Richtung der Wüste.

Unser Ziel ist es, die Sprengisandur-Wüste zu durchqueren, das Landmannalaugar-Gebiet zu erreichen, um dann die Fahrt bis in die Sander der Südküste fortzusetzen.
An diesem sommerlichen Abend ahnen wir noch nicht, dass die kommenden gut 300 Kilometer selbst für uns doch schon hochlandgeprüften Fahrer mit ungeahnten Widrigkeiten und körperlichen Strapazen einhergehen würden. Möglich dass, wenn wir es gewußt hätten, uns von Akureyri aus irgendein Plan E oder F vielleicht ins Westfjordland geführt hätte...
Am heutigen Abend jedoch liegt die Stadt friedlich und ruhig da, getaucht in warmes Abendlicht. Wir und unsere Räder mit ihren frisch geölten Ketten fühlen uns pudelwohl, rollen leise surrend auf die N 1 und dann am Ende des Eyjarfjörður auf den Abzweig 821, welcher uns bis in die Wüste bringen wird. Es geht vorbei am kleinen, aber betriebsamen Flugplatz und ich staune nicht schlecht, als ich sehe, dass die Landepiste sich mitten im Wasser des Fjordes befindet. Als ich im Februar dort startete und landete, war dies natürlich aufgrund der Schnee- und Eisverhältnisse nicht zu erkennen; mitten im endlosen Weiß stiegen da die Maschinen auf.

Island, Eyjafjardara - südlich von Akureyri

Inzwischen haben wir Akureyri hinter uns gelassen und fahren auf Südkurs entlang des Eyjafjardara in Richtung Hochland. Die Sprengisandur-Route ist unser Ziel.


Heute bieten sich die Hügel und Berge des Moðruvallafjall am Ostufer des Flusses in sattem, leuchtenden Grün dar, das Wasser hat eine schon unnatürlich tiefblaue Farbe angenommen und die zahlreichen Gehöfte liegen wie Spielzeughäuschen inmitten dieses Ambientes, von welchem man annehmen muss, es handelt sich um eine riesige, herrlich kitschige Filmkulisse - aber nicht um die Realität!

Island, Eyjafjardara

Eyjafjardara.




Island, Eyjafjardara

Eyjafjardara.


Doch sie ist es und es soll noch besser kommen... Mit dem Versinken der Sonne färben sich die Berge und wir können deren Spiegelbild im glatten Wasser des Flusses im Eyarfjörðardalur bewundern und einige Aufnahmen machen, deren Charakter meinen Photos gleichen wird, welche ich einst im mediterranen Zauberlicht auf Santorin machte... Wir möchten nicht weiterfahren, so schön ist es.
Viel zu schnell erreichen wir nach ungefähr zehn Kilometern Fahrt den kleinen Ort Hrafnagil (nicht einmal 200 Einwohner), wo wir auf dem Campingplatz direkt hinter einem riesigem Betonkomplex mit Turnhalle und Sundlaug unser Lager aufschlagen.
Nach lecker Tortellini gibt es ein paar Sternschnuppen zum Nachtisch, Nebel kriecht dann vom Fluß her hoch. Erneut versuche ich mich im Schreiben mit der Taschenlampe bei offenem Kameraverschluß und schließlich grübeln wir noch lange darüber, warum jetzt die Nächte so hell und kurz und im Winter so lang sind, wieso es Vollmond, Neumond und die Zwischenstufen gibt, was eine Mond- und was eine Sonnenfinsternis ist und so weiter…

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Dienstag, 12. August 1997

Karte Tagesetappe

Schon um halb elf sind wir auf der Straße und es scheint, als sei tatsächlich der Sommer ausgebrochen. So etwas habe ich in dieser Form in Island noch nicht erlebt! Am blauen Himmel zeigt sich keine Wolke, es ist tatsächlich richtig warm! Frohen Mutes und in der Erwartung einer nur mäßig schwierigen Bergetappe machen wir uns auf in den Tag.
Weder unser Kartenmaterial noch die mitgeführten Reiseführer geben Aufschluß über die bevorstehenden Höhenmeter und die Beschaffenheit der Piste.
Wir fahren so an die zwei Stunden durch grasgrüne Tallandschaft, in der sich noch hier und da ein Gehöft befindet. Meine Konstitution ist nicht besonders gut, ich glaube fast, dass da eine Grippe im Anmarsch ist. Oder vertrage ich einfach die Hitze nicht?!?
Wir pausieren einige Stunden am Fluß im Kiesbett, ich sinke in einen unruhigen Schlaf, schütze meinen Kopf mit einem Handtuch vor der Sonne.
Später dauert es nicht lange, da lassen wir das letzte Haus hinter uns, befinden uns nun auf dem direkten Weg ins Hochland. Die Straße, so will es scheinen, möchte uns schon mal einen kleinen Vorgeschmack geben, auf das, was da noch so kommen soll in den nächsten Tagen; sie ähnelt bisweilen am ehesten einer Geröllhalde.

Island, ruppiger Anstieg ins Hochland

...und dann wird's ruppig...




Island, ruppiger Anstieg ins Hochland

Weiter und weiter geht es bergauf, die Straßenverhältnisse sind manchmal abenteuerlich.




Island, Pause auf der Geröllpiste

Kurze Pause auf der Geröllpiste.


Einige Passagen sind dabei so steil, dass an Fahren überhaupt nicht zu denken ist. Zu zweit hieven wir jeweils ein Rad den Berg hinauf, einer von uns am Lenker, der andere am Gepäckträger schiebend. Wir nehmen es gelassen, genießen das Abenteuer und gehen am Abend davon aus, dass wir das gröbste geschafft haben. Immerhin haben wir uns so einige Höhenmeter hinaufgeschraubt. Kurve um Kurve durchfahren wir, und mit fortschreitender Tageszeit nehmen wir an, doch irgendwann mal das zentrale Hochland einsehen zu können - doch stets zeigen sich nur Berge, die noch höher sind und noch weiter weg. Über einen Höhenmesser verfüge ich zu dieser Zeit noch nicht, und ohne adäquates Kartenmaterial wäre er zur Standortbestimmung ohnehin wertlos gewesen. So haben wir nur unser Gefühl und die Kilometeranzeige auf dem Tachometer, die wir halbwegs mit unserer Landkarte abgleichen können. Irgendwann dämmert uns, dass wir an diesem Abend das Hochland nicht mehr erreichen werden, so dass wir uns nach einem Schlafplatz umsehen. Dieser ist dann auch schnell gefunden, umgeben von Felsen auf einer kleinen Aue mit einem Bach, der uns mit Wasser versorgt.
Ich bin immer noch nicht wieder in Bestform, so dass Birgit sich um das Abendessen kümmert und ich mich ausruhen kann.
Während wir nach der Mahlzeit noch ein wenig aus dem Zelt schauen und den Abend genießen, kommt ein Geländewagen mit betrunkenen Isländern vorbei, der auch noch anhält. Ich nehme das als recht ungemütlich wahr, vor allem, als dann auch noch eine wenig sympathische Gestalt an unser Zelt gewankt kommt und meint, uns ein Gespräch aufdrängen zu müssen. Der einzig halbwegs beruhigende Aspekt der Szene ist die Tatsache, dass in dem großen Nissan-Truck auch eine Frau sitzt. Andernfalls wäre es wohl noch unheimlicher geworden. Schon so haben wir einige Schwierigkeiten, den ungebetenen Gast wieder loszuwerden. Meine Befürchtung, die Crew könnte im Laufe der Nacht noch einmal vorbeischauen bestätigt sich erfreulicherweise nicht...

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Mittwoch, 13. August 1997

Karte Tagesetappe

Nur dreißig Kilometer trennen uns von unserem Ziel, der Hütte am Laugafell. Sehr schnell soll uns dann gewahr werden, dass das anstrengendste noch lange nicht geschafft ist, wir also noch ein ordentliches Stück Arbeit vor uns haben, um endlich in die so lange ersehnte graue Wüste vorzudringen.
Die Sonne begrüßt uns schon am Morgen, es ist möglich, draußen zu frühstücken. Wir verrichten unsere Morgentoilette an einem kleinen, kalten Bach, der sich in der Nähe des Zeltes über die flach abfallenden Felsen ergießt und sich durch das taufrische Gras schlängelt.
Noch vor elf Uhr sind wir wieder auf der rauen Piste. Es sind letztlich bloß zehn Kilometer, die uns von der Hochebene trennen, doch für diese Strecke benötigen wir gut drei Stunden. Der Zustand der Piste ist so miserabel, die Steigung derart extrem, dass wir wieder unsere erprobte "Zwei-Personen-schieben-ein-Rad"-Technik anwenden müssen, um den Anstieg zu bewältigen. Grober Kiesel stellt oftmals den Belag der Piste dar, ab und zu queren kleine Wasserläufe den Weg. Wir genießen dieses kleine Abenteuer! Das Wetter ändert sich nicht, es bleibt sehr warm und wir haushalten mit unserem Trinkwasser, auch wenn das nicht immer ganz leicht fällt. Der Warden an der Hütte Laugafell, die wir am späten Nachmittag erreichen sagt, es seien um die 25°C gewesen. Ich glaube das ohne weiteres.
Von diesem Mann erfahren wir auch, dass wir uns in den letzten zwei Tagen auf etwa tausend Höhenmeter hinaufgearbeitet hatten - wenn wir das vorher geahnt hätten!
Irgendwann ist also der Punkt erreicht, wir können es kaum glauben, da geht es nicht weiter bergan. Wir blicken zurück in ein weites Tal, sehen Schneefelder unterhalb unseres eigenen Höhenniveaus, können in Ausschnitten sehen, welchen Weg wir gekommen sind. Nun liegt also das Hochland mal wieder vor uns, das lockende Grau! Auch wenn es sich in der gleißenden Sonne sehr milde darstellt, geradezu lieblich.
Die letzten Kilometer bis Laugafell gestalten sich vergleichsweise harmlos. Gedankenverloren und gespannt, wie sich der weitere Verlauf der Wüstenfahrt bis zur Landmannalaugar wohl gestalten wird, trete ich in die Pedale. Kleine Hügel geht es hinauf und hinab, die Sonne brennt uns noch immer auf den Pelz und irgendwann taucht sie auf, die Hütte.
An einem Mast hängt schlaff die isländische Flagge, während wir uns im traumhaft einsamen Hotpot entspannen und den ersten Wüstentag im warmen Abendlicht ausklingen lassen.

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Donnerstag, 14. August 1997

Karte Tagesetappe

Von Laugafell aus trennen uns noch etwa dreißig Kilometer von der eigentlichen Sprengisandur-Route, der Hochlandstraße F26. Am frühen Mittag machen wir uns an das zermürbende Stück Arbeit, eben jene zu erreichen. Die Piste ist eine Hochlandpiste und dieser Bezeichnung macht sie alle Ehre. Unter einem stahlblauen Himmel und bei recht kräftigem Wind (natürlich von vorn!) ringen wir der Straße Meter um Meter ab, lassen uns unsere Knochen auf dem groben Schotter kräftig durchschütteln...
Doch nicht nur unsere Knochen melden Materialermüdung an: schon auf diesem ersten Abschnitt des Tages bricht Birgits Lowrider-Halterung gleich an zwei Stellen. Wir ersinnen eine abenteuerliche Konstruktion, um dieses Problems Herr zu werden: mittels einer gebogenen Speiche aus unserem Ersatzteilfundus, einem kleinen Stück Holz, welches wir am Wegesrand finden und einer Schlauchklemme schienen wir die Fraktur. Ja, man wird erfinderisch... Umso schöner, wenn sich im Nachhinein betrachtet solche Provisorien als haltbar und solide erwiesen.

Island, Tungnafellsjökull

Irgendwann findet der Anstieg sein Ende und wir erreichen das Hochland.
Die Route schlängelt sich zwischen den großen Gletschern hindurch:
im Westen der Hofsjökull, im Osten der Tungnafellsjökull (hier zu sehen)
sowie die Ausläufer des Vatnajökull.


Wir poltern weiter südwärts, zu unserer rechten zeigt sich dank des famosen Wetters die ganze Zeit der Hofsjökull. Irgendwann macht die Straße einen Knick nach Osten, womit er aus unserem Gesichtsfeld verschwindet und nun hinter uns liegt. Nun allerdings offenbart sich bereits der Tungnafellsjökull, an dessen Fuße wir heute ein wenig widerwillig unser Lager beziehen werden, doch soweit sind wir noch nicht...
Zunächst einmal treffen wir auf die F26. Die wegweisenden Schilder leuchten kräftig gelb in der Sonne, wir gönnen uns eine ausgiebige Pause, die auch bitter nötig ist. Ich bin schon recht gebeutelt von der bisherigen Etappe, es hat mich ganz schön geschlaucht - wobei, und das muß ich an dieser Stelle der Ehrlichkeit halber sagen, es handelt sich wohl eher um ein mentales "Schwächeln", als denn um ein physisches. Wie auch immer, der Tee tut sehr wohl und ein wenig Schokolade sorgt für den Nachschub an "niedermolekularen Kohlenhydraten". Das Licht nimmt mittlerweile den goldenen Glanz des sich seinem Ende entgegen neigenden Tages an, als wir unsere Reise fortsetzen - nun wieder in ziemlich genau südlicher Richtung.
Es ist empfindlich kühl - klar und deutlich zeichnen die Gipfel der Berge und der Gletscher sich vom Himmel ab. Ein wundervolles Szenario, um ein neues Kapitel in unserer Pannengeschichte zu schreiben. Es kommt nämlich an meinem Rad (Hinterrad, Zahnkranzseite, wie es sich gehört) zum ersten Speichenbruch dieser Tour. Mit diesem Bruch wird der Grundstein gelegt für eine ganze Reihe weiterer Brüche; Tage später komme ich direkt ins Schwitzen, ob denn wohl die mitgeführten Reservespeichen ausreichen würden... und ob es so schlau war, die wertvollen Speichen zuvor als Schiene für einen gebrochenen Lowrider-Bügel eingesetzt zu haben...
Nachdem der Schaden behoben und das Rad wieder voll beladen ist, rollen wir weiter über das sanft geschwungene Schotterband "unserer" F26 durch die braun-golden leuchtende Weite. Ein einsamer Wanderer taucht vor uns auf und verschwindet hinter uns. Was mag das für ein Gefühl sein, tagelang ganz allein über Hunderte von Kilometern durch die Wüste zu laufen!

Island, Abendlicht im Hochland

Die Sicht ist klar und das Abendlicht zaubert
eine wundervolle Stimmung über der Wüste.


Wir sind nun ganz dicht am Tungnafellsjökull, im Licht des Abends bieten sich die Gletscherzungen dar - eigentlich sehen sie aus, als seien sie rasant in Bewegung, doch kriechen sie eher unsichtbar ihres Weges. Wir gelangen an den Abzweig der F98, welche ostwärts zur Askja zieht und gedenken unseres einstigen "Plan A"...

Island, Tungnafellsjökull

Abendlicht auch auf dem Tungnafellsjökull.


Unser Ansinnen ist es, heute abend noch den Zeltplatz an der Hütte Nýidalur zu erreichen, von dem uns nun nur noch fünf Kilometer und eine Furt trennen. Die fünf Kilometer an sich wären wohl gar nicht mal so ein Problem gewesen, doch die Furt hat es in sich. Und dies im wahrsten Sinne des Wortes; ein Hochlandreisebus steckt nämlich in ihr fest, steht etwas schräg gekippt im Wasser, der Busfahrer daneben. Ein paar Italiener, die vorhatten, die Furt mit einem Kleinwagen zu passieren, haben sich von diesem Bild bereits abschrecken lassen (wohl schlau...) und am Fluß ihr Nachtlager aufgeschlagen.

Island, Tungnafellsjökull, ein Bus steckt in einer Furt fest

Tungnafellsjökull, ein Bus steckt in einer Furt fest.


Wir sind unsicher, was zu tun ist, denn wir haben eigentlich nicht vor, vor dem Wasser zu kapitulieren. Zunächst werden wir jedoch Zeugen der Bergungsaktion: von der Südseite des Flusses her kommt ein gigantisches gelbes Baufahrzeug, dem es überhaupt keine Schwierigkeiten bereitet, den Bus ans rettende Ufer zu ziehen. Etwas Bedauern bringen wir dann den Fahrgästen entgegen, deren Gepäck in den unteren Ladeluken verstaut ist: als der Fahrer nämlich eben jene öffnet, ergießt sich ein mächtiger Schwall trüben Gletscherwassers aus den Fächern. Die Taschen, Koffer und Rucksäcke müssen vollständig durchnäßt sein.
Der Fahrer des gelben Ungetüms ist so freundlich, anzubieten, auch uns über das reißende Wasser zu transportieren. Zunächst willigen wir begeistert ein, doch als er äußert, wie er sich das rein praktisch vorstellt, da lehnen wir doch lieber ab. Er meinte nämlich, wir sollten unsere beladenen Räder auf die riesigen Radkästen des Fahrzeugs stellen und uns dann - irgendwie - rüberschaukeln lassen. Ohne dass eine Möglichkeit bestanden hätte, die Räder sicher zu fixieren oder für uns, uns festzuhalten, war uns das doch eine Nummer zu riskant.

Island, Wasserläufe am Tungnafellsjökull

Wasserläufe am Tungnafellsjökull.


Wir sind mittlerweile vom langen Herumstehen einigermaßen durchgefroren und bringen es schließlich doch nicht mehr fertig, uns in Sandalen in das eisige Wasser zu begeben, um auf Teufel komm raus unser eigentliches Ziel zu erreichen. So tun wir es den Italienern gleich und bauen unser Zelt auf. Schließlich, das kann man in jedem Reiseführer nachlesen, würde morgen früh auch das Wasser des Flusses einen knappen halben Meter niedriger stehen. Denn über Nacht schmilzt wesentlich weniger Gletschereis ab, als am Tage unter dem wärmenden Einfluß der Sonne.
Kaum dass deren Strahlen dann hinter dem Horizont verschwunden sind, zieht dichter Nebel auf, es wird noch kälter und wir wärmen uns mit Tee und Rum auf...

Island, am Fuße des Tungnafellsjökull

Am Fuße des Tungnafellsjökull schlagen wir unser Lager auf.


Ein bisschen brüten wir über dem Umstand, dass wir sehr, sehr langsam vorankommen und dass es bis Landmannalaugar noch so weit ist. Was mag uns noch alles widerfahren auf den knapp 150 Kilometern, die noch vor uns liegen? Welche Pannen, welche wettermäßigen Unbilden, welche Furten voller Fahrzeuge...?
Zunächst einmal nur kräftiger Regen, welcher in der Nacht auf unser Zeltdach prasselt.

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Freitag, 15. August 1997

Karte Tagesetappe

Eben diesen Regen machen wir verantwortlich für die Aufhebung des "Morgens-sind-die-Flüsse-flacher"-Effekts. Am frühen Vormittag ist es zwar wieder trocken, doch die über Nacht gefallenen Wassermassen geben dem Fluß heute Morgen das gleiche Erscheinungsbild, wie am Abend zuvor... Unter diesem Aspekt war das Abwarten für uns nicht von Vorteil.
Um neun Uhr gehen wir den Fluß an, der an der Furt zwei einzelne, hintereinander liegende Ströme bildet. Nicht ganz ohne Schwierigkeiten finden wir in dem reißenden, grauen Gewässer eine geeignete Stelle, an welcher wir uns überwinden, in drei einzelnen Fuhren zunächst unser Gepäck und dann die Räder hinüberzuschaffen. Schon nach dieser ersten Hälfte sind die Füße wie betäubt und wie wir da so zwischen den beiden sprudelnden Wassern stehen, kreuzt ein mit Touristen bestückter Minibus, eine "Island-Safari" den Fluß. Wir scheinen eine echte Attraktion darzustellen für diese armen gehetzten Menschen, denn kaum dass der Bus das andere Ufer erreicht hat, zielt eine kleine Armee von Objektiven auf uns, Verschlüsse klacken, Videokameras surren. Würde mich schon interessieren, in welchen Gegenden der Welt wir nun Teil abendlicher Dia- oder Video-Schauen sind...
In der Situation an sich macht mich das Verhalten dieser Leute aber auch eine Spur wütend, immerhin sehen wir in unseren Unterhosen sicher ziemlich belämmert aus und so richtig gut geht es uns mit den eiskalten Füßen auch nicht unbedingt. Somit haftete deren Verhalten durchaus etwas Voyeuristisches an, man kann den Leuten auch gern Schadenfreude unterstellen. Ich reagiere, indem ich meinerseits das Objektiv meiner Nikon F4 auf die Gruppe richtete...
Sehr nett indes ist der Fahrer des Busses, der, um uns zur Hilfe zu kommen, beinahe sein Fahrzeug im Schlamm festsetzt und somit ein neuerliches Anrücken des großen gelben Ungetüms notwendig gemacht hätte. Er schafft es dann aber doch und transportiert unser komplettes Gepäck auf die Südseite des Gewässers, so dass uns nur noch ein letzter Gang zu tun bleibt. Schlingernd hieven wir unsere Räder durch den reißenden Fluß und es ist nur Glück, dass sie nicht abtreiben bzw. uns mit in das eisige Wasser reißen. Es ist keineswegs möglich, sich auf die Lenker zu stützen, um sicheren Halt zu haben, die Vehikel liegen vielmehr waagerecht im Wasser und wir halten sie nur mühsam bei uns.
Aber, alles geht gut und der einzige Schaden der Aktion ist reversibel, wir haben nämlich furchtbar kalte Füße. Also geben wir ordentlich Gas, um die wärmende Hütte in Nýidalur zu erreichen. Allerdings müssen wir vor dem Erreichen derselben noch eine weitere Furt queren, es hilft nichts, raus aus den Schuhen und rein in das erfrischende Naß! Allerdings ist dieser Flußarm eher dadurch charakterisiert, dass er flach und dafür sehr breit ist.
Die Hütte ist ausgesprochen gemütlich und wir sind dankbar dafür, in ihrem wärmenden Schutz ein ausgiebiges zweites Frühstück einnehmen zu können. Wir zögern dies bis in den frühen Nachmittag hinaus - noch ein Tee und noch einer - denn durch das Fenster können wir beobachten, wie sich die Island-Flagge vor der Hütte mehr und mehr zu regen beginnt. Schließlich ist sie von einem ausgesprochen starken Wind gepeitscht, der (woher sonst) aus südlicher Richtung angebraust kommt.
Wir kommen langsam voran. Noch gut dreißig Kilometer fahren wir von Nýidalur aus, benötigen dafür mit kleinen Pausen etwa sechs Stunden. Der Wind ist wahrlich nicht unser Freund, nein, er macht uns das Leben ganz schön schwer. Die Straße führt leicht bergauf, dann wieder bergab, dann wieder bergauf - scheinbar endlos zieht sie sich als Schotterband durch die graue Steinwüste. Einen Lowrider-Bruch an Birgits Rad müssen wir unterwegs reparieren, am Nachmittag setzt Regen ein und über der Landschaft liegt eine Tristesse, die man beinahe greifen kann.
In einem toten Flußbett ganz in der Nähe des Kvíslavatn schlagen wir links der Piste unser Lager auf. Wir sind beide total erschöpft, der Wind hat uns mächtig zugesetzt - heute liegt tatsächlich mal die Physis am Boden. Wir sind allerdings froh, überhaupt eine einigermaßen windgeschützte Stelle gefunden zu haben, die nach unserer Einschätzung sicher genug ist - eine weitere Reparaturhülse für eventuell gebrochene Stangen haben wir nicht und seit der Erfahrung an der Askja sind wir doch etwas vorsichtig geworden. Somit ignorieren wir schlichtweg die theoretische Gefahr, dass in der Nacht der Wasserlauf unerwartet zu neuem Leben erwacht und uns hinfort spült.

Auch dem erschöpften Zustand kann ich etwas abgewinnen. Gibt es doch kaum etwas schöneres, als den Zeitpunkt am Abend eines aktiven Tages in der frischen Luft, an dem man warm in den Schlafsack gehüllt seine Glieder schwer werden lassen darf, um sich dann in einen wohlverdienten Schlaf gleiten zu lassen. Ich kann den Wind den Wind sein lassen...

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Samstag, 16. August 1997

Karte Tagesetappe

Der erste Blick aus dem Zelt am Morgen offenbart bereits, dass sich die Windrichtung zu unseren Gunsten geändert hat, was wir ausgesprochen begeistert zur Kenntnis nehmen. Der Himmel ist zwar immer noch traurig grau, doch was macht das schon! Rückenwind und Trockenheit - großartig!
Ein wenig zähneknirschend, jedoch in erster Linie amüsiert stellen wir fest, dass sich auf den ersten Kilometern unserer heutigen Etappe die Straße zielstrebig und schnurgerade auf den weit und breit einzigen nennenswerten kleinen Berg in der Umgebung zuwendet, um ihn an seiner höchsten Stelle zu überqueren... Aber das kennen wir ja schon zur genüge von Islands Straßen - und wieso sollten die Straßenbauer es auch anders machen, bestimmt nicht ein paar bekloppten Radtouristen zuliebe, die im Sommer durch das Hochland poltern...
Zügig pustet uns der Wind bis nach Versalir, einem kleinen, entlegenen Flecken Zivilisation: eine Hütte mit Restaurantbetrieb, Tankstelle und Übernachtungsmöglichkeit. Wir nutzen das aus, um uns den Bauch mit Hamburgern, Suppe und Waffeln vollzuschlagen. In der Zwischenzeit verschlechtert sich die Wettersituation erheblich, sprich, es beginnt zu gießen, so dass wir es nicht eilig haben, das wärmende Nest wieder zu verlassen. Ein paar Reiterinnen leisten uns Gesellschaft; sie befinden sich auf einer Hochlanddurchquerung zu Ross und den Berichten der Frauen zufolge ist das ein ausgesprochen anstrengendes Unterfangen. Der isländische Guide nimmt die TeilnehmerInnen ganz schön hart ran und das Wetter tut sein übriges dazu, die Reise möglichst ungemütlich zu gestalten...
Um sechs am Abend schließlich raffen wir uns auf (wir hätten es selber kaum noch für möglich gehalten), trotz des Regens noch ein Stück des Weges in Richtung Landmannalaugar zu bewältigen. Eine gute Entscheidung, wie wir im Nachhinein feststellen, auch wenn unterwegs unter ungemütlichen Bedingungen ein Speichenbruch an meinem Rad zu beheben ist... So haben wir heute immerhin um die sechzig Kilometer zurückgelegt und es bis in die Gegend des Þórisvatn geschafft.

Als gegen neun an meinem Hinterrad das fast schon vertraute "Pling" signalisiert, dass mal wieder eine Speiche bricht, beschließen wir, uns einen Lagerplatz zu suchen und die Reparatur auf den morgigen Tag zu verschieben - keinen Bock mehr heute.
Die Straße verläuft auf einem wuchtigen Damm. Wir kraxeln diesen mit unseren Rädern hinab, schlagen unser Zelt auf und verbringen noch einen langen Abend mit so manchem Tee mit Rum bei geöffneter Apsis. Es ist einer dieser Abende, an denen eine ganz sonderbare, mystische Stimmung sich unserer bemächtigt - hier in dieser gottverlassenen Wildnis. Zunächst einmal fällt uns ein großer Stein auf, der in etwa einem Meter Entfernung vor unserem Zelteingang liegt - wir wundern uns über diesen mystischen Klumpen, mutmaßen, er sei ein von Trollen oder Elfen bewohntes Exemplar. Ich bin ja durch und durch Atheist und mein Hang zu übersinnlichen Phänomenen hält sich ebenfalls stark in Grenzen (das ist noch sehr vorsichtig formuliert...). Es ergibt sich dann allerdings eine Begebenheit, für die ich bis heute (da ich nun einige Jahre nach der Reise diesen Bericht schreibe) keine rationale Erklärung finden kann: ebenfalls im Gesichtsfeld liegt die Straße, oben auf dem Damm, und wie es sich gehört ist sie von gelben Begrenzungspfosten mit Katzenaugen gesäumt. Ich blicke auf die Pfosten, vornehmlich auf den einen, der unserem Zelt am nächsten ist und muß feststellen, dass die Katzenaugen intermittierend zu leuchten beginnen. Am Anfang wundert mich das nicht, ich denke, es kommt ein Fahrzeug von ferne. Doch es kommt kein Fahrzeug, wir sind definitiv allein in der finsteren, einsamen, lichtlosen Nacht.
Sehr, sehr sonderbar!
Das sind Momente, in denen ich dann nicht umhin komme, an meiner kühl-rationalen Sicht der Welt zarte Zweifel aufkommen zu lassen.

Über Nacht braut sich ein ordentlicher Sturm zusammen, doch schlafen wir gut an diesem wunderlichen Ort.

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Sonntag, 17. August 1997

Karte Tagesetappe

Ein Tag, der nicht nur mich, sondern auch Birgit an den Rand der Verzweiflung treibt. Und das, obwohl sie stets diejenige ist, die den kühleren Kopf bewahrt, die mehr Geduld aufbringt und weitaus gelassener klimatischen Unbilden zu begegnen im Stande ist.
Am Morgen gibt sich die Landschaft in dichten, ja, sehr dichten Nebel gehüllt, es regnet und ein heftiger Sturm weht über das Land. Eigentlich eine wunderliche Kombination, dichter Nebel und Sturm, doch es ist so.
Ich nehme die Erneuerung der defekten Speiche in Angriff, was ich am späten Vormittag beende. Wenn die Räder im Gras liegen, versetzt der Wind die Räder in heftige Rotation.
Es ist echte Arbeit, die Räder den Wall zur Straße hinauf zu bugsieren. Die Taschen tragen wir einzeln und montieren sie erst oben, sie hätten dem Sturm zu viel Widerstand geboten.
Schon zu Beginn des Tages müssen wir aufgrund des Windes oftmals die Räder schieben, an Fahren ist beim besten Willen nicht zu denken, es ist unmöglich, die schwer bepackten Bikes zu handeln. Was am Beginn des Tages noch einen exotischen Reiz und eine gewisse Faszination auszuüben vermag, nämlich jenes ungestüme Gebaren des lokalen Wettergeschehens, wird bald zur Quälerei. Diese währt zwanzig Kilometer und zwar bis zu der Stelle, da unsere Piste auf die F22 trifft. Unterwegs verfahren wir uns auch noch, landen versehentlich auf einer Jeep-Piste, die von unserer "Straße" abzweigt. Es dauert eine kleine Weile, bis wir die Orientierung wiedergefunden haben und eben dies realisieren.
Am Abzweig zur F22 befindet sich ein Kraftwerk, welches wir passieren. Fortan geht es etwas gemütlicher voran; der Wind trifft uns von der Seite, es klart auf und regnet nicht mehr. Wir denken zwar immer noch nicht ernsthaft, dass wir die vor uns liegenden letzten dreißig Kilometer bis zur Landmannalaugar heute noch schaffen werden, doch wird die Fahrt wirklich wesentlich angenehmer. Aber eigentlich konnte es auch nur besser werden! Wir erholen uns recht zügig von dem furchtbaren Tief, welches jeder von uns am Kraftwerk durchlitt, machen im Windschatten einiger kantiger Felsen eine ausgiebige Pause und schaffen es dann tatsächlich, am Abend um neun unser Ziel zu erreichen.

Island, das Gebiet von Landmannalaugar

Im Gebiet von Landmannalaugar.


Der Abschnitt, den wir auf der F22 befahren ist eigentlich keine unbekannte Strecke für uns; vor zwei Jahren verließen wir auf genau dieser Piste das Gebiet der heißen Quellen, dereinst in Begleitung von Ingrid und Ulrike. Es regnete in Strömen und die Sicht war miserabel. Umso größer ist unsere Freude und Begeisterung, nun einen Eindruck von der wilden Landschaft zu gewinnen.

Island, das Gebiet von Landmannalaugar

Im Landmannalaugar-Gebiet.




Island, das Gebiet von Landmannalaugar

Es naht das Land der bunten Berge...




Island, das Gebiet von Landmannalaugar

Und da liegen sie wieder vor uns, die berühmten Ryolithberge Landmannalaugars.


An der Hütte in Landmannalaugar nehmen wir Post in Empfang. Zum einen hat es geklappt, dass unser Lebensmittelpaket aus Egilstadir hier ankommt, zum anderen hat auch meine Freundin Claudia an die Adresse der Hütte eine üppige Ration "Luxusartikel" geschickt. So unter anderem ein paar Dosen Bier, welche wir spät am Abend im Hotpot genießen, während am klaren Himmel der Vollmond leuchtet. Wir haben es also wirklich geschafft, die Wüste zu durchqueren! Und dass auf der heutigen Fahrt zwei weitere Speichen an meinem Rad brechen, nun ja, dies sei nur am Rande erwähnt...

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Montag, 18. August 1997


...und für den heutigen Tag fällt die Pannenstatistik noch harmloser aus, es ist nichts passiert, außer dass ich den Objektivdeckel meiner F4 verloren habe!
Es wird ein fauler Tag, der uns ein bisschen von den Wetterverhältnissen aufgedrängt wird, es regnet nämlich vom Morgen an.
Somit nehmen wir unser Frühstück im Zelt zu uns, schreiben dann ziemlich lange und raffen uns erst am späten Nachmittag auf, trotz der Nässe eine kleine Wanderung in das nahe Lavafeld hinter dem Campingplatz zu unternehmen und ein paar Steine zu suchen. Im Anschluß daran gönnen wir uns einen ausgiebigen Aufenthalt im Hotpot - letztendlich liegen wir fast drei Stunden in dem angenehmen Wasser.

Island, das Gebiet von Landmannalaugar

Lavagestein.




Island, Landmannalaugar

Am Campingplatz von Landmannalaugar, im alten LKW kann man Einkäufe erledigen.


Wir erstehen Fisch, den wir am Abend verspeisen und dann den Rest des Tages bei Tee in der geöffneten Apsis ausklingen lassen. In diesen Stunden macht der Regen mal Pause!


Dienstag, 19. August 1997

Ein trockener und sonniger Morgen begrüßt uns und treibt uns bald aus dem Zelt. Wir nutzen den Tag, um in die "Schlucht" Grænagil zu wandern. Zu Beginn ist die Schlucht allerdings nicht unbedingt als solche auszumachen, eher wähnt man sich in einer weitläufigen bizarren Kulisse, in der es von Hobbits und anderen Tolkienschen Fantasiewesen nur so wimmelt - die jedoch stets auf der Hut sind, um nicht von uns fremden Wanderern entdeckt zu werden...

Island, das Gebiet von Landmannalaugar

Wir bleiben für einige Tage und erkunden auf ausgedehnten Wanderungen die Umgebung.




Island, das Gebiet von Landmannalaugar

Wir müssen uns gar nicht weit vom quirligen Lager entfernen, um menschenleere Natur zu finden.




Island, das Gebiet von Landmannalaugar

Reste eines alten Schneefeldes.


Ein weites Kieselbett, durch welches sich ein beschaulicher Fluß seinen Weg sucht ist unser Weg, immer wieder müssen wir über kleine Arme des Gewässers springen, Birgit holt sich dabei einen nassen Fuß... Später verengt sich das Terrain und schließlich erreichen wir ein Schneefeld, an dem es nicht mehr weiter geht. Wir halten dort oben ein kleines Picknick, verspeisen Äpfel und Schokoriegel und machen uns dann auch schon wieder an den Abstieg - so richtig kuschelig warm ist es nämlich nicht und lädt somit nicht gerade zu ausgiebigem Verweilen ein...
Als wir uns dem Zeltplatz nähern, trennen sich unsere Wege. Mir reichen die viereinhalb Stunden, die wir nun unterwegs sind, während Birgit noch Hummeln im Arsch hat und noch einen kräftigen "Nachschlag" an Wandern nimmt.
Ich verkrieche mich ins Zelt, Nieselregen setzt ein, und verdaddel den Nachmittag, ohne dass sich noch etwas besonderes ereignet.

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Mittwoch, 20. August 1997

Sattes Grau liegt über den bunten Bergen, die daher heute morgen gar nicht so bunt scheinen wollen. Es gießt wie aus Eimern, was uns nicht unbedingt in Begeisterung versetzt. Es soll wohl Tradition werden, dass wir das Gebiet der Landmannalaugar bei Schietwetter verlassen.
Ja, heute soll es weitergehen. Unserem Plan folgend, die Insel mit ihrer Wüste einmal ganz von Norden nach Süden zu durchqueren, sozusagen von Küste zu Küste zu radeln bleiben wir (vorerst) zähneknirschend treu. Wir frühstücken im Zelt, packen dann unsere sieben Sachen zusammen, hüllen uns in unsere Regenkluft, verstauen das patschnasse Zelt und rollen westwärts hinaus in die dichte, endlos trostlose graue Bergwelt. Es ist keine Freude und wir fragen uns bald, ob es wirklich Sinn macht, bei diesen Verhältnissen gute hundert Kilometer durch die Berge zu fahren und dabei drei Tage zu "opfern" - oder ob es nicht gescheiter ist, die verbleibenden Tage in Island anders zu nutzen. Wir erörtern die Option, an dieser Stelle umzukehren, um zu prüfen, ob nicht ein Bus aus dem Hochland heraus zu ergattern ist, um im Zeitraffer ans Meer zu gelangen.
Besonders lange müssen wir nicht überlegen; nach insgesamt etwa fünf Kilometern setzen wir diese Variante in die Tat um und befinden uns nur kurze Zeit später wieder an der Hütte des Campingplatzes. Es ist zu erfahren, dass in wenigen Minuten ein Bus das Lager verlassen wird mit dem Ziel Kirkjubæjarklaustur. Wir sputen uns und es klappt, dass wir noch einen Platz bekommen - natürlich auch für unsere Räder.

Ja, und so nimmt die glorreiche Wüstendurchquerung ein ziemlich ruhmloses und etwas trauriges Ende, doch manchmal obsiegt eben der Pragmatismus. Hätten die folgenden Tage einen anderen Verlauf genommen, so würde ich wahrscheinlich bis zum heutigen Tag die Richtigkeit dieser Entscheidung in Frage stellen und mich insgeheim ärgern, einmal mehr vor den ungestümen Elementen gekniffen zu haben. Doch die Erlebnisse, die da noch vor uns liegen sollen, bestätigten im Nachhinein die Entscheidung. Auch die Tatsache, dass der Bus einen Abstecher in die "Feuerschlucht", die Eldja unternimmt, ist als Lichtblick zu bewerten - haben wir doch auf unserer Reise vor zwei Jahren diese nicht zu Gesicht bekommen.

Island, Ófaerufoss in der Eldgjá

Per Bus verlassen wir Landmannalaugar. Bei einem Zwischenstopp haben wir Gelegenheit, den Ófaerufoss in der Eldgjá zu betrachten. Bis zum Winter 1992 / 1993 waren die hübschen Fälle von einer steinernen Brücke überspannt. Diese kennen wir jedoch auch nur noch von Fotografien.


"Kirkju" ist uns in guter Erinnerung von der letzten Reise in den isländischen Süden, wir richten uns bei Regen auf dem Campingplatz ein, freuen uns wieder über die ausgezeichneten Duschen, verbringen den Abend in der Kaffitanke (grübelnd, ob wir das richtige taten)...

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21. - 24. August 1997

Das Prasseln auf dem Dach unserer Behausung am Morgen verheißt wenig Gutes, der Blick hinaus zeigt das uns wohlbekannte Einheitsgrau - eine "Farb"-nuance, an welche sich der Reisende in Südisland gewöhnen sollte.
Etwas zerknittert nehmen wir unser Frühstück im Aufenthaltsraum ein und halten Kriegsrat. Ziemlich spontan entsteht der Gedanke, noch heute nach Reykjavík zu fahren und von dort aus den Westmänner-Inseln einen Besuch abzustatten. Wir bringen also die Abfahrtszeiten der Busse in Erfahrung und sitzen nur wenig später in einem solchen, rollen durch den Regen westwärts in die Hauptstadt. Bei einem Zwischenstopp in Vík begegnen wir Joseph, der isländischen Radlerlegende, wechseln ein paar Worte, bevor wir dann bald das Ziel erreichen.
Auf dem Campingplatz treffen wir Thomas wieder, den Wanderer der Norröna-Crew, mit dem wir den Abend bei sündhaft teuren Bieren im "Dubliners", einer irischen Kneipe, in der Stadt verbringen und uns austauschen über den Verlauf unserer Touren.

Drei Tage verbringen wir in der isländischen Hauptstadt, ein wenig Sightseeing, ein wenig Shopping und der eine oder andere Ausflug in das Reykjavíker Nachtleben - unter anderem Gelegenheit, gebührend meinen 29. Geburtstag zu begehen…
Schließlich erwerben wir Tickets für einen Flug nach Heimaey, wo die diesjährige Islandreise ihren Ausklang findet.

Island, Reykjavík, die Skulptur Sólfar

In Reykjavík steht die Skulptur "Sólfar" ("Sonnenfahrt"), ein stilisiertes Wikingerschiff. Geschaffen 1986 vom Künstler Jón Gunnar Árnason.




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24. - 26. August 1997

Karte Tagesetappe



Island, Flug zu den Vestmannaeyjar

Für einige Tage fliegen wir von Reykjavík zu den Vestmannaeyjar, den Westmännerinseln




Island, Vestmannaeyjar

Schiffswrack am Hafen auf den Westmännerinseln




Island, Vestmannaeyjar

Vestmannaeyjar, mal wieder Geologie zum Anfassen




Island, Vestmannaeyjar

Vestmannaeyjar




Island, Vestmannaeyjar

Vestmannaeyjar




Island, Vestmannaeyjar

Auf ausgedehnten Spaziergängen erkunden wir das kleine Eiland Heimaey




Island, Vestmannaeyjar

Schattenspiel




Island, Vestmannaeyjar

Der Blick richtet sich nach Norden, schemenhaft ist Island zu erkennen




Island, Vestmannaeyjar

Obschon es vielhundertfach gezeigt wurde, ist dies ein Bild, welches nicht fehlen darf, wenn es um Heimaey geht: Erstarrter Lavastrom nach der Eruption von 1973




Island, Vestmannaeyjar

Heimaey, Vestmannaeyjar




Island, Vestmannaeyjar

Heimaey, Vestmannaeyjar




Island, Vestmannaeyjar

Strandspaziergang auf Heimaey, Vestmannaeyjar




Island, Vestmannaeyjar

Strandspaziergang auf Heimaey, Vestmannaeyjar




Island, Vestmannaeyjar

Seevogel auf Heimaey, Vestmannaeyjar




Island, Vestmannaeyjar

Auf Heimaey, Vestmannaeyjar




Island, Vestmannaeyjar

Kleine Bootsfahrt durch die Inselwelt




Island, Vestmannaeyjar

Und dann müssen wir auch schon wieder nach Reykjavík fliegen




Island, Vogelperspektive

Sedimente werden in Richtung Meer getragen, welch Schönheit sich aus der Vogelperspektive erschließt!




Island, Vogelperspektive

Südwestisland von oben.




Island, Vogelperspektive

Wenige Flugminuten noch, dann sind wir wieder "auf dem Festland". Bald geht es heim nach Kiel, dann soll es sechzehn Jahre dauern, bis ich wieder isländischen Boden betreten werde!


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26. / 27. August 1997

Karte Tagesetappe

Von Reykjavík radeln wir nach Keflavík, verbringen dort noch eine Nacht auf dem Campingplatz, bevor uns dann der Rückflug nach Hamburg bevorsteht...

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